[Arbeitswohnung.]
Zu spät aufgewacht, erst um halb sieben, und in einer starken Mißgestimmheit, für die ich gar keinen Grund weiß – jedenfalls keinen anderen denn den, daß mir gestern, als ich mein Cello nachstimmen wollte, der Steg gebrochen ist. Wie so etwas angehen kann, erfuhr ich erst vorhin, als ich den Cellobauer anrief: Durch den ständigen Druck der Saiten, verforme sich der Steg immer etwas; das müsse man von Zeit zu Zeit sanft wieder zurechtbiegen. „Es ist ja Holz und lebt. Aber Sie brauchen dafür Fingerspitzengefühl.“
Nachmittags nahm ich ersatzhalber das 7/8-Cello meines Jungen und übte immerhin; auch heute werde ich es so halten. Mit dem Cellobauer ist ausgemacht, daß man mir ein Austauschcello schickt, und dieses, meines, geht in die Werkstatt zurück. Was etwas von einer Trennung hat. „Wenn Sie sich in Ihr Instrument verliebt haben sollten, dann reparieren wir es selbstverständlich auch.“ Das braucht aber mehr Zeit, die dann fürs Üben ausfällt. Ich wußte nicht, wie mich entscheiden. Dann kamen wir auf die schöne Idee, daß ich nun ein klangschöneres, in der Miete allerdings etwas weniger preiswertes Instrument erhalte. Morgen soll es bereits ankommen. Darauf freue ich mich. Dennoch tut die Trennung von meinem „alten“ Cello etwas weh.
Dies das eine. Es ist aber noch etwas anderes, das meine Mißstimmung so stark macht, daß ich den >>>> dort angekündigten kleinen Reisebericht nicht schreiben mag und auch schon gestern abend nicht mehr schreiben mochte. Irgend eine Sinnlosigkeit, merke ich, stieg mir aus dem Innern auf. Vielleicht hat der Besuch des Nietzschehauses in Naumburg so gewirkt, die zugleich wütende wie überhebliche Resignation des Philosophen mangelnder Anerkennung halber; ich las in den Briefen, die dort an den Wänden hängen. Vielleicht ist es aber nur der bei mir immer wieder eintretende Effekt, daß ich urlaubsartige Auszeiten zwar sehr genieße; wenn ich aber zurückbin, kostet es mich eine arge Anstrengung, in die Normalität meiner Arbeit, in ihre Selbstverständlichkeit, zurückzufinden. Wobei das früher noch schlimmer war: ein einziger Amtsgang konnte mich eine Woche kosten, wenn er in meine eigentliche Arbeitszeit fiel. Das, immerhin, hat sich gemildert.
Dennoch, auf den Reisebericht habe ich weiterhin keine Lust. Ich will mich auch nicht zwingen. Verzeihen Sie mir. Aber es steht so viel andere Arbeit an, die zudem an Termine gebunden ist. Das muß Vorrang haben. Und Argo. Sowieso. Vier Seiten habe ich heute geschafft. Dann die CD-Rezension zu Hans Sommers Sappholiedern noch einmal durchgesehen und an die FAZ geschickt.
Jetzt muß ich, weil am kommenden Freitag abzugeben ist, die Frage des Schweizer Fernsehens in einem kleinen Essay beantworten; erst danach geh ich wieder an den >>>> Galouye.
Und um 18 Uhr muß ich im Hauptstadtstudio sein, um meine Rezension des Sillig-Romanchens einzusprechen.
Zwischendurch Cello, am Instrument meines Jungen, um die Finger geschmeidig zu halten und das Gefühl. Außerdem tut mir zu üben immer so wohl, weil es mich von allem entfernt.
Kein >>>> DTs diesmal oder erst am Abend: um zu rekapitulieren. Vielleicht schaut ja auch schon mein Junge, wenn er zurück ist, bei mir wieder rein.
(Dieses Mißgestimmtsein kommt in letzter Zeit zu häufig vor. Das darf sich nicht chronifizieren. Denn diese Unlust hat etwas Resignatives hat. Als verlöre ich den Glauben.)
17.12 Uhr:
Der Text fürs SF ist fertig; im Entwurf, klar. Morgen geh ich noch mal drüber. Vielleicht fallen mir noch ein paar spitz formulierte Sottisen ein. Jedenfalls bin ich pünktlich, vor-pünktlich, so daß die Redakteurin schon mal draufschauen und eventuell monieren kann, bevor überhaupt offizieller Abgabeschluß ist.
Und jetzt brech ich zum Hauptstadtstudio auf, habe meine Rezension zweimal laut gelesen, quasi zur Probe. Dann wird das drüben schnell gehen: Hinradeln, sprechen, zurückradeln.
Abends vielleicht kurz zur Familie, die auf der Heimfahrt ist. Kurz telefoniert.
22.20 Uhr:
>>>> Wallenstein lesen – große, wirklich größte Prosa:
Die Familie kam verspätet an, mein Junge wollte zu seinem besten Freund. Also blieb ich hier. Wechselte aber den Arbeitstisch, um mich vom Netz nicht ablenken, nicht verführen zu lassen. Die Passage über die Stechmücken tipp ich Ihnen morgen ab, bei mir S. 92/93. So geht Prosadichtung.
Ich will weiterlesen. Nur vorher noch mein DTs für morgen schreiben [>>>> erledigt]. Und für heute nachholn.
Resignation Mit der Resignation ist es komisch, Naumburg kann einen dazu bringen, ich kenne das, hab letztes Jahr lange im Nietzsche Doku-Zentrum gearbeitet. Und kaputte Celli natürlich auch.
Aber wenn ich ehrlich bin, dann finde ich, dass man sich Resignation auch leisten können muss. Ich bin gegenwärtig in Belém do Pará um mit meinem Übersetzer an der portugiesischen Fassung von „Calvinos Hotel“ zu arbeiten. Und ich kann Ihnen sagen, dass es hier im Grunde so schrecklich ist, dass man sich Resignation einfach nicht leisten kann. Man braucht hier Lebensfreude! Sonst würde man sich direkt im Amazonas ertränken. Diese Lebensfreude wünsche ich auch Ihnen, lieber ANH.
Bin@PGH doch schon. Darüber >>>> hinweg.
Gute Arbeit Ihnen beiden!
Das ist gut, denn … … wir sitzen ja dem Glücke fürwahr nicht im Schoße.
Schweitriefende Grüße vom Amazonas
@PHG. Wann werden Sie zurücksein? Wir müssen konferieren. (Ich h a b e den Auftrag.)
Zurück… … bin ich körperlich inzwischen, auch wenn ich geistig noch immer am Amazons weile. Heute am Morgen im Halbschlaf den Satz gedacht, du träumst ja seit Tagen lauter brasilianischen Kram. Ich werde ein Buch daraus machen müssen, um es zu verarbeiten.
Ansonsten fand ich erst heute Ihre Anmerkung hier, dass Sie den Auftrag haben und wir konferieren müssten. Eine gemeinsame Freundin machte mich darauf aufmerksam.
Also bitte einfach bei mir melden. Ich bin allerdings vom 16. bis 25. in Israel. Vielleicht noch davor?
Grüße, PHG