III, 138 – Strawberry fields

”Ich habe” – er war grad’ fertig für die Einkaufstour unten außerhalb des Stadttores, das ich meistens nur für solche Gelegenheiten verlasse, denn da die Erde eine Scheibe, die dort aufhört, befällt mich das Gefühl eines freien Falls (schon die behutsame Annäherung an das Stadttor mit dem Auto, bevor man sich traut, einem womöglich hineinwollenden und somit vorfahrtsberechtigten Auto den Weg zu versperren (also rein ist schon mal leichter als raus)) und ich fühle mich verloren – “ein neues Wort entdeckt: Nämlichkeitskontrolle!” Das Ganze als Übersetzung für “identity check” (irgendeine EG-Richtlinie),
wobei es um die Identität (recte also: Nämlicheit) von Pflanzen und Pflanzenerzeugnissen geht (um Schädlinge und Schadorganismen geht’s) – und: wir wollen die EU rein- bzw. raushalten. Und wenn da nicht ein >>>> Text gewesen wäre, in dem es um Erdbeeren geht, wäre mir wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, daß da bei Omar, dem Gemüsehändler, tatsächlich auch zwei-drei Schälchen Erdbeeren noch zu haben waren, die wir allerdings auch gar nicht kauften, die Erdbeerenzeit ist ja vorbei. Wir waren die einzigen Kunden (hatte die Uhrzeit absichtlich so gewählt).
Die beiden jungen Verkäufer wischten den Fußboden sauber (also auch hier mußte man aufpassen, daß man ihrem methodischen Vorgehen nicht in die Wege kam, und wenn ja, war da auch gleich ein Zeigefinger: da darfst du) und unterhielten sich auf Arabisch. Ich kann kein Arabisch.
Der danach aufgesuchte Supermarkt (Coop) war indes voller Holländer. Ich kann auch kein Holländisch. Außer: Wij zijn in de tuin (allerdings war doch eine Nämlichkeitskontrolle notwendig, weil ich mir nicht sicher war, ob tuin tatsächlich so geschrieben wird. Und so Kleckerkram. Also holländische Risse im verwitternden Gedächtnis, aus denen dauernd auch wieder Erdbeeren nicht sprießten, sondern hervorlugten. Selbst hier im Hof, wo eigentlich die flache Erdscheibe vorherrschen sollte (ich aber selbst eine contradictio in adiecto (noch so ein Riß im aufspringenden Asphalt)) bzw. die Erdbeerscheide pardon -scheibe, hat sich ein junger holländischer Mann eingenistet. Der aber nichts anderes brütet als eine offene Wohnungstür, in der niemand zu sehen. Aber ich bilde ihn mir nicht ein, schließlich aß ich am Sonntag zusammen mit ihm zu Mittag bei den Neffen. – Später versuchte ich’s bei Stündel (Register zu Zettels Traum), aber der einzig brauchbare Hinweis auf Erdbeeren bei Arno Schmidt bezieht sich als gerontologisches Statement gegenüber Franziska mit implizitem Zeigefinger auf sich selbst: ‘ne Nase wie ‘ne Erdbeere, oder so ähnlich. Und wäre er nicht in Celle gestorben, ich hielte den Verweis auf das ursprünglich als “Zeile” gelesene “Zelle” für abwegig. Dennoch Ritze trifft Ritze.
Daß jemand stirbt, ist nicht unbedingt merkwürdig, aber Politiker wie Walter Scheel stets in hohem Alter, so daß ich eine Verschwörungserdbeere zumindest als Frage entwickelte: wieso aber ist Willy Brandt so relativ jung gestorben? Mit erst 79. (Literaten wie Schmidt sterben eh’ beim Eintritt ins Rentenalter, weil’s ihnen davor graust, das muß man niemandem erzählen). Selbst Adenauer wurde uralt (und versaute für eine Woche die Rundfunkprogramme nach seinem Abgang).
Ich setze mich jetzt auf die entsprechende Erdbeere, um mir das Sitzen und diesen Text zu verleiden, sonst komm’ ich nie dazu, mein Brot abholen zu gehen. Was immer das heißen mag.

III,137 <<<<

5 thoughts on “III, 138 – Strawberry fields

  1. Wunderbar. Erd-Beere eben. Hörte diese Woche 1 Lesung von Stanisic, der das Wort „Eidechse“ für meine Ohren zum ersten Mal richtig aussprach. Nämlich mit einem Glottisschlag. Also so: Eid-Echse. Dachte dann nach. Über Worte, deren Sinn wir notwendig verfehlen, wenn wir sie falsch aussprechen. Wie der Eid-Echs als treuer Genosse nicht sein konnte, weil ein eierfressender Dechs ihm die Referenz klaute.

    1. Umso mehr müsste in der vorgängigen Eidechse doch nun hör- und sichtbar sein, dass die Semantik vollständig in die ECHSE gewandert ist. Ich spreche es jedenfalls ab jetzt auch immer getrennt. Ich mag es, wenn die Eidechse richtig im Mund liegt.

    2. Dennoch@Artemis eine falsche Spur, die >>>> der Kluge wieder in die richtige zurückführt:

      Eidechse: (8. Jh.) mhd. egedehse, eidehse, ahd. egidehsa, ewidehsa, as. egithassa. Aus wg. *agwi-pahsjon „Eidechse“, auch in ae. adexe. Falls anord. eydla „Eidechse“ auf dieselbe Grundform zurückführt, wäre sie gemeingermanisch. Die lautlichen Verhältnisse sind jedoch noch nicht ausreichend geklärt, zumal bei diesem Wort in späterer Zeit starke Umgestaltungen aufgetreten sind, die auch für die frühe Zeit nicht ausgeschlossen werden können (vgl. etwa die verschiedenheit des altnord. und des westgerm. Wortes). Im Vorderglied dürfte aber ein altes Wort für „Schlange“ stecken (ig. *og(wh)i- in ai. áhi-, gr. óphis u.a.); im Hinterglied am ehesten eine zu ig. *tek- „laufen“ gehörige Bildung (eine s-Bildung bei dieser etwa in lett. teksnis „Bote, Bedienter“), so daß die Eidechse als „Schlangenläuferin“ („laufende Schlange“) bezeichnet wäre.-Im 19.Jh. entsteht durch falsche Ablösung der Oberbegriff Echse.
      Demnach wäre die Eidechse eigentlich eine – entsprechend hätten die Echsen so heißen müssen – Dechse, weil von, s. eben o., tek für „laufen“ assimiliert. Das Wort „Schlangenläuferin“ scheint mir auf die kleinen eleganten Tiere ganz gut zu passen: kleine Schlangen, die laufen können.
      Wenn Sie also fortan „Eid-Echse“ sprechen, geben Sie dem Fehlerhaften recht; geschichtsphilosophisch bedeutete dies eine Geschichtsklitterung, abgesehen davon, daß Sie die so hübschen Tierchen dauernd als Zeugen unter Gefängnisandrohung stellen. Sogar in nur leichten Fällen sind es sechs Monate bis fünf Jahre, für die Eidechse selbst im Laxheitsfalle quasi die Hälfte ihres Lebens (allerdings werden sie in Gefangenschaft etwa doppelt so alt wie in freier Natur).

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