8 thoughts on “Dreißig.

  1. Fedor Dostojewski, Die Dämonen.

    Auch – und gerade – weil ich mich in dieser Serie, den >>>> Prägungen, ungefähr an die Reihenfolge meiner für mich wichtigsten Lektüreerlebnisse halten will, gehört dieser Roman ganz an den Anfang. Ich war vierzehn, allenfalls fünfzehn, als ich ihn zum ersten Mal las; vielleicht bin ich auch erst dreizehn gewesen. Das weiß ich nicht mehr. Selbstverständlich las ich vielerlei andere Bücher in dieser Zeit, altersgemäße; meine Prägungsbibliothek wird das zeigen. Aber von diesem hier kann ich sagen, daß es mehr als irgend eines sonst Einfluß auf mich nahm.
    Dabei verstand ich es nicht oder nur sehr wenig; ich konnte zumal kein Französisch und begriff erst bei der dritten Lektüre, mit sechzehn oder siebzehn, die ein dritter Anlauf zur Lektüre war, daß die französischsprachigen Seiten reine leere Konversation waren, Geschwätz, das Dostojewski vorführen ließ; hatte man das begriffen, konnte man die Seiten verlustfrei überschlagen: jetzt quasseln die wieder, sich großverbürgerlicht spreizend. Aber dagegen die dunklen Seiten, die Konspirationen, vor allem aber Stavrogin, die politisch aufgeheizte, auch terroristische Stimmung der Zeit, der Zweifel an einer möglichen Moral, die Gotteszerrissenheit – das alles traf mich, hatte etwas von Zeitzeugenschaft, doch ohne die pragmatische Nüchternheit und also das Elend der RAF. Es waren die Endsechziger bis Mitsiebziger Jahre. Überall in diesem Buch waren nämlich zugleich, neben den politischen Bewegungen, persönliche, und tiefste, geschildert, und Verzweifeltheiten, und ich sehe bis heute, wie, Schatoff, glaube ich, war‘s, in einer Antichambre auf dem Stuhl sitzt, vorgebeugt, die Mütze in der Hand auf den Knien. Und auf Kirriloff schrieb ich damals meine erste eigene Prosavariation. Über die Jahre ging sie verloren.
    Ganz sicher ist es dieser Roman, der den Wunsch in mich pflanzte, selbst ein Schriftsteller zu werden, und er hat bis heute nicht seine Kraft auf mich, eine Magie der Verführung, verloren. Immer wieder, damals, legte ich das mehr als tausendseitige Buch wieder beiseite, immer wieder nahm ich es, in Abständen von Monaten, vor. Wirklich durchgelesen habe ich es erst mit neunzehn – und später, ich glaube: mit dreißig, noch einmal, wohl auch noch ein drittes Mal. Und es lockt mich, mich abermals tief hineinzubegeben. Ich habe, als ich so jugendlich, fast noch ein Junge, gewesen, um dieses Buch g e r u n g e n. Nur mit einem einzigen anderen ist es mir noch so ergangen; ich hab es schon herausgelegt.

    Die Dämonen Dostojewskis. Für mich war das der Roman. Er ist das bis heute geblieben.

    1. Der Fedor war für mich auch der erste von den Russen. Ich glaub zum 18. bekam ich „Verbrechen und Strafe“ und auch die Karamasow sind tief in mich hineingedrungen.

      Bei den Dämonen muss ich aber gestehen, dass ich teilweise schon verärgert war, weil ich das Gefühl hatte, dass er seine Figuren denunziert. Während mir Raskolnikovs Verzeweiflung wirklich nahe kam, dass ich sie miterleben konnte, war mir da schon zu viel Distanz. Kirilov hat sich mir noch eingeprägt und auch Stavgorin. Aber grad letzteren: Mir schien’s, die bösen Geister werden nicht nur dämonisch aufgeladen, sondern dann wird auch satirisch schon, die Luft aus ihnen gelassen und dieser komische Effekt hat mir die Lektüre dann doch etwas verleidet. – Aber das war mein persönliches Erleben damals, könnte sein, dass es bei einer erneuten Lektüre ganz anders aussieht, (bzw. hätte er mich wahrscheinlich genauso umgehauen wär’s mein erster von D. gewesen).

  2. Dämonen vs. Raskolnikow Eine sensationelle Serie, lieber ANH!

    Leider, leider bin ich derzeit ziemlich zeitknapp! Trotzdem gerne einige Anmerkungen.

    Was heißt „Prägung“?

    Ist man geprägt von einem Buch, weil man sich in einem Buch wiedererkennt? Oder weil man die Geschichten (oder bestimmte „Stellen“, oder die Sprache, die Bilder) bis heute nie vergessen hat, so schön, so traurig, so intensiv waren die? Oder weil man damals einfach nicht aufhören konnte weiterzulesen, weil das Buch so „spannend“, die Literatur so „gut“ war? Oder weil sich die frühen Bücher einfach als die ersten, die frischesten Lektüren schlicht eingebrannt haben? Oder weil man intellektuell so fasziniert war? Oder weil man die Geschichte, den Helden, die Tat, den Plot sich als (negatives oder positives) „Vorbild“, als ewige Richtschnur oder Lackmustest nahm?

    Jedenfalls verneige ich mich in Ehrfurcht, dass Sie in den jungen Jahren Dostojewski lasen! In dem Alter haben mich tatsächlich (ausschließlich) Kinder- bzw. Jugendbücher beeindruckt („Robin Hood“, viele von den Ravensburger Taschenbüchern wie z.B. „Blauvogel“, Kästners „Fliegendes Klassenzimmer“ etc.)

    „Die Dämonen“ habe ich erst im Erwachsenenalter gelesen und war, gleich Phorkyas, nicht beeindruckt, habe es irgendwann abgebrochen, ganz anders als „Schuld und Sühne“, wie ich es nenne. Der „Radian Raskolnikow“ ist ganz sicher prägend (für den Erwachsenen!) gewesen. Aus vielen Gründen, gemäß den oben angeführten Kriterien aber wohl am ehesten wegen intellektueller Faszination. Ich erinnere das Mordgeständnis von Raskolnikow, dieses fürchterliche hin und her zwischen ihm und Sonija, dieses Anschaulich machen, wie schwer es ihm fällt, seiner Liebe dieses fürchterliche Verbrechen zu gestehen, damit herauszurücken, sich zu offenbaren, den Augen des Mädchens das eigene Hässliche zu entblößen.

    Beste Grüße

    NO

    1. @Dr. No zu Serie und Raskolnikow. Die Serie wird ja erhalten bleiben in Der Dschungel. Auch wenn sie irgendwann von der Hauptsite heruntergenommen werden wird, hat sie doch ihre eigene Rubrik und wird meinen Leser:innen weiterhin zugänglich sein – wenn ich nicht überhaupt daraus ein eigenes Buch machen werde. Das hätte etwas ironisch Tiumphales, weil ich dann nämlich, weil ich sie doch nur anfing, >>>> um von der täglichen Dschungel entlastet zu sein und endlich ein anderes, längst fälliges Buch, das unter Vertrag steht, zu schreiben, – – also weil ich dann neben diesem gleich noch ein zweites Buch geschrieben hätte, und in nur einem Monat. Sowas gefällt meinem inneren Sportler. Außerdem erinnerte es an Dostojewskis ihm abgeforderte Produktionskraft. Jedenfalls können Sie für die Lektüre dieser Serie sich so viel Zeit lassen, wie Sie nur mögen.

      ‚Prägungen‘ bedeutet, daß mich die Bücher, wodurch auch immer, so gegprägt haben, daß ohne sie, glaube ich, vieles nicht entstanden wäre, wenn nicht sogar das meiste nicht, das ich selbst verfaßt und veröffentlicht habe. Es bedeutet des weiteren, daß diese Bücher auch Schlüssel für meine Arbeiten sind; vieles, das manchen hermetisch vorkommen kann, löst sich über sie auf.

      Wegen Raskolnikow und Dämonen: Es mag sein, daß diese auf mich in einem späteren Lebensalter anders gewirkt hätten und daß da auch ich hätte jenem den Vorrang gegeben. Aber mir ist das bis heute nicht möglich, obwohl ich – ja, auch ich: – Schuld und Söhne selbstverständlich ebenfalls las. Aber mich erreichte dieses Buch nicht wirklich, anders als später die Karamasows, aber vor allem Dostojewskis Erzählungen, darin vor allem anderen „Die Sanfte“, die literaturästhetisch ganz auf meinem Weg lag:

      Ich habe diese Erzählung ein(e) „phantastische“ genannt, obwohl ich selbst sie im höchsten Maß realistisch finde. Es ist aber tatsächlich etwas Phantastisches dabei, und zwar in der Form der Erzählung, was ich auch von vornherein klarzustellen für notwendig erachte.

      Auch Dostojewskis Erzählungen las ich >>>> in der mir vertrauten und intimgewordenen Bleiwüsten-Typologie, in diesem Fall der „Parkland-Klassiker“.

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