Schumann, Violinsonate (Argerich/Caruçon 2010)
Leichte Brandung]
Es ist noch dunkel. Übern Golf her flimmert der Ort, flimmern die Lampen der sich am Gebirge entlangziehenden Küstenstraße, die ich vor etwas mehr als einem Monat mit der Contessa entlangfuhr. Und nun wohne ich in der Villa, die wir für unser Liebespaar als endlich gefundene Ruhebleibe gefunden haben; eigentlich ein Irrtum führte mich her, auf dessen Grundlage ich mich bereits in Berlin auf die Suche gemacht hatte, eine im Netz, die dann von der Wirklichkeit bestätigt werden mußte und nun mehr als nur bestätigt worden ist.
Wie ich herfuhr am Montag! Der Regen strömte, es war kalt, das Land – als ich im Bus saß – versank in Nebel und einem Wasser, das es frieren lassen will. Der seltsam-öde Flughafen dann,eine einzige Start- und Landbahn; die Mitarbeiter dort grauer Gesichter, als hätte sich ein Schleier permanenten Zigarettenrauches draufgelegt und dreigeätzt. Kaum jemand lachte, und ich dachte: DDR. Was sicher nicht gerecht, sicherlich auch falsch ist, doch so ist immer meine Erfahrung gewesen. Und prompt wurde ich ermahnt: Auch eCigarren seien hier verboten. Deutsche haben ja so eine Art Zurechtweisungsdrang, sie können nicht einfach mal wegsehen wie Südländer; sie können’s selbst dann nicht, wenn sie gar nicht gestört werden. Die Flüssigkeit, die ich in meinen eleganten Gerätchen verdampfe, hat so gut wie keinen Geruch. Schon in drei Metern Entfernung ist der Dampf olfaktorisch gar nicht mehr wahrnehmbar. Aber es steht geschrieben, irgend eine Autorität hat verfügt, und jetzt macht man sich zum Gerichtsvollzieher dieser Autorität, vielleicht, weil einem (und einer – deutsche Frauen sind nicht anders… – „deutsche Frauen“, au wei!)… also, weil einem dies vielleicht das Gefühl vermittelt, die Autorität nun selbst zu sein. Da ist so ein Bedürfnis nicht nach, glaube ich, Macht (mit der wäre Verantwortung verbunden), sondern nach ihrer Ausübung.
Wäre nicht dieses, ich hätte für den kleinen Flughafen hier Werbung gemacht. Denn an sich gefiel er mir schon>: derart wenig falscher Hochglanz, kaum Konsumgetanze. Man kann sich an eine der beiden Bars setzen und die Wartezeit mit einem Glas Wein überbrücken, derweil man in sein Nettbückerl tippt. Außerdem waren mit mir lauter Sarden, die nach Hause wollten; sie waren den Ohren sehr leicht kenntlich, sprachen dieses spanisch klingende Italienisch, das ja einer der Gründe gewesen ist, die Romanhandlung genau hier hin zu legen. Sowie die Nuraghenkultur. Ich will unter den Text etwas Uraltes legen, das man später aber gar nicht merken soll. Nur Sie, liebe Freundin, dürfen es neben der Contessa erfahren, und die Löwin selbstverständlich, die unterdessen zu ihrer, sagen wir, Advokatin wurde.
Indessen ich auf meinem Balkon sitze, übers Meer schaue und zunehmend mein Romanheld werde. Bitte, aber, setzen Sie den „held“-Teil des Wortes in Häkchen: „Held“. Er ist, hätte Heidegger gesagt, ein Geworfener. Was aber niemand wirklich merkt, außer seiner großen Liebe, die in ihm aufgeht wie eine jahrzehntelang verdunkelte Sonne.
Selbstverständlich geht es auch um Wiedererkennen, denn alles Lieben ist Wiedererkennen: „und sie erkannten einander“ – das vielleicht innigste Idiom für die Geschlechtervereinigung, so, wie Benjamins Begriff vom Erscheinen der Wahrheit die innigste – soweit ich weiß – Metapher für den erotischen Höhepunkt des sichVerschießens ist. Auch dieses wird im Roman vorkommen müssen; und: sollen.
Als ich ankam – wir spazierten frei aus dem Flugzeug über ein Drittel Flugplatzfläche – war es warm und duftete schwindelnd süß nach Koniferen. – Ich hatte befürchtet, wegen des Mietwagens zu spät zu sein; das „Office“ schließt um 23 Uhr. Aber wir waren eine Viertelstunde vor der Zeit gelandet, und mein Rucksack brauchte keine zehn Minuten bis aufs Band.
So fuhr ich wie geleitet durch die Nacht an der kleinen Stadt vorbei in die, quasi, Wildnis, wie ein autofahrender Schlafwandler, heruntergelassenen Fahrerseitenfensters durch die Düfte und fand sofort die unscheinbare Abbiegung, hinter der sehr bald die erst Schotter- dann schon nur noch Sandpiste beginnt.
Links, tatsächlich im Obergeschoß ein erhelltes Fenster, das erste Haus, dessen Anlage mir eigentlich noch besser gefällt als jenes, das wir ausgesucht haben, noch ein paar schattenhafte Biegungen vorbei an Korkeichen, stumpfen Pinien, Feigen und quer durch die hier insgesamt ziemlich hohe Macchiata bis vor das Tor.
Klingeln.
Und es hatte tatsächlich jemand auf mich gewartet – R., mit dem ich bereits nächsten Morgens tauchen würde. Ohne einen Auffrischungskurs werde man mich nicht hinunterlassen, war mir schon nach Berlin geschrieben worden; ich hatte das vernünftig, ja weise gefunden und sofort eingewilligt. Die Contessa wiederum – nachdem ich sie gefragt hatte, ob es in Ordnung sei, wenn ich morgens tauchte und nachmittags erst schriebe – hatte kurz und bündig zurückgemailt: „Auf dumme Fragen antworte ich nicht.“
Ich kann Ihnen, Freundin, das mich überflutende Glück gar nicht beschreiben, das mich trug, als ich mein Zimmer, eher eine kleine Suite, betrat: alles hell, eine schöne feine Radierung über dem Bett, keinerlei Farbkitsch, sondern filigrane Antiquitäten als Möbel; so war auch schon der Gang, ist er. Ein eigener Balkon, Blick über den Golf, Blick die Küste entlang – jetzt, also d a, bei Nacht, nur dieses Lichterflirren freilich. Und die Brandung ging!
Sie ging die ganze Nacht heftig.
Ich hatte mir am Aeroporto noch zwei Bier besorgt, etwas Espresso für morgens aus Frankfurt mitgenommen, setzte mich auf den Balkon, rauchte einen Cigarillo, trank, whatsappte der Contessa, rief die Löwin an, mein Herz schwappte derart über, daß ich sitzen wirklich mußte. Welch idealer Ort für den Roman, und welch realer Ort, um mein – Häkchen – „Held“ wirklich zu sein! Traumhaft, durchaus magisch. – Erst nach einer halben Stunde war ich bereit, mich einzurichten, den Rucksack zu leeren und jedes Ding an seinen rechten Ort zu stellen: Leben zu sein für diese Räume. Alles soll stehen, als wär der Raum dafür gemacht: Was paßt auf die kleine alte Eichentruhe? Was stelle ich nicht auf den geweißten Sekretär mit den Messinggriffchen an seinen Schubladen. Wohin stelle ich meinen Bose-Bluetoothlautsprecher, wo erzeugt er den – wie >>>> Amar Bose wollte – halb indirekten Klang am besten?
So wurde es halbzwei/zwei, bis ich in das große, weißgedeckte Bett kam (für einen allein eigentlich Verschwendung) und mich von den anbrandenden Wogen (die hohen Felsen sah ich morgens erst) in den Schlaf schwingen ließ, und dennoch war ich um sechs bereits auf, bereitete unten in der Küche, die ich am Abend nutzen, sehr nutzen würde, meinen Caffè (also einen Espresso) und rauchte auf der Terrasse, die sich an die Küche anschließt, die ich abends nutzen würde und sehr benutzt auch habe, den Morgencigarillo – mein Liebespaar besinnend, dessen Geschichte und Schicksal ich erzähle. Dann war es Zeit, sich auf den ersten Tauchgang vorzubereiten.
Wir sahen gelbe Seepferdchen, die riesige Sehpferdchen waren: So beschauten sie die beiden Ungeheuer, die sie beschauten, ließen sich aber nicht im mindesten stören, sondern sich im Seegras weiterwiegen, deren einen je Halm sie mit ihren Schwanzen umschlungen.
(Es gibt, liebe Freundin, noch mehr zu erzählen, aber unten wird der nächste Tauchgang vorbereitet und ich wüßte dieses hier gerne eingestellt, bevor auch ich erneut in die Tiefe. Die so tief hier nicht ist. Sieben Meter, heute vielleicht zehn oder fünfzehn. Nachmittags schreib ich vielleicht weiter – wobei es sinnvoller wäre, ich verfaßte nun auch endlich Text für den Roman, anstatt ihm immer weiter nach- und voranzusinnen. Wobei dieses Sinnen nicht nur sinnvoll, sondern auch sehr reich ist, aber eben nur mich und nicht meine Contessa befriedigt, die mir doch alldies ermöglicht.
So, ich höre erste Stimmen unten.
Der Ihre.)