[Wiesler 312 in Graz, 5.45 Uhr
Bantock, Sappho]
Als ich frage, ob der freundliche Herr Portier IchhalteihnfüreinenIranerWarumfrag-ichdennnicht? meine Schlüsselnummer brauche. Schon gestern nacht hatte er mir gesagt, ich bekäme Kaffee jederzeit, nur das Frühstück erst später.
„Wenn ich früh arbeite, brauch ich den einfach.“
Aber Bantock hör ich jetzt nur, weil ich Sappho mag – meine Vorstellung von ihr, meine Idee, und wegen des >>>> sapphischen Versmaßes. Die britische Komposition selbst ist, wie für das England zu ihrer Zeit typisch, rückgewandt spätromantisch-impressionistisch; Britten und Tippett sind durchaus Ausnahmen gewesen; deren eigentliche Modernität wird gerade in diesem Hinblick deutlich; zugleich hat ihnen dieser Umstand den Melos bewahrt, der an der kontinentalen Serialität zuschanden ging.
Paßt nach Graz gar nicht, diese Überlegung. Seltsam.
Sehr schön die freundliche, doch entschiedene Art des >>>> Wieslerhauses:
Sehr schön die freizügige Weite meines Zimmers, einer Art Halbsuite mit zwar nicht sehr großem Bett, in das man dennoch zu zweit paßte, aber enorm großem Flur und Sesselecke und, vor allem, Schreibtisch; der Internetanschluß ist frei, und ich habe jede Menge Ablagefläche für Arbeitsunterlagen und Bücher. Direkt an der Mur.
Als ich im >>>> Literaturhaus ankam, hatte >>>> Nora Gomringer ihre Lesung bereits begonnen; ich bekam den Großteil noch mit. Sie sprach und rezitierte – „performte“ – mit dem Perkussionisten Philipp Scholz. Beeindruckend fand ich ihre und Scholzens Interpretation einiger IGing-Gedichte >>>> ihres Vaters und überhaupt, wie sie sie Gedichte anderer in ihr Eigenes nahm, etwa Heines. Sie hat einen gut grundierten, manchmal schwarzjazz-gutturalen Mezzo mit weitem Klangraum, der einem urplötzlich ins Herz greifen kann und es auch tut. Bei manchen ihrer Gedichte bin ich mir aber unsicher, ob die – weil nicht selten eben kabarettistische – Qualität sich auch ohne den Vortrag vermitteln würde, ob sie über diese hinausweisen, sie transzendieren – eine für einen Pathetiker wie mich entscheidende Frage. Mir wurde das besonders während >>>> Jörg Piringers Performance klar, einem computergenerierten Permutationsspiel mit begleitenden, von ihm ins Mikro gesprochenen Lauten und Lautmalereien, das mir viel zu sehr am Konzept hing; allerdings bin ich mit Konkreter Poesie nie recht warm geworden, geschweige an ihr heiß. Zu viel Kopf, denke ich immer, zu viel gedachtwollt, abstrakt also. Ich will‘s mal so sagen: Prima Konzept für >>>> Verdränger und deshalb für mich ein geradezu Antipode von Kunst.
Das allerdings fängt Gomringer, also Nora, sehr gut auf und dreht es herum, besonders deutlich bei der Interpretation der Gedichte ihres Vaters zu spüren: wie sie ihnen eine sinnliche Tiefe des Geschehens hinzugibt, die sie für sich nicht haben. (Ich weiß, man kann jetzt diskutieren, ob nicht eben dies Aufgabe jedes Lesers Konkreter Poesie sei, sie also selbst, aus sich, herzustellen. Würde jetzt, heute morgen, zu weit führen; behalten Sie‘s im Hinterkopf.)
Aber bis ich erstmal hier angekommen war! Um sieben stand ich in >>>> Telgte (das „g“ wie ein ins „sch“ gleitendes „ch“ gesprochen, mit der mittleren Zunge hinterm vorderen Drittel des Gaumens erzeugt) am Steig eines Bahnhofs, dessen altes Gebäude heute als Backstube dient (ich sah den Bäckern beim Walken der Teiglinge zu). Der erste Zug fiel aus, schon der zweite. Dann fiel auch der dritte aus, und ich konnte nicht mehr wissen, ob ich überhaupt noch rechtzeitig nach Berlin käme, um meinen Grazflieger zu erreichen. Zudem war ja das Fernsehinterview für den SWR und für arte angesetzt.
Hat alles stattgefunden.
Doch mußte ich abends zum dritten Mal des TShirt wechseln. Ein kleiner Scan meiner Facebookposts möge mir weitere Ausführungen ersparen:
Und dann kam das Filmteam zum Interview, Sie wissen schon: der Parisattentate wegen, des Daishs wegen; die Aufnahmen werden nach Paris geschickt, Fragen und Antworten ins Französische übersetzt werden – Ausstrahlung am Sonntag in einer Woche in Frankreich, in Deutschland, schon war das Team wieder weg. Ich solle ein Taxi nehmen…, was schon von mir selbst ein blöde Idee war. Denn mein Fahrer meinte, vermittels geschickter DurchBerlinKreuzerei möglichen Staus zu entgehen, in deren einen wir aber gerade dadurch gerieten… abermals war unklar, ob ich meinen Flug noch erreichte…
Drittes TShirt, dachte ich nur. Bisweilen habe ich prophetisches Talent.
Und genoß einen Latte macchiato jenseits des Sicherheitscheques, der diesmal überhaupt keine Umstände machte. Dabei hätte ich gedacht… wegen Paris… Ob wir auch bei uns eine Notstandsgesetzgebung bräuchten, hatte der Journalist mich gefragt…
Propellermaschine, eine elegante Nadel. Ich juchzte vor Freude.
Nahm in Graz verabredungsgemäß ebenfalls ein Taxi. Der Fahrer hieß, kein‘ Scheiß jetzt, Osama. Was mich neugierig gemacht hätte, wenn er denn bloß gewußt hätte, wo in Graz das Literaturhaus gelegen ist, ja daß es so etwas überhaupt hier gibt; auch seine Zentrale, die er anrief, wußte es nicht. Übrigens auch sein Navi nicht. So landete ich im Kunsthaus, wo gerade eine Ausstellung zu Neuen Medien eröffnet wurde. Erst dachte ich also, richtig zu sein. Dann stieg ein Verdacht.
Sehr schöne junge Frau. Allein, sie verstand mich nicht, ich nicht sie. Wir versuchten es trotzdem weiter. Sie warf ihrem Freund entschuldigend kecke Blicke zu. Ins runde Piercing, jaja, linke Hälfte der Unterlippe, hätte ich hineinbeißen mögen, was uns beiden sofort klarwar, der Verständigung aber nicht weiterhalf.
Dann: Ah, das Literaturhaus! – Jesses, wovon hatte ich die ganze Zeit gesprochen? – Man muß einfach begreifen, daß man selbst es ist, der für die Einheimischen Dialekt spricht. Völlig falsch, das andersrum zu sehen….
Sie glitt ins Du: „Is‘ weit von hier, nimm ein Taxi.“
Elegantes JamesBond-Modell, aber nix BMW. Die Türklinken lassen sich versenken. Die Armatur besteht aus einem Computer, der nach GoogleEarth fährt. Hier im Navi f a n d sich das Literaturhaus, aber erst, als ich von dem anderen Navi erzählte. „Gibt‘s doch goa nich‘!“ (Schade, daß ich die Lautumschrift nicht beherrsche). Elegant wie sein Wagen durchschnitt der Fahrer die Stadt.
So kam ich an.
*
Manche Dinge kann man nur sagen, wenn man bis zum Rand gestopft ist.
Schlimmer aber, wirklich schlimm, „Don Alphonso“s Einlassungen. Zweidreimal sagt er nicht ohne Eitelkeit, er habe halt von Haus aus, womit er „geerbt“ meint, Vermögen. Und auf die Frage, welche Rolle die Dichtung spielen werde in einer angenommenen Zukunft, sagt er mirdochwurscht; es könne gut sein, daß sie wieder nur für wenige Auserwählte sei, womit er finanziell gehobene Klassen meinte, ja: Klassen; er fände das völlig in Ordnung. Er, nicht ich. Und dann sein Urteil über heutige Jugendliche, dieser ganze Quatsch wieder, demzufolge sie sich nicht mehr konzentrieren könnten (ach früher! ruft dieser Junkertyp innerlich aus, wie besser war doch alles!).
In dem Moment bin ich geplatzt.
„Vielleicht versuchen Sie es mal damit, eigene Kinder zu haben.“
Wird lustig werden, wenn wir gemeinsam auf dem Podium sitzen. 30.000 Euro, soso, kriegt er für die FAZ, dafür, daß er in deren Namen bloggt. Und singt ein Hohelied auf Schirrmacher.
Mir Applaus von etwa einem Drittel des verbliebenen Publikums. Normalerweise kommt es in Österreich nicht gut an, wenn ein Deutscher mit Kopfstimme spricht. – Die meisten waren da schon gegangen, schwänzelten während der, nun ja, „Diskussion“ nach und nach davon. Thema verfehlt urteilte >>>> nachts auf Facebook Gomringer noch selbst. Wozu ich dann ebenfalls meinen Senf gab.
Diese erste Podiumssitzung war, abgesehen von dem klugen Peter Glaser, eine Art Selbstfeier des bestehenden Betriebs; Fragen wurden nicht wirklich gestellt – oder gestellt schon, von Kastberger, aber in keinem Fall beantwortet. Mehr mehr als minder war‘s eine Personality-Show. Interessant freilich die Experimente, die Jo Lendle, Nachfolger Michael Krügers bei Hanser, im Netz anstellen läßt: daß er sie anstellen läßt. Daß so etwas nun für „klassische“ Verlage diskutabel und von ihnen ausprobiert wird. Daß allerdings dergleichen nichts Neues ist, sondern von mir und einigen anderen schon vor zehn Jahren getan, Romane in quasi Echtzeit, Kapitel für Kapitel, Leser:inne:n zugänglich zu machen, davon kein Wort. Lendle tat vielmehr so, als wär es eine Invention seines Verlages. Vielleicht ist er auch wirklich uninformiert und interessiert am Netz erst nun, da seine Autor:inn:en mit ihm sozialisiert sind. Ich hatte eh keine Lust, darauf auch nur Uff zu sagen.
Die „richtigen“, also belletristischen Netzakteure fehlten an diesem ersten Abend; ich grenze sie bewußt von den „konkreten“ der Bensenachfolge und also auch von >>>> Auer, mithin von den netz- und kybernetikformalistischen, sagen wir „informellen“, nämlich zentral auf die Syntax gerichteten Kunstrichtungen ab. Nur ich war da. Aber die anderen, wenn auch bei weitem nicht alle, werden kommen.
Und jetzt rasier ich mich, kleide mich (sitze noch in Jeans und dickem Pullover hier, weil ich gestern nacht als allererstes die Heizung ausgestellt habe) und gehe frühstücken. Das Symposion wird um vierzehn Uhr fortgesetzt werden. Zeit genug, um zu arbeiten, Zeit genug auch, um ein wenig durch die Stadt zu schlendern. Außerdem muß und will ich auf Kommentare antworten, die gestern in Der Dschungel eingestellt wurden. Den Lievito madre allerdings und einen Lievitoreste-Sauerteig, für Freund >>>> Arco in Wien, habe ich in den Kühlschrank getan. Am Montag mag ich ihm ein Pane Vallemaggia backen.
Guten Morgen.
Gradec: (alpenslawisch, wie ich gerade las, für „kleine Burg).
Blick vom Wiesler nach Norden (link) über die Mur
der link zum facebook-eintrag gomringers ist leider verloren gegangen ..
„Soso“, hah, Futterneid oder wie meinen Sie das, wenn Sie scheinbar verständig „soso“ schreiben, zweifeln Sie etwa an den 30 Mille, im Jahr ist das ja auch nun auch nicht so viel. Und wenn es einen Grund gibt, hin und wieder die FAZ im Netz aufzurufen, dann ja wohl wegen Don Alphonsos Bloggerei, denn er kann völlig zurecht sich was drauf einbilden, tausende Leser mit jedem Eintrag in die Blogs der Zeitung zu locken. Und das trotz der ”ganz schönen Riemen“, wie Denis Scheck des Dons Beiträge mal genannt hat. Die meisten deutschen Blogger bringen das erstaunlicherweise ja selber nicht hin. Tja, Arroganz muss man sich leisten können, und er kann es zweifellos.
Warum Sie seinen Avatarnamen eigentlich in Anführungszeichen setzen, frage ich Sie. Und dass ausgerechnet Sie ihn, den Juden, einen Junker nennen, nunja. Und dann auch dieses verkniffne typisch deutsche bloßnichtdieKinderkritisiern, der heilige Nachwuchs! Na, eine Gaudi wär es schon, schad, dass ich das Podium morgen nicht werde verfolgen können.
Das „ausgerechnet Sie. . .“ nehme ich zurück, das war unüberlegt und unfair und bitte um Entschuldigung.
Noch zu Schirrmacher: Ja,versteh ich das Hohelied, weil Schirrmacher einfach viel gewagt hat in seiner Zunft, vieles war auch einfach machmal hysterisch, manche Debatten vielleicht zu aufgesetzt, aber doch das meiste sehr berechtigt, es war einfach Leben in der Bude der FAZ, das ist heute doch ganz anders, man möchte ja nicht klinisch tot schreiben, aber in die Richtung geht es schon ein bißchen. Schirrmacher hat auch im Blogbereich vieles ausprobiert, das kann man nicht bestreiten, denk ich. Und da versucht Don Alphonso nach Kräften zumindest in seinem Bereich etwas fortzuführen, holt auch einige Bloggerinnen dazu. Dass er mit Dichterinnen schon zu tun hatte, auch bei der FAZ, Feministinnen zumeist, die an der Leserschaft meist vorbeigeschrieben haben, das wird ihn wohl auch zu der obigen kritisierten Aussage bewogen haben.
Ihr Kommentar, nicht gerade ein Plädoyer für den Kritisierten, mmh
Die Arroganz steht nicht im Leben. Sie spuckt nur darauf. Sich als Fatzke in die Ecke zu malen. Ist sie stets bemüht.
warum?
Am Schaft vorbeischreiben, dem Schaft zuschreiben. Feministische Trupps? Zugriffszahlenhampelmännchen und -frauchen?
Vielleicht schreiben. Vielleicht.
“ der an der kontinentalen Serialität zuschanden ging. „
verstehe diese aussage nicht wirklich, es sei denn so als feststellung ohne die intentionaliten ( welche ich nicht kenne ) von karlheinz oder luigi zu stigmatisieren.
hätten diese ( und andere ) einen echten universalitätsanspruch ( gehabt ) so wäre alles doch über methodik hinsichtlich strenger tonalitätsvermeidung oder vermeidung strenger rhythmik hinaus & zurück ( zum melos maybe ) hörbar zu machen gewesen, isn’t it ?
( maybe not )
serielle musik ist für mich persönlich geradezu die latente aufforderung, nicht alleine musik zu hören ( was ich selten schaffe ), sie verlangt von mir gesellschaft
( ergänzung ) womöglich durch das fehlendes melos hin zu vielleicht gar mitlaufenden „gesprächsmeli“ ( & ähnlich hörbarem ) – hörte ich serielle musik alleine und ging dann in stadt, ich hörte viel intensiver die „grosstadtsinfonie“ der alltagsgeräusche und stimmenpartikel.
für mich ist da nix geschändet sondern erweitert, dazugemacht.