12.43 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Nachdenken über das Hörstück zu Ricarda Junge, also auch und weiter: nachdenken über Musik. Dazu gestern und schon vorgestern nacht Gespräche mit der Löwin, in denen auch Grundfragen angerührt werden: „Willst du missionieren?” Worauf ich immer nur, für mich selbst, meine „Hm”s grummeln kann; ich denke aber, >>>> die Diskussion mit Johann W. Sommer führt weiter. Und wie eng das alles an BDSM wieder heranführt, an die widerlaufenden Bewegungen des Perversen im Zusammenhang mit Lust und Schauer und Ohnmacht, bzw. ihren Gegenseiten, und mit der Problematik der pornoindustriell verwerteten Ritualisierung: auch hier stehen wieder gewaltige Fragezeichen hinter dem Aktionsfeld „Öffentlichkeit” (wie auch eine gewisse Ermüdung, von der die Löwin sprach, nach einiger Zeit des Konsums; „übergessen”, könnte man sagen, der Bauch ist zu voll; allein, er leert sich auch wieder).
Dann ein höchst angenehmes Gespräch mit einer Mitarbeiterin der VG Wort, die nicht genau wußte, wie man meine gemeldeten Hörstücke rubrifizieren soll, bzw. muß und kann. Da Sende-Formen verschieden entlohnt werden, auf dem Weg der Auschüttungen, ist das von Bedeutung, und Mischformen, wie ich sie baue, stellen sich immer etwas quer. Wobei mich beeindruckt hat, wie genau die Dame arbeitet. Sie hat sich tatsächlich Typoskripte schicken lassen, bzw. sie sich im Netz angesehen; ich stelle ja >>>> einiges frei zur Verfügung. Ob ich ihr vielleicht einmal die Kopie eines inszenierten Stücks brennen könne? – Damit hab ich jetzt etwas Zeit verbracht; vier Stücke gehen nachher auf den Weg. Die inszenierte klingende Arbeit ist doch etwas völlig anderes als das Arbeits-Typoskript, das ich oft während der Inszenierung noch ändere, ja auch schon ganz verworfen und an die Stimmen angepaßt habe, die für mich sprachen.
In dem Zusammenhang abermals die Überlegung, Hörbücher mit meinen Arbeiten zu produzieren; in großem Maßstab würde sich das aber nicht rechnen; es gäbe nicht genügend Abnehmer. Aber immer wieder nach Lesungen die Bitte um Hörbücher, die ich selbst spreche. Jedesmal wieder, und es nervt mich ein wenig, dieser Satz: „Wenn Sie das sprechen, begreifen wir plötzlich, verstehen wir plötzlich; die ganze Fülle dieser Texte lesen wir nie.” Ich bin da etwas hilflos, baue ja meine Sätze immer auf ihren Klang hin, den ich auch höre. Daher manch eigenwillige Satzstellung: sie gibt Betonungen vor; da das offenbar nicht langt, arbeite ich mit Sperrungen und Kursivierung; aber auch das reicht oft nicht. Viele Leser, ist mein Eindruck, hören das Schwingen der Sätze nicht, sondern lesen sie funktional: rein als Inhalts- und Plot-Information. Trage ich selbst die Texte vor, ist das sofort anders; auch dann, wenn jemand andres sie vorträgt, der oder die sich den Vortrag für den Vortrag erarbeitet hat. Ich mache immer dieselbe Erfahrung. Um es in den Worten der Diskussion mit Johannes Sommer zu sagen: Die Menschen lesen den Schauer nicht; wird der Text aber Klang, also rezitiert, ist er immer sofort da. Und wenn sie, nachdem ich etwas vorgetragen habe, einen meiner Texte lesen, bleibt der Klang oft in ihnen erhalten. Ich denke, wenn ich da irgend etwas bewirken will, dann komme ich um Hörbücher gar nicht herum.
Nun ist die Technologie so weit, daß man meine gesprochenen Texte auch in kleinen Auflagen brennen könnte; dann ginge es allein noch ums Cover, für das sich vielleicht eine preiswerte Lösung auch findet. Mit den >>>> Kulturmaschinen sprechen, unbedingt. Wobei die dann hergestellten, quasi selbstgebrannten CDs einen Preis haben müßten, der mindetens dem der Bücher entspricht. Sonst mache ich mir den Buchverkauf kaputt.
Also auch darüber grüble ich nach. Und werde es mir angewöhnen, jede meiner Lesungen mitzuschneiden, bzw. mitschneiden zu lassen. Eigentlich aber muß im Studio aufgenommen werden. Was dann wieder Geld kostet, das ich nicht habe. Abermals ein mehrmaliges „Hm”.
Bin auf >>>> heute abend gespannt. Ah ja, und die Uni Paderborn hat mich eingeladen. Indes der Literaturbetrieb weiterhin in Duldungsstarre verharrt: nicht eine Rezension zu den >>>> Elegien, keine zu den >>>> Fenstern von Sainte Chapelle, wie es auch schon zu >>>> Selzers Singen – außer >>>> von Keuschnig im Netz – und zu >>>> Azreds Buch keine Rezensionen im klassischen Feuilleton gab; schon >>>> Der Engel Ordnungen ist nicht rezensiert worden. Totzuschweigen, ist die Devise. Ohne die Universitäten und ihr Interesse wär ich schon untergegangen, denke ich manchmal. Andererseits gibt es keinen Grund, mich zu beklagen: ich lebe von dem, was ich tu; in den Künsten ist sowas selten genug. Zumal die Lexika eine ganz andere Sprache sprechen als der Betrieb; sie bewerten völlig anders. Ärgerlich ist das Herumschweigen trotzdem. Es kostet eben auch – Auftritte.
Lesung Dauert Ihre Lesung heute abend
länger als zwei Stunden?
@Rostschleifer. Nein, ganz sicher nicht. Sondern etwa eine.
(Längere Lesungen sind gut praktikabel, wenn es sich um durcherzählte Prosa handelt, deren Plot allein die Leute fesselt, so daß sie wissen wollen „wie’s ausgeht“. Bei Lyrik sind sie eher nicht geraten.)