Arbeitsjournal. Montag, der 15. März 2010. Von Eiern und vom Credo.

7.09 Uhr:
Eine Meldung ließ mich heute morgen konzentriert werden, nachdem der Tag gestern nicht schön ausgeklungen: Ein britisches Klinik-Unternehmen verlose ein menschliches Ei zur künstlichen Befruchtung; da sie in Groß Britannien unter starken Einschränkungen stehe, werde die Aktion zusammen mit einer US-amerikanischen Firma durchgeführt; in den USA sei nämlich der Handel mit menschlichen Eiern ohne Einschränkung erlaubt; für Spermien gelte das eh. Nun kann man die Disponibilität des Menschen von den USA sowieso erwarten, nicht das machte mich stutzig. Sondern der Nachsatz: Man könne als Käufer eines Eis Hautfarbe, das soziale Milieu und die Intelligenz der Spenderin dieses Eies bestimmen; ihr Aussehen und Bildungsgrad bestimmten den Preis. Daraus ist zu schließen, daß seitens der Wissenschaft zumindest angenommen wird – aber sehr wahrscheinlich liegen dem Testreihen zugrunde -, es seien Intelligenz und Aussehen vererbbar, die nunmehr, je nach Kaufkraft der neuen Eltern, ausgemendelt werden. Dies – sofern die Information stimmt – ist ein Angriff der Ökonomie auf die Pheromone. Ich bin auf die Website des Unternehmens gegangen, fand aber bislang dieses Gewinn„spiel” nicht. Sowie es mir unter die Augen kommt und ich darauf verlinken kann, werde ich einen Text dazu schreiben.
Jedenfalls war die Information geeignet, meine Frustration völlig wegzudrehen; sie ging spontan in Kampflust über. Der Tag, der >>>>> gestern so schön begonnen und es bis in den frühen Nachmittag geblieben war, erwischte mich am Abend mies, nachdem auch schon der spätere Nachmittag meine Stimmung ziemlich umdunkelt hatte; Grund war erst diese permanente, unter der Gürtellinie schmauchende Auseinandersetzung mit einigen Kommentatoren; irgendwann riß mir die Geduld, und ich löschte alles weg. Ich bin ja selbst provozierbar und reagiere dann in meinen Gegenkommentaren ganz ebenso falsch. Die Löwin, am Telefon, sagte lächelnd, ja, es war sogar zu hören, w i e sie lächelte: sie möge das sehr, daß ich nie zynisch würde und niemals resignierte… „daß du immer durchlässig bleibst!” Hätte mir gefallen müssen, aber so war ich nicht mehr drauf. Zur Durchlässigkeit will ich >>>> Melusine gleich schreiben; es wird wirklich Zeit für den Brief. Auch meine Entgegnung an >>>> Ina Eff steht immer noch aus. Melusine ist wichtiger.
Völliges Lernchaos mit meinem Buben, wie ich gestern abend merken mußte; eine Mathe-Arbeit kam zutage, die er zerknüllt in einer Schublade liegen hatte; zwei Monate her, aber ’ne fünf. Das ging ich dann mit ihm durch; nicht einmal, was eine Gleichung i s t, war ihm klar. Auflösung nach y geübt, Auflösung nach x geübt, im Grunde alles puppiges Zeug, aber er ist da genauso verbrettert, wie ich es als Kind gewesen bin. Was mich daran nervte, war, daß er vorher mit seiner Mama beschlossen hatte, mehr Spielzeit zu bekommen; die beiden hatten dafür schon einen Plan durchstrukturiert – und dies, obwohl unser letzter gemeinsamer Plan, für den er mehr Eigenverantwortung eingefordert hatte, so grundsätzlich schiefgelaufen ist. So war die Stimmung zwischen seiner Mama und mir saukühl; ich ging dann, ohne mich eigentlich zu verabschieden, und knallte mir nachts zwei DVDs ins Hirn. „Du bist doch als Kind, hast du erzählt, genauso gewesen”, hielt sie mir vor. Das ist richtig; ich hatte aber auch keinen, der mir bei der Schule half, und vor allem: ich war immer von etwas angetrieben, dem ich nachging statt dessen, und das war eben n i c h t Konsumerfüllung, sondern ich las wie ein Berserker, stundenlang, ich schrieb mit zehn schon Geschichten, ich malte und malte und malte; mit zwölf kamen die Oper und Konzerte dazu: Musik (den Grundstock meiner heutigen Musiksammlung legte ich mit geklautem Geld; da ich keinen Musikunterricht erhielt, geschweige ein Instrument lernen durfte, denke ich heute: ich habe völlig richtig gehandelt). Mir geht diese Leidenschaftslosigkeit auf die Nerven, dieses: nichts zu haben, für das man sein Leben gibt, nichts in sich selbst, allein in sich selbst, das einen eben nicht dauernd sagen läßt: aber die anderen tun das auch so. Was die anderen tun, mein Junge, ist doch so vollständig egal… „Alban, er ist ein K i n d!” Da hat sie natürlich wieder recht. Die Löwin: „Nicht jeder ist wie du, nicht jeder hat diese Kraft, viele Menschen sind einfach schnell erschöpfbar.” Ja, sind sie. Sie sind es aber eben, weil sie sich an der Menge, am Mainstream, am Konsum orientieren und weil sie den Kampf scheuen, eigen zu sein.

Andererseits: Was weiß denn ich, was aus den ganzen Angeboten für Seele, die Du von Deinen Eltern erhältst – viele andere Kinder („die anderen aber auch!”) bekommen nicht einen Bruchteil davon -, was von alledem, oder d a ß es ein ganz Anderes sei, Du eines Tages ganz plötzlich, völlig überraschend, für Dich entdecken wirst, um ihm dann nachzujagen, vorauszujagen? Ich denke nur, wie alle Eltern wahrscheinlich denken: „Junge, du mußt doch nicht unbedingt a l l e meine Fehler wiederholen… zumal, da Du so ganz andere Vorgaben hast.” So viel Reichtum ist bei uns, innerer Reichtum, auch wenn uns Geld fehlt. (Manchmal würde ich auf Yugi-Oh! gern einen Bombenanschlag verüben… diese Karten sind die Pest. Was mich so fuchsig macht, sind diese vorgestanzten, von der Industrie vorgestanzten Schein-Inhalte, mit denen die Kinder angefüllt werden. Der Zugriff ist total geworden. Zugleich wird ihre Freiheit eingeschränkt; Thomas Bernhard schrieb darüber in Alte Meister so: „Die Welt ist von der Musik total durchdrungen”, womit er die Beschallungen in Kaufhäusern, Bahnhöfen, Kneipen, im Supermarkt meinte, und diese Beschallung ist immer Pop, w i r d Pop, umgehend, sowie eine Musik disponibel wird; es ist dafür egal, ob es sich um Barock, Klassik oder Musiken der Gegenwart handelt; alles wird auf Konsum weichgespült. Es wird Pop im dem Moment, in dem man es auf den sofortigen Gebrauchswert runterbiegt.)

Ich verliere mich gerade, sorry. Es steht ja doch etwas dagegen. Einiges. Vieles. Noch.

>>>> Gielens Dirigat vorgestern abend, jeder Blick einer Frau, die lächelt, jede Berührung, die noch glaubt, jedes Liebespaar, das an einer Straßenecke turtelt, manchmal ein Schweigen, das Gesang ist, über dem See, und sowieso das Meer, Meere —

Morgencigarillo, zweiter Latte macchiato…

Musik, wenn man sie hört (vom wirklichen Spielen bin ich ausgeschlossen, werde es bleiben), manchmal ein Satz, der gelang, der tiefgeht, der etwas erreicht, von dem man nicht wußte, nur ahnte: es g i b t das, manchmal ein Gedicht, ein eigenes, aber mehr die Gedichte der anderen, Gläubigkeit, gefühlte, auch und um so mehr, wenn man selbst sie nicht hat –
Düfte –
die Idee eines erfüllten Kosmos –
Küsse, Vereinigungen (die uns die Firmen jetzt wegzunehmen versuchen, wir müssen sie verteidigen) –
und, ja, bei allem, was recht ist: Vater zu sein. Es leidenschaftlich zu sein. Leidenschaftlich bei a l l e m zu sein, im Lieben, im Hassen.

7 thoughts on “Arbeitsjournal. Montag, der 15. März 2010. Von Eiern und vom Credo.

  1. Möchte nur mal kurz in die Waagschale werfen, dass alle Nachhilfestunden mit meinem Vater – einem Lehrer – furchtbar für mich waren. Sie endeten regelmäßig in völliger Gereiztheit, weil er zu dicht dran war. Was ich gebraucht hätte, wäre ein netter Student gewesen – gern bei SICH zu Hause, dass man mal wegkommt von den eigenen Eltern – der zu mir gesagt hätte: Okay, wir brauchen nur die Hälfte des Stoffs, um auf eine Vier zu kommen. Das üben wir jetzt … und dazwischen ein bisschen Schokolade und wohlmeinenden Humor/Pragmatismus.

    Kurzum: nur nicht verkanten.

    😉

    1. @Anobella. Danke. Sie ahnen nicht, wie gut Ihr Kommentar tut. Einfach, weil er nicht ohne Komik (auf mich selbst bezogen) die Fähigkeit verleiht, drei Schritte zurückzutun, den Buben anzusehen und dann zu seufzen: Meine Güte, was bin ich stolz auf den Kerl!

  2. Trost …es wird was „aus den ganzen Angeboten für die Seele“. Es dauert. Sie (die Söhne und Töchter) haben eine andere Kindheit. Anders, nicht schlechter, nicht besser…

    Vor einigen Tagen, bei einer nächtlichen Autofahrt, hatte ich ein wunderbares Gespräch mit meinem Sohn über Luthers Zwei-Reiche-Lehre. Tatsächlich! Ich lernte von ihm.

    Später spielte er wieder Mafia Wars.

    Es wird…

    …man weiß nicht, was. Das ist auch gut so.

    Ich glaube nicht, dass der Eier-Handel siegt!

  3. ein Gedicht WINTER OHNE LEUCHTANZEIGE, DU
    Hast an einem Sonntag mit dem Jonglieren
    Angefangen, mit drei Mandarinen, mit
    Drei noch nach einer Woche in Silberfolie
    Eingewickelten, auf dem Sofa verstreuten,
    Jeweils bis zum Scheitelpunkt hochgeworfenen, mit
    Den Fingerspitzen nach innen durch das
    Gesichtsfeld parallel wieder etwas dichter
    An den Körper herangewunkenen,
    Leichter aufgefangenen als hochgeworfenen,
    Liegengebliebenen Mandarinen.

  4. lieber alban: ja: es wurde mal zeit: dich hier zu besuchen: freue mich schon so auf das eigner horen heft: ernst herhaus ist tot: das war ein großer prosadichter: liebe grüße: thomas

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