Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 18. Februar 2016.


[Arbeitswohnung, 8.49 Uhr
Ylva Skog, Erstes Klavierkonzert]

Es kommt mir absurd vor, ist aber bezeichnend: Zwei Monate lang lagen die ersten vier Verse, kitschige, auf meinem Desktop; ich ahnte ungefähr, in welche Richtung sie sich drehen müßten, scheute aber, bekam nichts weiter hin. Jetzt spiegelt der >>>>vorhin eingestellte Entwurf des Gedichtes ziemlich genau meine Stimmung wider, also die Ängste der zurückliegenden Wochen; formal fassen konnte ich‘s aber erst heute früh – als ich in dieser Stimmung nicht mehr war. So sehr ich immer aus dem vermeintlichen Unmittelbaren arbeiten will, so sehr brauche ich dann wohl doch Distanz, weil man eine Insel halt nie vom Ufer aus überschaut, sondern wir müssen uns dazu in ein Boot setzen und aufs Meer fahren, dann uns umdrehen. Wir müssen aber eben auch auf der Insel gestanden haben, in ihr bis zu den Oberschenkeln eingesunken. Was es macht, wieder da herauszukommen.
Helligkeit. Strahlend blauer Himmel. Eine gute Kälte. Und >>>> ein Kommentar, der mir wohltat, weil ich eben mal n i c h t der Unhold und Widerling bin, der sein nur durch Eitelkeit geblähtes Maul aufspreizt, und weil sich jemand, den ich offenbar nicht kenne, ins Gefecht wirft. Das bedeutet nun aber auch, daß ich achtsam sein muß; solchen Menschen gegenüber gibt es eine Sorgfaltspflicht: Ich werde sie nicht beleidigen lassen, sondern, sollte sowas passieren, es entweder löschen oder, je nach Zielrichtung halt, in den Anti-Herbst verschieben. Wo jetzt wider Rubriksinn >>>> ein Gespräch angefangen hat, das ich von dort wegschieben und anders einstellen möchte.
Und eigentlich zitierte ich gerne aus dem SMS-Wechsel mit Ciane, gestern nachts geführt. Aber es wäre, es zu tun, zu privat, wäre übergriffig. Ich werde später kondensieren müssen. Unser aller Sehnsucht nach unbedingter leibseelischer Einheit und zugleich das Bewußtsein, daß, was wir fühlen und ersehnen, ein Prägungsergebnis ist, fremdbestimmt oft bis ins Alter; und wieder: der Satz vom ausgeschlossenen Dritten als Widerpart jeder Freiheit. Darüber lange mit der Löwin in Facetime gesprochen. Die alten, uralten Themen, an denen selbstverständlich auch ich knabbere, oder sie knabbern an mir. Das wohl eher. Altes Wort: verzehrend. Oder: Vor Sehnsucht verschmachten.
Der ironische, „demokratische“Pragmatismus dagegen.
Veruneigentlichungsprozesse.

Ciane ruft an, die Sechsklässler:inne:n Musikunterricht gibt, zweimal die Woche, bevor sie dann gleich zur Theaterprobe muß: Wie viele Wörter nicht mehr verstanden werden, etwa, was ein Geistlicher sei, etwa, was denn vokal bedeute, „Vokalmusik“, usw., wie wenig bei vielen überhaupt da sei und wie dankbar sie seien, werde ihnen Stoff lebendig vermittelt, nicht nur funktional irgendwo herauskopiert und normgerecht zusammengestellt, Matritzen.
Wir gehen heute abend ins BE: >>>> Der Selbstmörder. Ich hab ja um das Theater immer einen großen Bogen gemacht, weil mir in den Künsten didaktische Ansätze nicht nur fremd sind, sondern ich sie ablehne, zumal ich den Umgang mit den Bühnenmusiken oft problematisch fand, im Gegensatz zur Oper. Aber nun, da es auf mein eigenes Stück zugeht… Und sowieso: Ciane ist Schauspielerin, und ich will wissen.
Sie liest ihren Kindern gerade Ortnit Karlssons >>>> Katastrophenquartett vor, das, nachdem Lübbe quasi sofort nach Übernahme von Baumhaus es aussortiert hat, nunmehr von S Fischer mit der Begründung abgelehnt wurde, Kinder verstünden keine komplexen Erzählstrukturen. Da geht es nämlich schon los: Menschen von Anfang an versimplifizieren, um ihnen die Möglichkeit zu nehmen, eigenständig zu werden. Ich halte das für Absicht, wenn auch eine, die ihren Exekutanten meist nicht bewußt ist. Jedenfalls machen da schon die Kinderbuchverlage mit, vorbereiten die Unmündigkeit. Denn meine Erfahrungen mit gerade diesem Buch zeigen etwas ganz anderes; Kinder haben einen Riesenspaß an Mennes erzählerischer Schleifenzieherei, auch an den nicht immer („politisch“) korrekten Bemerkungen der Viererbande und besonders, wie liebevoll spöttisch die junge Heldin und die jungen Helden das Verhalten ihrer Eltern kommentieren. Dazu die Anarchistenwölfin Frau Schneider…


Ich hatte gehofft, die auf fünf Bücher geplante Serie (jedes Kind erzählt ein Buch, je also wechselnder Stil, und auch Frau Schneider erzählt ein Buch) nun anderswo unterbringen zu können; der zweite Band liegt ja bereits vor, schon lektoriert… Nö, paßt nicht in den totalitären Konsens. Mal sehn, vielleicht bringe ich die beiden fertigen Bücher als eBook in der Kindle-Edition heraus, auch wenn etwa da >>>> die Vergana kaum etwas gebracht hat. Ich bin aber auch nicht gut in der „Selbstvermarktung“ (schon das Wort find ich übel).

[9.57 Uhr
Jean Pacalet, 7 x 7 für Akkordeon solo]

Es rührt sich zwar noch nicht die Erzähl-, aber doch die Dichtlust wieder. Die anderthalb Tage Pornoguckerei haben geholfen. Und was Traumschiff angeht: Das Buch ist nun auf See, längst ohne Schlepper; es wird auch keiner mehr kommen: >>>> Leipzig steht bevor. Da muß es den Kurs nun selber halten, und wer die Reise auf ihm bucht, liegt schon gar nicht mehr in meiner, sondern >>>> in alleine Ihrer Hand. (Prunier schrieb, er habe bereits rund ein Drittel übersetzt, sei indes noch nicht zufrieden.)

Ich wollte erst nicht hin, nach Leipzig, fahre aber nun wohl doch. Der Freunde wegen. Auch meine Lektorin wird dort sein. Möglich aber, daß ich mich wieder umentscheide.

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