Dunkles Arbeitsjournal. Freitag, der 8. März 2013.

Was ist >>>> das für ein schöner Text! dachte ich gerade, als ich ihn, >>>> eines im Netz gefundenen Aufsatzes zur Geschichte dieses Netzes halber, wiederlas. Acht Jahre beinah ist er alt, und was ich der jungen Dame damals sagte, ist noch heute meine Meinung. Was wohl aus ihr, ich meine nicht die Meinung, geworden ist?

Zerspellte Tage. Ich kann mal wieder meine Miete nicht zahlen, nicht die anderen Rechnungen, weil Geld, auf das ich dringend warte, furchtbar überfällig ist, weil es einfach nicht kommt. So kann ich auch die anstehenden Flüge nicht buchen, wegen des Neapelstücks etwa, vor allem aber bringt es meine Planung völlig durcheinander. Gern hätt ich die ganze Familie im Sommer wieder mitgenommen, aber das wird jetzt zunehmend ungewiß. Mit der Sache selbst zwar komme ich klar, ziehe immer mal wieder einen anderen Schein aus dem Versteck unter den Bodendielen oder hinter einem Fensterrahmen hervor oder aus einem Schuh: Eichhörnchenmethodik für die etwas härteren Jahreszeiten, zumal es nun wieder schneien soll. Also habe ich erneut den Ofen angeheizt, den ich drei Tage lang Frühling spielen ließ. Wieder stehen, in ihren beiden Nickeleimern, Kohlen da, noch gestern abend aus dem Keller geholt. Einen Umzugskarton zerrissen und bereits verheizt, intensiv glühen die Fladen; man glaubt nicht, welch eine Hitze verbrennendes Papier erzeugt. Eigentlich könnte ich auch Bücher verheizen, solche, die ich eh nie oder nicht mehr lesen werde, an denen mir nichts liegt. Ernstlich, ich habe mit diesem Gedanken gespielt, vor seiner Realisierung aber eine, sagen wir, „deutsche Scheu“. Aber diese Vorstellung, wie sich die Wände leeren, wie Stück für Stück dahingeht.
VG Wort-Meldungen nachgeholt, von über zwei Jahren, einfach verschusselt, für nicht wichtig gehalten, für „bloß realistisch“, formal, seelenlos. Heute muß ich meine Steuererklärung abgeben, die online-Unterlagen sind jetzt alle hier. Und laufen will ich, abermals sechs Kilometer, gestern war ich zähe plötzlich antriebslos. Das liegt an der Grundrichtung des Wartens, in der ich mich jetzt befinde: Warten wegen des Gerichtsvollzieherstücks, Warten wegen des Geldes, Warten wegen des Argo-Lektorats, Warten wegen Rückmeldungen zu den Lesungsangeboten im Herbst. Fertig aber wurden die Fahnen für den Gräfenberg-Club. Dazu ein langes Telefonat mit der Löwin morgens, Problematiken, innere, zu heben, und ein noch längeres mit लक्ष्मी, die von ihrem Praktikum in einem Heim für Wachkoma-Patienten erzählte und weinte und verzweifelt war, weil es dort zugeht, wie man bisweilen liest, aber nicht wirklich glaubt, denn es wird ja auch vom eigenen Schicksal, dem kommenden, erzählt: „Nicht ein Patient ohne Dekubitus, was ich gelernt habe, wird nicht getan, niemand tut es, Fehler in der Behandlung werden vollkommen absichtlich gemacht, und statt jemanden umzubetten, wie es nötig wäre, geht man in die Zigarettenpause. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“ Ihre Stimme wurde immer und immer, wie soll ich sagen? ja: kleiner. – Ich, an ihrer Stelle, würde aggressiv werden, würde in den scharfen Angriff übergehen. Aber das ist nicht sie. Menschen sind verschieden. Und dieses Pflegepersonal, so versuchte ich, ihr zu erklären, sieht doch in den Sterbenden sich selbst schon voraus; deshalb stumpft man sich weg: um eben das nicht zu sehen. Wir werden fast alle so mal liegen. Eine alte Frau, Patientin, in einer Wachphase, erzählte: „Ich bin nur vor die Tür gegangen. Alles war vereist. Da bin ich gestürzt und habe mir den Arm gebrochen. So kam ich ins Krankenhaus und von dort niemals wieder nachhause. Man hat mich weggeschoben, meine Wohnung aufgelöst. Nichts, nichts ist mir geblieben. Es ist wie nach dem Krieg.“ Nur, daß sie nicht mehr jung ist und nicht mehr Trümmer wegräumen kann.
Und sie dächten, nahezu alle, zurück: wie schuldig sie sich gemacht vor dem Krieg bis in den Krieg. „Es ist die Generation der Überlebenden, die, die nicht deportiert wurden, die, die…“ „…mitgemacht haben“, fall ich in die Erzählung. लक्ष्मी: „Manche halten ihr jetziges Schicksal für die Strafe. Viele sind reuig.“ Aber nicht einmal das, wenn wir klar sind, kann uns mildern. Die Heime kommen auch auf solche zu, die keine Schuld trifft. Auf jeden von uns. Die Produktion kennt das Alters- und Gnadenbrot nicht, weil es keine Renditen abwirft.

Will ich, daß jemand mit ansieht, wie sich mein Leben so aus­scheißt, der mir das Arschloch wischt, all seinen Ärmel bespritzt und die Handschuhe, falbgelbe, dünne aus Plastik? Und nicht als ein Mann gehen, der sich gewehrt hat? in meinen Kämpfen, den ungerechten, vermeidbaren oft, aber klaren? Ich finge noch grad eine Prosa neu an, und ich gäb ihr Perso­nen, die traurigkeitsvoll und begehrlich sind, liebend, und grad noch, mein Junge, besprach ich’s mit dir… sähe da plötzlich den Schatten, die Rolläden fallen, säh auf – : wie über B-A-C-H Bach starb, ach stürb ich doch so!
Neunte >>>> Bamberger Elegie.
Es wird Zeit für das Sterbebuch. Ich werde nachher den Reeder anrufen, ob man mich mitnimmt, vielleicht noch dieses, besser aber nächstes Jahr.
Heute war ein guter Tag. Zwölf sind von uns gegangen.
Mit diesen Worten wird er beginnen, der kleine Roman.

Latte macchiato, der zweite gleich. Zweite Morgenpfeife.
Klappe:
„Wintereinbruch, die zweite.“

4 thoughts on “Dunkles Arbeitsjournal. Freitag, der 8. März 2013.

  1. Und dieses Pflegepersonal, … , sieht doch in den Sterbenden sich selbst schon voraus; deshalb stumpft man sich weg: um eben das nicht zu sehen. Wir werden fast alle so mal liegen.

    Ich verstehe das deshalb in diesem Satz nicht. Mir fehlt hier die wirkliche Ursache, die das Stumpfwerden erst möglich macht.

    Wo soll ich anfangen?

    Seien es nun Pflegeheime oder Krankenhäuser, und letztere sind ja, so sie nicht kirchlich sind, nach und nach in GmbH’s umgewandelt worden. Fragen Sie mal einen Menschen, der in diesem Beruf schon seine 20 oder 30 Jahre arbeitet, der kennt noch andere Zeiten. Der Personalschlüssel ist heute derartig ausgedünnt, dass jedem der in diesem Sektor tätig ist oder tätig sein will, klar sein muss, dass er seine Bewohner oder Patienten überhaupt nicht so versorgen kann, wie Pflege das an und für sich definiert und verlangt. Da weiß ich dann auch gar nicht was die da in den Medien immer von Kräftemangel erzählen… Ich denke mir bei dem Wort mittlerweile, in solchen Maschinerien, da wird einem die Kraft durch die Mangel gedreht… O.k., jemand ist eine Rauchen gegangen und es wurde nicht umgebettet. Das ist nicht gut. Aber ich denke diese Person wird sich nicht gedacht haben: Anstatt meine Arbeit richtig zu machen gehe ich mal lieber vor die Tür. So manch einer hat überhaupt nur Pause, wenn er es sich rausnimmt mal kurz zu verschwinden. Das sind recht harte Arbeitsalltage, körperlich als auch seelisch. Dazu kommt dann noch der Schichtdienst und nicht selten arbeitet man bis zu zwei Wochen am Stück durch, auch schon als Auszubildende, die so eingeplant werden als wären sie Examinierte. Ja, es stimmt, Alter gilt in unserer Gesellschaft nichts und vor Krankheit und Tod verschließt man auch gern die Augen. Wieso? Weil kein Mensch Grund hat sich auf seinen Lebensabend, ob mit oder ohne Gebrechen, zu freuen. Weil keine Gelder in das Gesundheitssystem fließen. Natürlich sollte dennoch jeder, der solch einen oder einen ähnlichen Beruf ausübt sich seiner Verantwortung bewusst sein. Aber kann er das auch umfassend? Ich denke nicht dass der Mensch stumpf wird weil er Krankheit und Tod nicht sehen kann, es sind diese gegebenen Umstände in denen er sich befindet, in denen er Krankheit und Tod ins Auge blicken muss. Wie Sie wissen habe ich mich ja für diesen Beruf entschieden. Schlimm oder? So zumindest reagieren die meisten Menschen wenn ich ihnen sage was für eine Ausbildung ich mache, erst recht wenn ich ihnen erzähle, dass ich vorher studiert habe.

    1. @read An. Anstatt meine Arbeit richtig zu machen gehe ich mal lieber vor die Tür. Doch, genau das wurde gedacht und wird dort offenbar von mehreren gedacht. Es wird auch wörtlich gesagt: „So darf man es eigentlich nicht machen, aber das geht schon so.“ Sprach’s und ging hinaus, um zu rauchen.

      Das „deshalb“: Man stumpft ab, um nicht mitzuempfinden oder, wie ich schrieb, vorauszuempfinden.

      Es gibt nicht ein freundliches, zugewendetes Wort, das noch Achtung hätte.

      Nein, nicht schlimm, sondern ijm Gegenteil. Es gibt verschiedene Heime und verschiedene Menschen, und es wird nicht überall so gehandelt, wie ich erzählt habe. Manchenorts aber schon. – Daß Sie sich für diesen Beruf entschieden haben, halte ich für die Sterbenden für einen Segen. Sie lesen viel, Sie umgeben sich mit Kunst, sie schreiben Gedichte, sind sensibel, nicht grob. Das ermöglicht Ihnen Einfühlung und – Güte. Diese, genau sie, fehlt Im Fall dieses speziellen Heimes.

    2. Für diese Worte danke ich von Herzen. Und gerne würde ich genau das für die Patienten miteinbringen. Die Kunst. Aber das ist in einem Akuthaus nicht so einfach. In Heimen wäre das schon eher machbar. Naja, mal schauen, ich bin noch so naiv zu glauben, das es möglich sein kann denn leider weht dort wirklich meißtens ein kalter Wind. Ich hadere oft damit und für mich ist es das, was die Arbeit am meißten erschwert. Dabei ist es so einfach, wer sich dem Patienten zuwendet, der bekommt es immer zurück, zumal es auch noch bewirken kann, dass der Heilungsprozess ein Stück weit angekurbelt wird, da es z.B. die Schmerzwahrnehmung positiv beeinflusst. Ich mache meine Ausbildung zwar als Kinderkrankenschwester, dennoch habe ich viele Einsätze bei den Erwachsenen und habe auf solchen Stationen bisher auch die längste Zeit verbracht. Vom ersten Schrei eines Babys bis hin zum Tod war schon alles dabei, viel Schlimmes aber auch Schönes und Hoffnungsvolles. Momentan wechsele ich vom A zum O (obwohl eigentlich schon auch immer die meißten fachspezifischen Stationen zu einem Drittel geriatrisch sind). Ich komme gerade von den Frühchen und Neugeborenen. Das war ein wirklich schöner Einsatz. Und ich habe es als Privileg empfunden dort arbeiten zu dürfen.

      Ich hoffe es geht Ihnen bald wieder besser!

      Und mir ist noch etwas aufgefallen an einem Satz in ihrem im Arbeitsjournal. Lesen Sie Ihn einmal. Und neu.

      „Ich kann nicht mehr.“ Mit der Betonung auf mehr.

      Eben.
      -Als das, was da ist.

      Ich bin zwar nicht der Literaturbetrieb aber das mit Ihnen werde ich sowieso nie kapiern. Seien Sie stolz auf Ihr Werk.

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