[Arbeitswohnung, 15.18 Uhr]
Hin- und hergerissen, ob weiterlesen oder das Ding in die Ecke pfeffern. Grandiose Syntaxen darin, fantastische Ausdrucksideen, die Geschichte changiert zwischen gewagt und Mainstream (Mißbrauchsversuch an einer Jugendlichen); auch ihretwegen – wie hält der Autor die Balance, nichts ins ohnedies ständig Umgekaute, zumal öd-politisch Korrekte abzusacken – er hält sie! – will ich dranbleiben. Aber dann wieder nervt, nervt echt, seine Macke, auf jeder Seite, ich übertreibe, okay, achtmal „hielt er doch“, „tat er doch“, „wußte sie doch“, „sah sie doch“ zu schreiben – eine sich altfränkisch permanent wiederholende Phrasenbildung, von der ich einfach nicht kapiere, wieso der Lektor sie hat durchgehen lassen. Ich komme mir jetzt wie ein Zuhörer vor, dem das Mißgeschick wi(e)derfährt, auf die dauernden „äh“s des Redners aufmerksam zu werden und der dann gar nichts andres mehr hören kann als eben diese „äh“s. Schade schade schade. Außerdem stimmen auch hier viele Konjunktive nicht (permanent als sei, was falschfalschfalsch ist!, statt als wäre; der deutsche Irrealis scheint völlig zerschunden worden zu sein, durch Fehleinschliff, durch Schlamperei – auch und besonders der Lehrer, die ihn zu vermitteln versäumt haben, weil ihnen die „richtige“ poltische Meinung wichtiger war. Und und und. Es ist zum Kotzen. Denn, verdammt noch mal, das ist ein g u t e s Buch! – doch seine Lektüre für mich wie ein fortgesetzter Doublebind, den ich vollbewußt erleide.
Ansonsten Vorreiseabschlußtätigkeiten. Die reparierte Pavoni ist wieder da, das Geld von S. Fischer kam, es konnten Rechungen, auch Mahnungen, bezahlt werden und die Miete und die für September gleich mit, Krankenkasse dito; sowas befreit. Der Mops ist heute wieder zu Gast; Amélie fragte gestern abend, ob ich ihn nehmen würde; ab Thälmannpark habe er herzuzerren begonnen. Hunde mögen Dominanz, ganz offenbar. Er hat nix verlernt, ich kann ihn ganz ohne Leine laufen lassen; sag ich Stop!, bleibt er wie gegossenes Kupfer am Bordsteinrand stehen, rührt kein Ohr; sag ich, Jetzt kannst Du laufen, pest er über die Straße und bummelt erst wieder am nächsten Baum, sofern der schon markiert worden ist und also übermarkiert werden muß. Auf ihn aufzupassen habe ich eigentlich nur noch, wenn ich zu weit voran bin: Es gibt in Berlin einen Mopsklau, der seine Einkunft mit Lösegeldern erwirkt.“Wenn Sie Ihren Hund lebendig wiedersehen wollen, dann hinterlegen Sie hinter Helmis achter Parkbank von links zweitausend Euro in kleinen unmarkierten Scheinen.“
Sonne. Viele viele Spatzen. Berlin hat noch Tausende von ihnen, weil noch nicht alles fassadengecleant ist. So, wie wir in der Stadt die meisten Turmfalken und die meisten Federmausarten Europas haben. Ich weiß schon, warum ich diese Stadt so liebe. Sie ist voller Füchse, und auch Wildschweine werden im Stadtgebiet gesehen.
Jedenfalls eine Plastiktüte, die zweihundert Zehner, möglichst nicht druckfrisch, in gummibandgehaltenen Stößen darin. Dann Gekläff vom anderen Ende des Parks, drüben überm Spielplatz. „Robbiiiiie!“ Oder auch „Mützchen!“ – Tränen. Hund springt hoch und jubelbelfert. Und sein Frauchen heult. Solch Emotionsflut nutzen die Entführer natürlich umgehend aus. Man muß nur eine Minuten weggeguckt haben, schon ist die Plastiktüte verschwunden.
Ein Mops pro Monat reicht eigentlich, is‘ ja alles nich‘ versteuert. (Unbedingt daran denken für den Fall, daß wirklich nix mehr geht mit meiner Literatur.)
Amelie darf ich das selbstverständlich nicht erzählen, sonst bezahlt sie heute abend das Essen nicht mehr. >>>> Delizie d‘Italia, 48494977, exquisite napoletanisch-sizilische Küche. Ich muß mich um die Prenotazione noch kümmern.
Fatto. (Da ich erst ab Montag wieder Alkohol trinke, wird es diesmal nicht gar so teuer werden.)
Dabei gibt es auch sprachlich wirklich große Passagen in dem Buch, echte poetische Schätze, etwa die gesamte Dialogführung: wie sie in die Prosa direkt eingeschmolzen ist. Doch dann schon wieder „war er doch der einzige in Frage kommende Sohn“… Ich könnte die Wände hoch dieser Stanzenmacke wegen!
Nächste Traumschifflesung fixiert: Heidelberg. Im August, in Umbrien, werde ich die Terminleiste für Die Dschungel vervollständigen. Falsches Wort. Überhaupt erst einmal auffüllen. Bei, bis Ende Januar, sechzehn Lesungen bin ich jetzt. Es sollten mindestens dreißig werden.
Kalt draußen, übrigens. Erbärmlich für den Juli. Für Montag aber, in Paris, sind 36 Grad Celsius angesagt. Da werde ich aufatmen können. Ideales, zumal, Gedichtwetter, weil bei Hitze die Ganglien schäumen; sie kennen ja auch ihre Säfte und wolln dann mit Ideen vögeln, bis hinterher, vom schubweisen Geschiebe quer übern Boden, ihr Rücken wundgewetzt ist (schlimmer noch sind Teppichböden aus Kunstfaser: da holt sich die Frau Verbrennungen; alles schon erlebt). Deshalb sage ich nur jardin des plantes!: – pflanzen, Leute, pflanzen!!:
A girl‘s arms have nested the fire,
Nor I but the handmaid kindled
cantat sic nupta
I have eaten the flame.
Pound, Canto XXXIX
Ist er doch der einzig in Frage kommende Meister der Anzüglichkeiten!
Vergnügt:
Madame TT
„Ist er. Doch.“ (Grrr.)