Das zehnmal heiße Recht. Im Arbeitsjournal des Freitags, dem 24. Juli 2015.


(9.30 Uhr)


Fertiggeworden, gestern bereits frühnachmittags. Begonnen, wieder Ordnung zu schaffen, indem ich neben den für die Gedichtanthologie zurück in die Regale zu stellenden Büchern auch endlich die abgeschlossenen Projekte beiseitelegte, auf die Archivstapel: die >>>> Traumschiff-Lektorats-Typoskripte etwa, sowie den fetten Hefter des >>>> Kreuzfahrt-Hörstücks — als mir für dieses Quittungen in die Hand fielen, die ich ganz vergessen, möglicherweise verdrängt hatte. Die mußten nun noch nachgetragen werden, was die Ausgabenrechnung auch als Form veränderte; so waren alle zwanzig Seiten noch einmal auszudrucken. Um 22 Uhr war ich fertig.
Jetzt eben im Netz alle Finanzamtsbögen gefunden. Nur die sind jetzt noch auszufüllen. Meiner Berechnung nach waren meine Steuervorauszahlungen sogar extrem zu hoch, so daß ich zwar nicht mit einer Rückzahlung rechne, wohl aber damit, daß sich die Vorauszahlungssumme mit der Umsatzsteuer verrechnen läßt, die ich eingenommen und also abzuführen habe. Das ist ein gutes Ergebnis des finanziell schwierigen aber persönlich wie literarisch leidenschaftsvollen Jahres 2014. Ich dachte gestern: Dieses Jahr wirst du als eines deiner je besten nie mehr vergessen. Wie ich vorgestern schrieb: Steuererklärungen können zu Erinnerungsfesten werden. Vielleicht hatte ich deshalb meine Wut- und Verzweiflungsanfälle dieses Mal nicht, vielleicht ahnte etwas in mir das voraus. In jedem Fall hat mir meine zuversichtliche Herangehensweise drei ganze Tage geschenkt; normalerweise rechne ich für eine Steuererklärung eine Woche; die ersten drei Tage vergehen mit Zetern. Daß ich das aber schon vorformulierte, brachte Ironie in die Sache und damit den nötigen Abstand.
Zum Finanzamt will ich alles aber erst in einer Woche bringen, um nicht Gefahr zu laufen, daß der Bescheid schon während meiner Abwesenheit hier ankommt, ich also Fristrisiken eingehe.
Noch zehn Tage bis Paris.
Nunmehr den völlig chaotischen Arbeitsbereich aufräumen, auch den Schreibtisch mit Holzpflegemittel einreiben. Ich habe dieses Eichenwumms, seit ich zwanzig war, bekam es in Bremen von dem Paar geschenkt, das in Bremen über uns wohnte, über meiner damaligen Gefährtin R.H. und mir und unseren Katzen, Puck & Troll, danach der sehr jungen Sancha. Seit vierzig Jahren begleitet dieser Schreibtisch meine Arbeit, ist sozusagen ihr Fundamentstein. Da hat er ein Anrecht auf Pflege.

Nebenher immer wieder im Pound gelesen, auch über Pound gelesen. Eine deutsche Übersetzung des Praise of Ysolt scheint es noch gar nicht zu geben; auch in Eva Hesses deutscher Ausgabe der Personae ist keine drin. Reizvoll also, ganz besonders reizvoll. Übrigens muß ich für meine Gedichtbände, also für die anderer Autoren, ein neues, mindestens um einen Meter längeres, als das jetzige ist, Regalbrett besorgen: drei Meter Gedichte sind es dann ungefähr; gestern habe ich quetschen müssen und gar nicht alles untergebracht – nicht so, daß es übersichtlich wäre. Mein Blick verschiebt sich. Ich werte das als Zeichen, zumal auch Paris unter lyrischer Vormundschaft stehn wird. Ab morgen will ich diese Perspektive auch für Eigenes wieder einnehmen.
Zwei Stapel „Wegzulesendes“; Kopetzky, Pynchon, Koneffke, Pessoa, Elytis, Ahava, Dean, Glöckler, Perkampus, Tabucchi, ein „mittlerer“ Eco. Und ff die Reinig und Bachmann, der Hilbig und Poe, und während Montale. Die nächtliche Filmguckerei hat aufzuhören. Sie ist der pure Eskapismus – ANH indes keiner, der flieht.

Höllerer fragte noch einmal wegen der Berliner Traumschiff-Premiere, 8. September am Wannsee, nach einer Wunschmoderatorin an, schlug >>>> Katharina Schultens vor, die ich auch wahnsinnig gern dafür hätte. Aber sie werde ablehnen, sagte ich ihm, nannte drei Alternativen, unter denen Ronja von Rönne, schon aus Gründen der Frechheit. Obwohl die Löwin warnte: dann gelten Sie erst recht als Macho, lassen Sie das sein. Indessen mir zunehmend klarwird, daß ich einen Boulevardweg gehen muß, wenn mich der „seriöse“ Literaturbetrieb blockt. Die Münchener Lesungsabsage war deutlich: Suchen Sie sich Orte mit jungen Menschen, was in diesem Fall hieß und heißt: dort, wo es noch keine Voreingenommenheiten gegen Sie gibt. Bei den älteren sind die nicht mehr auszuräumen.
Ihr Nietzsche, jetzt Unhold.
Dennoch, Es war ein gutes lebenspralles Jahr, dieses 2014. Und weitere solche Jahre werden folgen.
Argo ist erschienen, das Traumschiff ist erschienen. Eisenhauer behauptet, ich hätte einen Ghostwriter; anders sei eine derartige Produktivität nicht möglich. Schmeichelhaft, aber er sollte mal zu Dietmar Dath gucken, demgegegenüber ich allenfalls ein Müßiggänger bin. Auch Blicke zu Wieland und Goethe können nicht schaden, zu Schiller, zu Döblin. Dath hat obendrein noch eine volle Stelle als Redakteur; trotzdem scheibt er pro Jahr mindestens einen Tausender.
Was mich sehr gefreut hat: Platthaus hat Benjamin Stein in den Kanon gehoben, und das in der FAZ. Wie schon geschrieben, also, tut sich was. Eine neue Generation wird diesen Canon insgesamt umformen. Namen wie Paulus Böhmers werden im Zentrum stehen, vielleicht kommt auch Gerd-Peter Eigner endlich hinzu, ein ebenfalls „Verbrannter“, sehr wahrscheinlich auch Helmut Krausser. Man wird wieder von Schirmbeck sprechen, Gütersloh, Niebelschütz, Kurt Kluge („Der Herr Kortüm“), vielleicht sogar, eines Tages, von mir. Andere werden bleiben, und zu recht, Handke zum Beispiel.

Meine Witzelkritik, in >>>> Volltext, ist erschienen. Soll gut aufgemacht sein, ich muß mir die Zeitung noch besorgen, weil seit dreivier Jahren keine Belegexemplare mehr verschickt werden.

Leider muß meine Pavoni in Reparatur. Und der Waschsalon, dringendst, ist angesagt. Ich trag schon jede Unterhose zweimal. Da ich aber derzeit abstinent nicht nur in Sachen Alkohol lebe, kommt‘s mir wurscht vor. In Paris werd ich mich wieder putzen. („Huch!“ schreit jetzt das halbe deutsche Feuilleton wieder, „nun schreibt er schon wieder unter dem Gürtel! Wir haben‘s doch gesagt: der ändert sich nicht..“ Komm, Heller, komm, du mußt dich arrangieren. Und eine Autorin hat, was ich begeistert – und begründet – über ihre Arbeit schrieb, „unseriös“ genannt. Weil mich – die Seele interessiert; distanzierte Betrachtungen gehen mir am Arsch vorbei. Leidenschaft will ich, Temperament, Hitze. Alles andere gehört zu jenen, die Aldous Huxley kalte fliegende Nacktschnecken nannte. Besser jedenfalls, sich zehnmal heiß zu irren als zwanzigfach kühles Recht zu haben.)

Ich freu mich auf Paris.

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