NACHTRÄGLICH EINGESTELLT: Sprachentfremdung als politische Dynamik. PP114, 22. Februar 2014: Sonnabend. Zweiter Tagungstag.

(Bruno Maderno, Composizione No. 1
6.15 Uhr)
Hoch um halb sechs, Espresso, Schwimmzeug gepackt. Dann dachte ich: Nein, ich brauche die Zeit für den Schreibtisch, der Sport darf auch nicht zwanghaft werden. Den ganzen Tag über, fast jedenfalls, werde ich >>>> auf dieser Tagung sein, und mit gemischten Gefühlen wie schon gestern abend, weil mir einiges derart konservativ vorkommt, daß, zumindest beim gestern letzten Vortrag, von „reaktionär“ gesprochen werden muß. Ja, ich teile die Bedenken, die eine Zerstörung unserer Sprache sehen, aber die Ursachen dem Netz und den neuen Medien zuzuschreiben, ist beinahe ganz falsch. Die Ursachen sind politischer Natur, die Entwicklung war lange schon vor dem Internet zu bemerken. Für ebenso falsch halte ich es, den neuen, sich besonders im Jugendlichenbereich entwickelnden Jargons die Möglichkeit abzusprechen, daß sie sich poetisieren können; was das U-Amerikanische anbelangt, das die deutsche Sprache, und nicht nur sie, mehr und mehr unterläuft, genügen dreivier Blicke in die Lyriken Monika Rincks, Sabine Schos und anderer, um die integrierende Stärke dieser Entwicklung zu begreifen, ob die Dynamik selbst einem nun recht ist oder nicht.
Hierüber wollte ich zumindest ein paar Gedanken aufschreiben und mit auch erst einmal machen, sie vielleicht sogar in meinen Vortrag zu ergänzen, den ich morgen nachmittag halten werde. Es wird völlig übersehen, und soll wohl übersehen werden, daß der Einfluß des US-Amerikanischen, und über zum Beispiel die Beatles bedingt auch des Englischen, schon lange vor den neuen Medien wurzelt, nämlich in europäischen „Amerika“-Legende als Ausdruck einer Sehnsucht nach Freiheit, vor allem aber in der Disqualifizierung der deutschen Sprache durch den bestialischen Hitler-Apparat und der Entfremdung deshalb, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wirkte, mit Recht wirkte; auch die Studentenerhebungen der späten 60er sind namentlich von den kulturellen Befreiungsbewegungen beeinflußt, die in den USA stattfanden; hier hatte die „eigene“ Kultur gar nichts Vergleichbares vorzuweisen, nichts wirklich Vergleichbares, das eben nicht doch auf die eine und/oder andere Weise dem Nationalismus und schließlich Nationalsozialismus zugespielt hat. Den jungen Leuten, wenn sie sich denn emanzipieren wollten, blieb gar nichts anderes übrig, als sich an den USA und den dortigen Widerstandsbewegungen zu orientieren. Also scheuten sie, bereits zu meiner Jungendzeit,“ich liebe dich“ zu sagen und sagten lieber und tatsächlich „I love you“; so war auch die Musik, die sie hörten. Daß dieses nun, im Einvernehmen mit der staatlichen Herrschaftspolitik der USA und dem stetig umfassenderen Kapitalismus, zu einer Stärkung eben dieser Herrschaftspolitik geführt hat, ist eine ziemlich bittere Dialektik, die aber ebenfalls auf keine Weise den neuen Medien anzulasten ist; ihr Sprachverhalten ist vielmehr eine Folge. Ich werde das morgen, vielleicht, falls es zu Diskussionen kommen sollte, auch schon heute, deutlich positionieren, auch, daß ich Artur Beckers, der gestern abend ausgezeichnet, aber mit einer Sehnsucht nach christlicher Transzendenz sprach, Gewißheit von einem „notwendigen Ende des Kapitalismus“ nicht teile. Eher denke ich das Gegenteil. Becker sprach, mit Koestler, Lessing und de Beauvoir, der Utopie als solcher die, wird sie real, Menschlichkeit ab. Darüber wäre auf ganz anderem Niveau zu diskutieren.
Jedenfalls. Hierüber muß ich nachsinnen. Sport wäre jetzt blindes Laufrad, zwar gut für die Beine, aber doch immer nur auf der Stelle, wie viel ich mich auch bewegte. Und ich empfinde die Zeit als sehr knapp, bis zur Übermorgens Frühe, wenn ich im Flieger sitzen muß und will. Möchte auch die gestern begonnene Erzählung Henry James‘ weiter- und zuendelesen, vielleicht noch heute morgen. Und feile weiter und weiter am vierzehnten >>>> Joyce, weil meine Übertragung des Gedichts noch nicht die mir vorschwebende Leichtigkeit und Schlichtheit hat, die ein Inniges verlangt. Die „Dinge“ entwickeln sich immer erst langsam, nach und nach, und aber nur dann, wenn schon die erste Vorlage, der „Rohling“, den richtigen Geruch hat, die richtige Schwingung, die richtige Strahlung. Auch über die XII, die ich heute vormittag einstellen möchte, bevor ich aufbreche, will ich noch mal schauen. Ich denk mal, gegen halb neun/neun wird sie drinstehen.

Und was trag ich in Paris? Mir ist nach der schweren Lederjacke, dazu eine schwarze Hose; vielleicht indes eine Anzughose besser, aber dann müßte ich getrennt ein Jackett mitnehmen, und ich will doch nur Handgepäck dabeihaben, um mir Wartezeiten zu ersparen, einfach hinüber- und wieder zurückspringen, dann aber läßt man mich vielleicht in >>>> Harrys Bar nicht rein, wo ich unbedingt, schrieb mir >>>> Ecker, einen Gimlet nehmen sollte. Zumal der Ort für Tonaufnahmen gut wäre, zur weiteren Schwingung des >>>> Hörstücks. Hm.

Über „Poetisierung des Internets“ schrieb mir gestern >>>> Innokentij Kreknin und schickte drei Collagen, die seine Arbeit bebildern. Das bizarr Interessante, ein aber zugleich nicht von der Hand zu Weisendes ist, daß die meine von manchen Literaturwissenschaftlern immer wieder im Umkreis der Popliteratur gesehen wird, was ich selbst selbstverständlich verwerfen, ja wogegen ich mich verwahren würde, sähe ich zugleich nicht ein, daß „irgendwie“ was dran ist. Ich kann nicht verhehlen, eine Art Vergnügen dabei zu empfinden, etwas Amüsantes, das einem Kitzel gleicht, dem man nicht entkommt. Dies eine freie Form der Ironie – um eine nächste Haltung zu bezeichnen, der ich als Gegner gegenüberstehe, der sie aber hat. Und eben auch das nicht ohne Genuß.

(Maderna, Composizione in tre tempi I.)</sub
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(Und nun will ich dies einstellen, aber erfahre – hab es völlig übersehen – , daß die letzte Sponsorzusage durch Twoday gestern abgelaufen ist; also kann ich nichts tun, außer, daß ich um eine nächste Verlängerung bitte. Hoffentlich geht das heute noch durch.
ANH, 7.27 Uhr.)
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(UNABGESCHLOSSSEN, nachträglich eingestellt am 3. März 2014.
ANH.)

3 thoughts on “NACHTRÄGLICH EINGESTELLT: Sprachentfremdung als politische Dynamik. PP114, 22. Februar 2014: Sonnabend. Zweiter Tagungstag.

  1. Sprachentfremdung Guten Tag Herr Herbst,

    Was verstehen sie unter

    „Zerstörung unserer Sprache“?

    sie fliesst und verändert sich als Teil der Gesamtheit aller Sprachen.

    Gruss,
    fanturmas

    1. @fanturmas. sie fliesst und verändert sich als Teil der Gesamtheit aller Sprachen.Ja, aber nicht ohne bewußte Einflußnahmen, also ungesteuert. Es gibt auch politische Absichten. Ich erinnere immer wieder an Donalds Rumsfelds Äußerung, er verstehe überhaupt nicht, wieso man auf der Welt noch etwas anders als Englisch, womit er US-amerikanisch meinte, sprechen könne.
      Im übrigen habe ich die Dynamik, die m.E. gegriffen hat, gut genug dargestellt, um Ihre Frage bereits beantwortet zu haben, auf die Sie freilich selbst eine längst feste, allerdings reichlich naive Antwort vorweggeben. Ich persönlich erlebe einen starken Enteignungsprozeß. Das hängt aber sicher damit zusammen, daß ich, anders als wahrscheinlich Sie, in keiner Weise über den Pop sozialisiert worden bin, sondern mich fern von ihm gehalten habe – nämlich von dem Auftreten von Menschen als Masse.

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