Untriest 86: päonen. Am Mittwoch, dem 13. Mai 2015.


Arbeitswohnung, 9.23 Uhr


Zeit für meine Lieblingsblumen, Geliebte,

gestern erstand ich einen Strauß; da ich gerade Zahlen scheue, entnahm ich ihm einen einzelnen Strang, der nun, hoch thront die noch nicht geöffnete Blüte, in der schmalen hohen Vase direkt vor dem Schreibtisch auf dem zweiten Arbeitstisch steht, Du weißt schon: wo nebeneinander die laufenden Projekte in ihren Heftern lagern. Die anderen neun Päonien stehen auf dem Mitteltisch; eine von ihnen hat sich heute früh schon geöffnet.
Es brauchte gestern Körperpflege und Kleidung, um aus meinem Sumpf herauszukommen, Anzug, Weste; früher nahm ich auch eine Krawatte, aber die Zeit dafür kommt mir vorbei vor; sie wäre heute zu viel Panzer; Krawatten trage ich nur noch, wenn ich spielen und/oder mich spielerisch inszenieren will, für Lesungen zum Beispiel, weil man sie da irgendwann löst und abzieht, um zu zeigen: Nun wird es ernst. Man kann mit ihnen die eigene Eitelkeit geradezu materiell beiseitelegen, die andernfalls den Vortrag überblenden könnte, also das, worum es geht. – Jedenfalls, als ich gekleidet war, ging es schon weitaus besser, und ich las den gesamten, soweit er, heißt das, schon „steht“, Béart-Zyklus noch einmal und revidierte hier und dort; dann fing ich sein achtes Gedicht an, kam über zwei Zeilen aber nicht hinaus. Heute morgen erst bekam ich es hin, bin mit dem Ergebnis aber noch nicht sicher genug, um es in Der Dschungel einzustellen, auch nicht als Entwurf. Besser, ich fange gleich mit der Nr. 9 an, die wieder aus freien Langzeilen bestehen soll. Diese IX könnte den Zyklus abschließen – entweder neun oder dreizehn Gedichte sollten es sein. Ich habe ja mal „an“gedacht, Die Brüste der Béart zu einem ganzen Band auszuweiten; gestern fand ich es aber eher angemessen, in ihm die Zyklen zu vereinen, also Béart mit den Dächern Napolis und Amelias Mauern, vielleicht noch zweidrei anderen, die hier entworfen sind, vielleicht sogar mit der Derelve-Serie. Mein, aber, Problem ist nach wie vor der Ton – einer der Klage und Jubel vereinen soll; die Klage soll nicht vorherrschend sein, nicht einmal vorschmecken. Genau dies zu erreichen, fällt mir momentan schwer. Genau deshalb lasse ich derzeit auch die Triestbriefe ruhen. Alternative, Herz, wäre, sie mit Kälte fortzuführen. Das mag ich aber nicht tun; es wär uns unangemessen. Entsprechend sagte mir gestern die Löwin, als es um meinen Zustand ging: „Sie wollen trauern, wollen sich aussetzen, nicht wegschieben, auch wenn es Sie allmählich sehr behindert und dessen ein anderer Teil in Ihnen überdrüssig wird.“ Mir fiel ein erstaunter Ausruf Marcello Mastroiannis ein, wie wenige Männer doch wüßten, daß Frauen nur jenen nachliefen, die ihnen nicht nachlaufen – ein Umstand, der nicht ohne selbstschädigende Perversion ist. Nachzulaufen scheint immer jemand. Wobei ich den Begriff fragwürdig finde, wenn Liebe im Spiel ist, zumal, wenn sie antreibt: Aragon schrieb darüber, „zu lieben, bis Vernunft verbrennt“ – eine Idee, die mir so nah ist wie zugleich meiner Autori/denti/tät widerspicht (Au-to-ri-den-ti-tät – sogar Zähne sind da drin, dens, dentis: Zahnhaftigkeit).

Sei umamt:

Alban

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