Wirklich daheim nur in der Musik zu sein. Nur in ihr ohne Vorbehalt zu sein, ohne jede Bitternis. Niemals aber bei den Menschen.
Aber die Musik. Sie geht über jeden Mutterschoß hinaus – weil auch „Mutter“ wieder ein Mensch ist, vor dem ich mich vorsehen muß. Heim in die Musik gekehrt wäre ein Satz für die Zeit nach meinem Sterben, wüßte ich nicht allzu gut, daß es „drüben“ auch keine Musik mehr gibt. Also gibt es auch keine Heimkehr. (Dennoch soll das Sterbebuch von ihr erzählen, Ausdruck der innigsten Hoffnung werden, die zugleich die stillste ist, die wir Getrennten kennen.)
Vielleicht zeichnet es die Heimkehr aus, daß sie niemals ankommt; vielleicht ist die Fahrt selbst das Heim, in „Traumschiff“ die bewußt angenommene Fahrt in die ins Meer sinkende Sonne. Das, in Quintessenz, ist das erzählerische Vorhaben meines nun folgenden, nächsten Romans.
Auch Stoff für ein Gedicht. Nein. Atem eines Gedichts.
Der gestern abend hereingebrochene Regen, der die ganze Nacht durch hart herunterschlug, hat sich gehoben. Ich sehe einen strahlend blauen Himmel, in dem wie ausgedünnte Watte Wolkenschlieren stehen. Wirklich daheim nur in der Musik zu sein.
15.31 Uhr:
[Bispinger Heidekate.]
In der Tat brauchte ich einen Erfolg. Also lief ich, nachdem ich gestern schon im Frankfurtmainer Grüneburgpark über zehn Kilometer gelaufen war, heute mehr als zwölf quer durch die Heide. Ich habe einen guten Parcours gefunden, nahezu alles Sandweg – seiner Kondition nach auch ohne mich viel fürs Joggen genutzt. Dieses Laufen an frischer Luft und eben nicht auf einer Tartanbahn ist ganz wundervoll – schon gestern merkte ich das. Der Grüneburgpark ist geradezu ideal: Etwa die Hälfte der Strecke steigt er leicht an, was man aber erst merkt, wenn’s die andere Teilstrecke abwärts geht:: Da läuft man nicht, sondern fliegt und geht mit so viel Optimismus, geradezu anstrengungslos, ins Ziel, daß man sofort Lust auf eine weitere Runde bekommt. Außerdem ist’s abwechslungsreich, man merkt die Strecke eigentlich erst ab dem achten Kilometer, jedenfalls ich, der noch nicht wirklich trainiert ist. Und heute, wie gesagt, brauchte ich allerdingendst ein Erfolgserlebnis. Wenn ich das nicht von „draußen“ bekomme, mach ich es mir selbst. Leistung ist deshalb etwas so Wunderbares, weil man von niemandem abhängig ist. Niemand gibt einem Almosen und von niemandem muß man es annehmen, sondern man erstreitet sich, was man will, ganz alleine, ganz aus eigener Kraft. Auch das gehört für mich zu dem Gefühl, ein freier Mann zu sein. Ich brauche das auch deshalb so dringend, weil der Literaturbetrieb völlig anders funktioniert – weil es in ihm um soziale Kompatibilität geht und das selbst Erstrittene, das Werk, zwar nicht stört, so daß es schon ein qualitativ angemessenes sein soll, aber es steht nicht im Zentrum der, sagen wir, Wohltätigkeit.
War ein tiefes Loch, in das ich seit gestern gerutscht war. Gut, daß die Löwin mich auffing vorhin, und besonders gut, daß ich derzeit keinen Alkohol trinke – wie sie mit mehr als nur einem Anflug von Erleichterung bemerkte, so daß ihr Lächeln durchaus nicht ohne Ambivalenz war.
So … … ist es. Alles denkbar Gute für den nächsten Roman. Bin schon gespannt. PHG
Bei diesem höchst spannendem Thema fallen mir als Anregung
die Werke von Hazrat Inayat Khan ein :
Musik und kosmische Harmonie aus mystischer Sicht. Verlag Heilbronn, 1987, ISBN 978-3-923000-90-6
Musik. Aeoliah-Musikverlag Weinstadt 1996, ISBN 3-00-000649-4
Ist dieses Gefühl, wirklich daheim zu sein, so etwas wie das Gefühl (oder sogar Wissen!), wirklich gesehen und tief erkannt zu sein? Und dann unter weite Fittiche genommen zu werden?
So ergeht es mir nämlich am Meer, vor allem am Atlantik, vor allem an der bretonischen Nordküste; und beim Lesen, vor allem von Gedichten. Als finde nicht nur ich dort etwas, sondern als erkenne mich umgekehrt etwas darin als dort Beheimatete und breite seine Flügel aus, um mich aufzuheben, zu tragen und gleichzeitig zu bergen.
Das mag vielleicht etwas kitschig klingen, aber aus Ihrer Beschreibung spricht eine Ergriffenheit, die ich meiner ähnlich empfinde und die ja nur so groß sein kann, weil die Sehnsucht so groß ist.
@anh Es ist ein Zufall, dass ich nach längerer Zeit wieder bei Ihnen vorbeischaue, nachdem ich mir bei Haydns Quartett in D-Dur selbst Gedanken zu dem Thema gemacht und diese fixiert habe. Ich will Sie an dem Zufall teilhaben lassen, weil ich gerne in Zufällen wo sie einen Funken Sinn schlagen, Zeichen sehe:
Es gibt eine Trauer oder eine Bedürftigkeit, die zum Ausdruck treibt und dann gibt es ein Glück, das man bei der kurzen Aufhebung der Trauer oder der Bedürftigkeit im Kunstprozess oder der Kunstwahrnehmung erlebt. Die Musik ist damit weder fröhlich, noch traurig, sondern von einem inneren Zwang zum Glück führend. Und was die Leute daraus sonst machen, ist ihre eigene Entscheidung.