dringend was überlegen, damit Geld hereinkommt. Hätte mir nicht die Löwin 1000 Euro zugesteckt, ich wüßte schon nicht, wie den Juni überstehen; an Reisen ist da überhaupt nicht zu denken, schon gar nicht nach Triest, was wegen des Romans aber dringlich wäre. Darüber hinaus hatte ich gestern nacht die deutliche Fantasie eines kompletten Rückzugs, sah vor mir ein altes, möglicherweise französisches Landhaus, halb zerfallen, aber wohnbar, wenn man gesunde Arme hat und Hände, die zupacken können; sah mich aus dem Haus treten und die Beete begutachten, in die Karotten gepflanzt waren, Tomaten, Gurken; sah mich Scheite schlagen. Mein Vater hat so gelebt in seinen letzten Jahren, nahezu komplett autark. „Warum bist du nicht hineingegangen? Der Käse lag im Krug.“ Ich hatte ihn, meinen Vater, gesucht auf Mallorca, Cas Concos bei Felantix; er war nicht da gewesen. Wie sich die Dinge, wenn auch verändert, wiederholen, wenigstens imaginär. Es stimmt etwas nicht mit dem Leben, wenn die Imaginationen verlockender sind als es selbst. Aus denen es schließlich nur noch besteht.
Bin ich ausgebrannt? So ein bißchen habe ich das Gefühl, das einer Mischung aus Ausgebranntsein und Rentenneurose. Deshalb mochte ich hier weder vorgestern noch gestern mehr schreiben; auch heute morgen hatte ich eigentlich keine Lust, verspürte einen immerhin nicht s o starken Widerwillen dagegen, daß ich‘s nun d o c h tu. „Sie hatten nie einen Plan B“, hat mir die Löwin in Facetime gesagt, „Sie haben alles auf eine Karte gesetzt – auf die am wenigsten taugliche.“ Es kamen Abrechnungen, Geliebte: Die Kulturmaschinen haben sage und schreibe 90,79 Euro überwiesen – die Tantiemen aus vier Jahren für vier Bücher, allerdings nach Abzug der Rechnungsbeträge für von mir für den Lesungsverkauf bestellte Exemplare. Oft sind ja die Bücher von Kleinverlagen im Buchhandel nicht vertreten; man muß sie von Hand zu Hand vertreiben. Es ist ein Trauerspiel, nun allerdings bedrohlich. Man hat das Gefühl, ein totes Kind nach dem anderen zur Welt gebracht zu haben, fürchtet sich vor einer schon wieder nächsten Totgeburt.
Keinen Plan B. Alles auf eine Karte – nunmehr, das paßt, auf das Sterbebuch. Zu ahnen, alles könnte sich drehen, aber zu fürchten, permanent, man macht sich erneut etwas vor. Das zehrt. Zu warten zehrt und daß man mit einigem Erfahrungsrecht ein Hoffen nicht mehr aufbringt, das einen nährt und vorantreibt. Keinen Plan B, wohl wahr: Ich habe niemals uneigentlich sein wollen, bin es auch niemals gewesen, noch jetzt nicht.
Als Ghostwriter würde ich arbeiten wollen; kann mir vorstellen, daß sowas Spaß macht, zumindest dem Handwerk. Auch Außenlektorate ließen sich denken, so, wie sie meine Wiener Lektorin betreut; freilich fehlt mir deren empathisch-innige Befähigung, die ich aber vielleicht eben durch mein Handwerk wettmachen könnte, zumindest einbalanzieren.
Ausgebrannt. Ich weiß nicht. Es liegen viele Entwürfe hier, auch lange Vorarbeiten; all das wartet drauf, daß ich‘s angeh. Aber ich mag nicht, finde nicht den Atem, weiß nicht wofür – wenn‘s ohnedies keiner will. Mein produktives Manisches ist brüchig geworden, s e h r brüchig, Liebste. Denn der Zuspruch von Freunden ist eben ein Zuspruch von Freunden; wenn sie sagen, das ist gut, muß man die Freundschaft davon abziehen; kurz: Man wird zum Hobbydichter und ist es dann, mit sechzig, fast schon ein ganzes Leben lang gewesen, das sein Freizeitvergnügen mit einem Beruf verwechselt hat. Ziemlich tragisch, individualtragisch, zumal auch „Vergnügen“ nicht durchweg stimmt. Es gab aber hohe Momente, gab den Rausch, gab Visionen, gar keine Frage. Und aber immer wieder die Not. Schulden, Gerichtsvollzieher. Hm, war lange keiner mehr hier. Früher nahm ich sie irgendwann sportlich.
Die Dschungel ist, so gesehen, das währende Protokoll meines Scheiterns.
Aber das Traumschiff. Wir können nur warten, abwarten. Müssen da irgendwie durch. Ich habe immer gesagt und so auch gelebt, man müsse in das, wovon man überzeugt ist und was man tut, seine ganze Existenz geben, und habe genau das getan. Erweist es sich schließlich als falsch, geht man logischerweise mit über Bord. Doch klar, in hundert, zweihundert Jahren, Hölderlin, Kleist…
Verzagt,
Dein A.
P.S.:
Jemand schlug mir vor, es bei der Deutschen Künstlerhilfe zu versuchen. Um Hilfe bitten müssen, nach so vielen Büchern – wie ehrlos, Geliebte, wie sehr ohne Würde! wenn einem selbst der Stolz genommen werden kann. Ein Letztes, woran man sich hielt.