[Arbeitswohnung. Vivaldi, Cellokonzert.]
Um 4.40 Uhr auf, ein bißchen verlangsamt wie meist, wenn ich mit einer intensiven Arbveit „durch“ bin, jetzt also der Steuererklärung, und Anlauf für die nächste nehme: Ich nehme, sozusagen, Anharren. Das scheint instinktiv in mir vorzugehen.
Stellte mir den zweiten Stuhlsessel in die Mitte des Raums gestern spätabends und las zu einer Zigarre und Taslisker den einen Galouye aus. Nun ja. Dann nahm ich >>>> Benjamin Steins neuen Roman „Replay“ vor. Das war nun ganz etwas anderes. Heute möchte ich ihn weiterlesen, den ganzen Tag dazu nutzen, und für das Cello, zu dem ich nachts dann ebenfalls noch griff, selbstverständlich mit Dämpfer. Und hörte bereits diese Cellokonzerte, auf die mich mein Junge gebracht hat; nämlich kam er „voll“ begeistert aus dem ersten Unterricht mit der neuen Lehrerin. Sie hat ihm etwas aus RV399 einzustudieren gegeben; abgesehen vom b-moll-Konzert hat er für nicht-Pop noch nie so geschwärmt. Wobei Vivaldi Pop freilich i s t,. von jenem der Scherz unter Musikern geht, er habe zeit seines Lebens vier Konzerte geschrieben, die aber fünfzig mal. So daß ich heute morgen einen extrem redundanten Pop höre, von dem indes ich vollbackig künde, daß er ziemlich schön sei.
Die >>>> Sieben steht an, recht passend fürs heutige Datum. Die Dschungel ist, bei wikioBlogs, ziemlich runtergesackt; auch das registrierte ich gestern nacht. Es war damit zu rechnen, sowohl mit dem Fakt als auch, daß ich es registrieren würde. Momentan macht mich das nicht nervös; auch Bluechips haben ihre schwachen Zeiten, das kenn ich aus den Börsenjahren gut. Ich muß sowieso meine Aufmerksamkeit noch anderswohin richten: die Fahnen des zur Leipziger Buchmesse nun erscheinenenden Essaybandes sind korrekturzulesen. Danach erst kann es endlich an >>>> ARGO gehen, wobei auch dort noch etwas einzuschieben ist: das erste der beiden für dieses Jahr projektierten neuen Hörstücke. Im März wird übrigens >>>> der Filips wiederholt werden, teilte mir meine WDR-Redakteurin mit.
Und ich will das mit etwas mehr Details versehene Exposé des Traumschiff-Romanes schreiben, um das mich >>>> mare hat gebeten. Dieses Buch käme nach ARGO dran. Dafür müßte ich mich noch um eine zweite Schiffspassage kümmern, weil ich es auf See schreiben, wenigstens dort zur Gänze skizzieren, will. Ich denke an 2014.
Morgenpfeife, Latte macchiato. Neben mir liegen die gesammelten Texte der RAF. Vierunddreißig Jahre ist das her.
Um Viertel vor acht wird mein Junge kurz hochkommen, um mir die unterschriebene Erklärung zu bringen, die der Steuererklärung noch beizufügen ist. Dann schwinge ich mich aufs Rad und fahre zum Finanzamt rüber. Es ist ein guter Tag, um sowas zu erledigen. Seit drei Tagen bin ich weder rasiert noch geduscht. Darunter kommt jetzt auch ein Strich.
Spannend und beglückend, wie schnell die Cellogriffe in die Hand zurückkommen; das lag abgelegt, nicht aber gelöscht und nicht einmal verschlossen auf der organischen Festplatte, als die mein Hirn verstanden werden kann.
Eigentlich hatte ich mich in einen Flieger nach Neapel oder zur Südküste Siziliens setzen mögen, nur für zwei Tage. Das hat das Finanzamt durch Fristsetzung erfolgreich verhindert. Zu finanzieren wäre es aber gewesen. Doch soll es ohnedies saukalt dort sein momenten, und Bruno Lampe muß vielleicht Schnee schippen >>>> im Cortile. Der wäre einen Ausflug nun auch wert gewesen.
8.01 Uhr:
[Vivaldi, Cellokonzert RV 417.]
Mein mit Abstand schönster Referrer heute lautet:
Leise frage ich mich nicht, wer so etwas sucht. Aber melancholisch bin ich s c h o n. Wird Zeit, daß ich losradle, auf daß mich die Kälte umfange, gegen die anzustrampeln ist. So spürt man nämlich Hitze. Nur diesen, Leserin, Cigarillo noch aufrauchen –
9.40 Uhr:
[Vivaldi RV 419.]
„Und von dem bißchen haben Sie gelebt?“
Die Finanzamtsangestellte sieht mich sehr an. Man kann sie noch nicht eine ‚ältere Frau‘ nennen, doch es dauert nicht mehr lang. Ich habe meinen Mantel anbehalten, aber geöffnet; sie kann den blauen Geschäftsanzug sehen, mit Weste: auf die Krawatte allerdings habe ich verzichtet. Ich kann es nur nicht leiden, wenn sich an meiner Kleidung meine Ökonomie ablesen läßt. Im Gegenteil, ich schätze diese Gerüchte, denen zufolge ich ‚eigentlich‘ ganz woanders lebe und, schon meiner Börsenzeiten wegen, auf einem Vierzigräuberschatz sitze, der mir mein ganzes Leben und eines noch dazu versüßt.
„Ja, davon habe ich gelebt.“
Ich erspare es mir, Sie daran zu erinnern, daß es sehr viele Menschen gibt, zu denen im Vergleich ich tatsächlich ein Luxusgeschöpf bin. Ich erspare es mir auch, von meinen Privilegien zu sprechen: tun und lassen zu können, was mir beliebt; keine Chefs zu haben und Anweisungen wirklich nur in höchst ingeschränktem Maß befolgen zu müssen, sowie, daß ich auch das nur dann tue, wenn ich sie einsehe. Ich erspare mir des weiteren, ihr von meinem Glück zu erzählen, das Reisen zu einem festen Teil meines Berufes macht, so daß sie vollen Umfanges absetzbar sind; daß es zum Beispiel Tages- und Übernachtungspauschalen gibt usw.; letztere eruierte ich im Netz mitsamt den Steuerparagraphen.
Aber ich möchte sie ein bißchen beruhigen: „Bisweilen steckt mir einer meiner Mäzene etwas zu.“
Ja, ich sehe ihr an, daß sie diese Auskunft aufatmen läßt.
Dann will sie die Unterlagen gar nicht haben, nur die Erklärung. Mir mißfällt das. Denn wenn ich die Unterlagen schon mal gesamt einreiche und auf ihrer Grundlage der Bescheid ergeht, ist das mit einer späteren Steuerprüfung gegessen; das war sie dann nämlich schon. Zumal es Zweifelsfragen gibt, z.B. wegen meines Berliner Arbeitsstipendiums, das bislang für steuerfrei genommen worden ist; aber eben nur bislang. Das ist keine Garantie. Dies möchte ich sofort geklärt haben, um, wenn gegenteilig entschieden würde, sofort Einspruch einzulegen. Ich bin streitbar.
Damit Sie ein Bild haben:
./. Ausgaben 21555
Verlust 3160
Zuzügl einem steuerfreien Stipendium
von 12000
ergibt zum Leben 8839
„Und von dem bißchen haben Sie gelebt?“
Ich erspare es mir, ihr zu erklären, daß ich nicht mehr will, als ich habe. Mich interessiert kein Wohneigentum, schon gar kein Haus; ich will kein Auto, will keinen Pauschalurlaub, will auch keine neue Küche, keine neue Wohnzimmerschrankwand, will keine falschen Klunker von Svarowski, will keine Versicherungen (außer der für die Reisen), mich intererssiert auch Rente nicht, weil ich zu arbeiten vorhabe, bis ich sterbe. Ich habe keine Angst vor Krankheit, und sollte sie mich dennoch erwischen: Insch‘allah.
Ich erspare mir, ihr zu erklären, daß alles, was ich mir wünsche, die Wohlfahrt meiner Lieben ist und daß ich mein Werk auf Beine stelle, die noch lange nach mir gehen sollen und das – tun werden.
An mein Cello.
15.15 Uhr:
Tiefst geschlafen zu Mittag. Dann bei FB „>>>> das geschenkt bekommen… und ja, das ist w i r k l i c h ein Geschenk. Sehe und höre das jetzt zum zweiten Mal und werde auch beim dritten von einem fernen Glück überschüttet werden, das meiner heutigen Melancholie sein Champagnerglas der Zuversicht reicht… das dritte dann. So daß wir uns allmählich beschwipsen.
Gleich wird mein Sohn hiersein.
Abends: „>>>>> Bar am Lützowplatz. Falls jemand von Ihnen hinkommen mag. Sowas ab acht.
Wenn Frauen lieben, haben sie Besseres zu tun als zu töten!
Geburtstagsküsse von der Löwin.
daß ich nicht mehr will, als ich habe Sehr beeindruckend!
Wenn Frauen lieben, haben sie natürlich keine Zeit zum töten.
Wie sieht es aber aus, wenn die Liebe nicht mehr erwidert wird ? Wird eine liebende Frau betrogen, dann entwickeln sie sich zu einer Löwin und „könnte“ ihren Exliebhaber „töten“ oder vielleicht die neue Geliebte ?
In der Liebe sind die Frauen tabulos zu allem bereit, dies sollten sie doch wissen Herr Herbst.
Ich erspare Ihnen aber nicht, Ihnen einen herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag zu senden! Alles Gute!
(Und, ich fände es nach wie vor für Sie und andere nicht schlecht, wenn Sie mal einen Moment nicht an Geld erinnert würden, einfach, weil ich finde, es entlastet, weil es sonst unfreiwillig immer Thema bleibt, vor mir saßen schon Herren, die mussten mir vorrechnen, wie gut ich es getroffen hätte, und ich habe gedacht, was bitte kann ich für deinen Komplex, niemand verlangt von dir, dass du, gesetzt den Fall, das sei damit angedeutet, mich beherbergen und grundversorgen müsstest, zudem immerzu die Anmaßung so über meine Beziehung zu urteilen, die jahrzehntelang in paritätischer Armutsgemeinschaft bestand, bis einer dann deutlich besser verdiente. Und gleichzeitig dann aber auch sofort die Geringschätzung dieses Statusses, andere, nämlich ihre Freunde und Freundinnen, arbeiten sich ja den Wertesten ab, was ich natürlich nie musste, nein, klar, sowieso. Das will man einfach so glauben und das verfestigt sich auch, egal wie die Faktenlage ist. Ich kann das ja alles irgendwie nachvollziehen, aber, es betrübt mich, was, frage ich mich, soll das bloß? Meine Einkünfte aus eigener künstlerischer Arbeit betragen etwa im Schnitt ein Viertel von dem, was Sie aufführen, das ist nicht nichts, auch wenn ich davon nicht leben könnte und wieder jobben müsste und vermutlich auch wieder muss, wenn es zurück geht, weil ich nicht den Output habe, und ganz krank würde, wenn ich jetzt zum Lebensunterhalt ständig abliefern müsste, und das ist ja im Betrieb schon verlangt, Kontinuität, dass man ernst genommen wird, was ich natürlich auch für großen Käse halte, wenn es auch irgendwie verständlich ist, in einer Zeit von Berufskünstlern, die Genie nicht gern als Beinamen führen, um sich nicht der Lächerlichkeit preiszugeben.)
@Diadorim zum Genie. Das mit der Lächerlichkeit ist wie ein Spiegel, das mit dem Genie aber nicht. Dieses ist’s, was die Leute derart wurmt.
Solange es nicht nachschneit, ist das schon erledigt. Wie der Cortile aussieht, wird man sich heute abend ansehen können, so daß der dann auch noch ein paar Glückwünsche winken kann. Dieweil ich selber Ihnen von Herzen zum Geburtstag gratuliere!
Dennoch Auch wenn Sie das alles nicht interessiert, so wünsche ich Ihnen zum Geburtstag doch Erfolge im Wert von Wohnungseigentum, Auto, Reisen, einer neuen Küche, einer Bücherwand, kostbaren Klunkern, allen möglichen Versicherungen und einer stattlichen Rente. Dazu natürlich Ihr Wohlergehen und das Ihrer Lieben, auch weiterhin dies beeindruckende Selbstbewußtsein, diesen Mut und diese Zuversicht. Eine Bemerkung wie diese steht der Finanzamtsangestellten wohl kaum zu, bin nicht mal sicher, ob das erlaubt ist. Ganz herzliche Grüße.
Absolut irre! (Mein Geschenk von Tamas Lamping aus Finnland.) (Übermittelt bei Facebook.)
Unbedingt ansehn und -hören.