6.03 Uhr:
[Kurs auf Leixões. Raucherdeck.]
Morgenpfeife, im Deck hierüber ist noch der Kaffee nicht fertig.
Das Schiff rollte die ganze Nacht. Was in die Träume geht. Aufwiegen, abwiegen, und quer dazu, in der Senkrechten des Bootes, das leichte Stampfen durch den Bauch. Mir träumte, ich läse gegen den Wind für U.Gedichte, die aber erst freigegeben werden mußten, so, wie die Hafenbehörden das Schiff freigeben müssen, jeweils, bevor wir Passagiere an Land gehen dürfen.
Wir haben Kurs auf Leixões, wo wir gegen acht anlegen werden; gegen Viertel nach sieben, schätze ich, wird der Lotse an Bord kommen. Von Leixões geht’s mit einem Transferbus dann nach Porto weiter. Ich habe für die Morgenlesung auf die Außendecks Tabucchi vorbereitet:
Der verschwundene Kopf des Damasceno Monteiro
Das Rollen hat mir den Blues von Lissabon aus den Knochen gewiegt, so hab ich neuen Mut.
Gestern nacht noch hatte ich Text verfaßt, kam aber nicht mehr ins Netz hinein; dauernd brach die Verbindung weg, kaum daß wie aus der Mündung des Tejo hinausgefahren waren; wie es heute früh sein wird, weiß ich deshalb noch gar nicht. Was ich weiß, ist, daß ich bei einer kleinen Modeschau der Schiffsboutique mitmachen werde; man suchte noch Männer. Nachmittags nach der Rückkehr von dem Ausflug. Vielleicht stell ich von meiner Interims-Mannequinschaft ein paar Bildlein ein. Und ich weiß, daß heute abend um 21.30 Uhr meine zweite Lesung stattfinden wird, heiter, weil gleichzeitig Gala-Ball in der Astorlounge ist und Abendgarderobe vorgeschrieben. In Abendgarderobe habe ich noch nirgends Texte vorgetragen und habe mich, allein der Heiterkeit halber, zur Isabella Maria Vergana entschlossen. Ein Wagnis, mag sein, Aber ich will von den Häppchen weg.
Und jetzt geh ich nach Kaffee gucken.
6.26 Uhr:
So, hab ihn.
Jeden Morgen ist’s enorm, mit welcher Emsigkeit das Personal wirbelt, Tische deckend, fürs Frühstück schnibbelnd.


Ich geh mal ausprobieren, was das Internet sagt.
Mist, es geht wieder nicht. „Es besteht momentan ein Problem mit der Internet-Verbindung”: diese Nachricht bekam ich in den vergangenen Tagen immer wieder zu lesen, und dann ging’s noch gut. Oft bricht die Verbindung mitten in der Arbeit zusammen, und ganz halbe Stunden sind dann für nix. Mittlerweile bin ich aber stoisch geworden, ‚dann halt ein andermal’, mehr läßt sich da nicht sagen.
Zurück an meinen Platz übers schwankende Deck. Was besonders hübsch ist, wenn man einen Kaffeepott trägt. Erstaunlich wiederum, wie schnell man sich daran gewöhnt und daß dann an Land plötzlich das Gefühl da ist, die Straße schwanke, und man ist froh, wieder an Bord zu sein, weil man sich dort auf den Boden wieder verläßt.
(Gut, für ein nächstes Mal, wäre es, direkt eine Satelliten-Verbindung zwischen Laptop und Internet zu haben; dann wäre einiges leichter, bzw. überhaupt erst praktikabel. Oder es stünde in jedem angelaufenen Hafen eine Direktverbindung bereit: dann könnte ich jeweils vorarbeiten, und es käme auch nicht zu all den offengelassenen Strängen, die irgendwann nachzuholen – nachzuerzählen – sein werden, die aber dann ihre Gegenwart schon verloren haben, für die das Internet steht. Hier knirscht die Formung des Textes auf den Character Neuer Medien noch sehr; das etwa werde ich von der Reise poetologisch mitnehmen.)
Und wieder balancier ich zu der Internet-Stelle hinüber; vielleicht gibt es ja j e t z t ein Netz –
– ES BESTEHT MOMENTAN EIN PROBLEM MIT DER INTERNET-VERBINDUNG.
8. 42 Uhr:


16.34 Uhr:
[Zurück auf dem Achterdeck, nach einem moussierenden
Vinho verde, ganz jung: ein Heuriger von Porto.]

!!! PORTO !!!
!PORTO!






















Ich bin verliebt, bin neu verliebt in eine Stadt. Bin in ihr Straßenpflaster verliebt, bin verliebt in ihre drei Linien Trams, die noch fahren – verliebt in den Verfall und den Aufbau, verliebt in den Mann in dem Fenster hoch oben, der verschränkter Arme hinabschaut, verliebt in den Kioskverkäufe und in das pfiffige Schlitzohr, das mein Wirt beim Mittagessen war: er zog mich übern Tisch, indem er mir gab: das ist Kunst. (Ich hatte weniger bestellt, als ich bekam, und mußte dann alles bezahlen; aber was ich bezahlte, war ausgezeichnet – und letztlich war’s immer noch preiswert. Ja! So macht man das, wenn das Geschäft schlecht geht. Es geht allerorten in Portugal schlecht, offenbar. Sechzig Prozent der Portugiesen haben eigene Häuser, deshalb die Stadtflucht. Doch für diese Häuser liehen sie Geld. Nun können sie die Zinsen nicht zahlen und kaum die Raten. So platzen die Kredite, und man verliert die Häuser an die Banken. Dann hat man gar nichts mehr, und die Städte verwaisen zudem. Bleiben die Wohnungen leer, verrotten sie langsam, so daß ein großer Abriß befürchtet werden muß und eine Neubaukatastrophe. Die abzuwenden hätte jede Hausbesetzerszene das Recht – vielleicht sogar, sie und wir, die Pflicht.)
Porto hat große Einkünfte an Leixões verloren, wo die neuen Häfen gebaut worden sind, die auch Riesenfrachter ansteuern können. Von Leixões nach Porto ziehen sich, bis zur Mündung des Douro, die Strände. Villen stehen an den Straßen, auch sie oft verwaist. Dann biegt man rechtsdouro’sch ins Land, doch nicht weit, bis sich der See unter der Brücke ganz auftut.

Die Wellen spielen. Es ist ruhig an Bord. Die Passagiere kleiden sich für den Gala-Abend um. Ich stelle dieses hier noch ein, dann werde auch ich mich kleiden. Nachdem ich ein wenig auf dem Achterdeck ins Meer geschaut habe: den Atlantik hinüber, so weit es mir der Globus erlaubt.

Isabella Maria Vergana in Abendrobe – das klingt gut.
Wer/Was ist die Vergana?
Geht das in ein, zwei Sätzen?
Dem freundlich gesonnten Auszenseiter. „Isabella Maria Vergana“ heiszt eine Erzaehlung in meinem Band >>>> „Die Niedertracht der Musik“ (2005).
Morgens, wenn die Richtung stimmt, kommt Ihr gegen den Wind gelesenes Gedicht bei mir in K**** durchs Fenster.