6.45 Uhr:
[Dallapiccola, Partita.]
Morgencigarillo. Kaffee.
Eine Germanistin, eine PR-Autorin, ein Journalist, eine Psychologiestudentin, eine literarische Autorin, >>>> die zudem bereits ein Weblog führt (ich kenne sie übrigens von früher; sie hat, erinnerte sie mich, in Der Dschungel auch schon mal kommentiert), der Leiter des Forums und ich – dies waren gestern abend die Teilnehmer des >>>> Seminars; ein angemeldeter Teilnehmer erschien nicht, wird aber wohl heute noch kommen. Gute Runde, teils sehr mit dem Netz vertraut, teils ein wenig skeptisch gegenüber dem Netz, teils sehr neugierig auf das Netz. Eine Teilnehmerin mußte, wegen einer Rücken„geschichte”, am Boden liegen, die Beine hochgelegt auf einem Berg Kissen, die sie mitbrachte; aber sie habe unbedingt dabeisein wollen.
Wir unternahmen eine kleine Tour durch die literarische Netzszene, zudem eine Tour durch die Netz-Geschichte, schauten in die Neue Musik, von der einige Impulse ausgingen (der „Ringmodulator”, aus dem der Synthesizer wurde, spielte in ihr viel früher eine Rolle als in der populären Musik), die zu Max Bense und in die Konkrete Poesie hineinlangen, Permutationen per Kybernetik usw… wie dann aber auch andere literarische Gattungen sich des Netzes ermächtigten, bzw., noch immer, zu bemächtigen versuchen, wobei ich naheliegenderweise einen Akzent auf >>>> Litblogs.net legte, dort besonders auf >>>> in|ad|ae|qu|at und >>>> die Bibliotheca Caelestis, mit der wir uns eingehender beschäftigen werden; ich machte mit Abendschein eine kleine Skype-Koferenz für heute mittag aus; er wird den Teilnehmern über Skype eine persönliche Einführung in das Projekt geben. Wir rissen Probleme der Urheberschaften an, die das Netz bringt, wir schauten die Rolle an, die Netzpublikationen bislang im Verhältnis zu traditionellen Publikationen spielen, vielleicht noch spielen, und welche Rolle sie, wahrscheinlich, einmal spielen werden; das Problem der Autorschaft als solcher wurde von einer Teilnehmerin angerissen; das werden wir sicher vertiefen, ebenso wie die mich selbst ständig beschäftigende Frage, ob und, falls ja, in welcher Weise das Medium auf die Ästhetiken wirkt – was ich bei konkreten Ansätzen für weniger tiefgreifend halte (also etwa in dem, was in den Siebziger/Achtziger Jahren „Netzliteratur” hieß und heute etwa von dem Kreis um >>>> Johannes Auer vertreten wird) als in den narrativen, bzw. solchen Ästhetiken, die dem traditionellen Literaturbegriff nahestehen, also weniger explizit mit experimenteller Literatur zu tun haben als jene. Dabei muß ich ein wenig darauf achten, daß die Vorkenntnisse der Seminarteilnehmer doch sehr verschieden sind; der Journalist zum Beispiel ist höchst informiert; ich werde ihn ein wenig, nein, nicht bremsen, aber doch darauf achten müssen, daß die Interessen der anderen ihren Platz finden. Deshalb werden wir sicher auch Texte besprechen, die die Teilnehmer „in den Schubladen” haben; ich denke, ich stelle die vorübergehend mal in Die Dschungel, und dann schauen wir uns an, welche Ent- und Verfremdungsprozesse bei der Rezeption entstehen – und vielleicht gibt es von Ihrer Seite ja auch Kommentare, die direkt auf diese Texte eingehen. Wer von Ihnen mag, schaue deshalb von Zeit zu Zeit heut mal in Die Dschungel hinein und speziell auf diese Texte. Vorausgesetzt, die Teilnehmer haben auch welche mit; ich vergaß gestern, das anzukündigen; vielleicht machen wir das also erst morgen.
Ganz sicher werden wir auch bei >>>>parallalie vorbeischauen, weil Helmut Schulze exemplarisch vorführt, wie ein Literarisches Weblog einfach auch nur als Publikationsort dienen kann, der das klassische Buch ersetzt, und man bei ihm des weiteren erkennen kann, wie sich die Aura der Publikation „rein” auf den Text verschiebt, wie „streng” da, also, die Poetik wird. Auch darüber, daß gerade für Lyrik das Netz Möglichkeiten bietet, die ein Buch n i c h t hat, einfach weil sie hier auf viel mehr Leser trifft, sprachen wir; ich gab als Beispiel >>>> den Editor Engeler, dem, wie zu erfahren war, gar nichts anderes übrig bleibt, als sich des Netzes zu bedienen, einfach aus finanziellen Gründen; dabei gehört seine Edition zu d e n Lyrik-Verlagen überhaupt. (In dem Zusammenhang besprachen wir auch kurz die Verlagskonzentration, also den wirtschaftlichen Aspekt, und daß sich die Marktmacht zunehmend auf den Buchhandel, nämlich die Ketten verschiebt und die ökonomischen Abhängigkeiten auch sogenannt freier Stimmen des Literaturbetriebs gefährdet, die aber ihrerseits lobbyartig vernetzt sind, wogegen sich dann wieder Netz-„Lobbies“ bilden, etwa http://Litblogs.net. – Zeitungssiechen, Umsatzrückgänge bei gleichzeitiger Aufputschung sogenannter „Stapelbücher” waren weitere Themen des Einführungsabends, der, wie Sie lesen können, nsofern schon ziemlich prallevoll war.
Guten Morgen.
Rasieren ist jetzt angesagt, mich zu duschen unbedingt auch. Um zehn Uhr wird es weitergehen.
Guten Morgen Herr Herbst, ich freue mich, dieses hier so zu lesen. Ich hatte mich (und Sie) gestern Abend schon gefragt, ob Sie von Lesung und Poetik-Wochenende berichten werden. Sie sprechen Fragen und Umstände an, die mich auch sehr interessieren und umtreiben. Schade, dass die Veranstaltung nicht in Berlin stattfindet.
Und jetzt: weiter im Text. Der heute allerdings bei mir keine Poesie sein wird, keine Prosa, sondern Tragödie. Griechische Tragödie, um genau zu sein. Ich konnte dem Verhängnis einige Zeit lang aus dem Weg gehen. Das ist mir jetzt nicht mehr möglich. Ich stehe an diesem schnöden Morgen, Ende Februar 2010, allein und von allen verlassen, der geballten Macht des Schicksals gegenüber, das sich anschickt, mich in Form von Aufräumen, Spülen und Einkaufen zu zermalmen.
Ich wünsche Ihnen einen weniger tragischen Tag.
Aléa Torik
Seminar-WH Lieber Herr Herbst, ich möchte den Vorschlag von Frau Torik nach einer „Wiederholung“ Ihres Seminars unterstützen (ich hatte ja auch schon dezent angefragt). Berlin wäre für mich (notfalls) auch machbar, falls es sich in F nicht wiederholen läßt. Dies nur auf die Schnelle gepostet – weil auf dem Sprung – Teresa.
@Aléa Torik und Teresa. Ihre Idee, >>>> ein solches Seminar auch in Berlin durchzuführen, geht mir nach. Ja, das tät ich schon gerne. Als Veranstalter käme sicher, schon aus thematischen Gründen, die >>>> Literaturwerkstatt infrage; ich kann Thomas Wohlfahrt gerne mal fragen, muß mich aber jetzt erst einmal um dringende Terminabgaben kümmern. Möglicherweise ist es aber geschickter, wenn solche Interessensbekundngen direkt aus dem Publikum der Literaturwerkstatt kommen.
Fragen für Online-Seminar (oder mal später hier zur Beantwortung) Sie schrieben, Herr Herbst, dass Sie „Fragen der Urheberschaft“ angerissen haben – gestern Abend schon. Falls dies noch einmal Thema wird, wäre es interessant zu erfahren, was es mit folgendem (Irr ??)“Glauben“ auf sich hat: Es hält sich hartnäckig der Glaube (unter Roman-DebütantInnen), dass auf der eigenen Website oder in einem Blog veröffentlichte Texte für Verlage „verloren“ sind, d.h. dass Verlage an solchen Texten, die bereits online (im (eigenen) Blog oder auf der Website) „publiziert“ wurden, kein Interesse mehr haben. Kann jemand Ihres Teilnehmerkreises (bzw. Sie selbst) dies bestätigen? Stimmt das? Oder ist dies -von wem auch immer – ein „bös“ gestreutes Gerücht?
(ohne damit in die Hegemann-Problematik hinein kommen zu wollen, es geht wirklich mehr um die Verlagssicht. Also hat beispielsweise jemand, der seine Gedichte online veröfffentlicht, noch eine Chance, einen Verlag dafür zu finden? Wie verhält es sich, wenn jemand nur Textauszüge auf sein Weblog stellt, etwa um so Erst-LeserInnen zu finden? Die Beispiele ließen sich fortführen)
Viel Spaß beim Seminar-Endspurt am heutigen Tag wünscht Ihnen und Ihrem Kurs die Teresa
@Teresa. Es gibt darauf – derzeit – keine eindeutige Antwort. Lektoren und Verleger, meiner Erfahrung nach, sehen Vorveröffentlichungen und dergleichen im Netz nicht so gerne, ihre Marketing-Abteilungen aber sehen das anders. Es gibt Erhebungen, denen zufolge Netz-Veröffentlichungen für Buch-Veröffentlichungen keine Konkurrenz sind, ja sogar im Gegenteil, daß sie die Buchverkäufe befördern (einfach, weil jemand, der einen Text im Netz mag, ihn gerne auch „hätte“ – das geht auf den Fetischcharacter des Buches). Es gibt aber meines Wissens noch keine wirklich gesicherten Ergebnisse; wahrscheinlich sind die Fälle, die sich untersuchen lassen, noch zu wenige, um wirklich repräsentative Aussagen zu gestatten. Im Zweifel wird man das als Autorin/Autor selbst entscheiden und ein gewisses Risiko nehmen müssen, bzw. gelten, ist ein Verlagsvertrag unterschrieben, die darin verfaßten Bestimmungen. Meiner Erfahrung nach, abermals, läßt sich mit Verlagen aber reden, diskutieren, auch einfach ausprobieren. Auf jeden Fall sollten Sie unter solchen Vorveröffentlichungen direkte (Bestell-)Links auf die Buchpublikationen legen.
Vielen Dank für die Antwort, die für mich ganz hilfreich im Sinne von klärend ist.
Fetisch Wer hat Ihnen eigentlich das mit dem „Fetischcharakter“ des Buches eingeredet – dieser Begriff klappert ja gebetsmühlenartig durch die Dschungel. Recyclingpapier, billigste Klebebindung, Compuerschrift: tolle Fetische!
Es gibt Dinge, die in ihrer Funktionalität kaum zu verbessern sind. Stühle zum Beispiel. Auch an ein Rad ist nicht viel mehr dranzuerfinden. Tja, und auch das Buch als Träger einer Information (relativ robust, von Zusatzenergiezufuhr zumindest tagsüber unabhängig, weitergebbar, beschreibbar und – je nach Autor, Alter und Seltenheit: auch wertvoll) ist halt ziemlich ausgereift und perfekt.
Was in Wahrheit Fetische sind: die iPhones und all die Reader, die ach so toll sind, daß seit ziemlich genau einem Jahr von einem großartigen Flop des E-Buchs gesprochen werden kann. Und: lesen Sie mal auf iPhone, inzwischen Statussymbol der ach so Wichtigen dieser Welt, ein ganzes Buch. Viel Spaß, vor allem wenn der Akku sich verabschiedet. Alle diese Fetische werden in kurzer Zeit im Technikmuseum belächelt werden, und vielleicht gibt es über diese Entwicklung dann auch mal ein Papierbuch, in dem man bunt auf weiß nachlesen kann, was für eine großartige Marketingidee das iPhone gewesen ist.
@Kalle zum IPhone. Sie >>>> wiederholen mich, bzw. einer der Teilnehmerinnen. Wobei es bei dem von mir so genannten Buch-als-Fetisch gar nicht um die jeweilige Erscheinungsform- und/oder Qualität geht, sondern um die Idee Buch, die sich tatsächlich zu einem Fetisch entwickelt hat. In der Tat ist das Buch aber eben n i c h t perfekt, sondern ganz das Gegenteil, wenn man es als einen Träger, bzw. Speicher von Informationen versteht. Religionen wissen das übrigens, wenn das Wort Gottes eben nicht in dem materialen Text, d.h. eben auch nicht im Buch zu lesen ist, sondern, wie man säkular sagt, „zwischen den Zeilen“ – welches ein Ort außerhalb des Buches ist, und das Buch selbst ist nur die Pforte zur Wahrheit – so wie zuvor die Handschrift die Pforte zur Wahrheit war oder im Islam, nach wie vor, nicht der gelesene, sondern der gesprochene Koran (ein Wort, das selber „Rezitation“ heißt).
Was die IPhones anbelangt, so ist sicherlich auch ihr Fetischwert ein begrenzter, möglicherweise enger begrenzter als der des Buches; das hängt aber mit der exponentiell zunehmenden Entwichlungsgeschwindigkeit zusammen, die nahezu alles erfaßt hat, auch, wie ich glaube, das Gehirn-als-Organ und in seiner Organität. Aber das ist eine andere Debatte.
Die Feuerprobe der Liebe Die feuerprobe der Liebe
von R.Z.
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Rüdiger Ziemer
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Hochachtungsvoll Ihr
Rüdiger Ziemer
warum nur muss ich dabei an n denken, und wie er mal eine ganze löschflotte bewarb…
was zahlen die, die gerne was kindlehaftes hätten, weil sie ständig mit freigepäckgrenzen zu kämpfen haben etwa, oder einfach das tragen leid sind?
Unbedingt empfehlenswert Als ich Ziemer im Herbst letzten Jahres in seinem eleganten Haus in Döbeln besuchte, trieb ihn die Frage um, ob seine „Feuerprobe“ tatsächlich online-Akzeptanz erhalten würde. Erst als er am Ende des Jahres sein prallgefülltes Sparkassenkonto musterte, erkannte er, dass seine Befürchtungen unbegründet waren. Der veränderte Blickwinkel führte zu einer geringfügigen Korrektur der web-Ansprache, die ihren Ausdruck auch hier in der Anderswelt findet. Wichtiger als die Vermarktungsstrategie natürlich der Inhalt: Beim Nachdenken über den Wandel der Liebe habe er sich „den schlimmsten Roman aller Zeiten“ ausgemalt, witzelte Ziemer noch bei unserem Zusammentreffen. Stattdessen hat er einen machtvollen Roman geschrieben, dessen überaus fragwürdige, in persönlichem Chaos lebende Hauptfigur ein Sinnbild der großspurigen Vorsätze „probehalber Liebender“ sein soll. Schön, dass er hier Gelegenheit bekommt, seine „Feuerprobe“ einem liebeserfahrenen Publikum präsentieren zu können.
die feuerzwangenprobe? kommt eine dampfmaschine vor? vonnegut soll ja behauptet haben, ein roman, in dem keine technik vorkäme, sei wie das vikorianische zeitalter, in dem kein sex vorkam. dann wurde hürlimann verlesen. ein beinahe zu tode geschleudertes kätzchen, das schwein, und sein retter, der sohn. schon ergreifend. r e t t u n g, rettungshilfsvereinigung, singen bernhard und bianca und die mäusepolizei. hab ich schon erzählt, wie mich einst eine kellermaus in den finger biss, die ich vor unserer katze rettete. das ist also der dank. 3 tetanusspritzen in den hintern. die liebe zum geschöpf. ach ach.
Zukunftsliteratur für den Salon Sie, verehrteste „diadorim“, werden der Ernsthaftigkeit Ziemer’scher „Feuerproben“ mit Ihren eher das Banale streifenden Äußerungen nun wirklich nicht gerecht. Schon seine frühen Erzählungen sind bereits ein Kompendium vielfältigster Ideen und Zeugnis eines visionären Geistes. Mit seinen weit ausgreifenden Zeitbrechungen stellt dieser Roman eine überdimensionale Variante fehlender humaner Rückversicherung dar, die Ziemer auch zu den alten Meistern der Romanliteratur herstellt. Selbst der fulminante Schluß ist so etwas wie ein Portal zum Neuen und Unerhörten. Lesen Sie und vergewissern Sie sich selbst.