9.40 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Die ganze Nacht hindurch hat es gegossen, in Kübeln, aus armdicken Schläuchen, die öffnungsunter als Batterien am Himmel aufgehängt worden waren. Erst morgens hörte das auf, weil Gott die Schläuche wieder einzog; er wollte schlichtweg im Himmel die Dürre verhindern: Petrus war gerannt gekommen, wehender Soutanenzipfel und mit ringenden Händen: „Herr, nicht eine Sintflut wieder! Hier geht schon das Trinkwasser aus!“ Indessen Jesus, der seines Vaters Cholerik gut zu nehmen gelernt hat, lächelnd nur zu sagen brauchte: „Papa, bitte..-“ Da hat der Herrgott ebenfalls, wiewohl nicht gerne, lächeln müssen. Er versuchte natürlich, es zu verstecken, aber wir hier unten merken es doch: ein bißchen Sonne kommt durch die Wolken.
Seit fünf auf, gleich an Argo, zehn Seiten geschafft, ich bin jetzt dort, wo erstmals der Sanfte auftritt, von dem ich >>>> seinerzeit, hier in Der Dschungel, so viel erzählt. Es ist sehr schön, das wiederzulesen, sowohl hier wie in dem Roman.
Dann war der Bub zu wecken mit heißem Kakao und Tschaikowski b-moll, das er unter den Decken noch auspielen ließ. Bei Elgars Cellokonzert, das folgte – seinem Lieblingskonzert, seit er es zum ersten Mal gehört hat -, stand er denn auf. Frühstück, Zähne putzen, wir beiden Männer, er die Regenjacke, ich die Büffeljacke an und runter aufs Rad: Erster Probetag in der neuen Schule. Meine Güte, was war er aufgeregt. Schon deshalb bin ich sehr froh, hiergeblieben zu sein. Es lief auch nicht ganz glatt, weil die Klassenlehrerin nicht informiert worden war. Momentlang stand sie neben sich; der unerwartete Umstand brachte ihre Vorbereitung des Tages deutlich durcheinander. Jetzt bin ich genau so unruhig, wie mein Sohn gewesen ist, als wir gemeinsam vor dem Klassenzimmer standen, um auf die Lehrerin zu warten. Unruhig bin ich aber auch, weil ich den Eindruck habe, die neuen Klassenkameraden, wiewohl im selben Alter der bisherigen, seien schätzungsweise ein Jahr reifer als diese. Da mein Junge bereits in der alten Klasse der jüngste war, im Schnitt ein- bis anderthalb Jahre jünger als die anderen, hätte ich eine Angleichung lieber gesehen. Gerade jetzt, an der Schwelle zur Pubertät, sind Differenzen enorm spürbar, bei den Mädchen – fast alle schon junge Frauen – sowieso, hier aber auch bei den Jungs.
Also, das macht mir ziemlich Gedanken momentan, ich schweife immer wieder von der Arbeit ab; in mir fantasiert es, wie‘s dem Jungen jetzt wohl geht, wie die ersten Gespräche mit den neuen Klassenkameraden laufen, ob er vielleicht anschlußlos, was aber nicht zu ihm paßt, in einer Ecke steht oder ob man ihn einfach auf- und bei den Händen nimmt. Kann es sein, denke ich dauernd, daß Waldorfschüler tatsächlich schneller und auf andere Weise reifen als Schüler an „normalen“ Schulen?
Der gute >>>> Gesprächswechsel mit Keuschnig über Broder lenkte mich ab; dazu eine Email Broßmanns mit einem Link auf eine >>>> Avaaza-Kritik bei zeitgeist.de, die der von mir >>>> dort angestoßenen Diskussion noch einmal eine andere Richtung gibt, eine, die ich vorher nicht bedacht habe, vielleicht auch, erst einmal, bedenken hätte auch nicht sollen, weil diese Art der Bedenken schließlich immer hilflos macht. Man muß, um das zu verhindern, in Widersprüchen fühlen können – auch mit sich selbst. Auch das wird ein Gegenstand der Neuen fröhlichen Wissenschaft sein, an die ich mich nun wieder setze.
Guten Morgen.
Ob die Schüler in der Waldorfschule schneller reifen, kann ich nicht sagen. Doch sicher reifen sie anders. Ich selbst, der ich im Gegensatz zu meiner Frau nicht auf einer war, bin ein Fan der Praktika geworden. Und das ist ein Plus an Erfahrung, welches meiner Meinung nach höchstens durch eine echte Lehre wettgemacht werden kann.
Als wir mit unserer älteren Tochter am Samstag zur Hochzeit meines Neffen fuhr, ergab sich im Zug die Gelegenheit für Gespräche, bei denen uns meine Tochter ein außerordentliches Lob zollte. Sie wunderte sich, dass sie so viel mehr Selbstvertrauen als Freunde und Kolleginnen hätte, schrieb das aber dem Umstand zu, dass wir kein einziges Mal zu ihr gesagt hätten, dass sie etwas nicht könne. (Das trifft auch für unsere anderen Kinder zu, aber es wurde erstmalig so ausgesprochen.)
Die Waldorfschule ist nicht für jedes Kind gleich gut, wenn aber ein Kind dafür aufgeschlossen ist, ist der schulische Vorteil enorm.
@Steppenhund. Danke für diese Nachricht. Hier sitzt gerade ein total glücklicher Junge; ich schreibe nachher noch etwas darüber.
Außerdem bin ich Ihnen >>>> noch eine Antwort schuldig; das ist einfach untergegangen. Wahnsinnig gerne tät ich das, aber Sie überschätzen, was ich bereits am Instrument kann. Ich bin wirklich noch nur ein Anfänger, und bis es wirklich klingt, was ich spiele, wird es noch wenigstens dreivier Jahre dauern, die ich einfach rigoros durchhalten muß. Was mir ja nicht schwerfällt, wohl aber den Ohren anderer. So mit einem Lächeln bemerkt.
Ich warte gerne 3-4 Jahre. So toll kann ich es momentan auch noch nicht spielen, wie Sie vielleicht auf FB gehört haben.
Ich freue mich für Sie und Ihren Sohn, wenn es ihm heute gut gefallen hat.