von Nietzsche lernen können, die Regel: Je
schwächer du bist, desto besser bist du. Res-
sentimentkulturen erlauben es darum nieman-
dem, Zeichen von Eleganz oder Größe zu set-
zen; statt dessen veranstalten sie Wettbewerbe
in anmaßender Bescheidenheit.
Pfaller, >>>> Das schmutzige Heilige, S. 145
Ein allerhellster Tag, Geliebte; es sollen sechzehn Grad heute werden – herrliche Voraussetzungen dafür, einmal wieder im Friedrichshain zu laufen. Gestern nahm ich den Sport wieder auf, Krafttraining; nach dem Laufband tap(e)te ich vorsorglich links die Achillessehne.
Nachher wird Broßmann anrufen, wenn sein Töchterchen und er aufgestanden sein werden; dann will ich kurz hinüber, um ihn die An- und Absagen des Kreuzfahrt-Hörstücks einsprechen zu lassen. Denn, das habe ich noch gar nicht erzählt, es ist nun endlich angenommen. Meine Redakteurin nannte die jetzige Fassung sogar „wunderschön“ und schloß in ihr Urteil die Stellen durchaus mit ein, für die ich auf der weiblichen Wiener Stimme beharrt hatte. Daß mein Honorar kommt, ist nun alleine noch eine Frage der, sagen wir, Administrationszeit. Das ließ mich ein Angebot der Löwin annehmen, mir kurzerhand 2000 Euro zu überweisen, damit ich die drückendsten Verbindlichkeiten erfüllen kann; daß ich es bisher nicht konnte, hat mich doch unruhiger gemacht, als ich zugeben wollte. Kommt das Geld vom Funk, gehen die 2000 Euro sofort wieder zurück. Auch Amélie hatte mir schon 500 vorgestreckt. Zu erzählen ist in diesem Zusammenhang ferner, daß mir eine Leserin „einfach so“ 200 Euro schickte, sorgsam in Alufolie eingestrichen; bisweilen kommt auch von einem anderen Leser immer mal ein Scheinchen. Beide nennen es – ganz sicher auch, um mir den Stolz zu wahren – eine Bezahlung für Die Dschungel; so muß ich mich nicht alimentiert fühlen, denn es ist mein Beruf, der dergleichen bewirkt. Auch hier wirkt also eine mir wichtige – gesellschafliche – Form. Es ist erstaunlich, Nahste, wie sich das eigene Empfinden auf sie beziehen läßt.
Im Theater gewesen, Off-Bühne, Sophie Nikolitschs, die ich gut kenne, >>>> Bearbeitung von Giradoux‘ Irrer von Chaillot. Berliner, die Die Dschungel lesen, sollten hineingehen; im Theaterdiscounter findet heute abend die letzte Auffühung statt. Ein paar Regiemätzchen gibt es darin, etwas mehr Strenge, sagen wir: Straffung wäre wünschenswert gewesen, doch insgesamt ist diese Produktion ausgesprochen beachtlich; ein solches Stück an einer städtischen oder staatlichen Bühne hätte Stürme des Protestes ausgelöst, weil nämlich nicht nur libidinös besetzte Tabus unterlaufen werden, sondern dieses Unterlaufen wird selbst in eine höchst ambivalente Schwingung versetzt, – etwa wenn durchaus mit klaren, ja agitativen Worten zur Vernichtung derer aufgerufen wird, die ihre – mehr oder minder persönlichen – Kapitalinteressen über das Wohl der Gesellschaft stellen. Wie diese Vernichtung dann durchgeführt wird, verrate ich nicht. Es dreht einem aber den Magen um, und zwar den moralischen, beharrt zugleich mit deutlichem Recht auf eben diesem Recht. Das Allerverbotenste, nämlich Gewalt einzusetzen, wird hier erneut zur Option – und zwar aus der gültigen Erfahrung heraus, daß gewaltfreier Widerstand letztlich keiner ist und deshalb auch gar nichts bewirkt, außer daß sich die „Widerständigen“ gutfühlen, denn sie haben ja scheinbar etwas gemacht. Das unbedingte Gebot der Gewaltfreiheit ist innerlich quasi institutionalisiert, nämlich – als ein Gebot der Gegner. – Hier, in dieser Offenlegung, liegt die wahrscheinlich entschiedenste Stärke des Stücks, zu der nicht zuletzt gehört, daß jede vertretene (vorgeführte) Position hochgradig ambivalent ist. Der Gegner spricht nicht minder Wahrheiten und Irrtümer aus als der Freund, und wir selbst sind aufgefordert, eine Haltung einzunehmen, die nicht von einem allgemeinen Konsens geschützt, bzw. durch ihn abgefedert ist. Wenn Theater so etwas bewirkt, halte ich es für gut – egal, ob es nun schauspielerische Schwächen gibt oder nicht. Vielleicht wäre eine allzu glatte Perfektion sogar von Nachteil.
Gut, warten auf Broßmann, die kleine Aufnahme, dann sie ins Hörstück einmontieren, alles ein letztes Mal abmischen, danach auf CD brennen und wegschicken. Zwischendurch laufen gehen. Sowie den Pfaller weiterlesen. So wird mein Tag aussehen Vielleicht bekomme ich heute auch den Ansatz für die Ilg-Kritik hin. Ich habe den Impuls, ein nächstes Gedicht zu schreiben, doch würde mich das vielleicht aus meiner aufbrechenden Frühjahrsstimmung wieder herausrutschen lassen. Das möchte ich heute nicht riskieren. Es war einfach zu schön, gestern nacht mit Amélie, die mich ins Theater begleitet hatte, am Alex zu stehen und, bis ihre Tram kam, ins Funkeln dieser Nacht zu schauen, den Kopf der jungen Frau an meiner Schulter, ich selbst wie ein Vater, der Schutz geben kann: ganz meines Selbsts bewußt.
Sei umarmt und grüß mir den Park, in dem nachher ganz sicher auch Du laufen wirst – wie ich gegen Mittag im Friedrichshain. Und auch die Löwin wird laufen – eine nur von Räumen getrennte ménage à trois der leichtathletischsten Freiheit.
(17.06 Uhr)
Als ich wieder hierwar, merkte ich‘s freilich am Kreislauf, aß eine Schüssel Fruchtsalat mit Haferflocken und Joghurt und – schlief fast anderthalb Stunden. So komme ich jetzt erst dazu, die heute vormittag aufgenommenen An- und Absagen zu schneiden und in das Hörstück zu montieren, das insofern nicht schon heute, sondern erst morgen auf den Postweg gebracht werden kann. Daß meine ezwungene Laufaskese nun aber vorbei ist, Göttinseidank, wiegt dies auf.
Der Park war bereits voller Griller, an vielen Plätzen stieg der Rauch von Holzkohle auf. Bei Euch im Farneto wohl auch?
Also, Schneidearbeit. Ich werde auch den einen und/oder anderen Huster rausschneiden müssen, ebenso wie Mundgeräusche hier und dort. Nach Broßmanns radikalem Versuch, einen Kloß aus dem Hals zu bekommen, kam ich um die Bemerkung nicht umhin, eigentlich ließe sich auch daraus ein wenn auch nicht unbedingt vornehmes, so doch sehr freches Hörstück machen.
Dein
Alban
(Besetzungszettel)