Mit einer splitterfasernackten Frau im zweiten Journal zur LiteratourNord. Donnerstag, der 28. Januar 2016: Doch End-, ob -spurt?, das wissen wir nicht. – Und nachmittags aus dem Luisenhof.


[Bremer Hof, 67
7.03 Uhr]

Also, zum Beispiel, daß sich in Bremen eine junge, wenn auch untersetzte Frau während meines Vortrags auszog, so komplett wie diskret, gehört sicherlich zu den malerischsten Szenen eines Autorenlebens; dumm bloß, daß ich in meinen Text derart vertieft war. Denn tatsächlich merkte ich von der Performance nichts, bzw. erst, als ich längst geendet und mich den Fragen des Professors wie denen aus dem Publikum gestellt hatte, in deren Rücken sich der Striptease vollzog; daß dieses nichts merkte oder nur, wer sehr weit hinten saß, ist also zu entschuldigen.
Das Gespräch war außerdem schwierig. Jedenfalls nachher, ich war aufgestanden, hatte tatsächlich ein Buch signiert (in Zahlen: 1) und war zur kleinen Theke geschritten, die, wenn man von draußen kommt, links der Eingangstür befindlich, um mir einen Wein nachzuholen.
Da lag dann die junge Frau am Boden: auf dem Rücken, Arme nur leicht an den Körper gelegt, die Beine immer züchtig beisammen, die Möse halbrasiert mit, nämlich durch die Rasur, haarspurbetonter Spalte, blond aber und ein wenig schütter, was mich nun nicht g a n z schuldig dastehen läßt. Denn selbstverständlich gehört es sich eigentlich nicht, in solcher Umgebung eine nackte Frau zu sehen, ohne davon erregt zu werden. Es ist erotisch-unhöflich, ja gemüthlos. Ich meine, das war ja weder Sauna noch Freikörperstrand.
Nein, ich dachte allen Ernstes, die Frau sei umgekippt und man habe sie, damit sie unbeengt atmen könne, von ihrer Kleidung befreit. In solchen Fällen fotografiert man nicht, deshalb kann ich hier kein Bild einstellen, daß mir zum Zeugen diente, nur, wie hierüber, das Ambiente selbst und nur von außen, bekleidet sozusagen selbst:


„Was ist passiert?“
„Sie sagt nichts.“
„Sie ist wach?“ – Was eine dumme Frage von mir war; die Frau sah ja zur Decke und dieses gar nicht starr. Links und rechts ihres Kopfes hockten zwei Leute, die flüsternd auf sie einsprachen.
Nein, sie wolle sich nicht wieder anziehen jetzt, sondern sich zeigen; wer sie ansehen möge, solle das tun. Jedem, dafür, gab sie ausgebig Zeit.
Meine ihre Performance als solche anerkennenden Fragen stiegen erst nachher in mir auf, nämlich als sich die Frau dann doch wieder angezogen hatte und mir, ich stieg von der Toilette herauf, die Rundtreppe herunter entgegenkam. – „Hi“, sagte sie (englisch ausgesprochen), und „hi“ sagte auch ich. Da fiel mir dann ein, daß ich ihr hätte sagen sollen, also wenn Sie so schon daliegen, müssen Sie auch etwas die Beine spreizen, sonst verliert der Kunstakt seinen provokanten Reiz oder bekommt ihn erst gar nicht. Genau das war ja passiert. Imgrunde eine Niederlage.
Ich erfuhr des weiteren, die Aktion sei eine Liebeserklärung gewesen, habe sie erklärt, derweil ich vor dem Pissoir stand; aber sie habe nicht sagen wollen, für wen. Es hat sich offenbar auch niemand angesprochen gefühlt, was die Niederlage noch furchtbarer machte. Davon abgesehen hätte der Professor gerne gehabt, daß ich >>>> Herrn Lanmeisters körperlichen Verfall viel deutlicher beschrieb, kälter vor allem und rücksichtslos: wie es, aus seiner Sicht, dem Sterben entspricht. Da wär dann zwar Platz für das Schiff gewesen, weniger aber für den Traum. Der wär zu dem geworden, für was der Professor ihn hielt: Eskapismus. Und wir sind ja in Deutschland. Da gibt, wer ein Intellektueller ist, kein erlösendes Morphium. Da wird die Schuld bis ins letzte durchgestanden und zugegeben und Asche sich aufs Haupt gestreut, bis man endlich dran erstickt, kurz: da ist kein Platz für Abtestate. Ora et wie übersetz ich „büße!“? „lue“? LUE ET LABORA! Welch eine fiese Alliteration! Da bin ich doch entschieden für den Katholizismus, jedenfalls des Südens.
O dunkelgraues Bremen!
Dazu nämlich noch die auf Schritt und Tritt begegnende Pauperisierung, bis zum Knie die Helenenstraße im Schlamm; man kann dort nicht einmal die Zuhälter von den Freiern unterscheiden; selbst wer offen dasteht, drückt sich in die Ecken. Und das Unheimlichste: In den vierzig Jahren meiner Abwesenheit hat sich im Innenstadtbezirk nichts, aber auch gar nichts verändert. Es war deshalb rasend bedrückend, als ich von meinem Hotel, das auch schon nicht charmant war, zu Freund Schossig spazierte. Und vor dem Veranstaltungsort hing nicht mal ein Plakat; außerdem lasen parallel in der Glocke, Bremens zentralem Veranstaltungsort, die neuen Preisträger des Bremer Literaturpreises, einem der wichtigsten Deutschlands. Man kann sagen, daß Bremens Liebe zu mir derjenigen Lübecks zu Thomas Mann entspricht oder Rostocks zu Kempowski und, allerdings viel linder in der Abwehr, Lüneburgs zu Heine. (Der hat hier auch gar nicht gelebt, nur bisweilen die Eltern besucht, bisweilen freilich für einige Zeit.)
Das deutsche Volk mag seine Dichter nicht oder nur dann, wenn sie weit weit weg sind.
Ich spürte die Last aber wohl so sehr, weil Oldenburg mich mit Liebe empfangen hatte, so nächstentags auch Lübeck: Begeisterung und Neugier. Auch Rostock war offener Arme. Die tolle Buchhandlung hab ich >>>> dort schon gezeigt.
Auffällig insgesamt, wie, kann man sagen, gespalten meine Art des Vortrags aufgenommen wird; die Bremer sprachen durchaus abfällig von einer Performance; dabei rezitiere ich, quasi, nur. Nach den vielen Lesungen weiß ich ganze Passagen auswendig, was dem Vortrag eine gesteigerte Nähe gibt, die aber von manchen ganz offenbar als unseriös empfunden wird; Emotionen zu zeigen, in Literatur, führt bei denen zu Skepsis; andere fragen nach einem Hörbuch, ja fast bitten sie darum. Leidenschaft gilt schon lange nicht mehr als künstlerischer Motor. Auch das ist eine Folge des moralischen Realismus, der zumal keiner ist. Viele Gespräche jetzt, nach den Lesungen, drehen sich genau darum; auch habe ich den Eindruck, daß künstlerische Formung, ihre Notwendigkeit, gar nicht im Bewußtsein vieler Leser, bzw. Hörer ist; statt dessen wird auf den „Plot“ geschaut, auf die, sagen wir, „richtige“ Aussage. So wird auf eine unbewußt-abgefeimte Art der Dichter wieder zum Priester, aber eben nicht zum katholischen, der entsühnen darf, gar soll. Schönheit etwa ist für viele gar kein Begriff, ja fast etwas, dessen man sich schämen müßte, wenn man sie empfindet oder anderweitig wahrnimmt. Moral wird zum Fetisch.
Nicht durchweg, nein, beileibe nicht; aber die Tendenz ist zu spüren. Hier haben sich ziemlich übel historisches Schuldbewußtsein und political correctness zusammengemischt. Was ich nun und schon lange versuche, ist, das aufzulösen und dagegen anzurufen: Wir haben ein Recht auf Schönheit, und wir brauchen sie! Wir brauchen die >>>> Ergriffenheit. Ohne freilich, daß wir die Härten verschweigen. Mehrfach während der vergangenen Lesungen war deshalb Kitsch ein Thema: Was ist er, wo beginnt er, wie umfahre ich ihn? Nüchternheit hingegen k a n n der Königsweg nicht sein; sie entspricht alleine der Entfremdung.

(Meine Güte, das Internet ist schwierig hier. Wann ich diesen Text werde einstellen können, weiß ich nicht, vielleicht erst in Hannover.)

Wobei die Bremer Erfahrung einiges andere, vieles andere überschattet; ich muß hier aufpassen. Denn generell das Publikum ist offen. Während der Lesungen ließ sich selbst in Bremen jede Haarnadel fallen hören; das „Problem“ wird immer dann erst eines, wenn rationalisiert, d.h. distanziert wird, und zwar eben nicht über die Betrachtung der Form, sondern der vermittelten Inhalte. Die doch von Form gar nicht ablösbar sind. Sautermeister, der in Bremen im Publikum saß, brachte es hinterher, im persönlichen Gespräch, auf den Punkt, erinnerte sich an >>>> Die Orgelpfeifen von Flandern und erzählte, wie schwierig, akademisch aber eben nötig es damals gewesen sei, den, wörtlich, Sprachzauber zu durchdringen; noch heute sei er sich unsicher, ob sie die Novelle bis auf den Grund verstanden hätten. In wissenschaftlichen Zusammenhängen ist dies ein notwendiges Anliegen, ob aber auch für „normale“ Kunstrezipienten, die, und zwar zurecht, erst einmal genießen wollen, ist eine völlig andere Frage.
In jedem Fall ist schon jetzt Danke zu sagen, den beteiligten Professoren und ihren Student:inn:n, die sich auf mein Buch eingelassen haben, sowie den allermeisten Veranstaltern und nicht zuletzt den Buchhändler:inne:n.

Gut, Leserin, ich pack mal zusammen. Um 10.59 Uhr werde ich wieder im Zug sitzen. Doch immerhin, es ward ein Arbeitsjournal einmal wieder geschafft.

[>>>> Kastens Luisenhof 503, 18.12 Uhr
Amargos, Euridice]

Rasiert, geduscht, ausgeschlafen.
Das große Zimmer, riesige Bad ist quasi verschenkt: cianenfalsch, es allein zu bewohnen. Außerdem liegt noch ein halber Räucheraal in der gekühlten Minibar.
„Oh, das Zimmer ist noch nicht frei“, beschied man mir, als ich ankam. Es habe einen Upgrade gegeben.
Das war ich erstmal baff. Wer hat „mich“ aufgewertet?
„Lassen Sie Ihr Gepäck hier.“
„Warten Sie, ich helfe Ihnen.“
„Neinnein, es wird aufs Hotelzimmer vorgebracht“, – also mir. Da kam ich wir einmal wirklich vor wie Th.Mann. Und spazierte in die Stadt. Was spielen sie im Opernhaus?
Dummerweise lag Hugendubel auf dem Weg.
Sowas habe ich in meinem, >>>> Hendrik, Autorenleben nie gemacht: gucken, ob die eigenen Bücher da liegen. Ein Fehler, daß ich es n u n tat, sogar ein großer. Alle Bücher meiner „Konkurrenten“ waren da, gut ausgelegt, teils gesondert noch beworben; meins indessen gab‘s nicht.
Soll man nicht tun, als Autor, durch die Buchhandlungen gehen, nicht, wenn man einer wie ich ist. Der Nachsatz hat einen klaren Doppelsinn, was hilft ihm da ein Upgrade?
Die Dusche schließlich half, auch die Täfelchen vom Chocolatier, der sich auf dem Rückweg fand. Nu‘ bin ich schon wieder versöhnt und warte auf >>>> Gabriela Jaskulla, die heute moderieren wird und mit der ich gestern telefonierte. Daß sie sogar meine >>>> Bamberger Elegien kennt und aus ihnen zitieren will, machte mich ein wenig sprachlos. Wieder eine derjenigen Frauen, die sich aufs genaueste vorbereiten. So etwas versöhnt restlos.
So daß ich jetzt überlege – und werde es mit ihr befragend abstimmen –, ob ich nicht einmal versuche, das Traumschiff mit der neunten Elegie zu kontrastieren: persönlich-lyrische gegen Rollen-Prosarede zu einem selben Thema. Eigentlich stell ich mir das reizvoll vor, sogar als sehr reizvoll. Aber es geht ja um einen Wettbewerb, dessen Gegenstand das ältere Buch nicht ist. Andererseits geht es schlicht weg um Dichtung, die ein Wettbewerb zu scheren nicht hat. – Hm.
Zeitlich käme es hin.
Mal sehen, was Jaskulla meint. Jedenfalls: Gleich >>>> geht es los. Ein wenig nervös bin ich nun d o c h. Außerdem habe ich keinen Malt mehr, so daß der Sunbdowner heute entfiel.

(Was für >>>> eine witzige und pfiffige Musik!)

***

6 thoughts on “Mit einer splitterfasernackten Frau im zweiten Journal zur LiteratourNord. Donnerstag, der 28. Januar 2016: Doch End-, ob -spurt?, das wissen wir nicht. – Und nachmittags aus dem Luisenhof.

  1. ich sag mal so:
    die Beschreibung der Nackedei-Performance entbehrt nicht der Komik. Die Bilder, die dadurch im Kopf entstehen, reichen völlig, um zu wissen, dass man keine Aufführung mit erotischem oder sonstigem Erkenntnispotenzial versäumt hat. Aber schön, dass es solche Ausfälle gibt. Mich amüsiert ja erst einmal alles, was nicht ins Schema passt.

  2. lohnt dafür lohnt doch ein autorleben. kannst du ihr nicht irgendwie anerkennung zukommen lassen? sie hat die niederlage des niederlegens nicht verdient.

    1. Ja ist es nicht Lohn genug, dass die Performance hier mit Dichterworten für die Nachwelt festgehalten wird? Wobei man den Eintrag natürlich schon noch durch einen Link zu dieser Ausnahmekünstlerin aufpeppen könnte.

    2. Ich würde, lieber Hendrik, g e r n e, weiß nur wirklich nicht, wie. Die Aktion geschah ja, aus meiner Autorenperspektive, geradezu diskret. Was vielleicht ein Punkt ist: daß die junge Dame nicht stören wollte und gestört auch nicht hat, also die Lesung. Dafür könnte ich einerseits Danke sagen, zum andern ist es aber auch wieder schade. Spannender wäre gewesen, wie ich selbst mich verhalten hätte, gesetzt den Fall, die Performance wäre direkt vor meinem Tisch ins Geschehen gekommen. Aber sie war ganz offensichtlich für mich nicht gemeint. Dennoch hätte ich gewiß nicht, wie seinerzeit Adorno tat, nach der Polizei gerufen.

      (Liebe Gaga, Sie haben gefehlt. Ihre Kamera wäre meinem Irrtum n i c h t aufgesessen.)

    3. (Lieber Alban, meine Lesart war eben, ich hätte in meiner Einschätzung ‚gefehlt‘. Aber dann kam ja noch der Nachsatz mit der Kamera. Nichts Genaues weiß man nicht. Die Kamera hat ein starkes Eigenleben und hätte womöglich sogar absichtsvoll ein noch viel irrtümlicheres vermeintliches Geschehen eingefangen, das so nie stattgefunden hat. Sie fokussiert gerne Details und Nebenschauplätze, die (m)einer durchaus manipulativen Sichtweise zuarbeiten. Die Verdichtung meines Wunschgeschehens gewissermaßen. Vielleicht hier und da ein bißchen nacktes Fleisch, Details, die verunmöglichen, den wahrhaftigeren komplexen Eindruck der Darstellerin zu erhalten. Vielleicht irgendein Stückchen Schulter und Ansatz von irgendwas. Dann gehe ich nach Hause und amüsiere mich über das Ausmaß des Potenzials an Irreführung im Bildmaterial. Und natürlich wird jeder denken, dass er genaus diese Veranstaltung verpasst hat. So muss es sein!)

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