Weitgeführter, harter Klangrausch: Daniel Barenboims erster Puccini: Alvis Hermanis‘ Inszenierung der Tosca an der Staatsoper im Schillertheater.

Vorweg >>>> zum Ereignis, das mich hinein-, muß ich sagen, -trieb; unterdessen bin ich fast ebenso puccini- wie allerdings ganz besonders Wagners müde. Aber Barenboim hat sich ganz sicher nicht grundlos die, neben der Bohème, von allen Pucciniopern beliebteste ausgesucht. Ihre innere Radikalität – auch aber die thematische Ambivalenz – hat zu Uraufführungszeiten nämlich heftige Ablehnung erwirkt, der Fachwelt. Ich bin geneigt, von „Abwehr“ zu sprechen. Welterfolg war die Oper gleichwohl. Das hatte weniger mit der politischen und dabei antiklerikalen Brisanz des Stoffes zu tun als vor allem mit Puccinis Schmelz und insgesamt der Mitsanglichkeit des Belcantos, hier aber eben auch mit der klaren Ungeheuerlichkeit Scarpias, des sadistischen Polizeichefs der seinerzeit österreichischen Herrschaft über Rom. An ihm, dem „Bösen“, gibt es eben keinerlei Ambivalenz. Auch in Hermanis‘ Inszenierung wird auf sie, ihnbezüglich, kein Wert gelegt. Was ich schade finde. Er ist einfach das Ungeheuer, dem jede eigene Erlösungssehnsucht im Interesse populistischer Anti-Identifikation verweigert bleibt, obwohl sie von Mephisto bis Dracula jedes solche eben auch immer kennzeichnet. Bei Puccini ist die restlose Schwarzweißzeichnung politisch zu verstehen. Sie zeigt, wessen Partei er ergreift, besonders wenn am kompositorisch grandiosen Ende des Ersten Aktes das katholische Laudate unlösbar mit Scarpias Haßarie verschmilzt. In der neuen Staatsoperninszenierung ist diese Szene musikalisch der absolute Höhepunkt. Genau von dem hätte eine tatsächliche Neuinterpretation auszugehen.
Barenboim ist einer der weltweit derzeit wichtigsten Wagnerdirigenten überhaupt; das ist diesem Puccini-Debut auch anzuhören. Er bringt das Kunststück fertig, sein Orchester trotz der für Massenorchestrierung heiklen Akustik – nach wie vor ist das Schilltertheater Interimsort der Staatsoper – extrem weitflächig klingen zu lassen, so, als dehnte sich der Orchestergraben um mindestens noch einmal den doppelten Raum aus. Dazu ist Barenboims Ausarbeitung der Themen ausgesprochen scharf und dem Sujet gemäß hart; sentimentale Weichlichkeiten läßt er nicht zu. Das erlaubt ihm, die wegen der in Puccinis Partituren häufigen Parallelführungen immer etwas lauernde Gefahr der Breiigkeit völlig auszuhebeln und in eine orchestrale geradezu Durchsichtigkeit herumzudrehen. Auf diesem Meer klanglicher Luzidität lassen sich die einzelnen Kompositionsinseln selbstverständlich detaillierter sehen, also hören, als würde der Tonraum zusammengepreßt. Ebenso kann Barenboim das Orchester nun mit einem enormen Reichtum an Tonfarben spielen lassen, unter denen in Einheit mit den Kirchenglocken immer die Drohung tiefster Kanonschläge liegt. Der Nachteil ist, bei der diesem Klangaum nicht entsprechenden Schillertheater-Bühne, daß die Sängerinnen und Sänger fast durchweg mit dem Forte kämpfen müssen. Da kommt es schon mal vor, daß etwa Michael Volles ansonsten ungeheuer präsenter Scarpia für ein zwei Töne im Chor verschwindet, und fast am Ende der Oper schien Fabio Sartoris großer Tenor für eine Sekunde in die Knie zu gehen. Aber er fing das meisterhaft auf, als hätte er auf ein Luftreserevat zurückgegriffen und es, ohne zu pressen, freigesetzt. Anja Kampes Sopran blieb dagegen von der ersten bis zur letzten Sekunde unbrechbar. Dabei singt sie kaum mit Tremolo. Allerdings ist ihre Stimme bereits sehr reif und tendiert ins Mezzo. Es singt hier keine junge Tosca mehr, auch keine, die Jugend stimmlich darstellen kann – einen Umstand, dem Alvis Hermanis‘ Regie ebenso zu begegnen versucht hat wie, auf dieser Bühne, Cavaradossis geradezu klischeehaft-bizarrer Leibesfülle. Doch zum Konzept der Inszenierung gleich mehr. Problematisch ist, daß, wegen des von Barenboim vorgegebenen Primats des Orchesters, die Personen, vor allem Tosca, nicht wirklich eine Möglichkeit haben, komplexere Seelenzustände Stimme werden zu lassen. Sie sind, wie schon in seiner Text-Anlage Scarpia, auf harte Kontraste verwiesen, so daß etwa die Eifersucht – auf ein Bild (!) – zur ganzen-Eifersucht-an-sich wird. Nun ist Eifersucht für sich genommen schon ziemlich lächerlich, aber besonders, wenn sie sich derart mänadisch auf ein Ersatzobjekt stürzt. Wagnerscher Musikaufruhr läßt einen aber nicht lachen, nicht mal spotten, sondern bügelt den Kopfschüttler einfach nieder. Wenn sich Barenboim also etwas vorwerfen läßt, dann, daß er Wagners Totalismus auf Puccini überträgt; andererseits gewinnt Puccinis Musik dadurch spürbar an musikästhetischer Bedeutung – oder wird in ihrer Bedeutung überhaupt erst klar. Die Klageklänge etwa der breitgeführten Streicher bekommen Tristan-Niveau und überhaupt, besonders, wie Barenboim die Celli hebt. Man denke an das kurze orchestrale Zwischenspiel beim Wiedersehen der Liebenden in Scarpias Arbeitszimmer. Und in den Aufruhr der Gefühle läßt Barenboim aus dem ohnedies wühlenden Orchester die Klangfarben geradezu hineinschießen.
Der Jubel des Publikums nach Fall des letzten Vorhangs war vorherzusehen. Und absolut berechtigt. Die geradezu unsisonen Buhs für das Regieteam sind es n i c h t. Sie lassen sich nicht einmal erklären,nicht in dieser unisonen, unnachdenkenden Art des gestrigen späten Abends – es sei denn, es wäre eine Neudeutung allen Ernstes erwartet worden. Was ich bei Puccini nicht glaube.
Neudeutung ist Hermanis‘ Tosca tatsächlich nicht, aber eine solide, auf dem Boden realistischer Puccini-Inszenierungen stehende Arbeit. Gutes Handwerk also, vielleicht auch bestes. Nicht mehr, nicht weniger.
Die Szenen sind über Einrichtungsstücke angedeutet ausgeführt: eine Kirchenwand, das Zimmer im Palazzo Farnese, der Vorgang vor den Kerkern im Castel S. Angelo. Das schränkt den Raum ein, er ist quasi dauernd eng, was das Problem zwischen Orchester und Sänger:innen verstärkt. Weite kommt über Bilder zustande, die – quasi gerahmt, das ist wichtig – in die Szenen eingeblendet sind und wechseln: bisweilen ein Porträt, bisweilen ein Tableau, aber im Stil realistischer Comics.
Auf denen wird parallel zum Bühnengeschehen die Geschichte noch einmal erzählt, nun aber mit den, sagen wir, Idealgestalten der Personen. Da steht die Tosca wirklich in der Knospe, der Cavaradossi ist ein junger schlanker Bohèmien mit Dreitagesbart, und Scarpia trägt die für feudale Macht stehende Perücke des ancient régime:


Fotografie © Hermann und Clärchen Baus.
Nur daß die Sprechblasen fehlen.
Aus Sicht der Tafeln läßt sich sagen, daß diese, die Sprechblasen, von der Bühne vorgestellt werden. Denn wenn wir uns auf die Tafeln konzentrieren, findet die, noch einmal, ideale Inszenierung des Stücks eben in ihnen statt. Das ist nicht ohne Radikalität. Dabei stört die Diskrepanz zwischen etwa der Erscheinung des leibhaftigen Cavaradossis und dem auf den Tafeln nur ganz zu Anfang. Zunehmend dann erhält der leibhaftige des gezeichneten idealen Gestalt. Das ist ausgesprochen frappierend:


Fotografie ©: Hermann und Clärchen Baus.
Selbstverständlich man muß sich darauf einlassen wollen, sonst funktioniert es nicht. Und später stören die Schäferbilder zu Beginn von Akt III ziemlich die Ästhetik. Daß die Engelsburg zur Handlungszeit tatsächlich an der Stadtgrenze lag und wirklich dort Tiere weideten, ist als Wissen ganz hübsch. Aber dafür hätte ein einzelnes Bild genügt. Statt dessen bekommt man eine gezeichnete Stadtführerfolge des späten 18. Jahrhunderts vor die Augen. Was szenisch einen ziemlichen Löckchenkitsch ergibt. Das liegt schlicht daran, daß sich auf den Tafeln das Niveau der Zeichenstrichs ändert, der Raum des realistische Comics verlassen wird. So daß ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Regiemätzchen gesehen habe, das gezeichnet worden ist. Es ist aber, meiner Erinnerung nach, das einzige. Nervig freilich noch, daß an der Deckenleiste von Scapias Arbeitszimmer „Palazzo Farnese“ steht. Erstens weiß man das sowieso, zweitens läßt es sich dem Programmheft entnehmen, drittens ist der Ort prinzipiell völlig wurscht. Wobei ich ganz gerne einwenden möchte, es sei nicht sehr glaubhaft, daß der mächtige Scarpia mit seinen Untergebenen während der Arbeitszeit Wein trinkt, schon gar nicht solche Mengen. Er hätte mit denen überhaupt nicht getrunken; erst recht hätten sie sich nicht ungefragt aus seinen Weinflaschen (!), ja, mehrere gleich, einschenken dürfen. Andererseits gibt dies der Tosca die Möglichkeit, nach Scarpias Tötung sich ebenfalls ein Gläschen zu gönnen, ja sie nimmt in seinem Lehnstuhl Platz – für einen kurzen Moment nun selber mächtig, und ebenfalls, wenn auch aus hoher Not, durch Gewalttat. Wobei die Tragik hier besonders für jeden deutlich wird, die und der den Stückausgang schon kennt: daß sie über des mächtigen Mannes Tod hinaus von ihm gegängelt wird.
Die in ihren fernen und näheren Kirchenglockenklängen grandiose Pastorale des dritten Aktanfangs führt dann allerdings, erstmals, zu dramaturgischen Längen. Es ist mit einem Mal, im Gefängnis, Zeit zu Besinnungen, gegenseitigen Versicherungen, Liebesschwüren usw. Das fällt aus der bis hierhin ausgesprochen handlungsgetriebenen Oper ziemlich heraus und müßte, für meinen Geschmack, gestrafft werden. Oder die Regie wüßte die Längen zu überbildern. Denn auch musikalisch gibt es nicht eigentlich mehr Neues. Die Geschichte ist tatsächlich zum Stehen gekommen und wird jeden Moment enden. Jetzt zieht und zieht die Oper diesen Moment, ein wenig wie bei in der Oper Sterbenden, die stundenlang noch weitersingen. Siegfried ist so ein Kandidat, bei dem man allerdings eh froh wäre, wenn ihn das Zeitliche endlich aussegnen würde. Hingegen uns mit Cavaradossi eine auch politische Sympathie verbindet. So müßte nun die nach wie vor wirkende Präsenz Scarpias deutlicher werden, wohl auch die Stabilität insgesamt des totalitären Gewaltsystems – zu dem gehört, daß Hermanis denselben Mann Cavaradossi liqudieren läßt, der ihm zuvor fast kameradschaftlich zu trinken gegeben hat. Hierüber, eventuell, wäre dieser ganze Akt aufzurollen gewesen: um ins schwarze, steinerne Herz der Gewaltstrukturen einzudringen, die an ihrer Oberfläche so warm wie alle Herzen schlagen.
Doch wie nun auch immer:
In jedem Fall hineingehen.




Giacomo Puccini
T  o  s  c  a

Oper in drei Akten.
Libretto nach Victorien Sardou
von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica.

Regie Alvis Hermanis, Mitarbeit der Regie Gudrun Hartmann,
Ausstattung Kristine Jurjane, Licht Gleb Filshtinsky, Chöre Martin Wright,
Dramaturgie Jens Schroth

Anja Kampe – Fabio Sartori – Michael Volle
Tobias Schabel – Jan Martiník – Florian Hoffmann
Maximilian Krummen – Grigory Shkarupa – Jakob Buschermöhle

Staatskapelle Berlin, Staatsopern- und Kinderchor der Staatsoper Unter den Linden
Daniel Barenboim

(Tosca->>>>Website der Staatsoper.)

Die nächsten Vorstellungen:
06., 12., 16., 19., 22. und 25. Oktober 2014
Jeweils um 19:30 UHR.
>>>> Karten


1 thought on “Weitgeführter, harter Klangrausch: Daniel Barenboims erster Puccini: Alvis Hermanis‘ Inszenierung der Tosca an der Staatsoper im Schillertheater.

  1. Eine nachträgliche Bemerkung zu meiner Müdigkeit bezüglich Wagner: Ich ertrage einfach diese rohen Charaktere nicht mehr, stand ohnehin immer auf der Seite Ortruds. Die Musik ist nach wie vor hinreißend, aber man genießt sie mit einem extrem schlechten Gewissen. Da ich kein Masochist bin, will ich diese Thoren und Einfaltspinsel, Daufschläger und Vergewaltiger, Rassisten und Raubmörder zumindest nicht sehen müssen; also mit einer High-End-Anlage ist Wagner weiterhin genießbar. Es ist mir aber klar, daß ich mich damit in das Ohr lüge. Und den Tristan nehme ich aus, selbst wenn auch er ein, allerdings scheiterndes, Hohelied auf die Lehnstreue singt.
    Ich beziehe mich noch einmal explizit auf meine >>>> Cassiers-Kritik. Auch hier war es wieder eine Barenboim-Arbeit, die in mir Weichen gestellt hat, wenn auch anders, als beabsichtigt gewesen sein wird.
    Und zu Puccini, so habe ich ihn mir schlichtweg überhört. Heute greife ich tatsächlich am liebsten zu seiner La Rondine. Die Manon Lescaut allerdings liebe ich so sehr, daß jede Realisierung auf dem Theater scheitern muß. Gegen meine Innenbilder.

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