Statt Fülle des Wohlklangs bösester Ausdruck: Terry Gilliams Inszenierung der Verdammnis Fausti von Berlioz unter Simon Rattle an der Staatsoper im Schillertheater Berlin.

[Fotografien (c.): >>>> Matthias Baus]

La Damnation de Faust 1




Wir sollten uns ausmalen, welch furchtbarer Zauber – ein Teufelszauber fürwahr – diese Inszenierung gewesen wäre, hätte sie bereits auf die einzigartige Bühnenmechanik der noch im letzten Umbau befindlichen tatsächlichen Staatsoper Unter den Linden stattfinden können und nicht unter den nicht nur klanglich, sondern eben auch operntechnisch eingeschränkten Bedingungen des Schillertheaters. Ein Höllenzauber wurde Terry Gilliams Interpretation gleichwohl, selbstverständlich ohne Zauber, schon gar nettkommensurable quasi Comic-Ironie – wenn man von Fausti Frisur einmal absieht: eine Anspielung wohl auf die pädagogischen Sadismen gleichermaßen >>>> Heinrich Hoffmanns wie >>>> Wilhelm Buschs. Denn weniger wie ein Burschenschaftler kommt dieser Faust daher als mehr wie ein Primaner oder Oberprimaner vor der vorletzten Jahrhundertwende oder von noch früher.
Jedenfalls haben wir es bei Gilliam und aber auch Berlioz von Anfang an mit der Hölle zu tun und ihrem verklärten Gegenbild: dem, wovon sie ihren Ausgang nahm, der ins Erhabene idealisierten Natur. Genau dies stellt auch Rattles Dirigat klar: Nirgendwo habe ich so sehr die genial komponierte Gemeinheit einiger Schlüsselmusiken Berlioz‘ deutlicher gehört wie gestern abend in der Staatsoper. Sei es, daß zum vulgären ungarischen – ecco! – Marsch ins Nationalbewußtsein nicht passende Menschen erschossen werden, sei‘s, daß das studentische Gaudeamus igitur zu einer von Haß und Widerwärtigkeit nur so berstenden Gesangsnummer wird: Gruppen„geist“ wird zum Grölen der Meute.
Besonders widerlich wird es aber schon bei des Branders Hohnlied in Auerbachs Keller („Im Ofen glaubte die arme Seele,/sich verbergen zu können./Aber sie irrte sich/- und noch schlimmer-/zu guter Letzt wurde sie dort gegrillt“), das von choralem Aufgrölen und dieses durch ein fugiertes, von dumpfem Schlagwerk ausgehöhltes „Amen“ abgeschlossen wird.
La Damnation de Faust 2


Nein, angenehm ist das alles nicht. Sondern es dreht uns den Magen um. Es führt uns vor Ohren, was war und aber, steht zu befürchten, weiterhin ist. Genau das mag die, nachdem der letzte Vorhang fiel, extremen Buh!s erklären, die vor allem aus den hinteren Reihen zu vernehmen waren. Man läßt sich den Spiegel nicht so gerne vorhalten, schon gar nicht derart intensiv in der Oper.
Gegen den herausgeschleuderten Unmut stellten sich freilich auch Bravi, unter einigen anderen auch meine. Und dies, obwohl auch ich meistens genervt bin, wenn „mal wieder“ Nazi-Szenarien auf einer Bühne bemüht werden. Aus Überdruß freilich, und weil es in aller Regel bei puren Behauptungen oder Aufstülpungen bleibt.
Genau das ist in Gilliams Inszenierung nicht der Fall. Sondern er entwickelt sein Szenario direkt aus Libretto und Partitur und aus der Verklemmungs- und Nationalfindungsgeschichte Deutschlands seit dem Biedermeier. Es läßt sich ja durchaus von der Geburt des deutschen Faschismus aus dem Ungeist der Restauration sprechen – anders als für Frankreich oder gar England, wo das schließliche Nationalverständnis revolutionäre Quellen hatte, die im Volk selbst (zumindest mit)entsprangen.
Diesem, dem Volk, ist der berliozsche Faust allerdings fremd, anders als Goethes. Hier ist es gerade die Flucht in „reine“ Innenwelten, die schließlich seine Hinwendung zum Faschismus begründet.
Dieser Faust ist im Wortsinn ein innerlicher Mitläufer: Die säkular ritualisierten Regeln scheinen ihm die Differenz abzuheben, die er zum „einfachen“ Volk immer gespürt hat; zunehmend fühlt er sich im Volkstum und in seinem Streben aufgehoben, ohne daß er doch sein Eigenes verraten müßte. Nicht grundlos zitiert das Programmheft Klaus Manns auf der Karrieregeschichte Gustav Gründgens‘ basierenden Mephistoroman: Der „deutsche Künstler“, vordem bestenfalls Lakai und vom Volk in aller Regel verlacht, erhält nicht nur gesellschaftliche Reputation, sondern wird zur zentralen Idealfigur.
Daß er dabei an „wesentliche“ Ideologeme des Regimes gar nicht glaubt, ist die dem berlioz‘schen Faust inneliegende Tragik, bzw. die vom Teufel ausgelegte Rute, auf dessen Leim er tritt. Fausts Seele wird von Mephistofele geholt, weil er, Faust, sich ihm verschreibt, um die als Jüdin deportierte Marguerite zu befreien. Da auch erst zeichnet er den Vertrag – also indem er Gutes tun will.
Böser, in der Tat, lassen sich des Teufels berühmte Worte bei Goethe überhaupt nicht deuten: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ Daß dieser Satz umkehrbar ist, beschreibt das sich gegen Faust wendende Verhängnis.
Man muß fast mit Kant argumentieren: Weil er an Marguerites Befreiung ein persönliches Interesse hat, ist sein Wille und Handeln nicht moralisch. Und zwar hat er selbst keine Untaten begangen, aber tatenlos ihnen zugesehen. In die Hölle kommt er nicht als Täter, sondern als Mitläufer. Dazu, ein solcher zu sein, genügt schon, daß man nicht aktiv im Widerstand war, auch wenn man, so Erich Kästner, die Faust in der Tasche ballte.

Härter, zugleich aktueller und darum provokanter kann die Botschaft eines Regisseurs gar nicht sein. Nix mit >>>> Jabberwocky, meine Damen und Herren, den einiges Publikum wahrscheinlich erwartet hatte. Also nicht die Spur verspielter und angeblich postmoderner Beliebigkeit – auch dann nicht, wenn sich Gilliam meisterhaft postmoderner Formen bedient.
Es ist absolut schlagend, mit welcher Meisterschaft er sich, obwohl an die Bühnenwirklichkeit immer wieder zurückgebunden, filmischer Mittel bedient. Dazu gehört nicht nur der Trick, vermittels aufprojezierter, sich zunehmend schneller bewegender Bäume ein rasendes Dahinfahren vorzuführen, derweil die Akteure tatsächlich auf der Stelle bleiben; dazu gehört vor allem auch >>>> Hildegard Bechtlers sozusagen bühnenbildnerischer Hyperlink auf der Wachowskis >>>> The Matrix. Aber auch schon Fausts Studierzimmer als einen über >>>> Berchtesgarden – bzw. Motiven nach Caspar David Friedrich – quasi frei im All schwebenden Minimundus zu zeigen, ist postmodernen Bildwelten verdankt. Manches erinnert auch an Arbeiten >>>> Hans Jürgen Syberbergs.


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Geradezu genial auch, daß Faust Marguerite in ihrem Zimmer die Füße wäscht; hier rückt der christlicher Ritus die tatsächlichen Verhältnisse ins Bild, die Faust auch spürt, sich aber nicht bewußt machen kann oder will. Sonst wäre er da schon aufgebrochen, mit ihr, um dem Unheil zu entkommen. Bei Gilliam wird diese Fußwaschung quasi zum Judeskuß. Wenig später erscheinen die Schergen.
Überhaupt ist eine – notwendige – Besonderheit dieser Inszenierung die Rollenauffassung Marguerites. Gilliam gelingt mit Magdalena Kožená eine Befreiung. Ihr Gretchen ist nämlich alles andere als naiv; ihr wird auch nicht ein Baby „angehängt“. Die Frage, weshalb ein, sagen wir mal, Intellektueller ausgerechnet von einem Backfisch erotisch attrahiert wird – etwas, das mir den Stoff von Faust I immer absurd und lähmend hat erscheinen lassen -, erledigt sich bei Gilliam von selbst. Als Naivchen verkleidet sich diese Marguerite nämlich nur: um als dunkelhaarige Jüdin nicht aufzufallen. Deshalb trägt sie, wenn sie ihr Zimmer verläßt, blonde Zöpfeperücke und Dirndl.

La Damnation de Faust 4


Wobei Faust selbst davon spätestens nach dem ersten Stelldichein nicht mehr getäuscht ist; um ihr hochgradiges Gefährdetsein weiß er also. Und zeigt sie selbstverständlich nicht an. Sondern das tut der Teufel, der es auch war, Faust zum ersten Mal in die nationalsozialistische Gesellschaft einzuführen.

Gerade, daß Faust solch ein Sinnsucher, darum vereinsamt und voll melancholischer Liebessehnsucht, also empfänglich für gesellschaftliche Anerkennung ist, macht ihn für Mepho so schmackhaft. Er wird über seine innere, die objektive Wahrheit verdrängende Wahrhaftigkeit stolpern und dann in die Hölle im Wortsinn hinabjagen, derweil er doch glaubt oder sich vormacht, hinauf auf dem Wege zu Marguerites Befreiung zu sein. Mit einer deutlichen Anspielung auf den Weltenbrand am Ende von Wagners Götterdämmerung geht er in Flammen auf.
Auch dieses Bild zeigt, wie genau Gilliam konstruiert hat. Im ersten Teil des Abends imaginiert sich Faust nämlich als Siegfried, der sich in dem gleichnamigen Bühnendrama, abermals Wagners, neben Brünnhilde in den Flammenring legt, treue(!!)halber Notung zwischen sich und ihr. In der perfiden Logik des Nationalsozialismus ist der Künstler – oder sagen wir: das Genie – zum Helden geworden.
Hält man sich vor Augen, daß der Geniebegriff ein emanzipatorischer war, der die Künstler aus dem Lakaientum holte, wird die politische Perversion an dieser Stelle eklatant: als Held ist der Künster nicht wieder nurmehr Lakai, sondern soldatisch geworden; freiwillig und widerspruchslos Befehlsketten unterworfen, egal was die Befehle verlangen.
Genau das nicht gesehen oder zu sehen gewollt zu haben, wird zurecht mit der Hölle bestraft.

Nun ist das Problem dieses Musikstücks wie schon bei Goethe der Teufel. Theologisch gesprochen ist er unsres aber sowieso. Denn letztlich ist alleine er es, der die Dynamiken bloßlegt. Fast möchte man meinen, er ersehne, daß jemand seinen Leim auch sieht. Als würde ihn das erlösen. Daß es niemand tut – das wird bei ihm zu Zynismus. Deshalb kann er bei jedem Gemeuchelten nur noch lauter lachen. So gesehen, ist seine Einsamkeit die einzig echte. Von Gott ist außer ihm nichts zu hören – der, wenn überhaupt, taucht allenfalls wie weiland der Sonnenkönig bei Moliere auf: ex machina und süßlich in Marguerites Himmelfahrt. Das Gold, in das sie hier gebettet wird, ist nichts als tander Schein. Wär es nicht noch böser, man wollte >>>> H.C.Artmann zitieren:

durch den schornstein
geht es ins himmelreich
bedenks
durch den schornstein
da zieht der rauch
so leicht –
komm mit …
(…)
In diese Apotheose (Artmann: „verbrannt/wird deine hand/und zu rauch/und zu aschen auch“) ruft Mino Kinoshitas Stimme: „Komm, Margarita!“/und dein haar
und dein kopf
und dein leib
und dein fuß
wird zu schönem
wirklich
schwarzen ruß –
komm mit …


La Damnation de Faust 6



*

>>>> Florian Boesch singt und spielt den Méphistophélès mit am Unheil geradezu schon verzweifelter Lust. Deshalb hat sein Triumph am Ende einiges Bittere, gegen das er sich nur wieder in neue Schale, neuen falschen Vorschein werfen kann. Es mag ein utopisches Element sein, daß Gilliam ihn, nachdem Faust in Flammen aufgegangen ist, auch den Vertrag verbrennen läßt. Der im Sekundenbruchteil verzischt. Nur einen Menschen endlich sehen, der ihm, dem Verführer, widersteht – ja nur versuchte, es zu tun! Er wäre dann erlöst wie >>>> Stokers Dracula, „da im Augenblick der endlichen Auflösung ein Schimmer von Glück über des Grafen Anlitz huschte, das ich eines solchen Ausdrucks gar nicht für fähig gehalten hätte“. Vielleicht, daß wir dann in ihm – Gott erkennten? Der ohne das abwesend bliebe.
Vergleichsweise einfältig dagegen – weil unbegriffen eindimensional – >>>> Charles Castronovos Faust, dessen lyrische Inbrunst freilich – goethetreu darin – von Werther hergenommen wirkt. Was allerdings wollte eine Frau wie der gnadenlos guten >>>> Magdalena Koženás Marguerite von einem sentimentalen Hampelmann wie Faust? – Seltsam, wie sich hier die Attraktionen für mich umkehrten und nicht mehr Gretchen die langweilige Person des Stückes war. Allein die tumbe Ungelenkheit, mit der sich Faust in ihrem Zimmer auf sie legt, noch die Knobelbecher an den Füßen… – Wäre wohl Mephisto ihr gewachsen gewesen?
So sind sie alle also – trotz oder gerade wegen seines Witzes auch Méphistofélès – v e r f a l l e n — geworfen, um es mit Heidegger zu sagen. Was in diesem Zusammenhang schmerzhaft pikant ist, vielleicht auch unlauter. Der ja gerade wäre für den Faust eine ideale Figurbesetzung gewesen – so, wie man in einer französischen Inszenierung den Teufel vielleicht nicht, wie hier zuweilen im Mittelteil, in eine Wehrmachtsuniform stecken, sondern als >>>> Petain kleiden sollte.

La Damnation de Faust 7



Wie nun auch immer, Simon Rattles Dirigat läßt dieses Geworfene, Verfallene, Böse wirklich Klang werden; es geht ihm dankenswerterweise nicht um Schönklang, sondern vor allem um eines: Ausdruck, Ausdruck und nochmals Ausdruck. Das darf nicht nur, sondern soll oft scharf klingen – und muß es. Vergleichbar Radikales habe ich bislang nur auf >>>> Igor Markevitschs Einspielung aus dem Jahr 1959 gehört. Ich wäre ausgesprochen gespannt darauf gewesen, wie sich diese Inszenierung am Teatro Massimo in Palermo angehört haben wird, mit dem sie – und mit der English National und der Vlaamse Opera – coproduziert wurde. Daß sie erst fünf Jahre nachher in Berlin aufgeführt wurde, ist ein Rätsel, das ich noch nicht lösen kann. Immerhin finden sich Auszüge aus Palermo auf Youtube:



Jedenfalls… wer diese Inszenierung verpaßt, nun jà, was soll man zu der und dem sagen? Nur das schreckliche Brodeln ihrer großen Flammenseen und das Zähneknirschen ihrer Folterknechte beim Martern der Seelen war noch zu hören. (Berlioz, Damnation, Auf der Erde.)

*


Hector Berlioz
LA DAMNATION DE FAUST

Légende dramatique en quatre scènes

Inszenierung Terry Gilliam – Bühne Hildegard Bechtler – Kostüme Katrina Lindsay
Licht Peter Mumford – Video Finn Ross – Regiemitarbeit/Choreografie Leah Hausmann

Magdalena Kožená – Charles Castronovo – Florian Boesch
Jan Martiník – Mitho Kinoshito
Chor: Martin Wright

Staatskapelle Berlin
Simon Rattle

Die nächsten Vorstellungen:
1., 4., 9., 11 Juni, je 19 Uhr

>>>> Karten

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