Der Schriftsteller appelliert an die Mitwelt, der Dichter an die Nachwelt, wobei er nichts einwendet, wenn etwa die Mitwelt ihn auch schätzt, was umgekehrt ebenso für den Schriftsteller gilt, dem neben der Mitwelt auch die Nachwelt hoch willkommen wäre. Der eine wünscht Ruhm zu Lebzeiten, zumal sich das auf dem Bankkonto angenehm auswirkt, der andere zieht Nachruhm vor, obwohl er persönlich keinen Genuß davon haben wird. Der eine… will, mit einem Wort, Erfolg. … Der Dichter dagegen, dem es, wie erinnerlich, um Unsterblichkeit zu tun ist, der sogar Anlaß hat, einen ihm zufällig zuteil werdenden Erfolg zu beargwöhnen, mit wachem Mißtrauen vor dem unzuverlässigen Geschmack seiner Zeitgenossen, wird niemals dem Publikum nach dem Munde reden, sondern wird suchen, diesem Publikum das zu bieten, wonach es sich unbewußt im Tiefsten sehnt.
So >>>> Aikmaiers >>>> Niebelschütz-Trouvaille.
Nur ist es halt nicht nur schwierig, sondern auch durchaus dumm, im Zeitalter des Autos noch Kutschen zu bauen und darauf zu setzen, es werde in ihnen noch jemand fahren. Allenfalls tut man‘s auf dem Theater und in historischen Filmen. Allzu drohend hallt Wilhelms II dementer Ruf in mir nach: „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil hat keine Zukunft!“
„Eßbare Dichtung“ Aikmaiers Mahnung bezog sich, direkt an mich gemailt, >>>> darauf – ein Link, den mir wiederum >>>> Broßmann zugespielt hatte, worauf ich ihn nach meiner Lektüre weiterverbreitet habe.
Ruhm – Fern im Hintergrund lacht jemand – GESPRÄCH MIT EINEM RÖMISCHEN KAISER
Am Morgen in den Gassen
überall das Plätschern der Brunnen
und darüber so viel Himmel.
Später beim Fotografieren
der Trümmer stieg golden der
Kuppelklang der Glocken.
Noch in der Nacht streunten
die Geräusche der Stadt
durch meine Träume.
Ich hatte gesagt: Siehe Kaiser!
So enden deine Säulen, Triumphbögen
flüstern von vergessenen Siegen.
Manchmal bleibt ein Bein.
Ein Kopf mit leerem Blick.
Katzen verschlafen darauf den Mittag.
Und er, bitter, schon im Gehen:
I know, there is always water on the stairs.
Seltsamerweise sprach er Englisch.
(c) Peter H. Gogolin, „Ich. Nichts. Vorbei.“, Hamburg, 1999 + 2002
@ anh: 1) formaliter: tippfehler in z. 5: „der“ statt „dre“; z. 7: „mit einem“ statt „meine einem“. mea culpa. [erledigt, 2.3.2017]
2) die quellenangabe – für interessierte mitleser – liefere ich hiermit nach:
Wolf von Niebelschütz: Über die Entstehung von Dichtwerken. Teil I: Dichtung, Ruhm und Nachruhm. In: Ders.: Freies Spiel des Geistes. Reden und Essais. Aus dem Nachlaß hg. v. Ilse von Niebelschütz. Düsseldorf/Köln 1961, S. 175–193, zitiert S. 181/182.
3) zu Ihrem kommentar: der vergleich, scheint mir, hinkt (oder besser: hat einen platten). wenn es denn ein vergleich ist, und ich ihn recht deute: der kutsche entspräche das buch, dem automobil all die schönen neuen medien, die unsere black mirrors füllen, ja? bzw. schärfer: der kutsche entspräche Ihr werk, dem automobil all die relativ leichte, seichte, schnell konsumierbare gegenwarts(!)literatur, mit der sich – sieht man von wenigen ausnahmen ab – die preislisten (long- wie short-) füllen, aus der die feuilletons bestückt werden, und die opportunisten wie ideologen der veröffentlichten literarischen meinung (obwohl es manche besser wüssten) fortwährend auf den schild heben, ja?
vordergründig hat das automobil die kutsche abseits von königsgeburtstagen, fiaker-tourismus und heide-romantik abgelöst. aber was bedeutet das? nur, dass sich das medium der sitzenden fortbewegung geändert hat, nicht aber der drang nach dieser selbst. er wird schneller bedient, kommt rascher ans ziel und ist – auch das – gefährlicher geworden, aber im grunde sich gleichgeblieben. hätte wilhelm zwo gesagt „ich glaube an den wanderstock“, hätte er das attribut „dement“ durchaus verdient, so hat er sich lediglich verkalkuliert.
die anwendung des vergleichs liegt auf der hand: die medien der mentalen sitzenden fortbewegung, lesen genannt, ändern sich, haben sich fortwährend geändert. damit gehen veränderungen der geistigen haltung einher, die noch nicht abzuschätzen sind. ob es also dem leinengebundenen buch so gehen wird wie dem zweispännigen cabriolet, ist noch nicht ausgemacht (– und wie viele moderne wilhelm zwos hatten das völlige aussterben des buche ja schon fürs jahr 2016 vorhergesagt!).
der drang nach guter literatur (ich nenne sie mit Niebelschütz „dichtung“) bleibt sich gleich, auch wenn er (s. zitat) in die unbewussten tiefen der leserinnen absinkt, während ihre seichten von den spiegelnden oberflächen ihrer smart-geräte in anspruch genommen sind. die medien ändern sich, aber gerade Ihr werk zeigt doch, wie dichtung unter alten wie neuen bedingungen möglich ist: vom „klassischen“ elfhundertseiter, an dem auch Niebelschütz seine freude gehabt hätte (in dem aber auch schon die realität auf einer diskette gebannt sein könnte) – bis zu dieser dschungel hier in all ihren hypertextuellen dickichten. zu beidem hat keiner der long- und shortgelisteten schriftsteller (s. wieder Niebelschütz) nur annähernd vergleichbares aufzuweisen. warum nicht? eben weil Sie nicht dem „unzuverlässigem Geschmack [Ihrer] Zeitgenossen folgen“, sondern dem dichterischen instinkt.
ich habe Ihnen ja nicht zufällig einen fund gerade dieses dichters geschickt. „zufällig“ insofern, als ich zur zeit in seinem werk stöbere, nicht zufällig aber an Sie und gerade jetzt. erinnern Sie sich: sein Blauer Kammerherr war 1949 eine überwiegend positiv bis enthusiastisch rezensierte neuerscheinung. der autor selbst war zufrieden, was selten vorkam, die 10.000(!) gedruckten exemplare verkauften sich nur deshalb nicht komplett, weil suhrkamp sich in der auflagenhöhe nun wirklich verkalkuliert hatte. und doch lief der unzuverlässige gschmack der zeitgenossen dem vermeintlich neuen und neuesten nach, dem, was das markt-und-meinungs-kartell der gruppe 47 vehement empfahl, einem an der vermeintlich unvermittelten gegenwart orientierten realismus – was wiederum folgen für die literaturgeschichte hatte. und Niebelschütz? rang mit depressionen. gab nicht auf. suchte sich andere, lukrative einahmequellen und: schrieb. schrieb den verblüffendsten mittelalter-roman der deutschen literatur bis dato.
klingt das vertraut?
wenn ich einmal zuspitzen darf: Sie sind Niebelschütz vergleichbar. nicht nur, was die postmoderne ästhetik des romanschaffens angeht oder den, formalen, klassizismus der lyrik. sondern auch, weil er nach einer (politischen) epochenschwelle die gesamte tradition des kulturzusammenhangs, den er „abendland“ nannte, noch einmal gebündelt und so dem vergessen à la kahlschlag entrissen hat, und zwar nicht in einer überholten, sondern einer innovativen poetischen form. das könnte man, wenn ich den biographen vorgreifen darf, auch über Sie sagen: die epochenschwelle wäre eine technisch-mediale, die kahlschlag-doktrin wäre durch den globalen entertainment-kapitalismus zu ersetzen. aber die leistung des bündelns, in der sich konservatismus und innovation unerhört zusammenschließen, ist die gleiche: ein unzeitgemäßes, das zugleich der gegenwart ganz nah ist (aber eben nicht platt ‚realistisch‘). und schon deshalb wird Ihr werk bleiben wie das Niebelschützens geblieben ist, vielleicht mir einer inkubationszeit, aber mit der option auf die „Unsterblichkeit“.
unterdessen erwarten einige gegenwärtige Ihren mittelalter-roman…
in diesem sinne,
A.
@Aikmaier Habe erstmal alles korrigiert – auch Ihren von mir falschgeschriebenen Namen.
Den Rest Ihre Kommentars muß ich noch verdauen.
Literaturkritik Interessanter Artikel zum Thema Literaturkritik in der NZZ:
https://www.nzz.ch/feuilleton/die-leiden-des-literaturkritikers-ach-niemand-hoert-auf-mich-ld.147120
@Cellofreund Aus einem gegebenen, strategischerweise hier verschwiegenen Anlaß möchte ich einmal klug sein und mich zu diesem Artikel und Autor nicht äußern. Dennoch danke für den Link.
ANH