[Arbeitswohnung, 8.15 Uhr
Liszt, L‘années de pelerinage]
Sie war aus Wien angereist, als ich von Ciane erzählte – womit ich lange gewartet hatte, ein bißchen feige vielleicht, aber auch, nach den Geschehen um die Sídhe, begründet; ich mußte erst wissen, Gewißheit spüren. Wir trafen uns in Frankfurt, da ich vorabends >>>> in Marburg las. Geahnt, daß da wieder was war, hatte sie ohnehin; schon, als wir uns das Vormal trafen, lagen die Blicke fragend ineinander, doch der Sinn noch, meinerseits, verploppt. Manchmal will man auch nicht wissen. Wir können, vorübergehend, darauf setzen.
Wird es nachher schwerer?
Ich weiß es nicht. Da ist eine weitere Frau in mein Leben gefallen, aber von der anderen kein weg. Sehen wir‘s als einen Lebensversuch. Wir beziehen aus der Spannung unsere Ausdruckskraft, sagte ich Ciane gestern nacht, „und alles, was uns von normalen Menschen unterscheidet,“ paraphrasierte ich die Löwin, „ist eben sie und nur sie.“ Man kann das ergänzen: sich aussetzen, nicht sich einkasten in die allgemeine Norm. Und nicht nur sprechen von Freiheit, (an die eigene Nase:) nicht nur von ihr schreiben. Sie zu leben versuchen, auch wenn das Risiko, daß wir scheitern, hoch ist und dann mit Einsamkeit bezahlt wird. Das wiederum waren, vor dreivier Wochen, C i a n e s Worte. Die meisten Menschen haben Angst vor diesem Preis. Sie dagegen sprach von unbedingter Ehrlichkeit, wiederum darin selbst eine Löwin.
Wir haben schwere Herzen – was von der Tiefe kommt, in die sie hinabführn, aus denen aber auch hinauf. Und Lust, besonders gar die sexuelle, kommt aus der Differenz, aus dem Auseinander, wenn es zusammenschießt. Das Mittelmaß vermeidet darum die Höhen: ihm ist der Fallweg zu hoch. Lieber moderat sein. Sicherheit ist immer auch ein Käfig, den wir uns mit ihr bloß dekorieren, wie sie insgesamt ein Décor ist; die einzige, die Käfig nicht ist, ist Verläßlichkeit.
Denke ich, sinne ich, nachfühl ich und vor.
Unser Ausdruck. Das „uns“ ist heikel, weil es Künstler meint als Gattung. (Zum ersten Mal, seit ich publiziere und auftrete, wurde ich in einer Kritik Künstler auch genannt.)
Manches Neue geschieht. Das meiste indes wie erwartet. Doch es stieben Funken manchmal auf. „Du stehst in einer langen bittren Tradition“, sagte die Löwin. Und Ciane erbitterte sich, am Telefon, über die Kriterien des Betriebs, nicht kunstimmanente. Ich, ausgerechnet ich, verteidigte ihn, der sie mich doch wieder und wieder zum Rasen bringen.
Plötzlich stehn wir praktisch vor dem, was wir theoretisch immer dachten, sogar forderten, und jetzt fordert e s. (Ob du da wohl hältst oder doch lieber den Schwanz zwischen deine Beine kneifst und dich – „… nà?“ – konsolidierst?)
Was wir aushalten. (Wenn wir müssen, vieles, fast alles. Aber: aus freier, das heißt eigener Entscheidung? Da wird die Luft sehr dünn.)
Das Nymphengesicht. Das schmale Spannen der kühlen Fußsohlen.
Ihre Erbitterung. Meine Härte.
Und die Löwinnenfassung.
Nichts ist geschlossen.
Ruhe ist uns – zwischendurch.
Dann einer der Meister des deutschen Gegenwartsromans. Hic sunt leones! rief mein Innen nun auch hier, schon, als ich nur den ersten Absatz las. – Christopher Eckers neues Buch:
Er ist produktiver noch als ich, schreibt, wie andere bluten.
Vor Jahren zitierte Eisenhauer mir Pound: Kunst ist ein Gefängnis der Trauer. Ich habe mein Leblang versucht dagegenzuhalten.
Man wächst mit den Aufgaben oder zerbricht an ihnen. Klein wäre nur, sich ihnen nicht zu stellen, sondern auszuweichen. Vierhundert Meter unter uns und vierhundert über uns; dazwischen in einer flachen Spanne leben: kaum zehn Zentimeter Sicherheit.
Kleinheit nicht zulassen. Sich nicht kleinmachen lassen. Groß nicht nur denken (was allerdings Voraussetzung ist), sondern groß auch handeln. In den zehn Zentimetern ist, den Schmerz auszubalancieren, leicht, in den achthundert Metern schwer: aber auch das geht. Man darf nur nicht Bequemlichkeit wollen, und zwar, je älter wir werden, desto weniger. „Seit ich neunzig bin“, soll, las ich neulich, Picasso gesagt haben, „werde ich jeden Tag ein Jahr jünger.“ Vielleicht hat er auch „jeden Monat“ gesagt: Es geht um die B e w e g u n g.
Ich wiederhole mich: Rente ist ein Menschenrechtsverbrechen. Und eigentlich die – Ehe a u c h, die aber ihrer Herkunft nach ohnedies nicht Liebes-, sondern Schutzgemeinschaft ist; für ihn, den Schutz, gibt man sie, die Liebe, drein. Wobei der Schutz aber die Kinder meinte, vor allem, den sie indes genauso gut auch ohne elterlichen Trauschein haben können. Verantwortung von innen, nicht als äußeres Funktionsdiktat.
Doch Gesellschaften wollen regeln. Neuester Vorstoß: Brüssel will offene Kamine verbieten. Sicherheit als Zwangsjacke. Stechschritt der Gefühle: Rechts um!
(Nein, ich bin n i c h t verstummt.)
[11.15 Uhr]
Ich würd mich so gern einmal irren. Tu ich aber nicht:
>>>> N i c h t nominiert. Daß einer wie ich >>>> Traumschiff geschrieben hat, darf nicht sein. Also darf Traumschiff nicht sein. Aber auch Eckers Roman, über den ich hierüber schrieb, wird nicht genannt.
@ANH „Geht dies, zwei Frauen lieben, eigentlich sogar noch mehrere?“ Diese Frage wird, wie ich finde, auf sehr erschütternde Weise beantwortet in Gaspar Noes „Love“, diesem 3D-Porno (!) über die „sentimentale Seite der Sexualität“ (laut ironischer Selbstreferenz, die aber nicht stimmen muss). Läuft gerade noch in Berlin, falls Sie ihn noch nicht gesehen haben sollten (Sie hätten wohl darüber geschrieben), in zwei Kinos in Kreuzberg/Friedrichshain. Originalsprache unbedingt zu empfehlen, die Synchronisation ist leider schlecht.
@schaakej zu Noé. Ich habe mir den Film angesehen. Danke für den Hinweis. Ein paar Bemerkungen dazu nun >>>> dort.
Fast alles gelöscht. Wieso?
@read An zu den Löschungen Ich habe nichts gelöscht; ich saß im Zug und sehe dieses erst jetzt.
Gelöscht haben kann eigentlich nur ein registrierter Kommentator-selbst. Oder eine meiner Administratorinnen, von denen ich aber nichts in dieser Art gehört habe. Mein eigenes Interesse bestand im Gegenteil darauf, diese Diskussion möglichst vollständig zu erhalten, abgesehen von zwei Beiträgen, die weit unter der Gürtellinie nicht mich, sondern andere Diskutanten angegriffen haben.
Hm.
Fantastisch! Zeit im Orkus = Muse im Orkus = der Andere im Orkus = Selbstverständnis im Orkus.
@read An, Löschungen (2) Die Kommentare scheinen >>>> alle wieder da zu sein, weshalb auch immer sie verschwunden waren. Wenn Sie andere Kommentare als diese meinten, können Sie mir bitte den Link auf den Beitrag geben, auf den sie sich bezogen haben? Ich sehe mir dann den Cache an.
Ich meine den Kommentarbaum, der unter diesem Arbeitsjournal stand. Die Kommentare, die Sie hier verlinkt haben, waren, soweit ich das mitbekommen habe, nie weg.