[Arbeitswohnung, 20.37 Uhr
Abendcigarillo zum Wein
Mahler, Sinfonie Nr. 5 (Bruno Walter, New York City 1947)]
Wie in die Kindheit heim, nun gut, Jugend: Mahler und Walter, und die Voraussicht auf Sizilien, in dessen Zeichen dieser ganze Tag stand. Dennoch zwei der Wochenauftragstexte geschrieben, einen vorgeschrieben, damit ich ihn auf Sizilien nicht im Rücken habe, sondern mich auf die Recherche konzentrieren kann. Unterhalb Taorminas würde ich am Dienstag abend sogar gerne ein nächstes Kapitel des Romans wenigstens anskizzieren.
Morgen aber erst einmal Catania. Nie habe ich mich entscheiden können, welche Stadt mir näher ist, sie oder das teils architekturarabische Palermo. Ich mag ja den bauchigen, phantastischen Barock. Aber Catania ist sehr sauber geworden, was für die Bewohner der Stadt sicher gut ist und auch nicht mehr so sehr den Touristenzustrom abhält, doch vielleicht gerade drum. Dieses dunkel-Großartige unter dem ständig tätigen Vulkan, die unübersichtlichen Gassen, die Leidenschaften, die über das Straßenpflaster wallen. Ich bin ein kleines bißchen aufgeregt. Es ist ein wenig wie heimkommen, Aussicht aufs Heimkommen. Und ich erinnere mich gut, wie ich >>>> dieses Buch schrieb, das danach gleich zweimal als Taschenbuch herauskam, erst bei Rowohlt unter dem quatschigen Titel „New York in Catania“ (Bruno Walter, siehe oben, New York Philharmonic), der sich auf eine Zeile in dem Buch bezieht, dann bei dtv; es hat einige Menschen gegeben, die nach diesem Buch, wiewohl ein „phantastischer Bericht“, gereist sind:
Ankunft mittags in Catania also, die Bleibe sehr nahe dem Castello Ursino, paar Gehminuten vom Dom weg, der in die Säulen eines griechischen Tempels hineingebaut wurde. Und wieder Federico secondo, der mir ein Fixstern, gleichsam, ist.
Catania ist noch kein Rechercheort; diese Stadt ist einfach nur für mich. Bevor ich nächstmittags nach Taormina weiterreise („reise“, na jà, zwischen 30 und 50 Minuten mit dem Regionale), will ich auf dem Fischmarkt aufgebrochene Seeigel auslöffeln, ein paar Austern essen und für den Abend, an dem ich in der folgenden Herberge Zugang zur Küche habe, Calamarii besorgen. Dort dann wird die eigentliche Arbeit beginnen.
Mehr aber erzähle ich, liebste Freundin, erst direkt vor Ort. Sie sollen nur ein wenig meine zitternde Vorlust verspüren; allein schon für sie bin ich meiner Contessa sehr dankbar. Denn nein, all dies ist n i c h t normal. Befreiung ist nicht normal; für gute Arbeit geachtet zu werden, ist ebenfalls nicht normal. Es ist ein Privileg. Geachtet zu werden, ohne daß man sich korrumpieren muß. Es ist jetzt ein wenig so, als bekäme ich diese Achtung gerade, w e i l ich auf jede Form von Korruption stets gespuckt habe – und auf die, die mich korrumpieren w o l l t e n. Gut, ich bekomme sie nicht dort, wo ich sie erwartet habe, sagen wir: wo ich sie mir gewünscht habe. Doch ich muß mich nicht verstellen, muß kein „Spiel“ mitspielen, das ich ablehne, und es ernährt mich und die meinen, obwohl ich genau das tue, was ich immer getan habe und immer tun wollte: meinem Beruf nachgehen und ihn zur Gänze ausfüllen.
Ja, es geht mir gut zur Zeit – auch wenn‘s rasend hektisch zugeht. Das eben gefällt mir ja auch, diese Schnelligkeit, dieser ständige Sturzfall von Ideen. „Freizeit“? – bleibt mir vom Leib! Schnell umschalten, und man schreibt einen quasi-juristischen Text; abermals umschalten, und man schreibt eine, sagen wir, Ankündigung; wiederum umschalten, und man schreibt ein Gedicht oder doch wenigstens paar Verse eines Gedichtes; dann bucht man ein paar Flüge und kriegt ganz nebenbei seine Kreditkarte wieder. Woraufhin ein Problem mit dem Sohn gelöst werden muß, das nicht schwer ist, sondern nichts als ein bißchen Pfiffigkeit verlangt. Man kann sogar noch kochen. Nur die Brotbäckerei hat zur Zeit keine Zeit.
Ich weiß, meine Freundin, die Grantler werden nun etwas von „Oberflächlichkeit“ granteln, nur daß die vergessen, daß jede Entscheidung, die eine ist, aus der Tiefe kommt, sei‘s eine gute, sei‘s eine schlimme; in der Tiefe ertrinkt man eher als oben, und aus der Tiefe hat man eine enorme Durchschlagskraft.
Sizilien. Nicht eher als von dort schreib ich Ihnen wieder.
Morgen früh um neun verlasse ich das Haus.
ANH
Von mariepirol@gmx.de:
mich würde interessieren inwieweit Sie mit dem aalglatten Joachim von Ritr… verwandt sind, der in Berlin bei der Consulting sein Geld verdient, die schon so oft in schrängem Licht erscheinte, es gibt so gar Witze über Herrn Oswald und Compagnie- Chef hat sich aber zurückgezogen, hat mehr als 1 Million für Kohl gespendet und ist der grösste Kotzbrocken, den ich je getroffen habe.
Und? Sind Sie mit dem verwandt und wie finden Sie ihn?
Herzlichen Gruss
Marie Pirol
Und meine Antwort:
ich weiß momentan nicht, von wem Sie sprechen. Der einzige Joachim von Ribbentrop, den ich kenne, war Hitlers Außenminister, und als solcher ist er schwerlich mehr in der Lage, bei einem Berliner Consultingunternehmen oder sonstwo sein Geld zu verdienen, schlichtweg, weil er 1946 gehenkt worden ist.
Hätten Sie ein wenig recherchiert, hätten Sie aufs leichteste und überdies ganz von alleine herausgefunden, daß ich mit dieser Ribbentrop-Familie nicht verwandt sein k a n n, weil die meine aus einer aristokratischen Linie stammt, die seine hingegen Kaufadel ist, d.h. Joachim, der tote, hat 2000 Reichsmark für die Adoption in eine der aristokratischen Linien bezahlt, damit er reich heiraten konnte. Somit hat weder er, noch haben es seine Nachfolger, ein Prädikat.
Im übrigen ist die Formulierung Ihrer Frage durchaus impertinent. Ich empfehle Ihnen einen Grundkurs für die Aneignung von Umgangsformen. Auch könnte eine Auffrischung Ihrer deutschen Grammatik („erscheinte“) nicht schaden.
Nicht so sehr hochachtungsvoll:
ANH