Obere Terrasse des Achterdecks.
9.22 Uhr, Kurs 285º W/NW.)
Die ganze Nacht über begleiteten uns, im Achterlicht sichtbar, Vögel. Auch wenn wir keines sahen, war das Land doch offenbar nahe. Als ich erwachte, war es diesig wieder, und ein scharfer, kühler Wind wehte von See ununterbrochen auf Land, noch als wir Walvis Bays Hafen erreichten, der eine langgestreckte Contanieranlage ist, aus Siedlungen von Containern besteht, teil fünffach übereinandergestapelten, labyrinthisch, Krananlage, Ölsilos. Wir mußten eine nur schmale, weit in den Atlantik hinausreichende Fahrtrinne nehmen. Flaches Land dahinter, so weit das Auge reicht, und, was ich zwei Stunden später, als ich bereits von Bord war, sehr schnell merkte: sofort die Wüste. Und eine junge wilde Robbe führte im Becken beim Kai ihren Wassertanz vor, um uns zu begrüßen:
Walvis Bay jedenfalls, der Ort, ist eine die Küste entlanggestreckte flache Siedlung von streng arithmetischer Anlage, die Straßen sind durchnummeriert, 14th Road, 5th Street, locker, sehr trocken, und trotz des noch am Hafen kalten Windes stand bereits um neun Uhr morgens prallend die Sonne vor Museum und Bibliothek, und man mußte den Schädel vor ihr schützen. Zwischenden Nummernstraßen ziehen sich ein paar Avenues entlang, die Heldennamen tragen: Theo ben Ghirab fiel mir auf, diese eigenwillige Mischung der Namensformen, Theo, Sohn des Girabs.
Selbstverständlich ist sie das, aber man merkt es nur an Kleinigkeiten der Technologie, jedenfalls an diesem, wie geschrieben, abermaligen Ruhetag.
Und nach Norden erstrecken sich, bis die Wüste, die als Klammer um den Ort liegt, wieder beginnt, kleine Häuser und Häuser, einstöckig, kein Slum, aber slumähnlich dadurch, daß kaum etwas der Verschönerung dient, eingezäunt Parzelle mehrerer Häuser für Parzelle mehrerer nächster Häuser, gegen den Sand, in rechteckigen Mengen, nicht Würfeln, Sandstraßen dazwischen, die, wenn der Regen kommt, verrschlammen werden. Aber er kommt selten, der Regen: Walvis Bay ist eine der niederschlagsärmsten Städte der Welt. „Stadt“ mag ich aber gar nicht sagen dazu, sondern es trifft „Zersiedslungsanlage“ den Sachverhalt besser, wenngleich zersiedelt auch nicht wird… ein wenig vielleicht die Küste, an der sich, bis nach Swakopmund, die touristischen Ressorts reihen. Auch sie aber machten einen fast unbelebten Eindruck gegenüber dem an die Wüste gischtenden Meer. Lange weite Strände, hin und wieder standen da Angler, und ich sah, das war am Nachmittag schon, ein paar wenige Kinder baden:
Noch geh ich durch die Stadt selbst, Walvis Bay, „schlendern“ zu sagen, wäre falsch, weil es nichts gibt, das zu flanieren verlohnte. Doch war es seelisch aufschlußreich, im Geist die Reise seit Mossel Bay nachzuvollziehen, die Kehre von der mächtigen Fruchtbarkeit Südafrikas, von der märchenhaften Lage Kapstadts in der vorgeschobenen Muschelhälfte der Drakensberge hier herum zur Einöde, zum Mangel von Wasser und dazu nachzuvollziehen, wie Menschen auch dieses besetzen und zu benutzen wissen. Zur Kolonialzeit war Walvis Bay einer der, von Europäern, meistumkämpften Orte des südlichen Afrikas alleine deshalb, weil es noch heute der einzige wirkliche H a f e n Namibias ist und als Stellung, damals, von militärstrategisch ganz besonderer Bedeutung. Auch das merkt man dem Ort noch an: als Brückenkopf besatzt – doch dieses viel weniger gegen andere Nationen, also gegen die Interessen anderer Menschen, als vielmehr gegen die Wüste selbst. Ich habe noch keinen Ort der Welt gesehen, der mir weniger natürlich vorgekommen wäre, eine gegen die Wüste realisierte „reine“ Rißbrettzeichnung, vollkommen, aber seelenlos, artifiziell. Wer an Oasen denkt, liegt falsch. Hier ist kein Raum für Legenden. Wilhelmshaven, allenfalls, fällt mir ein.
Für den Nachmittag war ich mit der Crew verabredet, für die in der Wüste eine Quad-Tour gebucht worden war: vierrädrige ein- bis zweisitzige Motorräder, die sehr breite, dem Sand angepaßte Reifen haben. Sam hatte gefragt, ob ich nicht mitkommen wolle, aber man müsse erst die Genehmigung einholen. Sie wurde erst verweigert. Versicherungstechnische Gründe, schon deshalb, weil Quadfahren als Risikosport gilt, es wohl auch sein kann. So hatte ich mir nachts den Exkursionsleiter persönlich zur Seite genommen und immerhin bewirkt, daß man mich im Bus mitnehmen werde; vor Ort allerdings müsse ich meinen Deal mit den Quad-Veranstaltern persönlich, für mich alleine, besiegeln. Das wollte ich wohl tun.
Als ich nun am Schiff zurückwar, hatte wiederum der namibische Verranstaltet ein no gut gesprochen, das abermals unterlaufen werden mußte. Ich war mir sicher, es würde gelingen, kostete auch bloß dreivier Sätze. Er sah mich an, nickte, okay, we‘ll give you the rite. Treffen um halb zwei, Viertel nach eins, sowas ungefähr. Mir blieben noch paar Stunden.
Also abermals kehrtgemacht, zurück zum Portal, mir einen Taxifahrer geschnappt, was er haben wolle für anderthalb Stunden Rundfahrt. Zeig mir, was du meinst, daß ich es sehen müsse. Das waren, zum Beispiel, die Flamingos, war aber auch eine der welthöchsten Dünen, ein paar Kilometer landeinwärts, Dune 7 genannt, vor der malerisch, Laurence of Arabia, der Güterzug dampfte rauchte spuckte, wie um der Kamera ein historisches Bild aus den arabischen Befreiungskämpfen zu bieten. Man kann sagen, der Zug habe im Fahren posiert.
Meine erste wirkliche Begegnung mit der Wüste.
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Dennoch. Ich sprang also mit in einen der kleinen zähen Busse, hinter mir auf der Rückbank hatten sich die schöne Pianistin und mein Freund Sam zu einem Paar gefunden; wann es geschah, das weiß ich nicht, doch neben einer ganz leichten Melancholie durchzog mich das mächtige Empfinden von Schönheit, und von Wahrheit, und von etwas, das so sein muß. So daß das Melancholische seinerseits sehr schön wurde, wie ein Geschmack von Süße, den die Augen wahrnehmen können, und wie Süße auf unseren Zungen wird, nur daß man sie eben sah und nicht schmeckte. Explore the desert:
Aber die Kamele gehören dort hin, die außen neben den Quad-Hangars am Boden lagen
Indessen nun die anderen, neununddreißig insgesamt, zum Hangar abzogen, sich behelmen ließen – unter die Helme werden dünne weiße Tafthauben über die Köpfe gezogen –, ihre Gefährte zugewiesen und eine kurze Einführung bekamen, bevor sie dann in krawallender Gänsefahrt in die Wüste zogen, hatte ich meinen Biglietto für den Ausritt erstanden. Mir voraus ritt ein schmaler dunkler Mann, der mir, bevor ich aufsaß, beide Kamele, seines und das nun meine, mit Namen vorstellte, mir zeigte, wie das Tier zu lenken usw., schon hatte ich auf der Art Sattel Platz genommen, die nicht direkt dem Tier aufliegt, sondern ein doppelter, über den Polstern gerüstartiger Aufbau überm Höcker ist – es waren Dormedare -; der hintere dient als Sitz, und es ging, zuerst mit den HInterbeinen, in die Höhe, schwankte enorm, ich stemmte mich in die Steigbügel, beobachtet dann, wie mein Führer jede Bewegung in seinem Körper vorausnahm, versuchte es meinerseits. Es wäre gut gewesen, eine Tasche dabeizuhaben; so mußte ich ständig auf Portomonnaie, Ifönchen, meine eCigarillos undsoweiter achten, was besonders dann schwierig wurde, als wir zu traben begannen: über die Dünben dahin, in die Senken, wieder hinauf, man denkt, wir gehen in die Knie, aber können uns auf den federnden Tritt des Tieres verlassen, müssen nur Vertrauen gewinnen:
Die Klänge aber des Windes! Und wie sah, jede Verwehung, Meeresböden gleich – ich weiß, schon Hunderte vor mir haben das beschrieben. Wellen, Wogen, aber solche nicht aus Wasser, sondern aus quasi-geologischer Zeit. Tiefer hinein, dachte ich, tiefer, noch tiefer. Doch mußten bereits wenden, wollten wir rechtzeitig zurück sein. Mein Führer ließ es sich nicht nehmen, von mir Bilder zu machen, und ich, eitel vor Glück, ließ es ihn tun.
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(22. April, 11.45 Uhr.
Achterdeck ff.)
Es war mir nicht leicht, Afrika schon wieder zu verlassen. Es war mir schwer.
Einmal, im Dunklen, ging ich noch hinaus, um nach der Küste, ihren letzten Lichtern, zu sehen. Hielt es nicht lange aus. Nahm meinen Whisky mit auf die Kabine, nachdem ich noch ein wenig der schönen Pianistin und der Geigerin zugehört hatte; nein, um zehn, nachdem ich weiter in Henry James‘ grandiosen Erzählungen gelesen hatte, eigentlich schon ziemlich betrunken war, bin ich doch noch mal hinaus, aber nur in den Captain‘s Club zum letzten, dieses Tages, Vorspiel des Duos, nicht, weil mir wirklich danach gewesen wäre, sondern weil ich mochte, daß sie merkten, es komme mir auf die Musik an, nicht auf eine eigentlich andere, sagen wir, Absicht hinter.meinem Interesse; dann doch noch mal an Deck, kein Afrika mehr, wieder unter Deck, kein Afrika mehr, einen Film angucken: schön, wie er musikalische Entwicklung – zu wissen, was sie ist, die Musik – an das sexuelle Erwachen geknüpft hat, auch wenn der deutsche Filmtitel mal wieder völlig idiotisch war: „Süßes Verlangen“. Man sollte diese Titler kastrieren. – Ach, ich war es zufrieden, war müde, betrunken, aber so, daß man schweifend immerzu denkt, und daß ich heute morgen erwachte und nichts als Grau sah, bedeckten Himmel mal wieder, kein Vorschein von Sonne, schon gar nicht, daß wir uns dem Äquator wieder nähern, machte mir kaum etwas aus. „Reichtum“, dachte ich. Rechts unter mir wird ein Barbecue bereitet, ich sollte aber Sport machen, doch da war so ein Chat mit der Löwin in Skype, der in mir gnadenlos erregend rumort. Und daß gestern genau die Hälfte der Reise vorüber… erst die Hälfte, könnten Sie sagen, aber die Erfahrung lehrt, daß mit zunehmendem Alter die Tage immer kürzer werden. So ist es mit Entfernungen auch. Und das Frappierendste auf dieser Reise ist mir der Eindruck nicht, wie groß die Welt sei, sondern: wie k l e i n. Schon jetzt bin ich ein Viertel um sie rum, und nicht auf grader Linie:
John ist zurück, der in Duban das Schiff verließ, um dort eine Nacht zuzubringen, dann zu Freunden nach Johannesburg weiterzureisen – oder zu „Geschäften“, wie meine Fantasie erzählt – , von wo aus er dann das Flugzeug nach Walvis Bay genommen, um zu uns an Bord zurückzugelangen; es habe alles, für afrikanische Verhältnisse, geradezu elegant geklappt, erzählt er. Und dem, was ich mir für Gregor Lanmeister vorgestellt habe und weiterhin vorstelle, am nächsten kommt unser „Clochard“, der das Schiff tatsächlich niemals verläßt, nicht für einen einzigen Landgang, sondern immer in einer seiner Ecken sitzt und Kreuzworträtsel löst:
Barbecue. Hamburgers. Vielleicht sollte ich davon versuchen. Für unsere Prinzipien gilt dasselbe wie für Regeln (regulations) und Gesetze: Wir brauchen sie, aber auch, sie zu übertreten – nicht nur, das zu können, sondern auch, es zu t u n. Verlieren wir diese Fähigkeit und ihren Willen, haben wir auch das Leben verloren: seine Freiheit. (Sowieso hab ich noch gar nichts gefrühstückt).
Schreiben und Meer.
(Negroni, wenn keine Sonne scheint; scheint sie, dann Campari Soda, bevor ich später zum Whisky übergehe.)
Als ich es wieder einmal aufgab, hinaus, mit Henry James‘s Erzählungen, die mich sprachlos machen vor Feinheit und Genauigkeit und Hinterhältigkeit. Welch ein Meister, der uns bis ganz zuletzt in der Ambivalenz hält: „Die Lehre des Meisters“, worin der Konkurrenzkampf eines alten Dichters mit einem jungen um eine schöne Frau, viel zu jung für den Alten, erzählt wird, den der Alte gewinnt, aber, so kann man meinen, indem er den Jungen mit Wahrheit austrickst oder vielleicht gar nicht austrickst, sondern ihm wirklich den richtigen Rat gibt. Es bleibt rein an uns zu entscheiden, was wir schließlich glauben. In jederlei mögliche Richtung sind Spuren gelegt, die alle zu wahren Antworten führen, solchen indes, die sich in ihrer Richtung völlig widersprechen. Und James erzählt das in einer so ausgehorchten Sprache, daß schließlich selbst das Ironische wie ein Schicksal daherkommt, das alles andre als ironisch ist:<BR
Zur „Verspätung“. Seit gestern nachmittag versucht, diesen Text einzustellen; abends noch mal ergänzt, abermals versucht; erst nach Stunden, heute, jetzt eben, ist es mir gelungen. Auch in meine Email-Accounts komme ich hier auf dem hohen Atlantik zur Zeit nicht hinein oder nur, wenn ich Glück habe. Die Satellitenverbindung ist extrem brüchig, zugleich wahnsinnig teuer. ‚tschuldigung, wenn ich deshalb nicht wie gewohnt pünktlich sein kann. Es nervt mich selbst am allermeisten.
(Besonders, die Bilder hochzuladen, braucht mitunter Stunden. Den nächsten Text bekommen Sie dann morgen, momentan bin ich zu genervt.)