6.10 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Argo-TS 735neben/735
Abends vor-Italien-Abschiedsessen bei Broßmann; natürlich sprachen wir über Frauen. Da brandete auch >>>> diese Auseinandersetzung noch, die sich parallel, in einem Briefwechsel, für mich fortführt. Wenn >>>> Melusine einverstanden ist, würde ich ihn gerne in Der Dschungel publizieren, unter strikter Anonymisierung mitbeteiligter Parteien. Jedoch werden darin grundlegende Positionen von Weiblichkeit und Männlichkeit diskutiert; ich lege, wie Sie wissen, darauf großen Wert, daß gerade in einem dezidiert männlich orientierten Literarischen Weblog Frauen eine gleichberechtigte Stimme haben. Die Geschlechter sollen aufeinandertreffen, es ist hier genügend Raum, miteinander zu ringen, sich zu verbinden, sich zu lösen; ich will Mehrstimmigkeit. Wollte ich stets. Dabei geht es nicht nur um das erotische Spiel, das, wenn man diese Saiten anschlägt, nahezu immer mitklingt, sondern auch um gesellschaftliche Positionierungen, politische also, die nicht zuletzt arbeitspolitische sind. Die werden, ist meine Überzeugung, mit dem erotischen Spiel auf die eine und/oder andere Weise verbunden bleiben; das läßt sich nicht trennen; aber das ist meine Position, und selbst, wenn sie, wovon ich überzeugt bin, richtig ist, sind die Umgangsformen, nein -haltungen zu erfragen, die daraus zu entwickeln sind – mit dem größtmöglichen Recht als Ergebnis, der größten – ich sag das bewußt so pathetisch – auf einander bezogenen Freiheit.
Dann das Administrative: Da ich den Laptop mitnehme, mußten Dateien, Massen von Dateien, getrennt gesichert werden, vor allem auch Aufnahme-Dateien, Tondateien, sowie an die eintausend Bilder, die in den letzten Wochen entstanden sind; nur bei meinen Texten war ich umsichtig; die hab ich alle einzwei Tage sowieso gesichert. Das andre Zeug blieb einfach teils sogar auf dem Desktop liegen. Also hab ich die beiden Arbeitscomputer synchronisiert und dann noch mal alles auf der Riesenplatte gesichert. Ich werde Broßmann bitten, sie bis zu meiner Rückkehr bei sich zu verwahren. Ihm auch mein Eisfach leeren: Vongole, Weinbergschnecken und so weiter; ich mag nicht noch einmal erleben, was letztes Jahr passiert ist, als während meiner Reise hier der Kühlschrank ausfiel und ich im Gefrierfach noch wochenlang gegen den Gestank von Verwesung kämpfte. Nee, das Fach wird geleert, da bleibt nix drin als die Eiswürfelschale.
Schließlich, für den beauftragten Artikel in >>>> Volltext, schickten mir Verlag und Gogolin selbst alles, was es von ihm so gibt, in die Dropbox, als pdfs, als mp3, usw., damit ich mich in Italien nicht mit den Büchern abschleppen muß, sondern am Bildschirm lesen kann. Schließlich radelte ich noch, gestern, in >>>> Ankalina Dahlems sehr schöne weitläufige Westberliner Wohnung hinüber, die zugleich Atelier ist, um mir die Bilder anzusehen, zu denen ich eine kleine Erzählung schreiben soll. Wir kannten uns noch nicht und verplauderten dreiviertel Zeit bis zum frühen Abend; ich merkte meine Nervosität gar nicht mehr, sondern erst wieder, als ich zurück war und auf das Reisevorbereitungschaos blickte. Wichtig ist jetzt, und war‘s, daß ich auf jeden Fall in der Argo-Kontinuität bleibe, das heißt jeden Tag, und wenn auch nur wenig, am Text weiterarbeite. Allerdings das da
Um halb acht kommt mein Junge, um acht müssen wir drüben auf dem Amt sein, um entweder seinen neuen Paß entgegenzunehmen oder uns ein Dreimonats-Provisorium ausstellen zu lassen; so haben wir das beim letzten Besuch dort vereinbart. Um elf Fußpflege, danach erste systematische Gepäckzusammenstellerei. Es muß ja alles in den Rucksack passen.
Wie ich da noch weiter zum Arbeiten komme, ist mir, ernsthaft, ein zwischen mich und den Schreibtisch heruntergelassener Schleier, der aber – weht.
8.29 Uhr:
Das ging ja ruckizucki; hat schon Vorteile, wenn man bei Ämtern Termine hat, die auch früh genug liegen, daß man nicht in zeitüberzogene Abläufe gerät, die sich selbstverständlich rein menschlicherweise weder vermeiden lassen noch lassen sollten: wir sind keine Maschinen, sondern brauchen Überhänge, Unnötiges, fehlgehende Bewegungen und dergleichen. Dafür dann aber, ich schieb mein Rad über die Prenzlauer, der nächste Verkehrsschub fährt an einer vielleicht einhundert Meter entfernten Ampel gerade an, gibt ein Idiot mit wehenden Deutschlandfahnen beidseits seines so strahlende weißen BMWs , daß man den Fahrer schon deshalb für rassistisch halten muß, Gas – und wie – und jagt auf mich zu. Woraufhin ich langsamer werde. Leute, die Deutschlandfahnen schwenken, sind entweder Idioten oder faschistoid; mich macht das enorm aggressiv und in diesem Fall – langsam. Er gibt noch mehr Gas, ich bleibe fast stehen, er dauerhupt. Und langsam schiebe ich mein Rad auf den Mittelstreifen, warte ab. Jetzt hat der Idiot – ein seines schäumenden Nationaltestosterons wegen für ewig halbwüchsig bleibender Typ – auch noch Pech, weil die nächste Ampel rot wird, davor schon auf jeder Spur ein Auto steht, er also nicht bei Dunkelorange noch durchrasen kann.
Ich stehe und schaue seinem Anhalten zu. Ob er wohl aussteigt? Mir wär das recht. Diese Deutschnationalen, die es deswegen sind, weil sie den Namen Hölderlin für die Bezeichnung einer Bierdose halten, denken ja immer, Intellektuelle hätten körperlich nichts drauf. Momentan würd ich ihm gerne das Gegenteil beweisen. Aber er hat, wahrscheinlich, Angst um sein antinegroides Auto.
Mir klingt noch das Deutschlandlied in den Ohren, und Horst Wessel, was hier auf dem Prenzlauer Berg nach dem vergangenen Fußballsieg beides gegrölt worden ist. Aber ich mag mir nicht den Tag verderben lassen. Zumal die Löwin, als ich ihr am Telefon von Lan-an-Sìdhe erzählte, ihrem Bild hierüber, fauchte: „Ich zerkratze dir dein Gesicht!“ Sie sei nämlich auch auf Bilder eifersüchtig. Ein interessantes Phänomen, weil ich das mit Geliebten immer wieder erlebt habe: sie konnten furchtbar grantig werden, wenn mir eine Frau auf einem Bild gefiel, auch wenn die Person selbst völlig unerreichbar für mich war. Mir käme so etwas nie in den Sinn, im Gegenteil eher, mir gefällt das, wenn eine nahe Frau von Männerbildern schwärmt. Ich mag mir sogar ausmalen, gerne, wie sie ihn, den beschwärmten Mann, dann wider alle Realität tatsächlich verführt. Ich mag‘s ja sowieso, wenn Geliebte von anderen Männern umschwärmt werden, auch wenn darin ein Risiko liegt; ich darf das tatschlich so schreiben, weil ich dieses Risiko schon einige Male zu spüren bekam. Manchmal wurde es bitter. Und dennoch. Ich liebe es.
Jetzt aber an die weiteren Vorbereitungen.
13.15 Uhr:
So, nunmehr das Gericht:
Sie nehmen Muschelfleisch und schneiden einen Calamaro klein; selbstverständlich können Sie auch Baby-Calamari verwenden oder Totani, nicht aber Kraken. Dies tun Sie in den Topf, worin sie vorher Olivenöl nicht zu stark erhitzten, weil es sonst verbrennt, und worin sehr viel kleingehackter frischer Knoblauch und, je nach Kraft, zwei oder drei kleine zerstoßene Chilis angedünstet sind. Jetzt mit der Hitze hochgehen und die Meeresfrüchte scharf anbraten. Dabei leicht ansetzen lassen und immer wieder mit etwas – heißem (!) – Wasser auflöschen. Es ist eine Instinktfrage, wie lange Sie den Anbratvorgang durchführen. Auf jeden Fall immer wieder ansetzten lassen und sehr viel rühren. Dann mit heißem Wasser so auffüllen, daß die Meeresfrüchte etwas mehr als bedeckt sind. Zum Kochen bringen und etwa ein Glas Weißwein in kleinen Schüben dazugeben, so daß der Sud nicht zu kochen wirklich aufhört. Nun geben Sie frischen Rosmarin dazu, auch frischen, wenn sie ihn haben, geschnittenen Schnittlauch, etwas frische Petersilie, und reduzieren die Hitze ins leichte Köcheln. Tintenfischtinte dazugeben, die man, in Beutelchen, z.B. >>>> dort bekommt; ein einziges Beutelchen reicht gemeinhin, den Sud bereits sehr schwarz werden zu lassen.. Je nach Menge der Meeresfrüchte können Sie auch zwei der Beutelchen verwenden; der Geschmack wird entsprechend intensiver. Gut auflösen lassen, verrühren. Jetzt erst Tomatenmark dazu – Vorsicht, nicht zu viel, die Sauce soll nicht sofort allzu sehr dicken, sondern ihre Sämigkeit erst während des Kochprozesses, der die Bestandteile amalgamiert, erreichen. Eine Prise Zucker dazugeben, aber insgesamt überhaupt kein Salz. Salz haben Meerestiere von sich aus genug.
Während der Sugo köchelt, Wasser für die Penne aufsetzen und in nächstem erhitzten Olivenöl Crevettes anbraten, bis sie rot sind und sich gut aus der Schale lösen lassen. Die Crevettes soweit kühlen lassen, daß Sie sie schälen können. Dies tun und das Fleisch zum Sugo hinzugeben, den Sie immer wieder vorsichtig, eher unterhebend als wirklich rührend, umrühren. Es soll nichts mehr ansetzen, der Topfboden muß silberblank sein, wenn das Gefäß geleert ist.
Wenn die Penne al dente sind, ist auch der Sugo gut. Bißchen abschmecken noch, je nach Laune, – nur bitte daran denken, daß die Kombination Käse auf Fisch mit der Todesstrafe geahndet wird, sofern davon jemand Wind, geschweige es selbst vorgesetzt bekommt, der von Küche etwas versteht.
Noch zwei Bemerkungen dazu:
1) Nur, auch beim Kochen, gutes Olivenöl verwenden, nicht eines, das auf die neutrale Geschmacksvorliebe von Schweinefleischessern heruntermoduliert ist. Gutes Olivenöl beißt. Daran denken.
2) Wenn Sie, wie heute ich tat, mit gefrorenen Meeresfrüchten kochen, was an sich gar kein Problem ist, dann bitte das Gefriergut langsam abtauen lassen, am besten schon seit morgens zuvor im Kühlschrank. Zu schnell getautes Gefriergut wird zäh und verliert extrem an Geschmack.
Soviel Ärger – und das bereits am frühen Morgen. Es wird höchste Zeit für den Urlaub!
Mit freundlichen Grüßen
@Johnny18 – Den Ärger. Habe ich, eigentlich, gar nicht mitbekommen. Sollte da einer gewesen sein, aber, dann sehn Sie ja fein um 13.15 Uhr, wie ich mich für sowas belohne.
Jetzt freilich muß ich entschieden ein wenig ruhen, erschöpft von meiner Arbeitsflucht.
Herr Herbst, Fußballfans sind keine Verbrecher. Was für ein einfältiges Vorurteil Sie da mich sich herumtragen. Dafür finde ich den Stummel reizend.
Schöne Ferien (und das Sizilien Buch ist angekommen, ein schöner Einband und ein guter Anfang).
Beste Grüße!
Freni
@Freni zu den Fahnen. Ich sprach doch nicht von Fußballfans, sondern von Leuten, die Deutschlandfahnen schwenken und ,sogar zweifach, an ihrem Auto flattern lassen: da ist das Deutsche Reich nahbei; s o sind auch die Gröler und Rufe, die ich jetzt wieder zu hören bekomme, ganz abgesehen von den straßauf straßab zerschlagenen Bierflaschen.
Aber ich habe mir für dieses Jahr vorgenommen, keine Diskussion mehr über Fußball-Zusammenhänge zu führen. Es wäre schlichtweg sinnlos.
Unabhängig davon also, wünsche ich Ihnen sehr viel Lust bei Ihrer Lektüre.