Startschuß. Sonntag, der 24. Januar 2016: Das erste, in Sachen ANH jedenfalls, Journal zur LiteraturNord. Ein kurzes, denk ich, aber nur. Darinnen zum Abendgymnasium in Bremen.


[>>>> altera, 405
Oldenburg]


Wunderbar, wenn es am Schreibtisch Kaffee gibt, Espresso sogar, also Caffè, im Altera. So etwas sollte Grundausstattung in allen Hotels sein, deren Küche nicht vor sieben öffnet. In Südafrika, erinner ich mich, wurde frühmorgens an die Tür geklopft, hatte man abends bescheidgegeben, und der, nun jà, Tee wurde gebracht. Den gibt‘s hier, wenn man möchte, auch.
Du stehst auf, mußt dich ein bißchen in die Maschinentechnik einfriemeln, schon beginnt es zu duften. Mit dem Duft kommen die Gedanken. Ich sitze auf dem neuen Fell, ein Weihnachtsgeschenk der Löwin, das aus jedem Stuhl vorm Arbeitsplatz den eigenen macht; es wird auf allen künftigen Reisen mein Reisefell werden. „Puh!“ rief Carthaga Titanias Töchterlein aus. „Das stinkt aber!“ In der Tat, es riecht nach Schaf. Ich bin kein veganer Autor, nicht mal vegetarisch, für mithin den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels völlig (wöllig) ungeeignet; das Fell hat schließlich auch Leder, und in der Wolle stockt noch Fett.
Entsprechend einvernehmlich unterhielten wir uns beim Abendessen (grandioser Wein! und schwarze Trüffel zum Fleisch) über Gewalt. Die Jungs nämlich aus der Klasse meines Sohnes waren, als die Crackdealer auf dem Schulhof erschienen, hinabgelaufen und hatten sie so gemeinsam wie gehörig vertrimmt. „Hier sind auch kleine Kinder. Wenn ihr es wagt, noch mal wiederzukommen, verlaßt Ihr den Schulhof nicht lebend.“ Seither ist Ruhe. Aber die Jungs mußten zur Direktion und bekamen jeder einen Verweis, weil sie Gewalt angewendet hatten. Soviel zur moralischen Logik mancher Pädagogen. Sie hätten, die Jungs, die Polizei rufen sollen, die das Problem bekanntlich seit Jahren erfolgreich im Griff hat – einmal abgesehen davon, daß für Deutsche die Denunziation bekanntlich ein sehr bewährtes Instrument ist. – Manchmal bin ich einfach nur sprachlos.
In diesem Fall brach aber ein Gelächter aus mir raus, als der Junior von Vorfall & Folgen erzählte. – „Was für tolle Jungs!“ riefen nun, unisono, beide Damen … „mitsamt der kleistschen Folgen“, wäre gebildet zu ergänzen. Schon am humanistischen Gymnasium hatten mir zwei Lehrerinnen vorbehauptet, Schule sei gewaltfreier Raum. Da war mir die Spucke weggeblieben. Ich sag ja, ein Friedenspreis ist nichts für mich. Zumindest gegenüber Dingen hat vor Jahrzehnten meine Do das treffliche Bonmot geprägt: „Manchmal hilft Gewalt.“ Aus Gründen der Vielschichtigkeit ist auf das ‚manchmal‘ allerdings zu achten. Man muß sich ja auch fragen, ob einmal recht vertrimmt zu werden nicht weniger übel für die Dealer ist, als wenn man sie mit ihresgleichen einsperrt.
Ich seh schon, ich schreib mich mal wieder um Kragen und Ansehn. Aber bin gut drauf.
Also die >>>> Literatur Nord. Zum Beispiel, daß man einen Literaturpreis gewinnt; ein bißchen Lotto ist also immer dabei; ganz gut, sich das vor Augen zu halten. Und das Traumschiff, immerhin, fährt, wenn auch erst zum Abschluß der Saison. Aber wenn so ein Kasten von zwanzigtausend Bruttoregistertonnen Fahrt erst mal aufgenommen haben, kommen die nicht mehr leicht zum Stehen. Es sind in der Schiffahrt ziemlich lange Bremsvorgänge, schon um die Quais zu schonen.
Heute morgen Oldenburg, heute abend Bremen. Korol werd ich im Wallcafé treffen, also wenn‘s das noch gibt. Hier begann – wie die Anderswelt im Berliner Silberstein – die gesamte Romanserie mit der >>>> Verwirrung des Gemüts; um 1979 schrieb ich dort die ersten Entwürfe dieses meines zweiten, doch ersterschienenen Romans. Und mit Korol, der am Abendgymnasium mein Deutschlehrer war, zogen wir auf Demos und aus einem brennenden Polizeiwagen, der umgeworfen worden war, zwei Beamte, die sonst umgekommen wären, wahrscheinlich. Dennoch hat man mich hinterher verhaftet, indessen‘s ihm gelang, höchst erfolgreich das Weite zu suchen. Es stand auch mehr auf dem Spiel für ihn, allein schon berufsrechtlich. Nu‘ isser siebzig und sitzt in der Bremischen Bürgerschaft. „Ich könnt‘ in den Papierkorb kotzen!“ rief er aus und hob den auch schon zum Mund hoch – als ihn die Lahmarschigkeit der (erwachsenen) Schüler nervte. Im Nachhinein ist‘s völlig klar, daß wir Freunde wurden. Er gehört zu den leidenschaftlichsten Menschen, die ich jemals kennenlernte, und seine Liebe zur Literatur, womit ich Dichtung meine, brannte; sicherlich brennt sie noch immer.
Oh, ich würde gern auch Wolfgang Gruber wiedertreffen, den, nannte ich ihn immer, Jesuiten, der seine Ferien in Afrika verbrachte, wo er Menschen half. Das Lehrkollegium des Abendgymnasiums war ein Auffanglager für Individualismus, Engagement und Bildung, beinah durchweg. An Tietze erinner ich mich noch, der ‚mal nebenbei‘ Finnegan‘s Wake übersetzte.
Es war für mich eine wilde Zeit, und eine gute: Man ließ mich brausen. Zum ersten Mal eine Eins in Mathematik; meinem Lehrer ging, wenn er Formeln sah, echt einer ab, und das übertrug sich unmittelbar, jedenfalls auf mich. Solche Erektionen wollt‘ ich a u c h! Das Ulkige ist, man k r i e g t sie dann – schon weil man nicht die Formeln lernt, sondern sie jederzeit selbst herzuleiten versteht. Es ging darum, das zu können und sie nicht nur herzubeten. „Ich will kein konditionierter Reflex sein“: ob dieser Satz von Korol stammt, kann ich nicht sagen, aber es könnte trefflich seiner sein.
Und nu‘ seh ich ihn wieder. Und sehe Schossig wieder.
Wichtige, enorm wichtige Leute für meine auch literarische Entwicklung.
Fast wichtiger für mich als die Lesungen. Dennoch, hier erneut der Link >>>> auf die ganze Lesereise.
Wir wollen freie Menschen sein: Guten Morgen, Leserin.

10.03 Uhr
Ah-jà: Heute mittag >>>> um zwei nach eins.

Und >>>> im rbb um 18 Uhr.

2 thoughts on “Startschuß. Sonntag, der 24. Januar 2016: Das erste, in Sachen ANH jedenfalls, Journal zur LiteraturNord. Ein kurzes, denk ich, aber nur. Darinnen zum Abendgymnasium in Bremen.

  1. Sehr schön, dieses Gespräch bei Radio Bremen. Weit mehr als nur ein Gespräch über das Traumschiff. Katrin Krämer hat das gut gemacht. Sie schien sehr gut vorbereitet. Darüber hinaus völlig unaffektiert, angenehme Moderatorin. Wahrscheinlich der bislang hörenswerteste Beitrag zum Buch und dessen Pat…ssagieren. (Und dem Autor, last but not least)

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