S a n d  ODER  Am Rande der Namib. Einundzwanzigste Tag der Großen Fahrt, Ostermontag nämlich, erzählt am zweiundzwanzigsten, bereits erneut auf See. PP154, 22. April 2014: Die Hälfte.



(MS Astor, 21º55‘ S/11º44‘ O.
Obere Terrasse des Achterdecks.
9.22 Uhr, Kurs 285º W/NW.)

Die ganze Nacht über begleiteten uns, im Achterlicht sichtbar, Vögel. Auch wenn wir keines sahen, war das Land doch offenbar nahe. Als ich erwachte, war es diesig wieder, und ein scharfer, kühler Wind wehte von See ununterbrochen auf Land, noch als wir Walvis Bays Hafen erreichten, der eine langgestreckte Contanieranlage ist, aus Siedlungen von Containern besteht, teil fünffach übereinandergestapelten, labyrinthisch, Krananlage, Ölsilos. Wir mußten eine nur schmale, weit in den Atlantik hinausreichende Fahrtrinne nehmen. Flaches Land dahinter, so weit das Auge reicht, und, was ich zwei Stunden später, als ich bereits von Bord war, sehr schnell merkte: sofort die Wüste. Und eine junge wilde Robbe führte im Becken beim Kai ihren Wassertanz vor, um uns zu begrüßen:


Wieder hatten wir einen Feiertag, wiederum waren „bank holidays“, so daß es schwierig wurde, Geld einzutauschen; auch in den Supermärkten ging das nicht oder nur gegen horrende Tauschraten, die dort mit einem zusätzlichen Konsumzwang verbunden werden, dessen Ausgabe mindestens in Höhe von zehn Prozent der Summe sein soll, die umzutauschen man beabsichtigt. Ich nahm ziemlich sofort davon Abstand, dachte, es werde auch mit australischen Dollars gehen. Aber die werden nicht gern genommen. Nahezu überall akzeptiert sind der US-$ und – der Euro. Dieses hat mich auf unserer Reise immer wieder überrascht.
Walvis Bay jedenfalls, der Ort, ist eine die Küste entlanggestreckte flache Siedlung von streng arithmetischer Anlage, die Straßen sind durchnummeriert, 14th Road, 5th Street, locker, sehr trocken, und trotz des noch am Hafen kalten Windes stand bereits um neun Uhr morgens prallend die Sonne vor Museum und Bibliothek, und man mußte den Schädel vor ihr schützen. Zwischenden Nummernstraßen ziehen sich ein paar Avenues entlang, die Heldennamen tragen: Theo ben Ghirab fiel mir auf, diese eigenwillige Mischung der Namensformen, Theo, Sohn des Girabs.

Namibia hat eine, höchst ungute, deutsche Geschichte. Ob ich das German Village sehen wolle, fragte mich mein Taxifahrer, den ich nach dem ersten Rundgang angeheuert hatte, mir die Gegend zu zeigen: zu weitläufig, um zu Fuß zu gehen, oft auch einfach zu öde, vor allem, so mein Empfinden: zu puritanisch, Kirche an Kirche, sogar eine russische gab es:


Ich war überhaupt der erste Passagier an Land. Vereinzelt saßen oder gingen in ihrem typischen schlaksigen Gang, der immer etwas Müdes hat, Schwarze, wirklich nur snbsp;e h r vereinzelt, alles war auf Ruhe gestimmt, die wenigen Weißen, die sich sehen ließen, fuhren Auto. Ob ich das German Village sehen wolle? Nein, antwortete ich Nokumo, nein, ich selbst sei Deutscher, und die Deutschen hätten in Namibia ein furchtbares Massaker veranstaltet. „Lieber die Wüste“, sagte ich. Der gesamte Ort „atmet“ nach wie vor etwas unangenehm Koloniales, etwa dadurch, daß sich nach Süden hin Villen um Villen ziehen, direkt an der Meerespomenade mit Blick auf die Tausenden Flamingos, die dort stolzieren:

Nördlich schließt sich das, sagen wir, Industriegebiet an, zwischen dem und den infrastrukturellen Gebäuden – Tankstellen, dem Magristrat und dem Museum, den Supermärkten, Einzelläden und Game- und Gamblerbuden zuhauf – die Eisenbahnlinie verläuft; einsam, als einziger Personenzug, stand und wartete den ganzen Tag noch der alte leere „Dune Express“:


Unweit aber toste unter wüstem schwarzen Dieselrauch eine Rangierlok, brachte am unabgesperrten, durch nichts außer einer Warntafel, die abher nach einer Werbung aussieht, gesicherten Fahrtübergang den Verkehr zum Erliegen. Später sah ich den Güterzug durch die Wüste fahren, und es sah wie in einer Filmszene von „Laurence of Arabia“ aus: als wäre Zeit hier niemals vergangen.
Selbstverständlich ist sie das, aber man merkt es nur an Kleinigkeiten der Technologie, jedenfalls an diesem, wie geschrieben, abermaligen Ruhetag.
Und nach Norden erstrecken sich, bis die Wüste, die als Klammer um den Ort liegt, wieder beginnt, kleine Häuser und Häuser, einstöckig, kein Slum, aber slumähnlich dadurch, daß kaum etwas der Verschönerung dient, eingezäunt Parzelle mehrerer Häuser für Parzelle mehrerer nächster Häuser, gegen den Sand, in rechteckigen Mengen, nicht Würfeln, Sandstraßen dazwischen, die, wenn der Regen kommt, verrschlammen werden. Aber er kommt selten, der Regen: Walvis Bay ist eine der niederschlagsärmsten Städte der Welt. „Stadt“ mag ich aber gar nicht sagen dazu, sondern es trifft „Zersiedslungsanlage“ den Sachverhalt besser, wenngleich zersiedelt auch nicht wird… ein wenig vielleicht die Küste, an der sich, bis nach Swakopmund, die touristischen Ressorts reihen. Auch sie aber machten einen fast unbelebten Eindruck gegenüber dem an die Wüste gischtenden Meer. Lange weite Strände, hin und wieder standen da Angler, und ich sah, das war am Nachmittag schon, ein paar wenige Kinder baden:


Zwischen diesen auch nur sehr skeptisch den touristischen Valuten entgegendämmernden Ressorts und der Wüste läuft der gut ausgebaute und durchaus belebte Highway. Das sah ich aber nachmittags erst.
Noch geh ich durch die Stadt selbst, Walvis Bay, „schlendern“ zu sagen, wäre falsch, weil es nichts gibt, das zu flanieren verlohnte. Doch war es seelisch aufschlußreich, im Geist die Reise seit Mossel Bay nachzuvollziehen, die Kehre von der mächtigen Fruchtbarkeit Südafrikas, von der märchenhaften Lage Kapstadts in der vorgeschobenen Muschelhälfte der Drakensberge hier herum zur Einöde, zum Mangel von Wasser und dazu nachzuvollziehen, wie Menschen auch dieses besetzen und zu benutzen wissen. Zur Kolonialzeit war Walvis Bay einer der, von Europäern, meistumkämpften Orte des südlichen Afrikas alleine deshalb, weil es noch heute der einzige wirkliche H a f e n Namibias ist und als Stellung, damals, von militärstrategisch ganz besonderer Bedeutung. Auch das merkt man dem Ort noch an: als Brückenkopf besatzt – doch dieses viel weniger gegen andere Nationen, also gegen die Interessen anderer Menschen, als vielmehr gegen die Wüste selbst. Ich habe noch keinen Ort der Welt gesehen, der mir weniger natürlich vorgekommen wäre, eine gegen die Wüste realisierte „reine“ Rißbrettzeichnung, vollkommen, aber seelenlos, artifiziell. Wer an Oasen denkt, liegt falsch. Hier ist kein Raum für Legenden. Wilhelmshaven, allenfalls, fällt mir ein.

So ging ich sehr bald zum Schiff zurück, über die Geleise, vorher am wie verwaisten Personenbahnhof entlang; das belebteste waren die Containertürme:


Containerkasernen sind es, zwischen denen schwere Laster operieren und mächtige fahrbahre Kräne.
***

Als ich am Haupteingang zum Hafen zurückwar, der ringsum von Mauern und Lattenzäunen geschützt wird, hatten Nippeshändler dort ihre Waren ausgebreitet, auf festen blauen Ölzeugsplanen: afrikanisches Schnitzwerk, das ganz das gleiche wie in Kapstadt, wie überall auf der Welt, teils in China hergestellt für den Bedarf des Afrikatouristen, ganz weniges wirklich von Hand gefertigt, wonach ich immer schaue. Auch diesmal wurde ich fündig, handelte, handelte.
Für den Nachmittag war ich mit der Crew verabredet, für die in der Wüste eine Quad-Tour gebucht worden war: vierrädrige ein- bis zweisitzige Motorräder, die sehr breite, dem Sand angepaßte Reifen haben. Sam hatte gefragt, ob ich nicht mitkommen wolle, aber man müsse erst die Genehmigung einholen. Sie wurde erst verweigert. Versicherungstechnische Gründe, schon deshalb, weil Quadfahren als Risikosport gilt, es wohl auch sein kann. So hatte ich mir nachts den Exkursionsleiter persönlich zur Seite genommen und immerhin bewirkt, daß man mich im Bus mitnehmen werde; vor Ort allerdings müsse ich meinen Deal mit den Quad-Veranstaltern persönlich, für mich alleine, besiegeln. Das wollte ich wohl tun.
Als ich nun am Schiff zurückwar, hatte wiederum der namibische Verranstaltet ein no gut gesprochen, das abermals unterlaufen werden mußte. Ich war mir sicher, es würde gelingen, kostete auch bloß dreivier Sätze. Er sah mich an, nickte, okay, we‘ll give you the rite. Treffen um halb zwei, Viertel nach eins, sowas ungefähr. Mir blieben noch paar Stunden.
Also abermals kehrtgemacht, zurück zum Portal, mir einen Taxifahrer geschnappt, was er haben wolle für anderthalb Stunden Rundfahrt. Zeig mir, was du meinst, daß ich es sehen müsse. Das waren, zum Beispiel, die Flamingos, war aber auch eine der welthöchsten Dünen, ein paar Kilometer landeinwärts, Dune 7 genannt, vor der malerisch, Laurence of Arabia, der Güterzug dampfte rauchte spuckte, wie um der Kamera ein historisches Bild aus den arabischen Befreiungskämpfen zu bieten. Man kann sagen, der Zug habe im Fahren posiert.
Meine erste wirkliche Begegnung mit der Wüste.

Dune 7 ist an die dreihundert Meter hoch und zieht sich wie ein scheinbar erstarrter Zunami weit dahin: man kann sie ersteigen. Drunten provisorische Anlagen zur Touristenbewirtung. Es war voll, als wir ankamen, unter anderem stand die Hälfe der Astor-Passagiere herum und fotografierte. Zu viele Menschen, wenn ich etwas sehen möchte, nehmen mir immer die Lust daran, man sieht ja nicht mehr, um was es geht, sondern die Menschen, die es auch nicht sehen. Also blieben wir nicht lange, Nokumo und ich, aber ich steckte meine Hand in den Sand, entsann mich sofort, unbeabsichtigt, eines weiteren Films, nämlich Ridley Scotts Gladiators, der vor jeder Schlacht, in die er zieht, Erde vom Boden in die Hand nimmt und zwischen seinen Fingern hindurchrinnen läßt: zu wissen, aus was man ist und f ü r was. Die Erde als Gebet.

Ich hatte zu wenig getrunken für die Hitze, viel zu wenig, mochte aber nicht trinken, weil El ‘Aurence wieder da war, als Sharif ihm die, ich glaube: lederne, Wasserflasche reicht, und er, O‘Toole, den Araber fragt „Und du?“, der dann antwortet „ich muß noch nicht trinken“, worauf El ‘Aurence nun erwidert: „Dann muß auch ich es nicht.“ Ich verehre diesen Film so sehr, weil ich keinen zweiten kenne, der auf nur annähernd poetische Weise von Willenskraft erzählt. Und sie in ihrem Tiefsten so erfaßt. (Zuvor, im Casino, nach der Kerzennummer, fragt ihn jemand, was der Trick daran sei. El ‘Aurence: „Daß es keiner ist.“ Lawrence hat in Arabien gesucht, was Munthe auf Capri zu finden hoffte und einige Zeit lang auch fand: Unverstelltheit. Und soeben erst begreife ich, daß sie Zeitgenossen waren.)

*****

Als ich der Löwin während einer unserer verbindungstechnisch oft problematischen Skype-Gespräche (Facetime funktioniert g a r nicht über Staellit) von meinem Quad-Vorhaben erzählt, hatte sie ziemlich lakonisch erwidert: „Das wird aber ziemlich laut werden.“ Was ich auch wußte, aber in kauf nehmen wollte, weil mir auch dies, Wüsten zum Rummelplatz zu machen, wie eine menschliche, wohl auch menschengemäße Besiedlungsstrategie vorkommt, deren in schlechtem, weil nicht erotischem Sinn perverser Reiz darin besteht, schlichtweg durch Leugnung – und Selbstermächtigung qua Training und Technologie – die Gefahren zu bannen, die ganz objektiv, und für die allermeisten hier lebenden Menschen, bestehen. Wir springen einfach über sie hinweg und nehmen sie als einen Jux, den man sich macht, auch und gerade dann, wenn das zugleich existierende Elend so offensichtlich ist, und der ständige Überlebenskampf. Es steckt eine enorme Kraft in dieser Haltung, auch wenn sie moralisch höchst zweifelhaft ist. Jedenfalls wollte ich mitmachen, Teil des Rausches sein, der nur im oberflächlichen Teil einer der Geschwindigkeiten ist. Grundtrieb ist Überhebung. So stoßen wir, oder haben es getan, oder werden es wieder tun, ins lebensfeindlichste All vor. Daß wir den Mars besiedeln werden eines Tages, daran besteht nicht der geringste Zweifel; es muß nur erst die Notwendigkeit groß genug sein.
Dennoch. Ich sprang also mit in einen der kleinen zähen Busse, hinter mir auf der Rückbank hatten sich die schöne Pianistin und mein Freund Sam zu einem Paar gefunden; wann es geschah, das weiß ich nicht, doch neben einer ganz leichten Melancholie durchzog mich das mächtige Empfinden von Schönheit, und von Wahrheit, und von etwas, das so sein muß. So daß das Melancholische seinerseits sehr schön wurde, wie ein Geschmack von Süße, den die Augen wahrnehmen können, und wie Süße auf unseren Zungen wird, nur daß man sie eben sah und nicht schmeckte. Explore the desert:


Und wie brausten dahin, immer am Meer lang, das links von uns lag, die Ressorts passierend, dann wieder Hüttensiedlungen passierend, rechts die weite flache gelbe, nur am Fahrbahnrand von fleckigem Grün durchsetzte Wüste. Es ging nach Swakopmund, aber nicht hinein, sondern vor der südlichden Einfahrt, gegenüber einer Touristensiedlung, liegt rechts zur Wüste hin ein abgegrenztes Areal, Büro mit kolonialer, ziemlich großer Sitzgruppe, vierzig Leute haben da vor den beiden Fernsehbildschirmen Platz, hinter einer ums Eck geführten Theke wird gebucht, dann eine kioskähnliche Bar hinter Querbänken unter einer seitlich glasgeschützten, oben überdachten und von zwei lebhaften Aras unterhaltenen sandbodenen Terrasse, wobei die Papageien in die Namibia nicht wirklich gehören, nicht einmal auf diesen Kontinent.
Aber die Kamele gehören dort hin, die außen neben den Quad-Hangars am Boden lagen

So entschied ich mich spontan um, war der einzige. Nicht mit den Motorrädern in die Wüste fahren, nein: Was kostet eine Stunde Ausritt? Lawrence hat mich bis in die Tiefen geprägt, es wird Zeit, daß ich sein Buch, Die sieben Säulen der Weisheit, endlich vollständig lese, und bedaure es ein wenig, es nun nicht mit dabeizuhaben. Es wäre vielleicht ein wiedernächstes Hörstück, das sich darüber schreiben ließe. Aber nein, Leans Film ist zu nah –
Indessen nun die anderen, neununddreißig insgesamt, zum Hangar abzogen, sich behelmen ließen – unter die Helme werden dünne weiße Tafthauben über die Köpfe gezogen –, ihre Gefährte zugewiesen und eine kurze Einführung bekamen, bevor sie dann in krawallender Gänsefahrt in die Wüste zogen, hatte ich meinen Biglietto für den Ausritt erstanden. Mir voraus ritt ein schmaler dunkler Mann, der mir, bevor ich aufsaß, beide Kamele, seines und das nun meine, mit Namen vorstellte, mir zeigte, wie das Tier zu lenken usw., schon hatte ich auf der Art Sattel Platz genommen, die nicht direkt dem Tier aufliegt, sondern ein doppelter, über den Polstern gerüstartiger Aufbau überm Höcker ist – es waren Dormedare -; der hintere dient als Sitz, und es ging, zuerst mit den HInterbeinen, in die Höhe, schwankte enorm, ich stemmte mich in die Steigbügel, beobachtet dann, wie mein Führer jede Bewegung in seinem Körper vorausnahm, versuchte es meinerseits. Es wäre gut gewesen, eine Tasche dabeizuhaben; so mußte ich ständig auf Portomonnaie, Ifönchen, meine eCigarillos undsoweiter achten, was besonders dann schwierig wurde, als wir zu traben begannen: über die Dünben dahin, in die Senken, wieder hinauf, man denkt, wir gehen in die Knie, aber können uns auf den federnden Tritt des Tieres verlassen, müssen nur Vertrauen gewinnen:


„Wenn du willst, reiten wir schnell“, sagte mein Führer und gab auch schon mit Schnalzlauten Zeichen und mit der Gerte, einer rohen selbstgeschnittenen; auch ich hatte eine, und sie lag gut in der Hand: vertraut, wenn auch ganz woanders her. Doch es war eine Nähe. Man schlägt, um zu weisen, es geht nicht um zuzufügenden Schmerz. Hochgradig erotisch, dieser Ritt, und scharf der Wind. Ich hatte unterschätzt, wie kalt es werden kann. Das machte aber nichts. Ich bin nicht aus Zucker und auch nicht aus Sand wie die Wüste, bin keine Düne, die zerwehen kann.
Die Klänge aber des Windes! Und wie sah, jede Verwehung, Meeresböden gleich – ich weiß, schon Hunderte vor mir haben das beschrieben. Wellen, Wogen, aber solche nicht aus Wasser, sondern aus quasi-geologischer Zeit. Tiefer hinein, dachte ich, tiefer, noch tiefer. Doch mußten bereits wenden, wollten wir rechtzeitig zurück sein. Mein Führer ließ es sich nicht nehmen, von mir Bilder zu machen, und ich, eitel vor Glück, ließ es ihn tun.


*******

Und nun sind wir wieder auf See:

(22. April, 11.45 Uhr.
Achterdeck ff.)

Es war mir nicht leicht, Afrika schon wieder zu verlassen. Es war mir schwer.
Einmal, im Dunklen, ging ich noch hinaus, um nach der Küste, ihren letzten Lichtern, zu sehen. Hielt es nicht lange aus. Nahm meinen Whisky mit auf die Kabine, nachdem ich noch ein wenig der schönen Pianistin und der Geigerin zugehört hatte; nein, um zehn, nachdem ich weiter in Henry James‘ grandiosen Erzählungen gelesen hatte, eigentlich schon ziemlich betrunken war, bin ich doch noch mal hinaus, aber nur in den Captain‘s Club zum letzten, dieses Tages, Vorspiel des Duos, nicht, weil mir wirklich danach gewesen wäre, sondern weil ich mochte, daß sie merkten, es komme mir auf die Musik an, nicht auf eine eigentlich andere, sagen wir, Absicht hinter.meinem Interesse; dann doch noch mal an Deck, kein Afrika mehr, wieder unter Deck, kein Afrika mehr, einen Film angucken: schön, wie er musikalische Entwicklung – zu wissen, was sie ist, die Musik – an das sexuelle Erwachen geknüpft hat, auch wenn der deutsche Filmtitel mal wieder völlig idiotisch war: „Süßes Verlangen“. Man sollte diese Titler kastrieren. – Ach, ich war es zufrieden, war müde, betrunken, aber so, daß man schweifend immerzu denkt, und daß ich heute morgen erwachte und nichts als Grau sah, bedeckten Himmel mal wieder, kein Vorschein von Sonne, schon gar nicht, daß wir uns dem Äquator wieder nähern, machte mir kaum etwas aus. „Reichtum“, dachte ich. Rechts unter mir wird ein Barbecue bereitet, ich sollte aber Sport machen, doch da war so ein Chat mit der Löwin in Skype, der in mir gnadenlos erregend rumort. Und daß gestern genau die Hälfte der Reise vorüber… erst die Hälfte, könnten Sie sagen, aber die Erfahrung lehrt, daß mit zunehmendem Alter die Tage immer kürzer werden. So ist es mit Entfernungen auch. Und das Frappierendste auf dieser Reise ist mir der Eindruck nicht, wie groß die Welt sei, sondern: wie k l e i n. Schon jetzt bin ich ein Viertel um sie rum, und nicht auf grader Linie:



John ist zurück, der in Duban das Schiff verließ, um dort eine Nacht zuzubringen, dann zu Freunden nach Johannesburg weiterzureisen – oder zu „Geschäften“, wie meine Fantasie erzählt – , von wo aus er dann das Flugzeug nach Walvis Bay genommen, um zu uns an Bord zurückzugelangen; es habe alles, für afrikanische Verhältnisse, geradezu elegant geklappt, erzählt er. Und dem, was ich mir für Gregor Lanmeister vorgestellt habe und weiterhin vorstelle, am nächsten kommt unser „Clochard“, der das Schiff tatsächlich niemals verläßt, nicht für einen einzigen Landgang, sondern immer in einer seiner Ecken sitzt und Kreuzworträtsel löst:


Die würde Lanmeister selbstverständlich n i c h t lösen wollen, sondern der – denkt nur und denkt. Wir können gar nicht sagen, ob auch Erinnerungen darin sind. Auch bekäme er ganz sicher nicht allabendlich eine Flasche Wein hingestellt, der irgend jemand an Bord unterdessen ein Kleid gestrickt hat, das wie ein Präservativ über sie gezogen wird, über die „Lady Astor“, wie diese allabendliche Flasche unterdessen benamst ist.
Barbecue. Hamburgers. Vielleicht sollte ich davon versuchen. Für unsere Prinzipien gilt dasselbe wie für Regeln (regulations) und Gesetze: Wir brauchen sie, aber auch, sie zu übertreten – nicht nur, das zu können, sondern auch, es zu t u n. Verlieren wir diese Fähigkeit und ihren Willen, haben wir auch das Leben verloren: seine Freiheit. (Sowieso hab ich noch gar nichts gefrühstückt).

Schreiben und Meer.


(18.37 Uhr.)

Mich rasiert, geduscht, gekleidet, die Krawatte gebunden, dann an meinem Steh- und Nachsinnplatz mit diesem Blick den Abendcigarillo geraucht und dazu als ersten Abenddrink einen Negroni getrunken:

(Negroni, wenn keine Sonne scheint; scheint sie, dann Campari Soda, bevor ich später zum Whisky übergehe.)

Die meisten anderen sind nun zum Dinner gegangen, das ich heute ausfallen lassen werde, zum einen, weil ich nicht im Training war, zum anderen, weil ich nachmittags auch noch von den Süßigkeiten des afternoon teas nahm. Ich will die vergleichsweise Leere nun nutzen, um vielleicht doch noch diesen Beitrag in Die Dschungel zu bekommen, was über den Tag bisher völlig unmöglich war. Ich >>>> schrieb es Ihnen ja, bekam aber auch diese doch nur kurze Mitteilung weder in Twitter noch gar Facebook hinein und auch keinen Zugriff auf meine Emails. Man sitzt dann fast stundenlang da un probiert und probiert, und die fürs Internet gekaufte Zeit tickt und trickt, und aber nichts gelingt.
Als ich es wieder einmal aufgab, hinaus, mit Henry James‘s Erzählungen, die mich sprachlos machen vor Feinheit und Genauigkeit und Hinterhältigkeit. Welch ein Meister, der uns bis ganz zuletzt in der Ambivalenz hält: „Die Lehre des Meisters“, worin der Konkurrenzkampf eines alten Dichters mit einem jungen um eine schöne Frau, viel zu jung für den Alten, erzählt wird, den der Alte gewinnt, aber, so kann man meinen, indem er den Jungen mit Wahrheit austrickst oder vielleicht gar nicht austrickst, sondern ihm wirklich den richtigen Rat gibt. Es bleibt rein an uns zu entscheiden, was wir schließlich glauben. In jederlei mögliche Richtung sind Spuren gelegt, die alle zu wahren Antworten führen, solchen indes, die sich in ihrer Richtung völlig widersprechen. Und James erzählt das in einer so ausgehorchten Sprache, daß schließlich selbst das Ironische wie ein Schicksal daherkommt, das alles andre als ironisch ist:<BR„Wenn Sie kein Ziel haben, nicht durchhalten wollen, dann ist das Ihr gutes Recht; es geht niemanden etwas an, niemand kann Sie dazu zwingen, und kaum mehr als ein paar Leute werden überhaupt merken, daß Sie Haken schlagen. Die andern, der ganze Rest, jede einzelne Menschenseele in England wird glauben, Sie strebten nach vorne, Sie hielten durch – auf Ehre, bestimmt! Ich werde einer von den wenigen sein, die es besser wissen. Es ist nur die Frage, ob Sie sich wegen dieser wenigen derart ins Zeug legen wollen. Sind Sie aus solchem Stoff gemacht?“Es ist dies in der Tat die künstlerische Frage an die empirische Person. Andererseits dient aber eben ihre Antwort, jazusagen nämlich, dem alten versagenden Dichter dazu, sein eigenes Ziel zu erreichen: die Hand der jungen Frau, auf die der Junge nun verzichtet. Meine Achtung vor dieser Erzählkunst ist ungeheuer, und so gerne ich vorher Ian McDonald las, so schal welkt er meiner Erinnerung nunmehr dahin.
*********

2 thoughts on “S a n d  ODER  Am Rande der Namib. Einundzwanzigste Tag der Großen Fahrt, Ostermontag nämlich, erzählt am zweiundzwanzigsten, bereits erneut auf See. PP154, 22. April 2014: Die Hälfte.

  1. Zur “Verspätung”. Seit gestern nachmittag versucht, diesen Text einzustellen; abends noch mal ergänzt, abermals versucht; erst nach Stunden, heute, jetzt eben, ist es mir gelungen. Auch in meine Email-Accounts komme ich hier auf dem hohen Atlantik zur Zeit nicht hinein oder nur, wenn ich Glück habe. Die Satellitenverbindung ist extrem brüchig, zugleich wahnsinnig teuer. ‘tschuldigung, wenn ich deshalb nicht wie gewohnt pünktlich sein kann. Es nervt mich selbst am allermeisten.

    (Besonders, die Bilder hochzuladen, braucht mitunter Stunden. Den nächsten Text bekommen Sie dann morgen, momentan bin ich zu genervt.)

Schreiben Sie einen Kommentar zu albannikolaiherbst Antworten abbrechen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .