Verstimmung, sehr tief. PP106, 14. Februar 2014: Freitag.

Die Positionierung >>>> auf der Bestenliste ohne jeden Reflex in Deutschland, die FAZ verloren, und auch anderwärts soll ich nicht mehr schreiben; Argo ignoriert vom deutschen Feuilleton; gestern nacht erwischte es mich. Heute morgen schrieb ich und sandte es ab:
Außer in Der Dschungel bin ich nun quasi nicht mehr vorhanden. Alles zusammengenommen schmerzt so sehr, daß ich Kontakte, die mir nicht guttun, rigoros abbrechen muß, und zwar einfach zum Selbstschutz. (…) Dieses Land will mich nicht, will mich abstoßen wie eine Krankheitszelle im urständsgesunden Pop-Gewebe des Kapitalismus. (…) Hätte ich nicht Kinder, würde ich versuchen, mich irgendwohin ins Ausland zurückzuziehen, wo ich mit dem deutschen Literaturbetrieb keine weitere Berührung mehr habe, meine Hörstücke vor mich hinschreiben kann und ebenso meine Bücher. Diese Möglichkeit ist mir aber einstweilen noch verschlossen. Also muß ich unter dem, was mir gutut und was nicht, sehr genau wählen.
Es war dringend notwendig, wenngleich ich nur sehr sehr schwer hochkam, daß ich heute früh zum Sport fuhr; um 5.07 Uhr stand ich im Studio auf der Matte. Da wenigstens habe ich in der Hand, ob ich erfolgreich bin oder nicht, da liegt es allein an m e i n e r Kraft oder Schwäche, meiner eigenen Energie, meinem eigenen Können oder Versagen. Dort hole ich mir eine Bestätigung, eine, wie jeder Mensch sie zum Leben braucht. Andernfalls würde ich krank. Dort bin ich nicht angewiesen darauf, ob jemandem meine Nase gefällt oder nicht. Ich werde mich nicht korrumpieren lassen – wenngleich: Das weiß längst jeder, und also würde selbst Kreide nichts nützen, wenn ich sie fräße.
Mit dem Training berappelte ich mich, war freilich ziemlich fertig, als ich um acht am Schreibtisch saß und wieder >>>> an den Fahlmann ging, der ein nicht unähnliches Schicksal teilt. Meine Wut, dann Niedergeschlagenheit begann gestern abend damit, daß ich beim Perlentaucher nicht einmal Eckers Namen vermerkt fand. Dabei stellt dieser Autor sieben Achtel all dessen allein an sprachlicher Eleganz, um von dem ungeheuren Reichtum an Ideen einmal zu schweigen, in den Schatten, was in den letzten dreißigvierzig Jahren überhaupt geschrieben worden ist. Manches, was ich in letzter Zeit las, kommt mir gegen die Bücher dieses Romanciers wie schon beim Knospen angedorrte Pflänzchen vor, die alleine der Betrieb zu einer Art fahlen, quasi untoten Blühens hochzieht, die aber dennoch für Orchideen ausgegeben werden, für sprühende Strilitzien. Es ist in der Tat ekelhaft. Mir ist übel vor Wut. Weil ich aber so gar nichts wirklich tun kann und meine eigene Misere das Ganze noch würzt, falle ich bisweilen in einen solchen depressionsähnlichen Zustand wie gestern abend.

Das Ausland wäre ein Ausweg, einer für das Lebensgefühl, für meine Lebensliebe, die ich mir nicht nehmen lassen möchte. Ausgrenzungsgeschehen wie das, das ich seit spätestens >>>> Meere erlebe, also seit mehr als einem ganzen Jahrzehnt, können krank machen. Es gibt auch ein Mobbing in der Literatur. Selbstverständlich bin nicht nur ich davon betroffen. Das zieht sich durch die Literaturgeschichten. Die meisten Betroffenen geben bitter irgendwann auf.

Ich nicht. >>>> Hier mein Entwurf des Pressetextes, den ich soeben an den WDR geschickt habe. Im übrigen geht mir meine Klagerei selbst auf die Nerven. Am liebsten liefe ich Amok – aber mit Ziel.

(15.07 Uhr.)

Freunde verlieren: das auch gehört hier hin.)

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17 thoughts on “Verstimmung, sehr tief. PP106, 14. Februar 2014: Freitag.

  1. Sie machen … … mir den Tag nicht heller, lieber ANH. Aber das geht wohl auch nicht. Ich weiß, wovon Sie sprechen.
    Wenn ich erzählte, was ich alles angesichts Ihres letzten Buches zu hören bekam. Ach schweig stille mein Herz. Es lohnt nicht, darüber zu reden. Wie sagte einst ein Kollege in einer ähnlichen Situation: „Man wage mal, einem Arschloch zu sagen, dass er ein Arschloch ist. Er wird es bis zum letzten Furz abstreiten.“
    So fühle zumindest ich mich momentan gegenüber dem Betrieb und schweige deshalb lieber.
    Bitte, bleiben Sie uns erhalten, wünscht PHG

    1. Die es@PHG, g e l e s e n haben? Das würde mich s c h o n interessieren. Die Dinge müssen g e n a n n t sein, auch die Namen. Sonst setzt sich alles in alle, soweit die Menschheit so eine hat, Ewigkeit fort.

    2. Gelesen? Das würde mich wundern. Höchsten angelesen, wenn überhaupt. Nein, denen ich es angeboten habe. Es ekelt mich, darüber zu sprechen. Bis hin zu Unterstellungen, weshalb ich mich wohl für das Buch einsetzen würde. Nicht gedacht soll werden.

    3. Das@PHG, ist der Punkt. Wir ekeln uns, über so etwas zu sprechen, also wird nichts laut, und es kann alles weitergehen wie gehabt. Niemand wird zur Verantwortung gezogen oder auch nur befragt: die Kulissen bleiben dicht. Und auf der anderen Seite: Wenn jemand von uns es doch wagt, das Unrecht zu benennen und auch zu zeigen, wo es gedreht und zurechtgeklebt wird, werden wir genau dafür dann nochmal bestraft. Autoren sollen aushalten, egal, was man ihnen antut. Sie haben zu schweigen.

    4. Ekel nicht allein … … es ist auch eine Frage der Kraft, zumindest für mich. Ihre Statur mag da anders sein, aber ich bin in der Regel froh, wenn ich meinen Alltag und mein Schreiben erstens unter ein gemeinsames Dach bringen und zweitens am Ende des Tages von beidem ein Ergebnis vorweisen kann, ein kleines. Woher soll ich da auch noch die Kraft nehmen, gegen den Sumpf des Betriebes anzukämpfen.

      Bei Ihnen scheint mir der Fall freilich noch ganz anders zu liegen. Und das hat mit einer Art von Verwüstung in den Köpfen zu tun, die mich an so etwas wie Sippenhaft erinnert. Das muss ich freilich erklären, dieser Eintrag wird etwas länger.

      Erstmals traf ich auf dieses Phänomen auf der Frankfurter Buchmesse im Jahre 2010. Ich kannte Sie damals nur unter Ihrem Schriftstellernamen, hatte als einzigen Buchtitel im Prinzip nur Ihren Wolpertinger im Kopf, den ich etwa 1994 kennengelernt hatte. Von der Vergangenheit Ihrer ferneren Familie wusste ich nichts. Nun traf ich während dieser Buchmesse am Suhrkampstand einen früheren Freund, der dort darauf wartete, seinen Auftritt auf dem Blauen? Sofa absolvieren zu dürfen. Wir kamen ins Gespräch, und währenddessen sah ich Sie den Gang zwischen den Ständen entlanggehen. Weil ich wusste, dass ich demnächst im selben Verlag wie Sie publizieren würde, machte ich meinen Gesprächspartner auf Sie aufmerksam und fragte: „Kennst du den Alban Nikolai Herbst?“ Und da kam, wie ein nicht zu unterdrückender Reflex, aus seinem Mund der Satz, den ich seither immer wieder gehört habe. „Ach, dieser von Ribbentrop“, sagte er er in wegwerfenden Ton.
      Es war wie ein abschließendes Urteil, und ich habe damals gar nicht mehr gewagt, ihm zu sagen – was ich eigentlich vorgehabt hatte -, dass ich demnächst im selben Verlag wie Sie publizieren würde.
      Seither ist mir dieses ‚Urteil‘ in verschiedensten Abwandlungen immer wieder begegnet, meist aber eingeleitet mit eben diesen Worten. Es gibt dann auch durchaus Ergänzungen in der Form „Der Herr Autor ist mir sowohl persönlich als auch als Schriftstellerdarsteller extrem zuwider.“ Und seit ich im vergangenen Buchherbst versucht habe, für einige Medien etwas über ARGO zu arbeiten, erlebe ich fast körperlich, wie dieses Urteil auch auf mich asugedehnt wird. Meist in eine vermeintliche Frage gekleidet. Etwa so: „Wieso müssen Sie denn ausgerechnet Herrn von Ribbentrop das Händchen halten?“ Oder auch „Dieser von Ribbentrop und Sie? Was ist das denn für eine Peinlichkeit?“ Oder „Aber lieber G., haben Sie bei von Ribbentrop etwas gut zu machen?“

      Mir sind in solcher und ähnlicher Weise insgesamt 6 Angebote an Zeitungen und Sender abgeschmettert worden, von den kommentarlosen Ablehnungen mal zu schweigen.

      Sie verstehen angesichts dessen meinen Ekel vor diesen Leuten vermutlich etwas besser. Dies zumal auch deshalb, weil das schließlich auch meine Arbeitsmöglichkeiten für diese Medien letztlich zerstört. Denn das hinzunehmen und gleichzeitig weiter für sie zu schreiben, das hieße ja ihnen zumindest implizit zuzustimmen. Das hieße, ja, dieser Ribbentrop, aber wir beide, wir können ja zum Glück noch miteinander. Aber ich könnte gar nicht soviel kotzen wie dann nötig wäre.

      Wissen Sie, was ich in den vergangenen Wochen mal gedacht habe? Es wäre besser gewesen, ging mir durch den Kopf, wenn Sie Ihren Namen einfach ganz offen weiter benutzt hätten. Die Leute hätten sich längst daran gewöhnt und würden vielleicht sogar noch eine primitive Art von Nervenkitzel erleben, wenn sie über Sie und Ihre Bücher sich austauschten. So wie jetzt aber, da glauben die, dass Sie etwas zu verbergen haben und verhängen ein Tabu über Sie. Und je wütender Sie dagegen anrennen, desto stärker wird dieses Tabu. Wie ertragreich hat im Gegensatz dazu der Kollege von Schirach seinen Namen auf dem Buchmarkt etabliert!

      Okay, entschuldigen Sie diesen zu lang gewordenen Beitrag, wünscht PHG

    5. „Ribbentrop“@PHG. Darauf muß ich eingehen, vor allem auf den Vorwurf, nicht Ihren, ich weiß, ich hätte etwas zu verbergen. Was denn?
      Den anderen Namen nahm ich – hier wurde die Geschichte schon einige Male erzählt – 1981 an, nachdem mich ein väterlicher Freund, dessen Eltern in Auschwitz ermordet worden sind, dazu aufforderte. Er hatte meinen Dolfingerroman gelesen, fand ihn gut, bemerkte indessen: „Mit deinem furchtbaren Namen wirst du in Deutschland niemals ein Buch veröffentlichen dürfen.“ Wohlgemerkt, 81, die 68er hatten die Macht übernommen.
      Nach sehr vielem Hin und Her, das mich mich nicht entschließen ließ – was hatte ich mit den Verbrechen Hitlers und seiner Schergen zu tun?-, kamen zu meinem Geburtstag die Freunde mit Visitenkarten und Briefpapier; darauf war „Alban Nikolai Herbst“ gedruckt. Dies nun nahm ich an. Und bekam auch tatsächlich meinen ersten Verlagsvertrag. Was die Feuilletons freilich nicht davon abhielt, immer mal wieder auf mein „apartes Pseudonym“ hinzuweisen, also daß es sich um einen Künstlernamen handelte. Den ich übrigens sofort in den Ausweis eintragen ließ. Ich verließ dann die Stadt, ging nach Frankfurtmain zum Studium und sozialisierte mich dort als ANH neu. Seither, in qusi allen meinen Büchern, spielen falsche Pässe, wechselnde Identitäten und vor allem verschleifende Identitäten eine Rolle.
      Offiziell nahm ich den Ribbentrop-Namen wieder an, gleichzeitig, siehe Kopf Der Dschungel, als mein Sohn geboren wurde. Ich hätte es für feige gehalten, und das wäre es auch gewesen, hätte ich ihn die Rufmorde aushalten lassen, mich selbst aber geduckt. Dies ist eine Frage der Ehre und der Vaterliebe zugleich.

      So in kürze die Geschichte. Daß nun die an mir verübte – seit Jahrzehnten verübte – Form der Sippenhaft faschistoid ist, muß nicht eigens gesagt werden. Soll gesagt aber s e i n. Die mich auf diese Weise mobben, wären die ersten gewesen, vor Hitler die Hand zum Gruß zu heben und die Hacken aneinanderzuknallen, während ich – wahrscheinlich, man kann es nicht sagen, wie ich geprägt gewesen wäre; aber der Ich von heute – im Widerstand gewesen wäre. Wie ich es seither bin, wenn auch nicht vergleichbar mit Menschen, die gegen ein mörderisches Regime kämpfen und dabei ihr Leben, meistens, verlieren. Ich werde ja nur deklassiert, und meine Dichtung wird mit den Hacken der verbalen Stiefel zertreten. Es wird Zeit, daß die Namen dieser Kapo-Charaktere g e n a n n t werden. Leute wie diese gehören bekämpft, weil sie beim nächsten Unheil, wenn es ihnen Vorteile bringt, sofort mitmachen werden. Ob sie nun „Heil Hitler!“ rufen oder die Internationale singen oder, wie zur Zeit en vogue, das Hohelied des Kapitalismus.

    6. Ich bin nicht der geeignete Mensch, Mut zuzusprechen. Aber da ich grade im Petrarca lese, ein Zitat:

      Selten geschieht’s, daß einem hohen Streben
      Fortuna kränkend nicht entgegentritt,
      die ungern kühnen Taten sich verbindet.

      Ich habe auch kein begründetes Urteil über Ihr Schaffen, dazu kenne ich zu wenig von Ihnen und das, was ich kenne – nicht gründlich genug. Nehmen Sie mir das nicht übel. Aber darum geht es auch nicht. Hier geht es einzig und allein um das Ethos. Und da ist es doch keine Frage, dass Sie sich korrekt und anständig verhalten. Und – was ich an den Trolls hier beobachten durfte – dass engstirnige und herzlose, egomanische kleine Versagerexistenzen es sich zur Aufgabe machen – weil ihnen jede eigene Aufgabe im Leben fehlt – sich an Ihnen als Blutsauger zu beweisen. Aber die beweisen im selben Zug auch nur, mit welchen Schwierigkeiten sie ihre Existenz vor sich selbst abschließen werden. Das sollen die ruhig lesen.
      Es ist schrecklich, was Menschen einander antun.

  2. Wandel Auffällig finde ich, dass Du in den 90ern ja noch nicht ignoriert & übergangen wurdest. Einladung zum Bachmann-Preislesen, Massimo-Stipendium, Bücher bei dtv und Rowohlt.
    Der Wind hat sich gedreht, ich nehme das auch wahr, nur noch Marktkonformes wird gefördert & publiziert (zumindest in den größeren und großen Verlagen und Feuilletons). Doch warum war es in den 90er Jahren noch anders? Der Nachwende-Kapitalismus hatte sich da ja schon massive Bahn gebrochen.
    Etwas hat sich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren gewandelt, geht man auch nur einen Schritt neben dem druchschnittsliterarischen Gleis, dann wird man aussortiert. Viele Lyriker können Dir ein Lied davon singen; und es ist ja auch bemerkenswert, dass gerade viele Lyriker Dir vorurteilsfrei begegnen, denn sie sind es, die fast zwingend (zwingend durch das Literatur-Betriebs-System) aussortiert werden und am Rande stehen.
    Aber die Frage bleibt: warum ist das so, seit gut einem Jahrzehnt?

    1. @Florian Voß. Es gab auch in und vor den Neunzigern massive Behinderung meiner Arbeit. Rowohl kam zustande über Delf Schmidt, der eine an Geistesfreiheit besondere Sonderstellung unter den deutschen Lektoren hat. Die Massimo kam zustande über einen Mann im Hessischen Ministerium, der meine Arbeit ausgesprochen schätzte – ihm ist letztlich auch mein Grimmelshausenpreis zu verdanken; er war selbst ein, allerdings höchst streitbarer, Außenseiter. Unterdessen ist er pensioniert.
      Tatsächlich setzte sich in den Neunzigern der Nachwende-Kapitalismus radikal durch, Die Entwicklung begann aber bereits mit Helmut Kohls Sabotage der Oberhoheit der Bundesbank; er hat sie zu einem Amt gemacht, das nach USA-Vorbild politischen Weisungen gehorcht; zuvor war sie eine quasi autarke Instanz, die vierte Gewalt zu den drei anderen Gewalten Legislative, Jurisprudent, Exekutive. Hiermit fing der Niedergang der sozialen Marktwirtschaft zugunsten einer Zweiklassengesellschaft, wiederum nach USA-Vorbild, an. Die Katastrophe war, daß sehr viele Altlinke geradezu spontan die Farbe änderten und Anhänger der USA wurden. Das hat auch viel mit ihrer musikalischen Prägung zu tun; die Sprache des Herzens, also die Musik, war längst englischsprachig geworden. Man sang „I love you“, nicht „Ich liebe dich“. Das wiederum prägte die Generation danach, die sich außerdem irgendwie absetzen wollte und das durch galoppierende Affirmation tat und tut.
      Unterm Strich begann in den Neunzigern sozial der Aufbruch in eine Konsens-Gesellschaft, der der Widerspruch zu einem Makel wurde. Im Rahmen dieser Entwicklung sind Künstler wie ich nicht gewollt. Denn die dienen nicht dem Markt. Und die, die ihm auch einmal nicht dienen wollten, es heute aber tun, sehen das als einen Angriff, zu recht, auf ihre Seriosität. Da sich darüber aber nur ungern diskutieren läßt, wählt man zur Aussonderung das erstbeste sich bietende Mittel: in meinem Fall meinen Namen. Jemand, der dann tatsächlich diffamiert ist, hat nicht mehr das Recht zu argumentieren. – Dieses ist die Dynamik, dkie vonstatten geht.

    2. Angst Letztendlich scheint es mir um ANGST zu gehen.
      Von einem Feuilletonisten wurde mir vor einiger Zeit folgendes gesteckt: würde ein Rezensent über Abseitiges schreiben, könne er sich irren, was die Marktfähigkeit des besprochenen Buches anbelangt; irre er sich mehrmals, wäre sein Ruf und somit Job in Gefahr. Also sei es für ihn förderlicher, das zu besprechen, was auch alle seine Kollegen besprechen – den Durchschnitt.
      Ebenso in den Verlagen: irrte man sich, wählte man auch nur zwei, dreimal das Unverkäufliche aus, schon wäre der Job perdu. Die Herren von McKinsey et al sitzen den Lektoren in den Nacken.

    3. @Florian Voß: Exakt. Und viele dort verstehen gar nichts von Literatur, geschweige von Dichtung, jedenfalls haben sie oft erschreckend wenig Bildung. Was auch eine Schuld des geistnivellierenden Schulsystems ist. Von daher ist die Chance objektiv groß, daß sie sich irren. Und sie irren sich auch dauernd, aber eben gemeinsam: alle zusammen. Und dann kommt Benn: „Klassiker werden g e m a c h t.“ Mittlerweile wird da, wo Macht ist und sich erhalten will, unisono so gespielt. (Deswegen ist das Netz für die Dichtung so wichtig: um wenigstens ein bißchen gegenzuhalten.)

      Man kann Ihr Beispiel erweitern. Die Kritik über ein erfolgreiches Buch (was nicht notwendig ein gutes ist, aber auch kein schlechtes sein muß) hat die Chance, auch im Ausland zitiert zu werden. Damit bekommt man dort Auftritte, Lehraufträge usw. Ist ein gut besprochenes Buch nicht erfolgreich, bleiben die aus. Bespricht man öfter gute Bücher, die nicht erfolgreich sind, verliert man auch im eigenen Land zunehmend an Gehör, das heißt: an Bedeutung. Deshalb orientiert sich das Feuilleton – indes gibt es immer wieder Ausnahmen – direkt am Markt; man bespricht das, was – auch über Erhebungen – den meisten Erfolg zu haben verspricht, und wird damit zum Lakaien und zur Lakaiin der Wirtschaftsinteressen.

    4. Dichtung Faszinierend auch, dass die meisten bekannten Rezensenten Lyrik gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Sie KENNEN diesen bedeutenden Teil der Literatur gar nicht mehr, geben das auch offen, teils sogar öffentlich, zu (wie z.B. Frau Radisch). Ist diesen Leuten auch in keiner Weise unangenehm.
      Vermutlich wird von diesen Ihre Prosa, lieber Alban, einfach der Poesie zugeschlagen. Willkommen bei den Dichtern.
      Denn der Name, das sagten Sie schon richtig, ist nichts als ein Vorwand. (Trotzdem natürlich oft auf den Messen & Festivals, in den Seitengängen, dieses leicht angegeilte Tuscheln bleibt: „Sieh mal, da, der Ribbentrop“ – und dann ein bedeutungsschwangerer Blick).

    5. Ich dachte es geht um den Namen, was ich peinlich genug finde dass man jemanden nach einem Namen beurteilt.
      Mich interessiert Lyrik auch, viele kenne ich die Gedichte von Paz lieben.

    6. Künstlerdomizil

      Wie frisch gebacknes Brot wächst meine Akte
      Beim Arbeitsamt, gegärt in der Kartei.
      Lass dich nicht demütigen, feiere mit
      Unter dem Bescheidsdach, mit Notstandsbrei.

      Nimm deine Eltern mit, um nicht allein zu sein
      Nimm auch den Regenschirm für jeden Fall.
      Der Herbst fällt vergoldet in die Löffel
      Es regnet mit Agenten, aus dem Baum.

      Ich gehe heut zu kalt aus den Vitrinen,
      Ich schaue nicht mehr rein, ich schimpfe kaum.
      Kanonenfleisch wurde ich: Wachs von Bienen,
      Ein Engel aus Wodka hab‘ ich im Aug‘.

      (mircea dinescu )

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