[Traumschiffs Kamintisch,
7.45 h]
So die Tage ruhig, bisweilen schweigend schweifend
kühl ist‘s geworden, ich trage Schal um die Schultern
morgens bei Pound auf den Stufen
Die Brüste der Béart, IX
Ich überlege, ob ich manche der Texte, aus denen ich >>>> diese Clips baue, parallel in Der Dschungel einstellen soll, bin mir aber noch unsicher; andere Texte, die ich wiederfinde, werde ich ohne Interpretation durch ein Video neu zugänglich machen und dadurch den Akzent in der Dschungel abermals verschieben. Sie ist ein Organismus.
Dabei, etwa im Blick auf die Brüste der Béart, immer die Frage nach Relevanz: Welche Bedeutung hat eine, meinetwegen, Obsession, wenn immer schärfere politische Fragen zu beantworten sind? Sicher, es bleiben „ewige Themen“, Anziehung, Verfallenheit, Liebe; zugleich aber ist Stellung zu beziehen – was ich durchaus, das wurde mir gestern nacht im Gespräch neuerlich klar, militärisch, jedenfalls kämpferisch meine. Der Vorwurf an die Allierten ist nach wie vor virulent: wieso gegen Hitler erst so spät massiv eingeschritten, weshalb so lange zugeschaut wurde, obwohl der Völkermord längst bekannt war, der vor sich ging. Also deutlich: Können wir beiseitestehen, wenn in Nahost und anderswo Menschen wieder gekreuzigt werden, gefoltert, in Massen vernichtet? Reicht es, Flüchtlinge aufzunehmen, sofern sie es überhaupt über >>>> die Schlepperrouten schafften und nicht im Meer ersoffen sind? Ich mußte an die spanische Befreiungsbewegung denken, an der aktiv auch Hemingway teilnahm; >>>> sein neben „Fiesta“ wahrscheinlich bedeutendster Roman, wohl auch der berühmteste, legt Zeugnis davon ab.
Meinen wir es ernst mit unseren Werten? TT hat schon >>>> dort die Frage gestellt, als angstbesetzte Rollenprosa. Hier wird auch der Vorwurf des gläubigen Islams – womit ich nicht den fundamentalistischen meine – wieder deutlich: „Ihr habt keinen Gott!“, was säkular nur bedeutet: Ihr habt nichts, das ihr nicht für Geld verkaufen würdet. Ich habe darauf schon einmal geantwortet und würde das hier wiederholen, wenn ich nicht zugleich wüßte, wie allein ich damit stehe. Dennoch ist es vielleicht sinnvoll, meinen 2008 für den Freitag geschriebenen Text >>>> hierdrunter in den Kommentar zu stellen; die Zeitung hat ihn aus ihrem Online-Archiv entfernt; mag sein, daß der gegenwärtigen Redaktion die Denkrichtung nicht behagt; vielleicht hat es auch ganz simple, personen- und ideologieunabhängige Gründe: Meine seinerzeitige Entgegnung auf die sogenannten „58“ ist ja >>>> drinnengeblieben.
Mir scheint die moralische Positionierung zur Flüchtlings„frage“ (als ob‘s noch eine wäre!) tatsächlich im Bewußtsein einer europäischen Identität zu liegen, die von kulturellen Herkünften unablösbar ist. Was verstehen wir unter Europa? Was soll Europa uns sein? Nicht mehr als eine Freihandelszone? Dann in der Tat ergeben die unter dem Tisch ausgefeilten Feihandelsabkommen mit den USA Sinn, dann kann man auch, ohne sich zu schämen, Griechenland aus Europa werfen, dann geht‘s in der Tat nur ums Geschäft. Dann aber hätte der Islam durchaus recht: Käuflichkeit wär hier das erste und letzte Kriterium.
Noch einmal: Können und wollen wir zusehen, wie wieder gekreuzigt und gefoltert wird und Menschen in Massen abgeschlachtet werden? Läßt sich, dieses im Auge, unser Pazifismus halten? Ich glaube: Nein.
Ich glaube aber auch, daß eine, sagen wir, Eingreifarmee nicht unter der Herrschaft der USA stehen darf, sondern sich ablösen muß, um europäisch autark zu werden. Wir können nicht vergessen, daß die Erstarkung des fundamentalistisch-brutalen Islams letztlich ein Ergebnis des Kalten Krieges ist, letztlich ein Ergebnis auch der Unterstützung brutal-feudalistischer Systeme, die den westlichen Hegemonialinteressen dienlich waren. Und als es um die Schwächung der USSR ging, stand sogar Bin Laden auf der payroll. Außerdem würde ein Krieg, wenn der IS oder eine ähnliche Organisation uns angriffe – „uns“ meint Europa – h i e r geführt, nicht in den USA. Und wir würden uns a u c h wehren, um die Flüchtlinge zu schützen, für sie also m i t. (Übrigens ist es, auf die Bevölkerungsanzahl gerechnet, nicht wahr, daß wir – jetzt meint „wir“ uns Deutsche – die meisten Flüchtlinge aufnehmen; tatsächlich stehen wir erst >>>> an siebter Stelle der Stastik.)
Wir brauchen eine europäische Einheit, die etwas anderes erfaßt als das Business – eine, die auch bereit ist, vom Wohlstand abzugeben oder, um es menschlich auszudrücken, bereit ist zu teilen. Wir brauchen ein Bewußtsein von unserer – Kultur.
Dabei, etwa im Blick auf die Brüste der Béart, immer die Frage nach Relevanz: Welche Bedeutung hat eine, meinetwegen, Obsession, wenn immer schärfere politische Fragen zu beantworten sind? Sicher, es bleiben „ewige Themen“, Anziehung, Verfallenheit, Liebe; zugleich aber ist Stellung zu beziehen – was ich durchaus, das wurde mir gestern nacht im Gespräch neuerlich klar, militärisch, jedenfalls kämpferisch meine. Der Vorwurf an die Allierten ist nach wie vor virulent: wieso gegen Hitler erst so spät massiv eingeschritten, weshalb so lange zugeschaut wurde, obwohl der Völkermord längst bekannt war, der vor sich ging. Also deutlich: Können wir beiseitestehen, wenn in Nahost und anderswo Menschen wieder gekreuzigt werden, gefoltert, in Massen vernichtet? Reicht es, Flüchtlinge aufzunehmen, sofern sie es überhaupt über >>>> die Schlepperrouten schafften und nicht im Meer ersoffen sind? Ich mußte an die spanische Befreiungsbewegung denken, an der aktiv auch Hemingway teilnahm; >>>> sein neben „Fiesta“ wahrscheinlich bedeutendster Roman, wohl auch der berühmteste, legt Zeugnis davon ab.
Meinen wir es ernst mit unseren Werten? TT hat schon >>>> dort die Frage gestellt, als angstbesetzte Rollenprosa. Hier wird auch der Vorwurf des gläubigen Islams – womit ich nicht den fundamentalistischen meine – wieder deutlich: „Ihr habt keinen Gott!“, was säkular nur bedeutet: Ihr habt nichts, das ihr nicht für Geld verkaufen würdet. Ich habe darauf schon einmal geantwortet und würde das hier wiederholen, wenn ich nicht zugleich wüßte, wie allein ich damit stehe. Dennoch ist es vielleicht sinnvoll, meinen 2008 für den Freitag geschriebenen Text >>>> hierdrunter in den Kommentar zu stellen; die Zeitung hat ihn aus ihrem Online-Archiv entfernt; mag sein, daß der gegenwärtigen Redaktion die Denkrichtung nicht behagt; vielleicht hat es auch ganz simple, personen- und ideologieunabhängige Gründe: Meine seinerzeitige Entgegnung auf die sogenannten „58“ ist ja >>>> drinnengeblieben.
Mir scheint die moralische Positionierung zur Flüchtlings„frage“ (als ob‘s noch eine wäre!) tatsächlich im Bewußtsein einer europäischen Identität zu liegen, die von kulturellen Herkünften unablösbar ist. Was verstehen wir unter Europa? Was soll Europa uns sein? Nicht mehr als eine Freihandelszone? Dann in der Tat ergeben die unter dem Tisch ausgefeilten Feihandelsabkommen mit den USA Sinn, dann kann man auch, ohne sich zu schämen, Griechenland aus Europa werfen, dann geht‘s in der Tat nur ums Geschäft. Dann aber hätte der Islam durchaus recht: Käuflichkeit wär hier das erste und letzte Kriterium.
Noch einmal: Können und wollen wir zusehen, wie wieder gekreuzigt und gefoltert wird und Menschen in Massen abgeschlachtet werden? Läßt sich, dieses im Auge, unser Pazifismus halten? Ich glaube: Nein.
Ich glaube aber auch, daß eine, sagen wir, Eingreifarmee nicht unter der Herrschaft der USA stehen darf, sondern sich ablösen muß, um europäisch autark zu werden. Wir können nicht vergessen, daß die Erstarkung des fundamentalistisch-brutalen Islams letztlich ein Ergebnis des Kalten Krieges ist, letztlich ein Ergebnis auch der Unterstützung brutal-feudalistischer Systeme, die den westlichen Hegemonialinteressen dienlich waren. Und als es um die Schwächung der USSR ging, stand sogar Bin Laden auf der payroll. Außerdem würde ein Krieg, wenn der IS oder eine ähnliche Organisation uns angriffe – „uns“ meint Europa – h i e r geführt, nicht in den USA. Und wir würden uns a u c h wehren, um die Flüchtlinge zu schützen, für sie also m i t. (Übrigens ist es, auf die Bevölkerungsanzahl gerechnet, nicht wahr, daß wir – jetzt meint „wir“ uns Deutsche – die meisten Flüchtlinge aufnehmen; tatsächlich stehen wir erst >>>> an siebter Stelle der Stastik.)
Wir brauchen eine europäische Einheit, die etwas anderes erfaßt als das Business – eine, die auch bereit ist, vom Wohlstand abzugeben oder, um es menschlich auszudrücken, bereit ist zu teilen. Wir brauchen ein Bewußtsein von unserer – Kultur.
Amelia, 17. August
ANH
Ihr habt keinen Gott. (2008/09).
erschienen 2009]
Tatsächlich müßte ich sagen: Wir haben einen gehabt.
Er sollte uns wieder glaubhaft werden. Glaubhaft bedeutet: die Profanierung zurückzunehmen, der wir sie und unsere gesamte Kultur ausgesetzt haben. Gegen Profanierung hat Ernst Bloch, hat auch Adorno geschrieben. An ihr sind die großen linken Utopien gescheitert. Sie waren immer, auf die eine oder andere Weise, religiös. Das zieht sich bis in die Schriften Marcuses. Doch Überzeugung wurde disponibel. Der Pragmatismus punktet auf die Seite des Stärkeren. Dieser heutige Stärkere sind die internationalen Kapitalströme.
Das Stichwort gab bereits Mario Scalla: „Ökonomisierung der Gesellschaft“1. Im Deutschland der letzten beiden Jahrzehnte hat sie zu einer radikalen Privatisierung der Öffentlichen Hand und sich zunehmend verstärkenden sozialen Gegensätzen nach dem Vorbild der US-amerikanischen Gesellschaft geführt. Das ist nur auf der Oberfläche nicht gewollt, also da nicht, wo man die Nachteile finanziell und bisweilen schon existentiell zu spüren bekommt. In der Seele aber will man sie. Man will sie mit genau der gleichen Emphase, mit der, eines ungeregelten Konsum-Zugangs halber, das Forum der schwindenden DDR abgeschossen wurde. Ob die Segnungen der Konsumgesellschaft in der Dritten Welt zu Elendszuständen führen, aus denen in Gemeinschaft mit überkommenen Strukturen warlords ihre verheerende Macht beziehen, spielt so lange keine Rolle, wie nicht nur Brötchen und Butter auf den Frühstückstisch kommen, sondern man vor allem mit der Brave New World der Kulturindustrie beliefert wird, die einer Kunst-im-emphatischen-Sinn das Wasser abgegraben hat.
In Deutschland hat der Verlust der kulturellen Identität Tradition und auch neugeschichtliche Gründe. Man fühlte sich gerade in der Linken immer ein wenig unwohl, wenn man sagen mußte, ich bin Deutscher. Das taten so nur die Rechten. Man selber aber schämt sich. Daß es sich bei „dem Deutschen“ indes um einen an den Rändern höchst ungefähren, weil nationübergreifenden und dennoch eigenwillig präzisen Kulturraum handelt (was ihn dem arabischen verwandt macht), ist niemals recht begriffen worden. Stattdessen wurde, wer immer darauf hinwies, etwa Hans-Jürgen Syberberg, flugs in die rechte Ecke geschoben, in die er als Schüler Brechts und Blochs gar nicht gehörte, in der er nolens volens nun aber steht. In der rechten Ecke wollte man mit Nachdruck auch Anselm Kiefer haben. Bereits, daß sich Kafka als deutscher Künstler verstand, ist tabuisiert. Der Linken stellte Syberberg die falschen richtigen Fragen in einer Zeit, da sie sich wie der KBW nach und nach ins politische Aus schob. Die Idee einer kultur- ja ethnieunabhängigen Arbeiterschaft hat nicht nur versagt, nein, sie hat den Menschen aufs Kapital hin zugerichtet. Spätestens seit Ende des Zweiten Weltkriegs hat die Linke Kulturverrat begangen – was unter Mao geschah, war nur eine radikale militärisch-praktische Ausprägung derselben Idee. Einige wenige Erscheinungen wie Hannes Wader haben es verstanden, den emanzipativen Geist der Bauernkriege, einen wirklich aus dem Volk, wieder auferstehen zu lassen. In einer kurzen Renaissance des deutschen Volkslieds gab er Identität zurück.
Kulturverrat ist in der Tat ein ganz besonders deutsches Thema. Er hat viel mit Verdrängung zu tun. Ich erinnere mich gut der 60er, als wir lieber „I love you“ als „Ich liebe dich“ sagten. Fürs Innerste mußte man in Deutschland seine Sprache verleugnen – und wie immer bot sich ein Sieger an, hier der letztliche Sieger, der mit Persilscheinen die Größen der Nazi-Wissenschaften zum eigenen Aufbau heimgeholt hat. Sieger waren ja nicht auch Frankreich und England, schon gar nicht, wie wir unterdessen wissen, die USSR, auch wenn sie das glaubten und mittaten, was der andere, der eigentliche Sieger tat und alle Sieger tun: Man bringt den Besiegten seine Kultur, die aber im einen Fall das Ergebnis kaderbestimmter Unterdrückung und im anderen, stärkeren, ungeerdet war. Das darzustellen, ist die Kritische Theorie mit vollem Recht nie müde geworden. Man hat uns die Seele durch die Äquivalenzform ersetzt und findet die fremde Sprache schöner (und „wahrer“) als die eigene.
Der heutige Pop ist das Ergebnis. Ihm hängt die breite Linke ganz ebenso wie die Rechte an. Seine Erscheinungsform ist auf den Markt hin konzipiert und ohne den Warenhandel gar nicht denkbar. Wer sich klarmacht, daß Musik die Sprache der Seele ist, wird sich über die Folgen nicht wundern. Es sind nicht nur solche kultureller Entfremdung, die das schlechtgewissige Deutschland in die ausgebreitesten Armen nahm, sondern auch gesellschaftspolitische. Innere und äußere Prozesse laufen nicht geschieden voneinander ab. Daß das Private politisch sei, ist nach wie vor im Recht.
Die innerste Sprache der Menschen, und eben auch der Linken, ist die Sprache der Kulturindustrie geworden, die in der Pop-Art das Design nobilitiert und sich von dieser Ebene aus englischsprachig globalisiert hat. Das ließ die Linke nicht nur in Deutschland ihre kulturelle Identität verlieren. Eine Stärke des fundamentalistischen Islams besteht darin, seinen Gläubigen die Identität wiederzuwahren und/oder wiederzugeben. Der Abend wird lernen müssen vom Morgen, will er nicht untergehen.
Zwar sieht die Linke oder sehen die verschiedenen lockeren Gruppen, die man als Linke noch bezeichnen könnte, das Geschehen sehr wohl; daß die gegenwärtigen Regierungsreformen Gegenreformen und Rücknahmen längst erreichter Ziele sind. Es liegt nicht an mangelnder Analyse, und es liegt auch nicht an hinuntergeschlucktem Unwillen, daß sich kein breitflächiger Widerstand mehr zu etablieren vermag und „engagierte Literatur“ unmodern wurde. Es liegt an dem Eigenen des Kulturverlustes und daß man in den Kategorien der Äquivalenzform längst selber fühlt; man hat den Gegner verinnerlicht, weshalb es ihm so leichtfällt, widerständige Erscheinungen, wie es der frühe Punk war, seinem business innerhalb von Wochen einzuverleiben. Beim harten Rock, der aber auch schon englischsprachig war, hat das noch länger gedauert. Die Sprache des Widerstandes, die zum Beispiel Fluxus auch im Deutschen hatte, ist nahezu vergessen, und wo es sie weiterhin gibt, richtet sie sich auf die Findung einer Identität, die gar nicht die unsere ist, etwa in Thomas Pynchons Mason & Dixon. Pynchon betreibt sogar unsere Vergangenheitsbewältigung mit, in Gravity’s Rainbow, und zwar auf eine Weise, die einem deutschsprachigen Autor keiner erlaubt, geschweige daß sie einer verlegt hätte. Man muß nur an die Liebesgeschichte des Judenjungen Gottfried und des Nazi-Obersten Weissmann denken. Es gehört genau in diesen Zusammenhang, daß etwa im Bereich der Belletristik der US-amerikanische linke Widerstand, den es ja gibt, zu einem Fokus der deutschen Linksintellektuellen wurde. Umgekehrt haben solche US-amerikanischen Sprachkunstwerke ihren Markt nicht im eigenen Land, sondern in Europa. Dafür ist neben Pynchon vor allem Paul Auster ein Beispiel. Sieht man sich die Publikationen deutschsprachiger Verlage insgesamt an, wird das Phänomen besonders eklatant. Die Trauerarbeit der USA ist zu unsrer geworden. Was sie aber nicht ist. Die Berliner Menge jubelte Obama zu, wie wenn er unser Präsident würde.
Ich beschreibe einen Kulturverlust, der das Ergebnis eines zwar de facto nie vorhandenen, aber so angenommenen wie gewollten, ja nachträglich hergestellten Kahlschlages ist und der sich in die nächsten Generationen so sehr hineinvererbt hat, daß ihnen die Briefe an Diotima fremder wurden als die letzte Rede Sitting Bulls. Bei Syberberg hört man, in seinem Hitler-Film, den erschreckenden Satz: „Hitler, hier ist dein Sieg!“ Gehört haben ihn viele, verstanden wenige; wissen wollte ihn keiner. Letztlich hat Hitler-Deutschland dem globalen Kapitalismus den Boden umgegraben. Er war der Knecht, der Landlord sah zu und warf den Knecht nach getaner Arbeit hinaus. Auch davon hat sich die Linke, selbst wo sie’s begriff, nie recht erholt und sich schon gar nicht dagegen gewehrt, daß man sie um den eigenen Boden und die eigene Sprache expropriiert hat. Wie Masochistinnen, die ihr Mißbrauchstrauma schließlich angenommen haben und geschlagen werden wollen, ruft man nach weiteren Schlägen. Und wie junge jüdische Israeli, die mit Recht Heimat fühlen, wenn sie in geschleifte arabische Friedhöhe, von denen sie kaum mehr was wissen, Setzlinge stecken, fühlen sie die Geschichte nicht mehr, sondern lassen sich mit einer Hoffnung füllen, die weder für sie noch gar von ihnen gemacht ist. Als Donald Rumsfield sagte, er verstehe gar nicht, weshalb es noch andere Sprachen als das Englische gebe, war das weder skandalös noch so komisch, wie man das aufnahm; sondern dahinter stand eine der Realität völlig angemessene Frage. Die Antwort auf sie und mit welchem persönlichen Einsatz man die dann vertritt, wird die Antwort auf die Zukunft der Linken geben. Wenn ihre prominenten Vertreter, etwa Peter Schneider, nach dem Berliner Mauerfall nichts Eiligeres zu tun hatten, als ein Hohelied der USA zu singen, worin jeder 10. Bürger im Gefängnis sitzt und wo das allgemeine Bildungsniveau von Pisa nur träumt; wenn deutsche Poeten nichts sehnlicher wünschen, als ins Englische übertragen zu werden und Literaturkritiker für den Ausweis ihrer Qualitäten Lehraufträge in Berkeley nehmen, weil man, obwohl noch Cato da herrscht, irrtümlich glaubt, bereits ein Panätius bei Scipio zu sein, muß man die Frage gar nicht mehr stellen, weshalb sich in Deutschland keine Linke formiert.
Ohne eine Utopie, also ohne den Glauben, ist der Verfall der Linken nicht aufzuhalten. Dieser Glaube muß kulturell in einem Eigenen wurzeln, und das meint nun gerade n i c h t ein nationales Deutschland, sondern einen Kulturraum, der weiß, wie eng er mit den Nachbarn und auch grad mit dem Orient verbunden ist, und zwar dem von muslimischer u n d jüdischer Prägung. Für den Glauben reicht es nicht, daß man ein emanzipatives Menschenbild hat, es geht nicht um Fragen der Rationalität und schon gar nicht um politischen, geschweige einen ökonomischen Pragmatismus. Sondern um innerste Überzeugungen, die man auch auf großes persönliches, ja existentielles Risiko hin nicht feilhalten wird. Es geht, um es einmal so zu sagen, um die Wiedergewinnung eines Pathos darob, was es bedeuten soll, Mensch zu sein. Für uns Deutsche kann der Schlüssel nur in Europa und auch in Nahost liegen, auf keinen Fall findet er sich in den USA. Ein selbstbewußtes und selbst handelndes, sich politisch behauptendes Europa mit seiner langen, tiefen, leid- wie lustvollen Geschichte, die man angenommen hat, und mit seinen Wurzeln rund um das Mittelmeer sowie dem unvergleichlichen Ausweis, der seine Kunst ist, würde auch für eine Linke wieder utopiefähig werden.
Um eine solche Utopie zu skizzieren, eine sehr utopische, ich weiß: – wäre nicht ein abendländischer linker Konservatismus denkbar, der kulturell orientiert ist und darum sowohl auf das Zinsgeschäft verzichtet wie auf den Handel mit Derivaten – reinen Abstrakta, deren Umschlag die Existenz ganzer Völker bestimmt, obwohl er nicht einmal der Kapitalisierung von Unternehmen dient? Das Aktiengeschäft selber ist nötig – sind es auch Zinsen auf Dividenden? Ist es der Geldhandel, insoweit er nicht hedging, also Währungssicherung, ist? Und wie steht’s um die große Tugend des Islams, sie steht im Koran, derzufolge jeder Zehnt an die Armen fällt? Brauchen wir eine Steuergesetzgebung, die den Betrug schon auf der Stirn trägt und sich, wird betrogen, bigott darüber erregt? Und weshalb soll ein vor Jahrzehnten, bisweilen Jahrhunderten gegründetes Vermögen über einen Pflichtteil hinaus an Erben weitergegeben werden, die dafür keinen Handschlag taten, anstelle daß es ins Eigentum des Volkes eines Europas, das einer Kultur ist, i n die Kultur zurückfällt, die man daraus – und nicht nach Einschaltquoten – bezahlt?
Eine solche Umkehr ist nicht aus der Schwäche zu leisten, sie braucht die Stärke der Identität. Die hat ein internationales Proletariat nie gehabt – woher auch, hat es doch immer zu fressen bekommen, was so, und w e n n was, vom Tisch fiel. Und käute es wider. Als Erich Mühsam mit den Genossen 1918 zu München am Tisch saß und sich, weil’s schick war, alles mit Händen und ohne Serviette gerierte, ließ e r sich Messer und Gabel bringen. Und drehte Unter- und Überbau um.
ein paar zahlen
niederlande : 405 einwohner pro qkm / bip : 50355 $
japan : 337 einwohner pro qkm / bip : 45920 $
deutschland : 227 einwohner pro qkm / bip : 44999 $
diese zahlen könnten etwas hinsichtlich theorie zu kapazitäten jenseits von kulturtideologie oder patriotismus verraten
………………………
ich bekomme über kabel deutschland als fremdsprachige sender bbc, cnn, nbc, tv5 – das wars – alles andere german spraak.
in bayern – wird behauptet – trägt die jugend grad gern und traditions“bewusst“ lederhose bzw. dirndl ( yoe my die deern, wa ) zu den bierzeltfestls
………………………
die enlische sprache klingt anders als die deutsche, wann bei welcher gelegenheit sei dahingestellt und ist eh geschmacksabhängig / individuell verschaltet.
( ich selbst kann vibrato + gesangsstimme null ab, deshalb höre ich keine alten opern sondern eher nono usw … 12-ton / seriell und vibrato geht irgendwie nicht gut, oder ? – sorry diesen kleinen geschmacksbezogenen thematischen outburst )
in den usa wird mehr spanisch gesprochen als allgemein bekannt – mir selbst fehlen auf die schnelle definitive prozentualangaben.
irgendwie hörte ich mal, dass in den usa jeder dritte deutsche wurzeln hat ?
unglaublich.
( vielleicht ein medien fake )
nun, zappa war ja wohl einer der schärfsten kritiker der amerikanischen (un)“kultur“
folgendes fundstückchen hört sich sehr gut nach zappa an – das wurde aus zappaeskem ( anders kann ich das nicht hören ) – entscheidend sind hier die letzten minütchen
https://www.youtube.com/watch?v=kTOscC6MXBY
………………………………..
der krieg gegen die is wird auf mindestens 10 jahre dauer prognostiziert, es ist eh eine art guerillakrieg ( asynchron ) und so etwas ist selten zu gewinnen ( siehe afghanistan )
Wann je war europäische oder deutsche Kultur eine Kultur des Teilens und nicht des wie auch immer sozialkassengestützten Wettbewerbs, regelrecht inhärent verächtlich gegenüber Bildungs- und finanzieller Erfolgsarmut ?
Woher sollte soweit – eigentlich eher afrikabezogen als weltmeinend – eine wirklich humanismusgrundierte Teile- und EntwicklungshilfeKultur als antezipierte Tugend herrühren ?
@Pessimist. Sie ist so immer wieder gedacht worden, und gefühlt worden. Daher sollte und kann sie kommen. Deshalb beziehe ich mich auf die Kunst. Nebenbei bemerkt, gehört die Idee der Allmende, wie ihre Praxis, ganz ebenso zur europäischen Geschichte.
(Außerdem: „Wann je war es USamerikanische?“ müßte man dagegenfragen, „wann je war es asiatische, wann je afrikanische?“)
Kopfstand Was aber, wenn das Kapital, im Verhältnis zu kriminellen Banden ideologischer Politikanten und Staatsvervaenden, sich als noch eine verlässliche Groesse herausstellte?
„Staatsverbänden“ sollte es heißen.
Im Übrigen brauchten die Menschen keinen „Gott“, nämlich keinen, der neben der Welt „hockt“ (Leibniz), diese zu lenken. Die Monadologie hat das schon meilenweit hinter sich gelassen. Es ist so. Europäer, reißt euch zusammen!
Gut, setzen wir die Kunst an die Stelle von Gott. Dann haben wir erst recht keinen Gott; denn das gerade ist „göttlich, dass es Goetter und keinen Gott giebt.“ (Nietzsche)
@Tom, serenitas. gelassener, Tom: Es ist heiter, daß es Götter und keinen Gott gibt. Und Sie haben nur insofern recht, als Ihr „haben wir erst recht keinen Gott“ „erst recht nicht den EInen“ meint. In der Tat. Aber der von mir so genannte und empfundene Vorwurf geht gar nicht auf fehlenden Monotheismus, sondern, wie ich es oben schreibe, dagegen, daß wir an nichts glauben, sondern alles, tatsächlich alles zu verscherbeln bereit sind, weil alles disponibel ist unter unserem EInen: dem Kapital. „Wir glauben an(s) Money“ – dies wäre die andre Entgegnung. (Man kann sehr wohl eine Analogie sehen: der EIne Gott/die Konzentration des Kapitals). Hingegen die Fülle der Künste einem pantheistischen nicht einmal Bild, sondern Grundgefühl entspricht, einer Lebensmentalität. Welch weite Spanne von, >>>> Herr Doe, Frank Zappa zu, sagen wir, Hans Zender, von Arnulf Rainer zu Leo Rauch, von Julia Franck zu Dorothea Dieckmann (von Grünbein zu Goetz). (Doch für die meisten sprech ich in Rätseln, die gleiche Sprache als nicht dieselbe: Selbst einfache Sätze verstehen sie nicht, wenn sie nur umbetonen müßten und in der profanen Rede um Money innehalten. Sie sprechen dann von „Längen“.)
Ich fühle mich von Ihnen verstanden (und geehrt). Man muss diesen „EInen“ hinter sich, außer sich, u n t e r sich haben, um unter vielen Göttern heiter zu sein. Die radikalen Priester jeglicher Art, auch die des Kapitals, in ihrer Humorlosigkeit schon nicht auszuhalten.
Vielleicht könnte man statt Gott auch sagen: Transzendenz. Denn die ist es doch die leerbleiben soll mit der versuchten Austreibung aller Metaphysik. Ein Vakuum das alles Säkularisierte, Profane schlechterdings füllen kann. (Ich sage es mal mit meinen eigenen Worten – bei denen es Ihnen möglichwerweise so ergehen könnte, wie mir mit Ihren: Dass ich dem im Großen und ganzen folgen mag, aber doch manchmal zögere, ob das nicht ein bisschen zu grob, zu polemisch ist.. und vielleicht z.B. die kulturellen Einsprengungen in noch die schlimmste Massenkultur schlechweg verneint. So finden sich selbst beim alleramerikanischsten Michael Bays „Die Insel“ Anspielungen auf das Höhengleichnis und die Arche Noah – was tagtäglich an Blockbustern oder Serien wegkonsumiert wird ist manchmal gar nicht so unterkomplex…)
Kann mich hier wahrscheinlich nicht richtig einschalten, wiewohl mich eine Debatte interessierte. Gerade erst mit dem Traumschiff begonnen.
@Phorkyas. Daß Sie das Traumschiff lesen mögen, freut mich von Herzen.
In der „Sache“ selbst besteht für mich gar kein Zweifel daran, daß – manchmal denke ich, weitaus mehr als in den „gehobenen“ Künsten – Archetypen, Mythen, mythische Muster gerade in den Popularkünsten eine bedeutende Rolle spielen – aber als unbewußte Aufnahmen, die ihre Herkunft nicht wissen, oft wohl gewußt auch nicht werden sollen, so daß, was wahrgenommen wird, wie eine Originalerfindung wirkt. Die vermittelte Kraft, meinetwegen Aura stammt aber von früher, aus dem Kontinuum dieses Früher – ein Früher, das gleichsam steht und sich mit immer weiteren Realisationen anfüllt.
Ich weiß, wie nah diese Vorstellung Platon kommt, aber ich denke es mir nicht als „Ideen“, sondern als prozessuale Strukturen. Einen lose vergleichbaren Ansatz habe ich bei Whitehead gefunden, als junger Mann vor Jahren. In meiner Poetik spreche ich von Allegorien, wie >>>> in dem Video dort:
an Land gerollt von den Fischen ihr meeresbefruchtetes Ei
und ausgebrütet vom Heiligen Geist, רוח und روح –
jede Areia! (: darum der Bizeps! die Jungs ha‘m schon recht…)
alle Pandemos! du mußt nur durchs Stadttor wieder hinein,
alle Dione und manche Porné (das flammene Punkgirl, zum Beispiel,
vorm Palazz‘ Farrattini, wo sie sich sammeln in Grüppchen,
schwarze Plateaus unter den knallroten Chucks) –
jede Dione, Peitho, jede Palassia Euploia –
Aligénen der Straßen, Pelagien der Küsten-
Was ich meine, um es genau, deutlich und auf der Ebene der philosophischen Wissenschaften zu sagen – das ist ein Transzendieren o h n e Transzendenz.
@tom, aber das wäre, in die Immanenz zu transzendieren… (Verzeihen Sie den Manichäismus). Aber schon Zukunft, wenn wir sie als etwas werdend Seiendes auffassen, wäre Transzendenz. Ich folge Ihnen, und gerne, insoweit, als das, was Sie „ohne Transzendenz“ nennen, für mich eine nichtdefinierbare, ungefähre Transzendenz ist, ähnlich den subatomaren Teilchen, deren Ort wir bestimmen können, nicht aber zur genauen Zeit, oder die genaue Zeit, aber nicht den Ort.
Alles ziemlich abstrakt, ich find nur kein besseres Bild, bekomme eins nur in der Dichtung (oder der Semantik von Musik).
Richtig. Es bedeutete, die Möglichkeitsstrukturen der Wirklichkeit als ein sich in sich selbst realisierendes System zu denken. Als dynamische Entfaltung des Dieses-Da (ontos on). Leibniz hat mit der Einführung der Kategorie K r a f t als erster ein Weltmodell vorgestellt, welches völlig ohne einen äußeren Beweger aus kommt – Monadologie. Dahinter zurückzufallen wäre fatal. Ich komme gerne am Abend noch einmal darauf zurück.
An Whiteheads Prozesse bin ich ebenfalls geraten – vielleicht fassen die östlichen Philosophien das metaphorisch auch seit jeher besser.
Es wiederrealisiert sich ein Etwas in uns durch uns hindurch.
Wie ein einmal gegrabenes Flussbett, in welches der Strom immer wieder zurückfließt.
Vielleicht noch soviel: Ich folge gerne, dass es so etwas gebe wie diesen Kahlschlag der Geschichtslosigkeit. Bei Adorno findet sich dies auch in dessen Positivismus-Kritik, meine ich. Nur kann ich bei dem, was dieser Wurzellosigkeit entgegenzusetzen sei, nicht aus dem Vollen mittun… Weil ich eben doch eher Halbbildung angehäuft und wohl auf der falschen Seite des Positivismusstreits sozialisiert mich habe (Studium einer Naturwissenschaft). Und so nicht voller Überzeugung selbstbewusst sagen kann, zu denen zu gehören, die von dreitausend Jahren sich wissen Rechenschaft zu geben, wie das die künstlerische Selbstermächtigung geböte. (Entgegen Adornos Vorliebe scheint mein Gemüt sowieso eher Schiller zuzuneigen denn Goethe.)
@Phorkyas zum „Schillern“ Es geschieht bisweilen, daß ich bedaure, keine Naturwissenschaft studiert zu haben. Aber tatsächlich saß ich während meines Studiums (Philosophie – die Nebenfächer hab ich quasi dauerhaft geschänzt) mehr bei Wolf Singer und den Juristen rum als sonstwo. Ich hatte auch eine starke Logik(KalkülDesLogischenSchließens)Neigung, was mir meine andere Neigung, die kritische Theorie, ausgesprochen übel nahm. So blieb ich selbst an der Uni, die ich wirklich als Mater empfand, letztlich unbehaust und perpetuierte selbsttätig, was ich geflohen war,
Schiller gefällt mir ideologisch (wie er auch Verdi gefiel); näher bin ich – leider leider – Goethe. War heute auf dem nichtkatholischen Friedhof zu Rom. Sein Sohn ist dort bestattet, aber nicht mit seinem Namen. Da steht nicht „August“, da steht „Goethe filius“. Furchtbareres läßt sich über einen Vater nicht sagen.