Von, unter andrem, Nashörnern. Das Lesereisepausenjournal des Sonnabends, dem 23. Januar 2016.


[Methfessels Küchentisch, 7.30 Uhr
Latte macchiato]

Der schönste Leser:innenbrief, den ich jemals bekam, wartete auf mich gestern >>>> im Verlag:


Geschrieben wurde er von Schülerinnen und Schülern der Redaktion Das Nashorn mit Sitz an der Schule Hermannsburg in Bremen. Er lautet folgendermaßen und will von mir mit vollem Recht, daß ich mein Handwerk zeige:


Beigelegt – aus ganz offenbar kategorialen Gründen – sind je ein Gedicht von Friederike Mayröcker und Patrick Modiano, von diesem sogar handschriftlich. – So werde ich heute auf der Weiterfahrt das meine, sagen wir, versuchen.
Bevor ich im Verlag ankam und den ersten Kaffee, >>>> Sie konnten es gestern bei Facebook sehen, erst vor Rendsburgs Bahnhof genommen, ging‘s in den NDR; Gespräch für Radio Bremens Zwei nach eins mit Kathrin Krämer, eine wirklich launige, wenn auch nicht launische knappe Stunde, die Sie sich >>>> morgen mittag anhören können, und zwar, sowie meine Oldenburger Lesung endet. Ich werde dann abermals im Zug sitzen.
Und frühen Nachmittags ein höchst freundliches Treffen mit Volker Hage im Foyer des Grand Hotels Elyssée, wohinter, erklärte mir mein Verleger, der schlimmste Straßenstrich Hamburgs; davon war im Foyer nutr insofern etwas zu merken, als sich dort Herden digitaler Designnerds versammelt hatten und ziemlich die Durchkehr versperrten; ebenfalls für die Wahrhaftigkeit zeugte, der Information, daß ich nicht dampfen durfte: Hauspolitik. Nun jà, man muß ja kein zweites Mal hin, und wäre nicht eine unterdessen sogar kollegiale Höflichkeit am Platze gewesen, ich wär sofort gegangen. So wechselte ich einfach das Modell; es gibt ja auch winzige eCigaretten, die keiner mehr recht sieht.
Wir sprachen über Die Dschungel, Gerd Gaiser, Botho Strauss und über meinen Arbeitswahn. Was jenen anbelangt, gibt >>>> Wikipedia eine deutlich falsche Information: Es war n i c h t so, daß Jens und Reich-Ranicki Gaisers literarische Qualität nicht erkannt hätten, im Gegenteil sogar; ihr Briefwechsel gibt wortwörtlich zu, literarästhetisch sei er, Gaiser, Böll bei weitem überlegen; vielmehr ging es den beiden ausschließlich um Moral, bzw. um das, was sie dafür hielten oder halten lassen wollten. Hier wäre, so Hage, einiges neuzubewerten; zu seinen SPIEGELzeiten habe er dies leider nicht mehr geschafft; von mir selbst hatte er einen ganzen Packen ausgedruckter Dschungeltexte dabei.
Ein lockeres Gespräch, mit einigem Respekt, wenn auch unverbindlich; unterdessen ist er selbst ein Autor, weit mehr, empfand ich, als noch Kritiker.

Neben uns spielte ein, nun ja, Pianist auf einem Nunnunjaja-Piano:


Schon peinlich, was es alles gibt. Als ich dieses Ding s a h, fiel mir sofort wieder meines Verlegers Bemerkung ein, ‚von wegen‘ auf Straßen der Striche. Auch tummelten die Nerds sich weiter, wobei sie zu mindest zu fünfzig Prozent aus Nerdinnen bestanden, hübschen sogar; manche, darüber hinaus, wirkten gar intelligent(, oder darunter hinab).

Vom NDR also in den Verlag, freundschaftlich warmer Empfang, längeres Plaudern, Nüsse & Espressi; ein langer Spaziergang, auch gezielt kurz vorm Jungfernstieg zu >>>> Felix Jud; zumindest ein >>>> Traumschiff lag da noch präsentiert; das überhaupt erste Exemplar, das ich mit eigenen Augen im Buchhandel gesehen habe – wenn ich von >>>> Hauke Harders Almut Schmidt absehe, randstädtig Kiels, wo ich vorgestern zu einer kleinen Signierstunde war. Daß d a n n Bücher da sind, läßt sich voraussetzen. So ganz ohne Anlaß aber überraschte es mich d o c h. Etwa auf dem Prenzlauer Berg gibt‘s nicht ein einziges zu kaufen. Jedenfalls hat लक्ष्मी ergebnislos geschaut; ich selbst erspare mir besser derlei Enttäuschung. Ich meine, ich lebe dort seit zweiundzwanzig Jahren; zu den jährlichen Literaturfestivals meines Kiezes indes wurde ich noch niemals eingeladen, nicht zu einem einzigen; für den Betrieb existiere ich dort ziemlich deutlich n i c h t. Nur >>>> Meere lag mal bei Thalia, eine Woche lang, nämlich seiner ersten. Bis die Einstweilige Verfügung kam, und aus war der Aufbruch auf Jahre hinaus. Worüber wir ebenfalls sprachen, Hage und ich; ihm war das Buch überaus präsent; ich meinerseits hatte keine Lust, die alte Geschichte aufzuwärmen: Christoph Hein hatte mich in einem im Jahr 2004 veröffentlichten, von Volker Hage geführten SPIEGELGespräch mit einem Vergewaltiger verglichen; ich habe den Artikel noch, nur freilich jetzt nicht hier – Egal. Es ist in der Tat mein Groll auch dahin. Zumal offenbar Traumschiff manches nun wendet. Geben wir also Hein dem Vergessen anheim, insgesamt, meine ich. Geschichte rächt sich schon selbst.
Ziemlich gute Lesungen bisher übrigens. Und nahezu täglich gibt es neue Nachrichten über das Buch, darunter das, finde ich, pfiffigste Foto , das je von mir aus einer Lesung geschossen worden ist:


Copyright (©): >>>> Marco Ehrhardt


Insgesamt ist die Entwicklung freilich ungewöhnlich, weil der Buchmarkt imgrunde schon auf Leipzig fokussiert ist. Ich selbst hatte nicht mehr dran geglaubt. Und nu‘ dreht sich alles oder gibt sich zu drehen den Anschein. – Wir werden sehen.

Zum Arbeiten komme ich derzeit g a r nicht; zu schnell die Abfolge von Ankünften, Lesungen, Gesprächen, Abfahrten. Als elegant hat sich herausgestellt, die Traumschiffabschnitte, die ich vortrage, durch Gedichte zu separieren, selbstverständlich solche, die ums selbe Thema, um selbe Themen kreisen. Es ergeben sich auf diese Weise je andere Perspektiven, aus denen man ebenfalls auf das Buch schauen kann, nicht nur die eine Herrn Lanmeisters. Denn ohnedies sind Lesungen prinzipiell Interpretationen; an dem Rendsburger Abend wurde eben dieses zum Teil der Diskussion. „Letztlich“, sagte ich, „ist der Autor nicht autorisierter, über ein Buch zu sprechen, als es seine Leser:innen sind.“ Das mag nicht absolut stimmen, zeigt aber die Richtung an, in die gedacht werden sollte und empfunden werden m u ß.

Heute nach Oldenburg weiter. Abends Vorgespräch beim Essen. Morgen früh >>>> dort Lesung und schon wieder rein in den Zug zur Bremenlesung abends. Immerhin ward mir heut Zeit für dieses Arbeitsjournal. Und gestern durft’ ich >>>> sogar kochen.

[>>>> Altera, 405]
Nun also in Oldenburg:


Arbeitsplatz

In einer Dreiviertelstunde werde ich fürs Vorgespräch zum Essen abgeholt; die Lesung findet morgen vormittag um elf statt; danach gleich nach Bremen weiter.
Telefonierte grade mit >>>> Rainer B. Schossig, einem nahen Freund aus meinen Bremer Jahren, den ich aber seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, ja nicht einmal mehr gesprochen habe. Auf dieses Treffen freue ich mich riesig; und auch >>>> den großen wilden Korol will ich noch kontaktieren.

6 thoughts on “Von, unter andrem, Nashörnern. Das Lesereisepausenjournal des Sonnabends, dem 23. Januar 2016.

  1. “Zum Arbeiten komme ich derzeit gar nicht” Na, wenn das keine Arbeit ist: wochenlang von Literaturhaus zu Literaturhaus reisen, die Lesungen, die Gespräche etc etc.. Und was für eine Arbeit! Bewundernswert. Mögen diese Traumschiff-Aktivitäten die verdienten Wellen schlagen. Nachhaltig.

  2. Welch, lieber ANH, schöner Brief. Ich hinge ihm mir sogleich gerahmt an die Wand! Bin nahezu neidisch nun. Liebe Grüße aus dem Osten, ich freue mich sehr, dass es schließlich solch gute Fahrt aufnimmt, Ihr Traumschiff!

  3. Ich bin gespannt, ob jemand Gaisers literarische Qualitäten (insbesondere in der “sterbenden Jagd”) unabhängig von seinen Jahren zuvor geäusserten politischen Stellungnahmen erkennt.

    In einem Gespräch 1963 mit Sebastian Hafner sagte Enzensberger triumphal, in der Gruppe 47 sei niemand, der ein Hitler-Gedicht geschrieben habe. Das war eine Anspielung auf Gaiser. Dass mit Jens ein NSDAP-Mitglied, Grass ein Waffen-SS-Angehöriger und etliche andere Mitläufer federführend waren, wusste er nicht (oder wollte es nicht wissen).

    1. @Keuschnig. Hage sind sie, meinem Vernehmen nach, klar; ebenso weiß ich es von Wilhelm Kühlmann. Ich selbst muß mich allerdings (noch) heraushalten, weil ich Gaiser bislang nicht gelesen habe; die Zeichen mehren sich, daß dies ein Versäumnis ist. Wie aber fast generell “gearbeitet” wurde, und weshalb, habe ich in meinem >>>> Schirmbeck-Aufsatz gezeigt.

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