(MS Astor, 8-03 Uhr: 17º45‘ S/0º19‘ W.
Obere Terrasse des Achterdecks.
Kurs 265º W.)
Nun sind wir bereits wider den dritten Tag auf dem Meer, dem Atlantik, direkt auf St. Helena zu, eine Insel, die, abgesehen von Bonapartes Lebensende, insofern eine heitere Geschichte hat, als sie lange Zeit geheimgehalten wurde, ein bißchen umstritten zwischen den Niederlanden und England; man wollte einen guten Stützpunkt haben, aber ausschlaggbend war die Insel dann doch nie und floß schließlich ins Commonwealth ein. Eine für letztlich nichts Geheime Staatssache, sozusagen, was mich nun wieder an den „Skandal“ erinnert, den ich ganz offensichtlich dadurch ausgelöst habe, daß ich vorgestern nacht in der Crew-Bar aufgetaucht bin dort herzlich begrüßt, sehr herzlich, von denen, die zugegen waren. Ich trank einen Jim Beam und einen Gin Tonic, um 1.30 Uhr schlägt die Glocke in dem völlig verrauchten Raum, dem einzigen, den die Besatzung hat, um überdacht zu rauchen. Am Morgen drauf, also gestern, ging es dann rund. Jemand hatte sich beschwert, daß ein Passagier dort unten war, das darf niemals geschehen undsoweiter, die Sache ging zum Kapitän, der ebenfalls schwer verärgert sei, wie mir hoch bedeutungsvoll, mahnend, mit fast Strafblick, auf den ich mit purem Lachen reagierte, eigens noch einmal bedeutet wurde. Man tut so, als wäre dort unten etwas zu sehen, in das Uneingeweihte nicht blicken dürfen, aber dahinter steht nichts als eine zum Fetisch gewordene, der Disziplinierungen halber, Hierarchie. Reisende und Besatzung sollen aufs strengste getrennt bleiben. Dabei hatte ich längst vorher drüber gesprochen, daß ich die Bar sehen wolle, wenn sie belebt sei, also nachts, wenn die abgekämpften Mädels und Jungs sich erholten, täglich zehn bis zwölf Stunden Dienst sind normal. Nun wird in Teneriffa, wurde mir ebenfalls mahnend erklärt, jemand von der Company dazusteigen, um mit mir ein, nun ja, „ernstes“ Gespräch zu führen; ich ließe doch wohl nicht heimlich Mikrophone aufnehmen usw. Zuvor hatte es sogar, wegen des „Vorfalls“ eine eigene Krisensitzung gegeben, Kapitän, Staff-Captain, Hoteldirektor, Servicedirektor, alles, weil ich nachts an der Crewbar gesessen und geplaudert hatte, ein echter Weltuntergang im Wasserglas; zumal war ich, als ich dort unten erschien, mit großem Hallo! begrüßt worden, wir hatten mehrmals das Glas aneinandergestoßen, Hände warfen sich ineinander. Was also sollte ich nicht sehen? Daß es auch Pärchen in der Crew gibt, umschlungen, wenige freilich, in ihrer Bar? Es geht ins Herz, das zu sehen, wie sich auch aus der strikten Hierarchie das Leben sein Recht nimmt, und seine Lust, sein Bedürfnis nach Nähe und Körper.
Was aber an dem „Skandal“, ergo, i n s g e s a m t irritiert, ist, daß ich nicht der einzige bin, sondern sehr wohl von sehr vielen Passagieren ein Bedürfnis danach besteht, die Besatzung zu kennen und menschlich mit ihr zu sein, miteinander umzugehen, aber es darf nichts vermischt werden. Besonders absurd daran ist nun, daß die beiden Getränke, die ich unten hatte, nicht nach Kantinenpreisen bezahlt werden dürfen, sondern nach den höheren Preisen für Passagiere; das ist aber nicht das eigentlich Absurde, sondern daß man jetzt nicht weiß, wie rein technisch verbucht werden soll. Es sind zwei unterschiedliche Abrechnungssysteme, und es gebe, heißt es, keine Brücke vom einen ins andre. Auf welche Eröffnung ich abermals nur lachen konnte: „Na, dann rechnen wir das halt über X oder Y ab, und ich gebe ihm/ihr das Geld dann in bar.“ Das schien als ein nun ganz besonders blasphemischer Vorschlag anzukommen. Immerhin gilt wie überall auch hier, daß Heiterkeit unschlagbar ist, und die meine war gestern ziemlich hell.
Ich hatte nämlich ein Analogon zu Stevensons berühmtem Apfelfaß gefunden; da ich niemandem schaden will, heb ich‘s mir für den Roman auf und berichte hier und auch im Hörstück davon nichts. Aber wir sahen, einander nahe, die Sterne. Lanmeister beobachtet das, wenn er nachts, da er oft schlaflos ist, an Bord herumgeht, wandelt, ganz mit seinen Gedanken für sich. Denn auch er merkt selbstverständlich, daß hier, fast unter Ausschluß der See, über See gefahren wird als ein Organismus, der aus zwei strikt getrennten Organismen besteht, deren einer aber den anderen nährt, wofür der andere vorher bezahlt hat. Hegel, Herr & Knecht: Dialektik der Interdependenzen. Also Lanmeister beobachtet die huschenden Gestalten, wie sie aufwärts und aufwärts steigen, himmelentgegen, Firmament und Meer längst eines, darinnen abgekapselt wir.
Dieses beseite, wird mir Lanmeister immer rätselhafter. Was will er hier? Am St.George‘s Day, gestern, wurden am Achterdeck Kinderspiele gespielt, ein riesiger Regreß, in den beglückt wie Kinder, die umsorgt sind, die Passagiere glitten. Nicht alle, nein, aber viele. Er wird offenbar als erholsam erlebt. Es war wirklich wie ein Kindergeburtstag; ich dachte, man müsse jetzt nur noch Topfschlagen spielen.
Obere Terrasse des Achterdecks.
Kurs 265º W.)
Nun sind wir bereits wider den dritten Tag auf dem Meer, dem Atlantik, direkt auf St. Helena zu, eine Insel, die, abgesehen von Bonapartes Lebensende, insofern eine heitere Geschichte hat, als sie lange Zeit geheimgehalten wurde, ein bißchen umstritten zwischen den Niederlanden und England; man wollte einen guten Stützpunkt haben, aber ausschlaggbend war die Insel dann doch nie und floß schließlich ins Commonwealth ein. Eine für letztlich nichts Geheime Staatssache, sozusagen, was mich nun wieder an den „Skandal“ erinnert, den ich ganz offensichtlich dadurch ausgelöst habe, daß ich vorgestern nacht in der Crew-Bar aufgetaucht bin dort herzlich begrüßt, sehr herzlich, von denen, die zugegen waren. Ich trank einen Jim Beam und einen Gin Tonic, um 1.30 Uhr schlägt die Glocke in dem völlig verrauchten Raum, dem einzigen, den die Besatzung hat, um überdacht zu rauchen. Am Morgen drauf, also gestern, ging es dann rund. Jemand hatte sich beschwert, daß ein Passagier dort unten war, das darf niemals geschehen undsoweiter, die Sache ging zum Kapitän, der ebenfalls schwer verärgert sei, wie mir hoch bedeutungsvoll, mahnend, mit fast Strafblick, auf den ich mit purem Lachen reagierte, eigens noch einmal bedeutet wurde. Man tut so, als wäre dort unten etwas zu sehen, in das Uneingeweihte nicht blicken dürfen, aber dahinter steht nichts als eine zum Fetisch gewordene, der Disziplinierungen halber, Hierarchie. Reisende und Besatzung sollen aufs strengste getrennt bleiben. Dabei hatte ich längst vorher drüber gesprochen, daß ich die Bar sehen wolle, wenn sie belebt sei, also nachts, wenn die abgekämpften Mädels und Jungs sich erholten, täglich zehn bis zwölf Stunden Dienst sind normal. Nun wird in Teneriffa, wurde mir ebenfalls mahnend erklärt, jemand von der Company dazusteigen, um mit mir ein, nun ja, „ernstes“ Gespräch zu führen; ich ließe doch wohl nicht heimlich Mikrophone aufnehmen usw. Zuvor hatte es sogar, wegen des „Vorfalls“ eine eigene Krisensitzung gegeben, Kapitän, Staff-Captain, Hoteldirektor, Servicedirektor, alles, weil ich nachts an der Crewbar gesessen und geplaudert hatte, ein echter Weltuntergang im Wasserglas; zumal war ich, als ich dort unten erschien, mit großem Hallo! begrüßt worden, wir hatten mehrmals das Glas aneinandergestoßen, Hände warfen sich ineinander. Was also sollte ich nicht sehen? Daß es auch Pärchen in der Crew gibt, umschlungen, wenige freilich, in ihrer Bar? Es geht ins Herz, das zu sehen, wie sich auch aus der strikten Hierarchie das Leben sein Recht nimmt, und seine Lust, sein Bedürfnis nach Nähe und Körper.
Was aber an dem „Skandal“, ergo, i n s g e s a m t irritiert, ist, daß ich nicht der einzige bin, sondern sehr wohl von sehr vielen Passagieren ein Bedürfnis danach besteht, die Besatzung zu kennen und menschlich mit ihr zu sein, miteinander umzugehen, aber es darf nichts vermischt werden. Besonders absurd daran ist nun, daß die beiden Getränke, die ich unten hatte, nicht nach Kantinenpreisen bezahlt werden dürfen, sondern nach den höheren Preisen für Passagiere; das ist aber nicht das eigentlich Absurde, sondern daß man jetzt nicht weiß, wie rein technisch verbucht werden soll. Es sind zwei unterschiedliche Abrechnungssysteme, und es gebe, heißt es, keine Brücke vom einen ins andre. Auf welche Eröffnung ich abermals nur lachen konnte: „Na, dann rechnen wir das halt über X oder Y ab, und ich gebe ihm/ihr das Geld dann in bar.“ Das schien als ein nun ganz besonders blasphemischer Vorschlag anzukommen. Immerhin gilt wie überall auch hier, daß Heiterkeit unschlagbar ist, und die meine war gestern ziemlich hell.
Ich hatte nämlich ein Analogon zu Stevensons berühmtem Apfelfaß gefunden; da ich niemandem schaden will, heb ich‘s mir für den Roman auf und berichte hier und auch im Hörstück davon nichts. Aber wir sahen, einander nahe, die Sterne. Lanmeister beobachtet das, wenn er nachts, da er oft schlaflos ist, an Bord herumgeht, wandelt, ganz mit seinen Gedanken für sich. Denn auch er merkt selbstverständlich, daß hier, fast unter Ausschluß der See, über See gefahren wird als ein Organismus, der aus zwei strikt getrennten Organismen besteht, deren einer aber den anderen nährt, wofür der andere vorher bezahlt hat. Hegel, Herr & Knecht: Dialektik der Interdependenzen. Also Lanmeister beobachtet die huschenden Gestalten, wie sie aufwärts und aufwärts steigen, himmelentgegen, Firmament und Meer längst eines, darinnen abgekapselt wir.
Dieses beseite, wird mir Lanmeister immer rätselhafter. Was will er hier? Am St.George‘s Day, gestern, wurden am Achterdeck Kinderspiele gespielt, ein riesiger Regreß, in den beglückt wie Kinder, die umsorgt sind, die Passagiere glitten. Nicht alle, nein, aber viele. Er wird offenbar als erholsam erlebt. Es war wirklich wie ein Kindergeburtstag; ich dachte, man müsse jetzt nur noch Topfschlagen spielen.
Abseits allerdings die ernsteren Charaktere; auch von denen gibt es einige, nicht nur in „meiner“ Abenteurergruppe: hier finden sich die Typen, solche, die Schicksale haben jenseits der Banalität oder die sie ganz plötzlich haben, die über sie hereingefallen sind, wie das von, ich nenne ihn einmal, Will, dessen Frau im Dezember verstarb, „nach fünfundvierzig Ehejahren“, der Mann weinte, als er‘s erzählte, nach innen. Um uns das Meer und das ewige gleichmäßige Raunen der Maschinen. „Nun suche ich in mir den jungen Mann, der ich war.“ Er ist nie mehr zu vergessen, dieser Satz, in seiner ganzen schweren Bescheidenheit. Für Will nimmt diese Fahrt Abschied. Wahrscheinlich ist er derjenige, der Lanmeister am nächsten kommt, ein völlig anderer, in seiner Erscheinung, Typos freilich, nicht im entferntesten von dessen längst gelebter Distanz, ein Mann des freundlichst Sozialen, der Konversation und kleinen Freuden.
Lanmeister, aber, was will er, ich frag es noch einmal, hier? Er sucht nach Klarheit, nähert sich ihr, und das ist das Gegenteil von Regreß. Utopie und Realität vertragen sich nicht; zwischen ihnen steht, als von Normen streng bewachte Grenze, das Bedürfnis nach Banalität. Ich werde, für den Roman, das gesamte Schiff umschreiben müssen. Auch deshalb hat sich meine Idee, den Text direkt an Bord zu verfassen, unterdessen als illusorisch herausgestellt; selbst unter anderen Umständen wäre es gar nicht möglich. Vielmehr muß Lanmeisters Schiff ein wirkliches Traumschiff sein. Ich kann hier nur aus dem, was mir begegnet, das, was ich brauchen werde, herausfiltern, kann es schon einmal klären, so, wie man Gold aus Bächen wäscht, mehr nicht. Es bleibt freilich genug, meine wichtigsten Charactere sind beisammen. Und das Hörstück wird ein anderes werden, das wird erzählen von dem realen Schiff, so, wie es aber auch projektiert war.
Erschwerend kommt hinzu, was sich vielleicht nun doch als Fehler erweist, daß ich versuche, täglich in Der Dschungel zu erzählen, aber durch die katastrophale Internetverbindung Stunden damit zubringe, irgendwie Bilder hochzuladen. Ich habe mir die Isolation der Seele, die der Rman braucht, selbst durchgestrichen, bin nervös und genervt, wenn wieder einmal nix funktioniert, obwohl ich stundenlang dransaß; vor allem aber habe ich die eigentlich erstrebte und für mein Romanvorhaben so nötige Trennung vom deutschen Literaturbetrieb nicht vollzogen, sondern bin an ihn gebunden geblieben. Was bisweilen zu erneuten Frustrationen führt, Ärger, haltender Kränkung – zu allem mithin, was ich für Gregor Lanmeister wirklich nicht gebrauchen kann. Zwischen ihm und mir steht nun nach wie vor mein Wille. Der aber hat im Roman nichts zu suchen.
***
Lanmeister, aber, was will er, ich frag es noch einmal, hier? Er sucht nach Klarheit, nähert sich ihr, und das ist das Gegenteil von Regreß. Utopie und Realität vertragen sich nicht; zwischen ihnen steht, als von Normen streng bewachte Grenze, das Bedürfnis nach Banalität. Ich werde, für den Roman, das gesamte Schiff umschreiben müssen. Auch deshalb hat sich meine Idee, den Text direkt an Bord zu verfassen, unterdessen als illusorisch herausgestellt; selbst unter anderen Umständen wäre es gar nicht möglich. Vielmehr muß Lanmeisters Schiff ein wirkliches Traumschiff sein. Ich kann hier nur aus dem, was mir begegnet, das, was ich brauchen werde, herausfiltern, kann es schon einmal klären, so, wie man Gold aus Bächen wäscht, mehr nicht. Es bleibt freilich genug, meine wichtigsten Charactere sind beisammen. Und das Hörstück wird ein anderes werden, das wird erzählen von dem realen Schiff, so, wie es aber auch projektiert war.
Erschwerend kommt hinzu, was sich vielleicht nun doch als Fehler erweist, daß ich versuche, täglich in Der Dschungel zu erzählen, aber durch die katastrophale Internetverbindung Stunden damit zubringe, irgendwie Bilder hochzuladen. Ich habe mir die Isolation der Seele, die der Rman braucht, selbst durchgestrichen, bin nervös und genervt, wenn wieder einmal nix funktioniert, obwohl ich stundenlang dransaß; vor allem aber habe ich die eigentlich erstrebte und für mein Romanvorhaben so nötige Trennung vom deutschen Literaturbetrieb nicht vollzogen, sondern bin an ihn gebunden geblieben. Was bisweilen zu erneuten Frustrationen führt, Ärger, haltender Kränkung – zu allem mithin, was ich für Gregor Lanmeister wirklich nicht gebrauchen kann. Zwischen ihm und mir steht nun nach wie vor mein Wille. Der aber hat im Roman nichts zu suchen.
Was ich im Apfelfaß hörte.
****
(8.55 Uhr.)
Wir nähern uns fühlbar dem Äquator, es ist wieder warm geworden und trotz der bisweiligen Wolkendecke, die uns gestern gegen abend sogar geschlossen bedeckte, die Zeit der frischen, ja kalten Morgen- und Abendwinde vorbei. Nur noch aus Gewohnheit ziehe ich zu meinem ersten Frühgang, der unmittelbar an die Kaffeestation führt, noch einen Pullover an und ziehe ihn gleich wieder aus: unter Deck ist es, der Klimaanlage wegen, sehr viel kühler; Klimaanlagen entfernten einen von der Welt, schließen einen ab, man verliert den Instinkt für die wirkliche Witterung. Auch dies ist, ob im „guten“ oder „schlechten“, auf einem Kreuzfahrer besonders zu spüren. Das Bedürfnis nach Commodität, letztlich, entfremdet. Meine Abenteurer wissen das, sie sitzen allezeit im Grüppchen beisammen, unteres Rauchereck, sehr früh morgens sieht man allerdings den zurückgekehrten John allein für sich an der Reling, sinnierend, dann geht er zum nächsten Meditationspunkt, immer mit Blick auf die See.
Eine sehr alte Frau, Raucherin auch sie, hager, wissend, hat sich der Gruppe angeschlossen, wird von ihr, die Gehbehinderte, aufmerksam und still umsorgt; sie erzählt Geschichten. Der Flugängstler ist quasi jeden Abend betrunken, aber auf eine Weise, die sein persönliches Unglück zu einem großen Spaß macht, über den er flucht: Ich muß etwas erleben, ich muß etwas erleben! Ein kräftiger, sehr durchtrainierter Mann von um die dreißig, vielleicht fünfunddreißig; bevor er zu trinken beginnt, trainiert er hart im Fitneßraum, mächtige Schultern, Oberarme wie Reifen von Trucks, der Rücken eines Profiboxers, kein Gramm Fett, die Seele aber Teddy. Ungeheuer freundlich, offen, vorbehaltlos. Gestern vesuchte er, mich von meinem Henry James wegzuziehen, damit ich mit ihnen, ihm und paar anderen, spielte. Das sind die Momente, in denen ich meine Fremdheit wieder spüre, mich ihrer aber schäme, weil ich vorbehaltlos nie sein kann, oder nur in ganz seltenen Fällen. Daß man ein Dichter ist und dieses immer Distanz bedeutet, vermag ich allein in der Musik zu überspringen, und im Sex.
Hört Lanmeister Musik? Eher nicht. Und für den Rausch der Körper ist er nicht mehr gemacht. Er besteht von Kopf bis Fuß aus Abschied, er ist der Abschied, als Person. Man hat sehr oft den Tod als Person dargestellt, durch alle Jahrhunderte hin und alle Kulturen; Lanmeister aber ist ein Übergang dahin, einer, der sich festgestellt hat und selbst zum Bild wird. So denke ich ihn mir. An sich müßte er auch die Unterschiede der Geschlechter in sich aufheben, aber ich weiß nicht, ob mir so etwas gelingen kann; indessen ich doch, als ich die Reise plante, nur mit Lanmeisters Augen sehen, mit seinen Ohren hören, seiner Nase riechen wollte, drängt sich in der Wirklichkeit das Wollen immer vor, und das ist sexuell und in meinem Fall dezidiert männlich. Die Faszination, die das Androgyne auf viele Menschen ausübt, hat mich niemals berührt; als ich Ian McDonalds Cyberabad las, das von dieser Faszination mitgeprägt ist, wurde mir das wieder einmal überaus deutlich. Ich kann sie abstrakt nachvollziehen, theoretisch, aber spüre das Sinnliche nicht daran, das es doch offenbar hat, so, wie ich nicht begabt bin, die hohen Ortungslaute von Fledermäusen zu hören, so, wie ich im ultravioletten Bereich des Lichtspektrums nicht sehen kann.
Kann es Lanmeister? Geht in ihm das Sichtbare ins Unsichtbare über, und wenn, weiß er das? Es gibt Fragen, die nur und erst der-Roman-selbst mir und Ihnen beantworten kann.
Wir nähern uns fühlbar dem Äquator, es ist wieder warm geworden und trotz der bisweiligen Wolkendecke, die uns gestern gegen abend sogar geschlossen bedeckte, die Zeit der frischen, ja kalten Morgen- und Abendwinde vorbei. Nur noch aus Gewohnheit ziehe ich zu meinem ersten Frühgang, der unmittelbar an die Kaffeestation führt, noch einen Pullover an und ziehe ihn gleich wieder aus: unter Deck ist es, der Klimaanlage wegen, sehr viel kühler; Klimaanlagen entfernten einen von der Welt, schließen einen ab, man verliert den Instinkt für die wirkliche Witterung. Auch dies ist, ob im „guten“ oder „schlechten“, auf einem Kreuzfahrer besonders zu spüren. Das Bedürfnis nach Commodität, letztlich, entfremdet. Meine Abenteurer wissen das, sie sitzen allezeit im Grüppchen beisammen, unteres Rauchereck, sehr früh morgens sieht man allerdings den zurückgekehrten John allein für sich an der Reling, sinnierend, dann geht er zum nächsten Meditationspunkt, immer mit Blick auf die See.
Eine sehr alte Frau, Raucherin auch sie, hager, wissend, hat sich der Gruppe angeschlossen, wird von ihr, die Gehbehinderte, aufmerksam und still umsorgt; sie erzählt Geschichten. Der Flugängstler ist quasi jeden Abend betrunken, aber auf eine Weise, die sein persönliches Unglück zu einem großen Spaß macht, über den er flucht: Ich muß etwas erleben, ich muß etwas erleben! Ein kräftiger, sehr durchtrainierter Mann von um die dreißig, vielleicht fünfunddreißig; bevor er zu trinken beginnt, trainiert er hart im Fitneßraum, mächtige Schultern, Oberarme wie Reifen von Trucks, der Rücken eines Profiboxers, kein Gramm Fett, die Seele aber Teddy. Ungeheuer freundlich, offen, vorbehaltlos. Gestern vesuchte er, mich von meinem Henry James wegzuziehen, damit ich mit ihnen, ihm und paar anderen, spielte. Das sind die Momente, in denen ich meine Fremdheit wieder spüre, mich ihrer aber schäme, weil ich vorbehaltlos nie sein kann, oder nur in ganz seltenen Fällen. Daß man ein Dichter ist und dieses immer Distanz bedeutet, vermag ich allein in der Musik zu überspringen, und im Sex.
Hört Lanmeister Musik? Eher nicht. Und für den Rausch der Körper ist er nicht mehr gemacht. Er besteht von Kopf bis Fuß aus Abschied, er ist der Abschied, als Person. Man hat sehr oft den Tod als Person dargestellt, durch alle Jahrhunderte hin und alle Kulturen; Lanmeister aber ist ein Übergang dahin, einer, der sich festgestellt hat und selbst zum Bild wird. So denke ich ihn mir. An sich müßte er auch die Unterschiede der Geschlechter in sich aufheben, aber ich weiß nicht, ob mir so etwas gelingen kann; indessen ich doch, als ich die Reise plante, nur mit Lanmeisters Augen sehen, mit seinen Ohren hören, seiner Nase riechen wollte, drängt sich in der Wirklichkeit das Wollen immer vor, und das ist sexuell und in meinem Fall dezidiert männlich. Die Faszination, die das Androgyne auf viele Menschen ausübt, hat mich niemals berührt; als ich Ian McDonalds Cyberabad las, das von dieser Faszination mitgeprägt ist, wurde mir das wieder einmal überaus deutlich. Ich kann sie abstrakt nachvollziehen, theoretisch, aber spüre das Sinnliche nicht daran, das es doch offenbar hat, so, wie ich nicht begabt bin, die hohen Ortungslaute von Fledermäusen zu hören, so, wie ich im ultravioletten Bereich des Lichtspektrums nicht sehen kann.
Kann es Lanmeister? Geht in ihm das Sichtbare ins Unsichtbare über, und wenn, weiß er das? Es gibt Fragen, die nur und erst der-Roman-selbst mir und Ihnen beantworten kann.
Ich hatte n o c h eine Idee: Die >>> Casa Verdi auf einem Schiff. Denn es treffen sich frühnachmittags einige Leute im Captain‘s Club, um zu singen, angeleitet von einer jungen Dame der Entertainment-Crew, begleitet von Kateryna am Klavier; ich habe eine sehr schöne Aufnahme davon. Und überhaupt wird bisweilen gesungen, auch schon mal mit dem leichten Haut gout des Gegröls; meisterhaft sind die Abenteurer darin. Beim Karaoke kam man zu englischen Nationalhymne zusammen, wobei man nicht zusammen kam. Ich stand dabei, schnitt mit, und dann, ganz spontan, dirigierte ichein bißchen, worauf dann gleich nachher Glenn: „It‘s like 1944, Englishmen singing, conducted by a German.“ – Bittrer Scherz, der mir einmal kurz durch den Bauch fuhr. Er war nicht böse gemeint, überhaupt nicht, aber zeigt, wie Verletzungen noch nach zweidrei Generationen weiterwirken, sich wie ein Gen verkapselt haben, das als solch ein Satz unerwartet aufplatzt, kurz auf-, dann davonweht. Aus Geschichtserfahrung und Kränkung sozialisierte Gene als Viren. Sie hinterlassen eine Geruchsspur, die sich nie mehr ganz verliert.
Das Schiff leiht dem Roman nichts als seine Gestalt. Ich darf auf keinen Fall vergessen, daß die messingnen Handläufe der Passagieraufgänge nicht goldfarben, sondern silbrig sind. Darf nicht die Kotztüten vergessen, die, nunmehr nur noch sporadisch, hinter diese Läufe geklemmt sind. Und in der kleinen, von Svarowskis Kitsch mit Banalität geschändeten Juwelenboutique sitzt tagaus tagein eine schöne, wahnsinnig blasse junge Frau und wartet auf Kundschaft. Meist ist sie allein, ganz allein. Ich weiß nicht, ob sie auf dieser Reise auch nur ein einziges Mal das Tageslicht gesehen hat. Ich sprech sie seit dreivier Tagen öfter an, schau bei ihr hinein, aber nachdem ich nun erfuhr, wir rigide die Apartheit – so muß ich das nennen, ja: Apartheit – ist an Bord, ist ein näherer Kontakt völlig ausgeschlossen. Die Verkäuferinnen der Boutiquen, hab ich den Eindruck, haben noch einmal ein anderes Leben, verkapselt für sich. Werden die Lädchen geschlossen, gehen die Damen im Grüppchen hinab und sind nicht mehr gesehen.
Was ich, ich les es soeben im Notizbücherl, für >>>> Kapstadt zu erzählen vergaß: Kommt man am Hafen an, riecht alles, alles nach Fisch. Das ist nur dort so gewesen. Und scheint Jahre bereits zurückzuliege. Raum wird zu Zeit. Wir schwimmen Ihnen jetzt – heute nacht waren abermals die Uhren um eine Stunde zurückzustellen – einhundertzwanzig Minuten voraus. Wenn ich mich auf die Zeit zu konzentrieren versuche, merke ich, wie sehr sie mir entglitten ist; ihre Einteilung, die Norm ihrer Einteilung, wurde beliebig. So, als wäre sie Illusion-selbst.
Was ich, ich les es soeben im Notizbücherl, für >>>> Kapstadt zu erzählen vergaß: Kommt man am Hafen an, riecht alles, alles nach Fisch. Das ist nur dort so gewesen. Und scheint Jahre bereits zurückzuliege. Raum wird zu Zeit. Wir schwimmen Ihnen jetzt – heute nacht waren abermals die Uhren um eine Stunde zurückzustellen – einhundertzwanzig Minuten voraus. Wenn ich mich auf die Zeit zu konzentrieren versuche, merke ich, wie sehr sie mir entglitten ist; ihre Einteilung, die Norm ihrer Einteilung, wurde beliebig. So, als wäre sie Illusion-selbst.
Der einfache, ruhige Tag hat begonnen, die ersten Drinks gehen über Deck. Die Abenteurer sitzen in ihrer Ecke, auf den Liegestühlen wird gelesen, man trägt Schirmkappen und seltsame Mützen, bisweilen steigt jemand in den brühwarmen Pool. Kellnerinnen und Kellner huschen, unten im Schiffsbauch wird gebacken: Brot für den Mittag, Brot für den Abend, Brötchen, Kuchen für den afternoon‘s tea; gestern mittag gab es Fish ‘n Chips, unter andrem, die Offiziere schauen in weißen Uniformen. Neue Planken werden eingezogen, das tiefe Brummgröl einer elektischen Schleifmaschine dröhnt in die Schlagermusik. Und auch auf Deck 9 wird gemalt und gewerkt: