7.48 Uhr:
[Überm Canto Santo.]Mein Junge schläft noch im Zelt, die Sonne kommt durch; soeben wölbt sich ein riesiger Regenbogen über den Berg. Denn gegossen hat es nachts, Geprassel aufs Zeltdach weckte uns auf. Wir schliefen wieder drüber ein. Gestern abend schon hatte der Wind aufgefrischt, ich hatte etwas skeptisch zum benachbarten, dem höheren, Berg geschaut, wo’s sich dunkel wölbte. Das Land freilich braucht den Regen.
Kaum zu fassen, daß wir erst vorgestern ankamen. Mit etwas Verspätung, das war nicht das Problem. Aber es gebe ferienhalber am Aeroporto Fiumicino Personalprobleme, so daß wir weit über eine Stunde auf unser Gepäck warten mußten. Immerhin kam es vollständig an; vor allem des Zeltes, der Matten und selbstaufblasbaren Matratzen wegen wichtig. Wir nahmen den falschen Zug, also den teueren Diretto, indes wir nur für den einfach Regionalzug nach Roma Tuscolana bezahlt hatten, aber der Schaffner („Zugbegleiter”), zwar „Dio!” zischend, ließ uns mitfahren, ohne daß wir nachlösen mußten. An Termini also umsteigen, eine wahnwitzige Baulandschaft untertags von Metro zu Metro; Rom hat bislang nur zwei U-Bahn-Linien, Linea A und Linea B, eine dritte wird grad gebaut. Zwar hatten wir bereits in Fiumicino bis Anagnina gelöst, aber der Kontrolleur nun sagte uns: nein nein, für die U-Bahn müßt ihr gesondert lösen. Und ließ uns ohne Bezahlung durch. Dann ging’s fix. Kaum zwanzig Minuten, nachdem wir Anagnina erreicht hatten, fuhr der Cotral-Bus nach Olevano: noch anderthalb Stunden Fahrt, während der mein Junge einschlief, über Zagarolo, Palestrina (wonach der Komponist benannt ist) und Gennazano. Auf Olevanos Piazza, die ein Mitfahren wegen der Aussicht übers Land „La Galeria” nannte, angekommen, ist es dann noch ein kleiner Fußweg zu Eiger olevansischer Stadtwohnung.
Er hatte Essen vorbereitet, es gab den ersten Cesanese, den hiesigen, einen moussierenden Rotwen; ich glaube, wir leerten anderthalb Flaschen, bevor Adrian und ich uns auf den Weg den ganzen Berg hinauf machten; knapp dreißig Kilo trug ich auf dem Rücken, mein Junge trug meinen Arbeitsrucksack mit dem Laptop, den Skripten, den Büchern. Stufe um Stufe den mitelalterlichen Berg hoch bis zur Brücke hinüber nach San Rocco und dort dann scharf rechts in die enge Straße, die zur Casa Baldi hinaufführt, wo ich 1986 meine erste italienische Zeit verbracht habe. Kein deutsches Auto unten vorm Aufgang: kein Stipendiat diesmal da? – Aber weiter. Immer noch weiter hoch, zum Cimitero, der römisch „Campo Santo” heißt, und ganz um die ziemlich große Nekropole herum. Die Zikaden lärmten. Nochmals nach rechts, weiter hinauf, bis zur Berghöhe. Wein, Wein und Wein. Oliven, Feigenbäume, eine riesige Pinie; schließlich der Aufweg zur Finca, die an ein Winzerhäuschen herangebaut ist. Ernesto habe, erzählte Eigner, in diesem Jahr den besten Wein Olevanos. Gestern bestellte ich fünf Liter bei einem Schwätzchen mit dem Winzer…
Gut, es war nun fast 19 Uhr, die Wege mußten noch freigeharkt werden, dann das Zelt aufgebaut. Wir hatten noch kein Wasser, ich schickte Adrian wieder nach San Rocco zurück, während ich oben werkelte. Für halb neun waren wir wieder mit Eigner verabredet, wieder unten um Ort: „Das beste Eis, das ihr hier bekommen könnt.” Vor neun schafften wir es nicht, da wartete Eigner aber noch. Das Eis, Riesenportionen à 1,50, dann trennten wir uns. An San Rocco nahm mein Bub noch eine Cola, es war jetzt gegen 23 Uhr, ich noch eine Grappa. Dann wieder den Restberg rauf und in die Schlafsäcke.
Viertel nach sechs war ich wach. Keine Lust aufs Arbeitsjournal. Sondern „Buchführung” für den vergangenen Tag und den Raffalt wieder vorgenommen, eine pfiffige italienische Sprachlehre, die eine Reise vom Brenner nach Neapel beschreibt. Gegen neun stapfte mein Bub durch Oliven, Kakteen und Agaven herunter. Also hinab nach San Rocco für den Latte maachiato, wir beide, morgens darf der Junge, wenn er in Italien ist, selbstverständlich Kaffee trinken – und tut’s mit Riesengenuß. Dazu aus dem Alimentari nebenan jeder eine Pizza bianca, er mit Salami, ich mit Prosciutto crudo, so saßen wir vor der Bar und blinzelten in die schon kräftige Sonne. Dann gleich auf der anderen Seite den Berg hinab, um uns einzudecken. Eigner Hauptzimmer der Finca ist noch verschlossen, ein Jahr lang war niemand hier, es sei alles verratzt, im Wortsinn: Ratten, da muß erst mal durchgegriffen werden, bevor irgend etwas benutzbar ist. Was wir morgen, am Sonnabend, tun wollen. Also Wasser kaufen, Obst, Salami, Schinken, Brot, Getränke; der Wein kommt ja von nebenan aus Ernestos Kühler… Zigaretten noch, Kekse, vor allem Becher und Teller. Außerdem einen Adapter für den Stromanschluß. Alldas dann auf den Berg geschleppt. Eigner selbst wollte für den Tag unten bleiben, seine Gefährtin komme heute an, er hole sie ab, sie habe ein Auto gemietet.
Etwas geräumt, die Wege gefegt. Und dann imgrunde nur gelesen. Mein Junge schnappte sich den Raffalt und kam gar nicht davon weg, las und las, holte sich Papier, schriebe Vobabeln auf, ganze Sätze. Zwischendurch nahm er mein großes Opinel und schnitzte. Einmal ein Ruf: „Papa! Papa! Eine Schlange!” „Nicht verfolgen, Junior!” Ich hoch zu dem sogenannten Knusperhäuschen, das er sich, so Eigner, als eigen einrichten könne; wir schauten… und tatsächlich, da schlängelte sie sich noch fort, anderthalb schlankeste Meter in irrer Geschwindigkeit. Ein wunderschönes Tier.
Nachmittags war mir dann doch nach Arbeit. Also fünfzig Seiten der Azred-Korrekturen UFs ins Skript übertragen, dann wieder gelesen. Völlig entspannt, einig, der Junge besonders glücklich: „Das ist so schön hier, Papa.”
Und schließlich am Abend sind wir essen gegangen. Büschn teuer, aber wir sind insgesamt weit unterm Tagessatz; Eigner und Gefährtin kamen hinzu, nahmen jeder ein Glas Wein mit uns; gegen 22.30 Uhr stiegen wir wieder zu Berge. Stiegen durch die Agaven, Kakteen, Oliven zum Zelt; das ging jetzt nur noch mit Taschenlampe.
Mal sehen, wie der Tag werden wird. Noch ziehen schwere Wolken, immer mal wieder tropft es. Aber auch die Sonne, immer wieder, dringt durch; soeben überklettert sie das Dach. Irgendwann im Lauf des Tages werde ich ein Internet-Café finden und dieses hier einstellen, damit Sie lesen können, wie wohl es uns geht.
Guten Morgen,
Ihr:
Sonnabend, den 31. Juli 2010.
9.55 Uhr:
[Olevano Romano, punto d’internet, via Roma.]
Hab’s gestern nicht mehr geschafft, den neuen Internet-Punto zu finden, also stelle ich erst heute ein. Gegrillt haben wir abends: Spigola, Trota, Calamari, Fleisch, das Eigner mitbrachte. Tagsueber nur gelesen: Wolf v. Niebelschuetz, Die Kinder der Finsternis. Und etwas Landarbeit gemacht. Voellige Ruhe, mein Bub lernt aus dem Raffalt weiter Italienisch.
Mehr morgen oder uebermorgen. Und sowieso: Nervig langsam, dieser Internet-Punto, umgekehrt proprotional zu den Gebuehren, die pro Stunde verlangt werden: 2,40 Euro. Na, egal. Pazienza, Signori e Signore… pazienza.