Michael Gielens Manfred. Konzerthausorchester: Schumann, Mahler, Tschaikowski, Konzerthaus Berlin 13. März 2010.

When the moon is on the wave,
And the glow-worm in the grass,
And the meteor on the grave,
And the wisp on the morass;
When the falling stars are shooting,
And the answer’d owls are hooting,
And the silent leaves are still
In the shadowas on the hill,
Shall my soul be upon thine,
With a power and with a sign.
Lord Byron, Manfred.

Hochachtung, unabweisbare Ehrerbietung: Sie mochten sich gar nicht erheben, die Musiker des Konzerthausorchesters, nachdem Tschaikowskis leidenschaftlicher Manfred ausgeklungen war, befeuert von der beim Dirigat energischen, gleichzeitig strengen wie glühenden Präzision des unterdessen alten Mannes, der gar kein Problem damit hat, drei Orchester gleichzeitig zu führen: im linken Kopfhörer-Hörer das eine Orchester, im rechten das andere, und vor ihm direkt spielt das dritte. Ich erinnere mich sehr wohl seiner Frankfurtmainer >>>> Soldaten, die er auch uraufgeführt hat. Seine Mahler-Interpretationen waren mir oft zu analytisch, was ich wahrscheinlich schnell mal als „kühl” mißverstehe, andererseits hat der Mann ja vollen Umfangs recht, wenn er bemerkt, für die Musik dürfe man gern das Gehirn bemühen: „Musik bietet die Möglichkeit, der Wahrheit zu begegnen. Und die ist nicht immer angenehm.” Wahrscheinlich hat Gielens Auffassung, auch in der strikten Verweigerung von Entertainment, mich in den Achtzigern stärker geprägt, als ich das wahrhaben mochte. Und nun sah ich ihn wieder, nach vielen Jahren (die geniale Lulu an der Staatsoper nehme ich mal aus und den ein bißchen abfällig behandelten Bellini am selben Ort). Seine Einsätze sind atemberaubend, und das Orchester folgt jeder Weisung aufs Fingertippen, man kann sagen: hängt an Gielens Lippen. So groß ist diese gelebte Autorität, die zumal jeglichem Rummel um seine Person aus dem Weg gegangen ist. Wer sich ein ungefähres Bild des Mannes verschaffen will, lese >>>> seine Erinnerungen.
Gielen klammert Mahler zwischen Manfred; schon das ein spannendes, denkerisches Moment des Abends. Dem aufgewühlten Sturm und Drang, bei Tschaikowski dann mit einem ausufernd wüsten, auch schreiend lautstark wüsten Tosen von manisch und depressiv in seine Komposition, will ich sagen: wütend hineingepreßt, stehen Mahlers Klagelieder gegenüber, nein, sie stehen darin, und Gielen mäßigt hier, es ist keine Vorführung, sondern bei ihm wird das Stück lamentationes: erlösend, weil der schon bei Rückert ergreifend mitgedachte Gott utopisch einkomponiert ist, ein sehnsuchtsvoller Kinderglaube, von dem Manfred ausgeschlossen blieb: „By the delight in other’s pain,/And by the brotherhood of Cain,/I call upon thee! And compel/Thyself to be the propper hell!” Hanno Müller-Brachmann singt die Lieder vorgebeugt, selbst seine Hände haben etwas ringend-Betendes, es ist allezeit, wie wenn er um etwas bäte. Als bäte er um Gehör für das, was Manfred verschlossen bleiben mußte. Und steht doch für jeden, der die (Nach-)Geschichte der Lieder kennt, in einem um so verzweifelteren Zusammenhang. Nein, das darf man nicht als Reißer geben, da dämpft man die Kraft, was dem Orchester unter Gielen sowieso gelingt, Herrn Müller-Brachmann durchweg auch, wenn er in der Bruststimme bleibt; die Höhen, leider, muß er etwas drücken. Doch ist da ja eben auch die Verzweiflung, die genau das wieder rechtfertigt. Und man fragt sich, insgesamt: was wird erzählt? Man geht später hinaus, weil eben auch Tschaikowski l e i s e endet, und fragt sich das weiter. Und fragt es sich noch jetzt.
Gielen heizt das Orchester auf, in gewissem Sinn erfüllt Tschaikowski, was Schumann so ganz noch nicht loslassen will. Dabei läßt Gielen keinen Matsch zu; es ist vielleicht von poetischer Gerechtigkeit, daß im Schlußsatz die einkomponierte Orgel erst nicht wollte; vielleicht hat sich gestern abend sogar die Technik hinter Michael Gielen gestellt. Es wäre zumindest als Erfindung wahr. Die Repetitionen des Hauptthemas sind in deutlich aufgefächerte, hart durchmusizierte Strukturen eingebunden: daß Gielen das so herausarbeiten läßt, schützt die Komposition vor dem Pomp, in dessen Gefahr sie sich begibt; die Fuge in Satz III steht dafür paradigmatisch. Man merkte dem Orchester aber auch sowas von an, daß jeder genau wußte, an was man da beteiligt war. Meine Güte, diese Klarinette! Und die tiefen Saiteninstrumente, Bratschen inklusive, beharrten auf ihren gegeneinander eben nicht zu vermischenden Characteren – bis ins manchmal erschreckend harte Schrummen der Bässe. Selbst das gezierte Thema des Zweiten Satzes verliert jedes Handtäschchen am Handgelenk: man meint einen Tanz und nicht die Travestie, auch wenn es eines bösen Zaubers Tanz ist, der „bound thee; o’er thy heart and brain together hath the word been pass’d – now wither!” Klaus-Heinz Metzger schrieb einmal zu Weberns Bagatellen op. 9: „Wahrere Musik wurde nie geschrieben.” Jedenfalls hat niemand je ein wahreres Dirigat geschlagen als Michael Gielen. Das wußten sie alle, die gestern mit dabeigewesen. Und die es hörten, fühlten es.

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