i l b (1): Die Eröffnung. Internationales Literaturfestival Berlin 2010. Mit Juan Goytisolo. 15. September 2010.

Ganz voll war der riesige Saal des Hauses der Kulturen der Welt nicht. Aber voll. Und dies, obwohl die Eröffnungsveranstaltung nicht eben mit Entertainment’s leichtgeschürzten Freuden lockte: Juan Goytisolos Name ist nicht unbedingt mehr bei allen Lesern bekannt, die heutzutage Zielgruppe des Marktes sind. Zumal trug er auf Spanisch vor. Und einleitende Begrüßungsworte von Veranstalter und Mitveranstaltern, die vielerlei Dank sagen müssen und möchten, sind jedermanns Popsache auch nicht. Also dafür war es p r o p p e voll: Ein Zeichen, welchen kunstgesellschaftlichen Rang das ilb unterdessen, und mit Recht, sich erstritten hat.
Die erste Begrüßung sprach der Hausherr der viel zu unterschätzten, doch großartigen Örtlichkeit. Er ging sofort, und scharf, zur politischen Sache, indem er aus einem Roman des chinesischen Widerstands-Dichters Liao Yiwu zitierte, der anwesend war nach großen Hindernissen. So jemand gehöre hier hin: ins Haus der Kulturen der Welt. Dafür sei es geschaffen. Ganz recht, nur daß sich nunmehr ein hübscher Dissenz der formulierten Begehren entwickelte, nämlich in Joachim Sartorius’, des Chefs der Berliner Festspiele, Rede. An jene nämlich ist das ilb mehr oder minder locker angegliedert, nur daß das Haus der Festspiele derzeit in Renovierung befindlich. Also pochte Sartorius darauf, das ilb habe nächsten Jahres selbstverständlich wieder bei ihm zu sein. Freilich war dies, er ist Berufsdiplomat, zumindest gewesen, aber eigentlich ist er’s noch immer… freilich in freundschaftlichem Ton ward’s vorgetragen und unter noch freundschaftlicherer Versicherung der gegenseitigen Freundschaft. Lächelnd saß Ulrich Schreiber vorn in der Reihe, der Erfinder dieses Festivals, das er gegen harte Widerstände, die man im gegenseitigen Einvernehmen heut freundschaftlich vergißt, sprichwörtlich aus dem Berliner Kulturfilz gestampft und innert der letzten zehn Jahre zu internationaler Bedeutung geführt hat. Doch das kleine Hickhack des „du gehörst mir”s einmal beiseite, bestach Sartorius’ Rede durch ihre Eleganz; er ist halt ebenfalls Dichter, und zwar einer, der zur Lyrik das Parkett der geschliffenen Prosa beherrscht. Das macht dann schon Freude, zudem, weil zu der klaren poetischen Diktion das Timbre einer angenehmen Stimme gehört. Auch weil es es versteht, zugleich ein wenig Politik zu treiben: Man möge doch bitte – dies an den Vertreter des Auswärtigen Amtes gerichtet – jenes Haus in Instanbul endlich den Künstlern, die dort arbeiten wollten und könnten, zur Verfügung stellen. Die Idee ist um so nachhaltiger zu unterstützen, als die Türkei nach Europa will und sich über ihre Brücke das Abendland wieder runden könnte.
Das setzte dann schon über die Furt zu dem Spanier >>>> Goytisolo, für den der arabische Raum, nachdem er aus Spanien exiliert, Entdeckungs- und Heimatraum gewesen, nicht zuletzt aufgrund einer Herkunft der modernen spanischen Sprache, die er vermittels seiner Romane aus den Verkrustungen freibrach, ganz unbestritten. Sigrid Löffler sprach über ihn die Einführung: abgesichert, wie zu erwarten, aber voll der Achtung und der Kenntnis und wohl formuliert. Hübsch, wie sie die sexuellen Freiheiten erwähnte, die habe Goytisolo im islamischen Umfeld genießen dürfen; hübsch, wie sie seine Homosexualität unterschlug; hübsch nicht, weil sie besonders erwähnenswert wäre für sich, hübsch aber, weil die islamische sexuelle Freiheit unter Männern eine ganz sicher andere ist als für islamische Frauen. Davon kein Wort. Aber es ging ja vor allem um Goytisolos politische Rolle als Literat, um seinen Widerstand gegen das etablierte begüterte Großbürgertum und, vor allem, Franco. Es ging darum, wie die Spracharbeit eines Dichters a n der Sprache diese Sprache emanzipiert, wenn nicht befreit – und damit, so der literaturhumanistische Glaube, auch die, die sie sprechen. Daß Goytisolo schon insofern für lange Jahre die literarische Gallionsfigur für die spanische und auch außerspanische Linke war, steht dabei außer Frage.
Dann kam er selbst auf die Bühne: leise, vorsichtig fast, schritt er, nahm Platz und begann seine Rede, die über an die Gäste verteilte Kopfhörer in deutscher Simultanübersetzung mitzuhören war. Ein Kompliment dabei an die Übersetzerin, an eine Geste voller Grandezza, die sie einmal ihre Arbeit unterbrechen und, als sie den Namen Uwe Johnsons falsch, nämlich englisch, ausgesprochen hatte, ins Mikrophon sprechen ließ: „Verzeihen Sie bitte, meine deutsche Aussprache ist wirklich schlimm.” Ach, ich hätte ihr beglückt zuklatschen mögen über diese stolze Menschlichkeit.
Goytisolo also begann einen Abriß über Topographie zur Typologie, Typographie, die unabdingbar Prozeß der modernen Literaturentwicklung war: hin zu den Städten. Dabei zeichnet er ein mitunter etwas zu romantisches Bild des Völkergemischs, unterschlägt durchaus Konflikte, die nennenswert sind, ja existentiell: vertritt eine Art intellektuelles Multikulti, das aber über seine Geschichte geerdet ist und dadurch, daß er sehr wohl immer den Blick auf die – wie Löffler sie, nicht sehr einfallsreich zitierend, nannte – Erniedrigten und Beleidigten behalten hat. Seine Rede selbst vermied solche Stanzen.
Am interessantesten – und wahr – ist sein Hohelied auf die permanente und sich zunehmend beschleunigende Veränderung, die er am Beispiel der Stadt Berlin illustrierte, an sehr persönlichen Blicken, an Rissen, die sie gewahrt – und die wenige Jahre, manchmal nur Monate später verschwunden, neu bebaut, neu belebt sind. Goytisolo entwickelt hieraus eine Poetik des Wandels, und schließlich rief er nach d e m Roman über Berlin, der diesen Wandel poetisch dokumentiere. Daß es diesen Roman bereits gibt, kann er ja nicht wissen: Wie auch wir, oft, für anderssprachige Literaturen auf Übersetzungen angewiesen sind, ganz so ist es auch er.Der Abend, für die geladenen Gäste, floß in das Zelt in dem Garten, das mit Weinen, Bieren, Buffet, sowie mit Stühlen und Tischen bestückt und mit einem Festivalleiter darin, der glücklich und nervös jederman begrüßte.

ilb 2010:
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2 thoughts on “i l b (1): Die Eröffnung. Internationales Literaturfestival Berlin 2010. Mit Juan Goytisolo. 15. September 2010.

  1. Haus der Kulturen der Welt. >>>

    So jemand gehöre hier hin: ins Haus der Kulturen der Welt.
    <<<<

    Ich will meine Parteinahme begründen:

    Anders als das Haus der Berliner Festspiele, das deutlich im Westen gelegen ist und nach wie vor deutlich vor allem >>>> von Westpublikum frequentiert wird, steht >>>> das Haus der Kulturen der Welt sprichwörtlich in (der) Mitte. Es gehört zum unmittelbaren Regierungsbezirk Berlins, nahe am Brandenburger Tor, und damit hat es großen Symbolwert. Nicht nur, daß dieses Haus von allen Berlinern ungefähr gleich entfernt ist, von denen im Zentrum wie denen an der Peripherie. Sondern weite Wiesenflächen und der ausgedehnte Tiergarten säumen es. Hinter ihm fließt langsam die Spree. Dazu hat die Architektur solch eine Freiheit! Da mit viel Holz gearbeitet wurde, wirkt das ganze Haus zugleich hochmodern und, vor allem, warm. Die im Volksmund „schwangere Auster“ genannte Muschel b i r g t tatsächlich ihre Gäste, birgt sie symbolisch vor Unbill, erlaubt den freien Austausch, wohingegen das Haus der Berliner Festspiele in seiner architektonischen Funktionalität allein für den pragmatischen Rationalismus des kapitalistischen Westens steht: dort kann eine Heimat, auch vorübergehend, baulich nicht sein.
    Hinzu kommt der große Saal des Hauses der Kulturen der Welt, der auch rückseitig bespielbar ist: dieses Haus ist ideal gerade auch für Experimente. Das enorm weite Foyer läßt sich zu Ausstellungen nutzen, eine Buchhandlung und ein als in eine Wohnlandschaft integriertes Café gehören dazu, und die offene Mehr-Ebene scheinkt einem oft ganz wundersame Blicke. Jedesmal, wenn ich dieses Haus betrete, fühl ich mich daheim.

    Dafür sei es geschaffen. Ganz recht.

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