Vom Goethegeschummel. Im Argojournal des Sonntags, dem 12. Mai 2013.

9.10 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Also, der klassische Hexameter hat den folgenden Rhythmus:

/–/–/–/–/–/-
(Beispiel: „Unten am Fuße des Hügels, die östliche Seite des Lagers“)

Da im Deutschen dreisilbige Wörte eigentlich fast nur Ableitungen von Adjektiven sind („grüne Lager“ werden „grünfarbne Lager“), wird erlaubt, den Daktylos (/–) bisweilen durch einen Trachäos (/-) zu ersetzen; Goethe tut das in der Achillëis allerdings fast durchgehend:

/–/-/–/–/–/-
(„Aber hinab stieg Pallas, die göttliche, fliegenden Schrittes“)

So weit, so na ja. Aber jetzt gucken Sie sich mal d a s an:

„Aber diesen ist nicht, den treu arbeitenden Männern“ (Vers 623)

Damit das klappt, muß man das Wort „arbeitenden“ falsch betonen, denn „treu“ und dann das „ar“ zu betonen, würde das Grundgesetz brechen, demzufolge der fünfte Versfuß ein echter Daktylos sein muß. Also kommt man zu folgender absurden Betonung:

„’Aber ‚diesen ist ’nicht, den ‚treu ar’beitenden ‚Männern“
(/-/–/-/-/–/-)

Wie Sie sehen, hat uns Goethe hier gleich drei Trochäen statt der Daktylen untergeschoben, und trotzdem will der Satz als Hexameter nur dann gelingen, wenn man eine Falschbetonung setzt, so, als würde man „buchhal’terisch“ statt, wie es richtig ist, „’buchhalterisch“ sagen. Poetologisch ist das schon ein starkes Stück, finde ich. Um den Goethetext jetzt wirklich als Rhythmus-in-Argo zu zitieren, habe ich es mit einer Stelle zu tun, die eine solche Falschbetonung nun auch von mir fordert: damit greift der Rhythmus auch in die Semantik ein. – Genau so etwas ist es, was meine Epilog-Arbeit knifflig macht. Goethes viele Trochäen sind dagegen gar kein Problem; erstens erzeugen sie einen ganz eigenen Klang-Mood, und zweitens wird der Epilog sowieso nicht von Altphilologen gelesen werden, die Hexameter prüfen – und wenn doch, dann werden die einen diebischen Spaß daran haben, wie frech ich jeden „Fehler“ Goethes mitmache.

Dies als einen Aufmüpfsgruß in unseren herrlichen Morgen.

14.24 Uhr:
So, der Epilog – abgesehen von der Feinarbeit – steht. Aber so sehr es mich auch juckt, den letzten Satz verrate ich nicht. Aber schlafen legen kann ich mich für eine Stunde jetzt. Danach gehe ich jeden einzelnen Vers noch einmal genau auf die Rhythmik durch. Bevor ich alles in einfachen Fließsatz umformatiere.

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