Das zweite Frankfurtmainer Buchmessenjournal, nämlich des 11. Oktobers 2012. Mit einem Halsband für submissive Leser:inn:en.

[Dieses ist mein 15.000. Eintrag
in Der Dschungel; in Worten: der fünfzehntausendste.]

4.46 Uhr:
Noch sitzt das Wasser für den Café au lait auf, im verschraubbaren Espressomaschinchen, die Milch schon im Topf, um aufgeschäumt zu werden, nebendran auf der Platte, und noch weiß ich zwar: Winbeck, Dritte Sinfonie, aber hör sie noch nicht, muß ja das Durchdrücken hören, des Wassers durch das Kaffeemehl, um mich drauf um den Milchschaum zu kümmern, aber vorher, als man noch wach und auf der Messe gewesen… vorher, da sieht man dann das da:

Man kann das witzig nennen, wenn man diese Art von Witz denn teilte und nicht sowieso Ort und Art dieser Vorstellungs-Veranstaltungen zum Leseumbruch, der doch auch einer der Dichtungen selbst ist, geradezu bizarr gewählt worden wären: Halle 3.0 Reihe K ganz hinten, nach den Kinderbüchern bei den Comics. Und unter anderem Litflow, über das ich mich >>>> sowieso schon schwer geärgert hatte. Dazu passen dann >>>> Katrin Passig und Sascha Lobo aufs Blaue Sofa wie die Seifenautomaten auf die Handwaschbecken bei den WCs; der Betrieb hat seine Stars nominiert, im Nachlaufen des Mainstreams, und baut sie auf und läßt draußen, was er, der Betrieb, nicht hineinlassen will, der möglichst viele seiner sowieso überall mischenden Leute nun auch ins neumediale Dichten mitzuimplantieren unternimmt. Litflow, stellt sich dann heraus, ich ahnte sowas längst, ist von einer Bundesagentur finanziert. Aha, denkt man sich und hört den eher peinlichen, wie das Bild mit dem Slogan eben, Vorstellungen zu, aber schon bald hört man weg – und geht dann auch weg; dabei war man als Autor für Faustkulturs >>>> Geld und Leidenschaft geladen. Die Vorstellungen selbst, und das hat nun nicht die Messe zu vertreten, sind auch entsprechend: dahinimprovisiert. Da fallen dann Sätze wie „Haben wir mal eben auf der Fahrt nach Frankfurt….“ zusammengeschustert muß man denken. Ob man denn eine Brezen möge, fragt die nette mädchenhafte Frau von der Messe und lächelt wie ein Mädchen auch. Also nimmt man sich eine. „Schmeckt genau so, wie diese Vorstellung ist“, sagt >>>> Phyllis Kiehl, die ein Stückchen von meiner gekostet hat. Und Bernd Leukert, Redakteur von Faustkultur, lächelt in der gewohnten, nun übergewöhnten Skepsis ein wenig ratlos, desgleichen die beiden Initatoren >>>> der großen Kultur-Site, und ich ärgere mich mal wieder, und wir verschwinden und kommen nicht mehr her; unsere Vorstellung spucke ich imaginäre auf den Boden.
Darum, zur inneren Reinigung… jetzt aber! -:

[Heinz Winbeck, Dritte Sinfonie.
Es wird schon kühl, es wird schon spat,
Es ist schon Herbst geworden
In Seh westers Garten, still und stad;
Ihr Schritt ist weiß geworden.
Ein Amselruf verirrt und spat,
Es ist schon Herbst geworden
In Seh westers Garten still und stad;
Ein Engel ist geworden.
(Georg Trakl, Schwesters Garten)]
Meine Lust ist, auf diese Messe, gering. Das ist mir neu. Daß ich mir sogar denke: Dann schreibe ich eben im Verborgenen weiter, meine Art Literatur der Zukunft. Denn eben sogar für die elektronischen Medien sieht man nun, wie die Kräfte des je schon Vorhandenen auch hier wieder zugreifen, so verspätet sie auch sind, und wie sie draußen lassen, was vor ihnen bereits dagewesen, das sie auch lächerlich gemacht oder an den Rand geschoben hatten, die Prophezeiungen, Warnungen, neuen Versuche – gut, jetzt dreht sich immerhin etwas. Der >>>> StoryDrive ist, jedenfalls werblich, nicht ganz so unsouverän und peinlich angekündigt und scheint auch professionell organisiert zu sein, aber >>>> da geht es nicht vornehmlich um Literatur, schon gar nicht um Dichtung, sondern um, eben, Markt, und zwar insgesamt. Ich werde sehen. Es geht um Schau und Bauernschläue. Dennoch, man darf das nicht sich selbst überlassen, so lange man Kraft hat. Sondern man muß dagegen weiterkämpfen; die „stille Arbeit“, wie das heißt, für sich mit seiner Kunst, wird sonst zum Spielball, wie sie‘s immer schon geworden, pfiffiger Verführer, die sich ganz selbst vor die Karren einer Industrie spannen lassen, gegen die sie scheinbar stehen.
Ein paar Termine wahrgenommen, ein paar Projekte abgeklopft, unter anderem den Sterberoman für >>>> Marebuch, „Ich muß nur erst Argo fertighaben“, erzählte ich der schönen Lektorin und dem wilden Verleger, „dann bekommt ihr euer ausgefeiltes Exposé.“ Und nachher, heute, treffe ich Delf Schmidt bei >>>> Elfenbein wegen dieses dritten Andersweltbuches und wegen unserer Veranstaltung am 17.10. im SodaClub der Berliner Kulturbrauerei. „Ich habe extra nicht gedrängt“, sagt, noch einmal, die Lektorin bei Mare. Dann kurz bei dem pfiffigen Wiener >>>> Septime vorbeigeschaut, dann paarmal bei Suhrkamp, um mit Forssmann zu sprechen; was nun auf heute verlegt ist. Da >>>> Schmidt bei Suhrkamp mittendrin sitzt und nicht, wie früher auch in Frankfurt, heut aber nur noch in Leipzig, einen eigenen Stand hat, gibt es keinen Rotwein; auch Rauschenbach kommt nicht. Alles zu sauber und zu glatt. Wir förmeln uns (englisch auszusprechen: stromelinig durch, so daß das Wort „Strom“ in Zusammenhang mit den elektronischen Medien einen sauren, replikanten nämlich, Beiklang hat: in der Tat werden die Leute – nicht Forssmann und Rauschenbach freilich – elektronisch designt auf dem Wege der alles cleanenden Moral. Das ist alles US-amerikanisch glatt, aber im Keller, der überm Großen Teich Guantánamo heißt, wird selbstverständlich weitergefoltert. Man soll‘s halt nur nicht sehen.
Blick zu den einstigen Wunschverlagen Rowohl und Klett-Cotta; das ist nun alles sowieso müßig, aber schaun tut man halt doch. Immerhin gibt es bei Faustkultur Mirabellengeist.
Mein Freund UF fehlt auf der Messe; Freund Tammen ist nicht mehr bei den >>>> horen; wir haben kleine Einsamkeitsgefühle. Doch >>>> Volltext hat meinen langen Artikel zu Peter H. Gogolin wunderbar plaziert, tatsächlich drei ganze Zeitungsseiten (zwei zeig ich Ihnen hier):

Unbedingt hätte er, Gogolin, auf dieser Messe gegenwärtig sein müssen, zumal er einen neuen Roman hat; doch die Kulturmaschinen haben ja gar keinen Stand, nur die von mir in letzter Minute gerettete >>>> Verlagspräsentation am Sonnabend abend im Literaturforum, sowie heute abend eine Veranstaltung, zu der ich mich aber öffentlich nicht äußern möchte; immerhin hab ich mir das Okay eingeholt, dran teilzunehmen. Vielleicht werd ich da zum ersten Mal >>>> meinen Essayband in der Hand halten. Vielleicht auch nicht.

5.59 Uhr:
So, jetzt hab ich das Vorige erst einmal eingestellt.
Was heute anliegt? Erst Treffen bei Elfenbein, dann meine Impresaria, dann Delf Schmidt, danach Forssmann, weil ich auch mit ihm über das Projekt sprechen will, das mir um und um im Kopf stapft: den Schritt hinaus w a g e n mit einem LecktMichDochAmArsch, und zwar deftig, vielleicht auch Tritte in denselben-nicht, sondern der andern, der Glättlinge und WirBückenUnsSchons, dazu dann, im nächsten Jahr, der 1200-Seiten-Roman, eine Flanke, die zweite Flanke und das Sterbebuch auch schon unter den Fingern. Von Perspektivlosigkeit kann man, wenn ich ehrlich bin, nicht sprechen, wohl aber davon, daß keine Ruhe eintreten wird, keine Zeit für Konsolidierung, sondern feuerköpfig, die Wut in der Brust weiter vorangeschritten werden muß, dabei die Stirn nach unten, wie Verdi im venezianischen Konservatorium, ganz unterm Dach, gegen Wagner, man möchte meinen – und muß es im Inneren hoffen, daß sie gehörnt sei. Na gut, zweiter Café au lait, zweite Morgenpfeife. Vor meinem Aufbruch, ich mache einfach weiter, Argo. Jetzt.

[Heinz Winbeck, Dritte Sinfonie „De Profundis.
Seltsam sind die Wege der Menschen.
Mit dem Schatten der Fremdlingin.
In dieser Stunde war ich im Tod meines Vaters der weiße Sohn.]

„Und ich sah die schwarze Hölle in meinem Herzen.“ Das ist alles Georg Trakl, den >>>> Winbeck immer und immer wieder vertont. Er hat mir geschrieben, gestern kam, ich selber schreib ihm Briefe, eine Zwischenmail: „Auch einige Bücher von Ihnen sind schon hier in Schambach, bin aber noch ein wenig ängstlich.“ Und soeben sehe ich…. eine weitere Mail, er schreibt über >>>> Das Wunder von San Michele: „… und bin noch verzaubert von der tiefen Poesie, die Worte, Stimmen und Musik entfalten. Ob ichs verstanden habe, die Bezüge, die Beziehungen, das bezweifle ich, jedenfalls hörte ich gebannt zu, ähnlich wie den geheimnisvollen Geschichten in Günter Eichs Träume…“ – das sind so die „Dinge“, die einem wohltun, zumal aus solchem Mund. – Ich werde ihm, nach Argo und bevor ich zur Messe aufbrechen, noch zurückschreiben. Was immer das nun geben wird, einen Briefwechsel in jedem Fall wird es geben – und seltsam, daß ausgerechnet er mailt, ausgetrechnet aber ich Briefe schreibe. Wie gesagt.
“Die Polizei rufen können wir nicht.“ „Sowieso nicht… deinetwegen.“ Die Gefährtin mußte lachen, es war ihr gar nicht zumute danach.
Argo, ZF, TS 551unten.

9.14 Uhr:
Doch nicht mehr geschafft, den Brief zu schreiben. Statt dessen lange mit der Löwin telefoniert, die eigentlich nach Frankfurt kommen wollte, aber das nicht hinbekommt, weil die Mäzenin einer Künstlerin, für die sie sich einsetzt, einen Gesprächstermin anberaumt hat. Jedenfalls diskutieren wir über Verantwortlichkeiten, Naivheiten und inwieweit man für diese ihre Vertreter:inn:en dürfe haftbar machen. „Warum nennen Sie immer Namen?“
Dazu dann später, abends vielleicht. Muß mich umziehen und los.

13 thoughts on “Das zweite Frankfurtmainer Buchmessenjournal, nämlich des 11. Oktobers 2012. Mit einem Halsband für submissive Leser:inn:en.

  1. Wissen Sie, ANH, was immer Sie hier an großspurigen Thesen herausposaunen…
    Vergessen Sie bitte nicht:
    Die Schwester literarischen Weltschmerzes ist immer die Langeweile.

    1. @Betrachterin – Abwegig …und ihr Bruder der Wahnsinn. Hatte doch schon Freud die strukturelle, unauslöschbare Feindschaft zwischen Geschwistern erkannt. Einzig im face to face einer Mutter und ihrem Kind keimt so etwas wie Freundschaft. Daher der Dichter nur seines Werkes bedarf.

    2. Liebe Betrachterin, da Sie Ihre Meinung anonym vertreten, muß man, ja darf man sie eigentlich nicht ernstnehmen. Dennoch interessiert es mich, auch von einem Computerprogramm, hinter dem schließlich Programmierer und deren Auftraggeber stehen, zu erfahren, welche These Sie denn für „großspurig“ halten. Oder meinen Sie das Wort im Wortsinn: daß einer eine große, also wohl weit bemessene Spur fährt? Dann wäre es wahr.
      Und wessen Langeweile meinen Sie? Die Ihre? Die wäre doch leicht abzustellen, indem Sie erst gar nicht hier lesen. Nur als freundlichen Rat am Rande. Aber vielleicht meinen Sie auch einen literarischen Topos, nämlich den des >>>> ennui… Dann freilich lohnte es, sich zu unterhalten, schon weil es sich dabei um ein Dekadenz-Phänomen direkt an der Schwelle zur Moderne gehandelt hat. Möglicherweise läßt sich das auf eine andere Schwelle übertragen – die zum Medienumbruch.

    3. Neinnein, werter ANH, bitte nicht!
      Es ging allein um die Langeweile, die Ihre selbsttriefenden Äußerungen hervorrufen.

      Wenn Sie – wie Huysmans– aus Ihren persönlich-uninteressanten Details ein feines, bedeutendes Kunstwerk schüfen, würde ich es sogar gerne lesen.
      Leider blasen Sie hier nur Ihre persönliche Situation aus.
      Auch der tom-Kommentar – ein vollkommen bezugsloser, selbstgefälliger Kommentar zur eigenen Bildung – zeigt eigentlich, wo man sich hier befindet:
      In einem geisterhaften Panoptikum autistischer Intellektueller.

      In einem haben Sie aber recht (zum Glück):
      Man muss Ihre Seiten ja nicht lesen!

    4. Weshalb@Betrachterin. Tun Sie’s denn dann? Weil Sie Masochistin sind? Nun ja, dafür wüßt‘ ich eine Lösung – vorausgesetzt, daß Sie auch schön sind. Ansonsten selbstverständlich nicht, da wiederum ich kein Masochist bin. Wie sagte eine geliebte Frau einmal? „Ich esse nur das Fleisch von schönen Tieren.“

      Also entscheiden Sie – aber ich bitte um eine Bewerbung vermittels einer aussagekräftigen, zumindest, Fotografie.
      Herzlich,
      (noch nicht:) Ihr

      ANH

    5. Sie, armseliger Wicht, Sie sind so durchschaubar!
      Ich hatte erwartet: Sind Ihre Schenkel auch schön, Betrachterin?
      Das ist jetzt, vielleicht ein Minimum anders als erwartet, genauso gelaufen, wie ich es erwartet habe.

      Ich bin natürlich ein Mann, Sie Doof!

    6. Jetzt heißt es aber:
      Schnell löschen! Im Sinne der Literaturwissenschaften. Schließlich schneidet das Marburger Archiv ja mit. Sie armselige Person!

      Oder haben Sie den Mut, DAS der Nachwelt zu übertragen?
      Wie klein Sie wirklich sind, wissen nur Sie.

    7. @Betrachter Ah, er hat also Huysmans gelesen. Aber hat er ihn auch verswtanden?
      Schlechterdings nicht. Denn der Vorwurf an einen Heutigen, in der poetischen Darstellung sinnlicher Wahrnehmung hinter einem pariser Dandy aus dem 19. Jahrhundert zurückzubleiben, zeugt, besser: verrät den Vulgären. Es muss sich um einen aufgescheuschten Provinzler handeln, der die Bedeutungslosigkeit der Existenz eines Jean Floressas Des Esseintes gar nicht versteht. Gerade die Insistenz auf Bedeutung, Zusammenhang und Sorgfalt greift hier fehl.

      „Sechtzig Jahre habe ich gebraucht, um lesen zu lernen.“ Goethe

    8. Als man den Orten einst einen Namen gab machte das Sinn, man wusste sogleich, ich muss nach Marbach, nicht nach Marburg. War Schiller je in Marburg? Geboren ist er jedenfalls in Marbach oder?

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