Ich bin mit dem Parsifal als Arbeit sozialisiert, inszenatorischer, interpretativer und – rettender. Weg- und Leitmarken sind mir – ja, jetzt muß ich schreiben gewesen – Michael Gielen und Ruth Berghaus, selbst und innigst erlebt in meinen Frankfurtmainer Studentenjahren der frühen Achtziger, sowie davor Pierre Boulez und Wieland Wagner. Weitere wichtige Namen kamen später hinzu: der Waliser Reginald Goodall, Harry Kupfer vor allem mit Barenboim – und allesie zeichnete aus, der Musik Wagners das Ideologische und damit Falsche zu nehmen, durchaus auch dort, wo es in ihr drinsteckt, sozusagen das Genie Wagner vom Verklemmten und Fehllaufenden ebenso zu befreien – es davon freizulegen, modern: es zu emanzipieren – wie von dem selbstreligiös Überzuckerten wie rassistisch Verschmierten, das alles in Wagner eben auch steckt: der alte Wagner parliert mit Gobineau und gibt einer ursprünglich persönlichen Verletzung überpersönlichen Ausdruck: den einer anscheinenden Allgemeingültigkeit, die sich der Nationalsozialismus zunutze machte und das tun konnte, weil Wagner sich ihm angedienert hätte, wäre ihm diese Möglichkeit denn schon gewesen; Hitler hätte der Selbstvergötzung zu Auschwitz noch hinzugeopfert. Es ist kein abwegiges Gedankenspiel, sich Riefenstahls Olmpiade mit einer eigens von Wagner geschriebenen Filmmusik vorzustellen: die faschismus„revolutionäre” Ästhetik eines in Hochglanz polierten Grauens.
Und doch ist etwas jenseits davon in allem Wagner, etwas wahr-Transzendentes, Utopisches, auch Humanes – etwas, das Ernst Bloch hat ausrufen lassen: wer den Tristan nicht liebe, sei ein Banause. Es ist aber ebenfalls Bloch, der an Wagner das Falsche moniert:…trotz aller Breite (…), trotz aller letzten Weichheit, phantastisch beseelten Natur, Riesenhaftigkeit der Geschicke, Eschatologismen des Hintergrunds, des Ragnarök – doch kein Gesicht, keine Fortsetzung nach vorne hin und nach oben hinauf, keine echte Handlung dramatischer oder gar metadramatischer Art. Das ist insgesamt und durchaus Untermenschliches und kann seine magischen Springwurzeln nur benutzen, um statt der Erlösung eine hilflose, rein maturhafte Narkose aufzuschließen und – statt des weitegebauschten menschlichen Herzens (…) – unterirdische Falltüren, Allgemeinheiten, Verrätereien und Naturmythen zu installieren. Das ist nicht wahr und bleibt „Kunst” im schlechten Sinn, ohne geschichtsphilosophischen und metaphysischen Ort (…)
Bloch, Geist der Utopie, Die Fülle und ihr Schema.Wagner lehrt uns die Ambivalenz, die schon Liszt aufstöhnen ließ: „Welch ein Genie in welch einem schlechten Character!” Wagner zu lieben, geht nur gegen ihn, sich ihm „ergriffen” rein zu überlassen, heißt immer auch: sich seinen Gehässigkeiten überlassen – und sowieso, daß jeder der uns von diesem Mann überkommenen Schätze – große Schätze sind es, kaum zu ermessen in ihrer Schönheit – eingerieben sind mit Gift. Es sind ästhetische Kernkraftreaktoren. Sie treiben die Musik bis heute voran, ihre Energie reicht für die Neue Musik wie für die der Unterhaltungs- und Spielfilmindustrie, die klingende moderne Welt wäre ohne sie vollkommen anders; Richard Wagner hat, im Wortsinn, die ganze Welt verändert – aber diese selbe Energie, wird sie ungebunden freigesetzt, zerstört, und das in allergrößtem „Stil”. Deshalb die Arbeit, von der ich oben sprach, der Interpreten, ob es nun Dirigenten oder Regisseure sind oder ob, wenn man sie läßt, auch der Sänger. Deshalb der notwendige inszenatorische kritische, verändernde, beugende, s c h ü t z e n d e Zugriff. Wagner „rein” zu nehmen, bedeutet, sein Unreines zu verabsolutieren, weil schon „Reinheit” als Begriff ein Verbrechen an der Menschlichkeit ist.
Und da bekommt man dann auf der >>>> Homepage des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin zu lesen, man wolle die hohe musikalische Qualität der wagnerschen Kompositionen ohne jegliche szenische Deutung, allein auf die Musik konzentriert, dem Publikum vermitteln. Als wäre nicht die Musik für die Szene überhaupt nur geschrieben worden, ja für den Orchestergraben, und zwar den gedeckelten – was, wenn sie erklingt, einiges an Kisch und Grobheit, dieser von Bloch erfühlten Primitivität, deutlich zurücknimmt. Spielt man sie offen und, wie gestern abend, zelebriert sie auch noch, wird alles, was den psychischen Vorgang in den Orchesterklang nimmt, über den Spielcharacter gestellt und, wo nicht triumphierend pathetisch, zur reinen propagandistischen Gewalt. Nicht überzeugen durch Struktur, sondern überwältigen durch Massivität, ist dann die Absicht, und alles Gerede Janowskis von dem Primat der Kunst wird zu brutalem Tand – einem, der den Hörer niederbrüllt, untauglich selbst zum Nippes, tauglich allein für reaktionärste Massenbewegung. Feineren Geistern, soweit sie nicht wütend werden, ist so etwas peinlich. Von denen waren gestern abend aber wenige da. Die meisten jubelten. Mir war da aber längst schon schlecht.
So hätten sich die National„sozialisten” ihren Lichtdom vorgestellt, hätte er klingen sollen: der ganze große Saal der Philharmonie wird von Glockenschlägen übertönt, wenn man die Gralsburg, zu der nun der Saal wird, betritt. Diese Schläge kommen nicht aus der Partitur, sondern sind, die in der Partitur noch überhöhend, von Band eingespielt: die Philharmonie als Kathedrale. Darinnen hinten Titurel rufend: ein Mahner, der das Mitleid nicht kennt. N i c h t s kennt hier Mitleid, schon gar nicht Parsifal, der sowieso, schon bei Wagner, immer gleich tötet, was fliegt. Und wie verräterisch dieser Parsifal selbst, als Erscheinung (die Stimme aber, ohne Zweifel, ist groß: Christian Elsners) – nichts stimmt mehr; der „schöne Knabe” kriegt vor bizarrer Fettheit seine Lider kaum zu: ein Popanz, den des Maestros sadistischster kleiner Finger völlig nach diktatorischem Willen bewegt; – ganz starr Gurnemanzens Humanismus, so an den Dirigenten in Lehnsfolgschaft gebunden, ein solch ausgelieferter, gleichzeitig – aus mangelndem Willen zum Widerstand – ganz dummer Mann (aber welch eine Sangeskultur!: Franz-Josef Selig); – der viel zu entfernt (damit bloß seine Tragik nicht klarwird) positionierte Klingsor (Eike Wilm Schulte), dessen Part grandios anhebt, dann aber, weil Janowski die Heiligkeit nicht stören lassen will, hinterm Orchester vergessen wegsackt – denn dieses, die Masse, soll hier bewegen, nicht ein Einzelner, es sei denn, daß er sich rückgratlos fügt; – die großartige Kundry (Michelle deYoung), um deren Schicksal die großen Regisseure rangen und mit Recht immer und immer noch weiterringen, die aber bei Janowski wieder das wird, zu was Wagners miese Misogynie sie diskriminiert hat: eine Verworfene, die zu dienen, nämlich nur noch zu büßen habe und der man nicht einmal mehr das Recht zugesteht, daß sie tatsächlich leide (dagegen „die Mutter” gehalten – eine süßliche Vorstellung des Asexuellen, die auch noch Herzeleide heißt); Frau deYoung aber war die einzige, die – eine Frau halt – das Spielverbot des Dirigenten wenigstens ansatzweise übertrat, doch wie auch sonst will man Kundry singen, ihre Verzweiflung und Not?; – die Blumenmädchen insgesamt, deren Musik absolut unrettbar verkitscht ist: Ausdruck der wagnerschen Abwehr des zwischengeschlechtlichen Sexus (nämlich des Verrats an seinem Mäzen Wesendonck) und aber keinerlei Versuch, diese Abwehr begreifbar oder nachvollziehbar zu machen, sondern bei Janowski eine affirmative Schlager-Revue aus den Zwanzigerjahren, reinliche Mädels wie Barbies, spalt- und sekretlose Gänsechörigkeit aus Tüdeln und Tändeln; zwar: einem Knaben angemessen, doch nicht den Huris des Korans, für die sie stehen sollten; kein Gedanke an die Kastration als notwendiger Garant des Machterhalts und -erhaltens, sondern die Verklärung einer Keuschheit, die hintenrum die Mägde schwängert, nicht selten vermittels Gewalt, und logischerweise die Früchte des Mißbrauchs und ihre Mütter verelenden, wenn nicht umkommen läßt, ja auf den Scheiterhaufen selbst noch umbringt; –
und dieses alles erhöht und nochmals überhöht und das Orchester (die Massenbewegung) ganz nach vorne geschoben, jede Ergreifung künstlich hinauforchestriert und aufs Publikum, einem ebenfalls alleine als Masse begriffnen, manipulierend heruntergegossen – knapp vor dem Feldbefehl zur totalen Vernichtung des Gegners – der hier der Intellekt ist, das Einzelne, Vereinzelte, Widerständige, kurz: Freie. Nur der Versager noch, Amfortas, hob sich neben Kundry heraus: ihm hat Janowski sein Leiden gelassen – aber doch nur notwendigerweise: weil ja was sein muß, daß sich erlösen auch läßt. Schon die Erscheinung Evgeni Nikitins war indes wie Erlösung: da machte einer den Firlefanz von Frackhemd und Fliege nicht mit, sondern er erschien in Schwarz. Schwarzes Hemd, schwarze Hose, schwarzes Jackett; die Hände tätowiert, starrsinnig der Nacken: so pochte er aufs einzelne Sein – und so sang er. Syberberg, in einem seiner weisesten Einfälle, hat ihn zusammen mit Kundry, die zu ihm gehört, bestattet: um Liebe herzustellen, die bei Wagner und Janowski durch Verdammung des andren erliegt: umgebracht wird durch Erhöhung einer Erlösergestalt, die im Fluge eben trifft, was fliegt.
So zäh dann der Abschluß des Abends, so getragen, so ritualisiert: der Selbstvergötzung Wagners die Selbstvergötzung Janowskis in reinen Kitsch dazuzelebriert. Zum Angst bekommen ist das gewesen: als wäre das Erstarken der politischen Rechten in die Philharmonie hinübergeschwappt. Wehe! Wehe den Migranten, für die Amfortas orientalischer Garten steht! Und wehe einem Publikum, das hier noch applaudiert, anstatt entsetzt zu verstummen und stumm den Saal zu verlassen, damit sich Herr Janowski ganz alleine weiterfeiern kann. Es wäre ja gar nicht so schlimm gewesen, hätte sich Wollt ihr den totalen Krieg? in einem leeren Saal zerschmettert. Gestern abend indes war das „Ja!” wieder furchtbar zu hören, laut und allgemein.
Evgeny Nikitin | Bariton (Amfortas)
Christian Elsner | Tenor (Parsifal)
Franz-Josef Selig | Bass (Gurnemanz)
Eike Wilm Schulte | Bariton (Klingsor)
Michelle DeYoung | Mezzosopran (Kundry)
Dimitry Ivashchenko | Bass (Titurel)
Clemens Bieber | Tenor (1. Gralsritter)
Julia Borchert | Sopran
Martina Rüping | Sopran
Lani Poulson | Sopran
Sophie Klußmann | Sopran
Olivia Vermeulen | Alt
Ulrike Schneider | Mezzosopran
Michael Smallwood | Tenor
Timothy Fallon | Tenor
Tuomas Pursio | Bass (2. Gralsritter)
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Rundfunkchor Berlin | Simon Halsey – Choreinstudierung
Marek Janowski
:
Ziemlich positioniert, Herr Herbst.
Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass der Janowski auch ohne Wagner ein total eitler Fatzke ist, der ließe sich auch für Verdi und sogar für Mozart abfeiern, bis der Brustschild platzt. Wenn das Publikum nun mal den totalen Wagner will, wird es den Janowski ertragen müssen.
Wählen Sie bei Janowski am besten immer einen Sitzplatz am Rande, dann können sie rechtzeitig fliehen, respektive emigrieren. Andererseits muss Theater und vor allem die Oper auch weh tun, sonst wirkt das alles nicht.
@Bertz und Herbst: Was aber, wenn Marek Janowski genau diesen Faschismus in Wagner zeigen wollte, gegen die Wagnerianer und ohne inszenatorischen Wegkritteleien, bzw. modische Rettungsversuche? Dann wäre ihm das gelungen, oder? Und er hätte mit seinem Ruf nach einem reinen Wagner sogar genau das Publikum gezogen, das wirklich gemeint war. Man könnte dann Janowskis Aufführung, die ich freilich nur aus Ihrer Kritik kenne, unter Hegels „List der Geschichte“ verbuchen.
Nur ein Gedanke eines an sich Musikfremden, dem vor allem die Oper allzu hysterisch im Ohr klingt.
@Deters. Nein. Denn er hätte dann sein Ziel verfehlt, indem die grüßenden Rechten noch besonders belohnt worden wären.
@Roy (2). (Ich beziehe mich >>>> darauf:)
Der deutsche Geist ist eine Indigestion, er wird mit nichts fertig.Mit Wagner k a n n er nicht fertigwerden, weil Wagner eine Art deutscher Aufgabe ist. Beruhigen kann uns daran, daß, anders als Nietzsche meinte, nicht nur „wir“ solche Aufgaben kennen; die Franzosen, etwa, haben Céline (und, übrigens, auch den Aragon, der die Stalinprozesse bejubelt hat). Die Künste sind insgesamt mit so etwas voll: wo man bei Sterblichen, die nichts hinterlassen als Nachwuchs, milde vergessen darf, bleibt in jenen um so lastender dauernde Erbschaft, je größer das Werk selbst ist – was wiederum bedeutet: je größer seine Folgen waren. Die müssen eben nicht nur negative sein, sondern können – wie Pound die Lyrik – ganze Sparten erneuernd emanzipieren.
(In den Naturwissenschaften ist das nicht anders; denken Sie an Wernher von Braun.)
Vielleicht sind die Katalanenmägen ja robuster:
„Die Schönheit wird immer eßbar sein oder gar nicht sein.“ Salvador Dalí