[Traumschiffs Kamintisch,
8.24 h]
Der Untertitel täuscht, täuscht vor: Es ist kein Roman in, sondern einer mit Briefen, die aber nicht einmal sein eigentlich entscheidendes sind. Entscheidend – bislang – sind die ineinander geschmiegten Sphären aus Hochprivatem, objektivierend Projeziertem, objektiv Fiktivem und vor allem die Unmittelbarkeit der ins Sofort publizierten Vorgänge – etwas, das Irrtümer zuläßt und literarisch auf eine ganz andere Weise Fallen stellt, als wir es von „normalen“ Büchern gewohnt sind. Hinzukommt etwas erzählerisch völlig Traditionelles, nämlich – Spannung.
Ganz ganz toll, wie Pivecka das hinbekommt, auch den anfänglich eigenen Urteilen (feministischen) unversehens den Boden wegzieht, es zuläßt, daß ihr Boden zittert, zu zittern zumindest anfängt.
Noch weiß ich nicht, worauf es hinauslaufen wird, da ist einige Gefährdung, die andere Leser:innen als ich vielleicht gerade für Sicherheiten hielten, kann sein, in jedem Fall hatte >>>> parallalies Bemerkung recht, man wolle unbedingt wissen, wie‘s weiter- und auch, wenn, ausgehe.
So les ich nun das auf den Stufen:
Aus dem Gedichtmood bin ich grad, doch nicht nur deswegen, hinaus. Der SWR hat für das Traumschiff >>>> nachgelegt. Freilich gilt immer noch das ungesagte Gebot, ein Autor habe sich zu Kritiken nicht zu äußern, sondern müsse stille erleiden (oder, je nach Lage, genießen), was über seine Arbeit gesagt wird, ma tempora mutantur – oder, mit Marx gesprochen, das Netz gibt uns zumindest die Möglichkeit, in die Produktionsmittel mit einzusprechen, und hier scheint mir ein Wort nötig zu sein.
Carsten Otte ist nach wie vor begeistert, enthusiasmiert, das tut wohl; Birgit Koß allerdings, seine Gesprächspartnerin in der Besprechung, keineswegs; fast ist es wie bei einem sehr jungen Mann, dem dauernd die Stimme der Mutter in die Freude hineinfährt, um sie zu dämpfen; fast widerstrebend stimmt sie ihm zu, daß der Roman sprachlich meisterhaft gebaut sei; sie hätte am liebsten auch das nicht, und sie mochte sich nicht einlassen, findet, die Ebenen gingen nicht, letztlich nicht, ineinander, und sie hätte gerne den Focus direkter auf die, so sagt sie, Demenz der Hauptperson gelegt. Es fehlt ihr also die pragmatische Konkretion – abermals: Diktum des Realismus. Für die Schönheiten der Wahrnehmung hat die Frau keinen Sinn, jedenfalls nicht bei mir (ich sah andere Besprechungen von ihr, in denen ist es anders), und eine meiner gewiß allerschönsten Findungen, ist ihr geradezu lästig. Sie will endlich zum Punkt kommen (als wüßte sie, was der Tod ist) und nichts mehr von der zu einer hochagilen, liebevoll spöttischen und rundum selbstbewußten Greisin gewordenen Feenseeschwalbe wissen, die vor allem auch romanstrukturell für Lanmeisters Abschied geradezu notwendig ist. Frau Koß mag die flirrende Auflösung nicht; ausgerechnet da, wo andere nicht mehr aus dem Text kommen, noch wollen, empfindet sie Längen. Interessanterweise bezieht sie sich >>>> auf mein Hörstück, worin sie genau die Konkretion findet, von der ich im Roman gerade wegwollte.Frau Koß‘ Problem mit dem Buch ist, daß sie es als „Allegorie“ liest – „Allegorie“ im banalen Verständnis, nicht in meinem von wirkenden Strukturen, sondern bei ihr, Frau Koß, „steht“ das Schiff für etwas, bzw. „soll“ für etwas stehen. Dabei ist das gar nicht der Fall. Diese Frau braucht einen Interpretationshebel, will nicht mitströmen. Sie muß über dem Text stehen, um sich auf ihn einzulassen. – Kurz, ich wollte und will etwas anderes als sie und habe das geschrieben; ihr aber ist das utopische träumende Moment grundsätzlich fremd. Wohl deswegen wird auch Senhora Gailint nirgends erwähnt, die ich zu Anfang des Buches ja nicht grundlos als Walküre eingeführt habe – ein Hinweis, den es ganz absichtsvoll nur ein einziges Mal in dem Buch gibt. Wer die Geschichte des Kreuzfahrthörstücks in meinen Arbeitsjournalen mitverfolgt hat, weiß, wie sehr ich schon in ihm gegen das redaktionelle Primat des Dokumentarischen angekämpft habe, mehr und minder vergebens.
Seltsamerweise hat mich Frau Koß‘ Ablehnung nicht so runtergezogen wie andere Stimmen (daß der Roman nicht auf die Longlist des Buchpreises kam, hat mir mitten im sonnigen Italien eine ziemliche Depression verpaßt), sondern mich in dem geradezu bestätigt, was ich tue, mir neu das Bewußtsein gegeben, etwas Wichtiges zu vertreten, auch wenn ich damit ziemlich alleinstehe oder den Eindruck habe alleinzustehen.
Es geht ums Pathos. Nur deswegen äußere ich mich heute zu dieser Kritik.
Wirklich schlimm an der Buchbesprechung ist leider die Lesung aus dem Buch. Die Stimme des Sprechers ist erstens viel viel zu jung. Zweitens betont er die Sätze falsch, so daß der Eindruck entsteht, sie hingen nicht wirklich zusammen. Er liest drittens zur sehr nach außen; als Regisseur hätte ich ihm gesagt: „Bitte die Bauchstimme nehmen, sprechen, indem Sie von unterm Herzen die Luft holen, probiern Sie‘s bitte mal.“ Sprich: sein Vortrag hat keinen Klang. Hätte Otto Mellies dies gesprochen oder „mein“ geliebter, die Dichtung hat ihn selig, Peter Lieck, eine ganze Welt wäre entstanden, von der sogar ich selbst mir keine Musik machen kann. Es ist bei dem jungen – oder jung wirkenden – Sprecher keine Empathie. So, wie er aus dem Traumschiff vorliest, bestätigt‘s Frau Kossens reservierte Abwehr, illustriert sie gleichsam. Vielleicht fürchten sich beide vor der Anteilnahme, vor der Bereitschaft, sich einzulassen – womit ich bei eben meinem Thema wäre.
Das deutsche Verdikt der Pathoslosigkeit.
Hitlers Erbschaft, die fast alle bereitwillig angetreten haben, anstatt sie auszuschlagen.
Dabei gibt es ein Bedürfnis nach dem Großen Gefühl, und es wird auch befriedigt, man holt‘s sich – doch aus dem Ausland. Keinem Popstück würde je sein Pathos vorgeworfen werden, man saugt‘s sogar in sich ein, wenn man auch besser Abstand davon nimmt, die unterlegten Texte ins Deutsche zu übersetzen. Auch der Spielfilm lebt vom Pathos. Im Deutschen wird es surrogiert von einer brüchigen fahlen Ironie oder dem „dokumentarischen“ Gestus der „Aufklärung“. Schon Syberberg sah das, Botho Strauss ebenfalls – und schon backte man ihnen Faschistoides an.
So erreichte mich gestern von >>>> Werner Söllner zu den Brüsten der Béart ein Brief, der ebenfalls den Finger auf die Wunde legt, freundschaftlich warnend „Du weißt, was du tust“:
Das stimmt, und genau darum geht es, einmal abgesehen davon, daß doch kein Mensch ein Buch lesen wollte, um dem Autor/der Autorin nicht zu folgen. Tut man‘s dennoch, kann man gar nicht anders urteilen, als Frau Koß tat. Bücher, denen ich nicht folgen mag, lege ich beiseite; schon gar nicht schreib ich über sie (es sei denn, ich fände sie gefährlich oder verderblich; das ist dann aber eine politische Frage, bzw. eine der Ideologie).
Der Pathosvorwurf kommt auch von Freundesseiten; eine nahe Freundin schrieb mir „vielleicht etwas zuviel Pathos“, indessen ich denke: immer noch zu wenig, noch immer noch nicht heiß genug in die Sätze gebracht. Ich will ja auch nicht distanziert lieben, sondern will berauscht lieben, rauschhaft. Ich will umfaßt sein, hochgeworfen werden wie Kinder, die dann jauchzen, und wenn ich falle, falle ich schmerzhaft. Auch das will ich nicht mindern. Nichts, gar nichts mindern.
Aber wenn es so denn i s t, daß anders, als ich je geglaubt hätte, sogar das Traumschiff auf Abwehr und Widerstand stößt (mir restlos unbegreiflich, wie man solch einen Text „mühsam zu lesen“ finden kann; ja wie gehen die Leute denn mit Hölderlin um??? den sie doch rühmen..?), – wenn es also denn so ist, nun gut, vielleicht gerät dann wenigstens etwas in die Diskussion, vielleicht bewegt dann dieses Schiff etwas anderes, als ich gedacht habe – aber etwas eben doch. Wenn man sich über das Buch streiten würde, wär ja schon manches erreicht, käme zur Sprache, was weggedrückt wird. Jetzt hoff ich also da hin.
Ach, bin ein Südherz, das leider nur Deutsch spricht und niemals eine andere Sprache so tief sprechen könnte wie dieses; so ist es mir manchmal wie ein Gefängnis, aus dem ich aber nimmer hinauskann, dem ich verfallen bin, weil ich jeden Ameisengang hinter den Wänden kenne und in jedes Versteck hineinsehen kann. Hier, wo mein Temperament sein darf, was es ist, kann ich das nicht. Wo keiner auch nur auf den Gedanken käme, mir mein Pathos vorzuwerfen.
Ich spürte es gestern abend wieder, im italienischen Kreis. Wir sitzen draußen im Rundknick einer Gasse unter der nackten Hauswandlaterne vor einem verborgenen Garten. Die Menschen berühren sich ständig; es gibt keine Kommunikation, die nicht körperlich wäre, nicht sinnlich wäre. Sie fassen die Schultern, die Schenkel der anderen an, der Junge von vierzehn spielt liebevoll mit dem Ohrläppchen seiner Mutter, eine schmale, mädchenhaft wirkende Frau von vierzig umgreift von hinten die Brust erst eines der Männer, dann eines andren, schmiegt ihre Wange an. Schon die Kinder sind so. Auch die Männer streicheln einander. Man dunstet in der anderen Körper und atmet aus ihnen aus – sogar noch, wenn man streitet, und die Streits sind heftig, kurz, dann geht ein Sinnenwind über die Gesellschaft und wärmt sie, und die Leute lachen. Drüber zickzackt ein Fledermäuschen. Der Rotwein sei zu kalt, wird befunden, na jà, aus Plastikbechern: Man findet sich drein, und man trinkt ihn.
Und „natürlich“ wird in der Besprechung wieder auf meiner Herkunft geritten und „natürlich“ unter Absehung dessen, was eigentlich ist; nachgekäut wird munter, ich sei Joachim von Ribbentrops Neffe, einfach vielleicht, weil man‘s so will. Das Darmstädter Echo >>>> formuliert sogar, ich versteckte mich hinter meinem Pseudonym, wie auch Benjamin Stein. Das sind alles ziemliche Unerträglichkeiten. Denn suggestiv wird unterstellt, ich trüge an etwas schuld, das ich verbergen wolle. – Tut mir leid, bin ich nicht, schuldig. Ich bin lange n a c h Hitlers Unheil geboren, trage auch nicht ein Gran der deutschen politisch-menschlichen Schuld seines Volksmordregimes. Ich trage Verantwortung, das allerdings – aber Schuld? Es gibt zu büßen für mich keinen Anlaß, auch nicht durch den Verzicht auf mein Pathos und schon gar nicht wegen meines Geburtsnamens.
Und wer kam zuerst auf den Gedanken, ich sei in Bensberg geboren? Sowas stand nie in meinem Paß. Da stand „Refrath“ drin, auch „Köln-Kalk“ stand mal drin, nie aber, noch heute nicht, „Bensberg“. Damit ging‘s erst vor dreivier Jahren los, nachdem ein Hanserl den Eintrag bei Wikipedia geändert hatte. Egal unter welchem Namen man von mir spricht – wird immer nun Bensberg genannt, bin ich dem Ribbentrop fremder als jemals zuvor, und ANH schließlich auch. Wo‘s sowieso schon, das Ich, schwer hatte und hat, sich anders als über die Dichtung zu wissen, geht nun auch das in die Mündung und verliert sich in der See.
A u c h nett. Auf den >>>> miesen Typen mag g a r niemand springen.
Und gerade, bei FB, kommentiert eine Freundin, sie möge den Sprecher, also den, siehe oben, bei SWR 2.
10.54 Uhr
Sie werden, lieber Herbst, bis zum Ende Ihrer tage und womöglich noch darüber hinaus mit Ihrer „Verwandtschaft“ konfrontiert werden. Die Literaturjournalisten von heute können gar nicht mehr anders als hübsch etikettierte Püppchen in ihren Schubladen aufzuheben. Das erleichtert die Zuordnung ungeheuer.
Die Rezension selber ist unterirdisch. Ich wollte schon bei „Demenz“ aufhören, habe dann aber durchgehalten. Wenn ein Demenzkranker die Sprache verliert, dann verliert er sein gesamtes Sprachvermögen – und kann dann auch nicht mehr in diesem Stil schreiben (falls überhaupt). Zwei Sekunden Recherche hätten das klären können, aber wozu hat man schließlich sein Halbwissen.
Was Sie zu Pathos und „Hohem Ton“ schreibt, stimmt.
@Keuschnig zur Demenz und zur Bereitschaft. … na jà, aber sie sagt an einer Stelle „Das wissen wir nicht“ und hat genau damit recht. Allenfalls können wir noch Gehirnströme interpretieren. Genau darin liegt aber der Möglichkeitsraum, der dieser Traumschiffgeschichte eröffnet wird; nur deshalb läßt sich ihre Utopie denken und fühlen. Nur muß man das wollen. Wer sich abwehrend Beuys anschaut, wird so oder so zum Urteil kommen, daß das alles nur Müll ist. Kaum zu ermessen, wie viel aufgrund von Vorgaben geschlossen und auch ausgesprochen wird, die wir immer schon mitbringen.
Ich möchte in dieser Hinsicht gar nicht polemisch sein, auch nicht gegenüber Frau Koß, sondern muß nolens volens konstatieren: Sie konnte nicht anders. Ob sie auch anders nicht wollte, sei dabei völlig dahingestellt; es spielt tatsächlich kaum eine andere Rolle als die illusionäre der so empfundenen Autonomie. (Mein altes Beispiel: Damit Il nozze „funktioniert“, muß ich mich auf die Übereinkunft einlassen, daß Cherubino hinterm Sessel nicht gesehen wird – so sichtbar auch immer er allen Beteiligten ist. Genau aus diesem Grund haben frühere Dichterinnen und Dichter immer wieder den (zu)“geneigten Leser“ angesprochen – ihn nämlich imgrunde beschworen. Ist er ungeneigt, kann keine Dichtung, keine Musik blühen, keine Malerei.)
für die longlist ist Voraussetzung, daß der Verlag das Buch einreicht – maximal 2 je Verlag und 5 Empfehlungen möglich – oder die Jury ein Buch nachfordert. In den Vorjahren lagen die Nachforderungen der Jury bei ca. 15% der gesamten der Jury vorliegenden Bücher.
Diese Voraussetzung war dem Verlag, lieber profi, selbstverständlich restlos unbekannt. Wer wohl, der bei Verstand, wäre auf solch abwegige Idee jemals gekommen? Nun fallen uns die Blätter aus dem Gesicht, da die Hinter/Gründe mit einem Mal wie fünftausend Kristalle so klar sind. – Dennoch mag weder ich mich, noch mag sich, nehm‘ ich an, der Verlag von dieser Angelegenheit weiter aufhalten lassen.