III, 294 – Tarock

Als ich am letzten Samstag den Palazzo Petrignani aufsuchte wegen Dr. Caligari, kam ich wie üblich ziemlich frühzeitig dorthin, und da erst eine Handvoll Leute entweder draußen oder am Kassiertisch standen, machte ich mir den Spaß, den leeren Freskensaal zu betreten und mit sachten Schritten und versonnen mich nach den Grotesken umsehend und im Grunde in diesem Schreiten lebend einen Moment des Enthobenseins zu zelebrieren. Langsam klang bei dieser Raumausfüllung, die ich vollführte, und knapp oberhalb der Hörschwelle mein Vorname ans Ohr, bis ich dann doch stutzte. Die Wand, die spricht? Bis ich mich umdrehte.
Da saß, unsichtbar für den, der vorwärts schauend den Saal betritt, die Sibylle an der hinteren Wand und hatte perfekt diesen Moment inszeniert, die mich gestern vorm Bioladen ziemlich zigeunerinnenhaft die Tarockkarten legen und ich mir dies gern gefallen ließ (sonst hätte sie es ja auch nicht gemacht (“dachte ich, während ich das Gasthaus betrat” – Bernhard, Der Untergeher, der ein ganzes Leben in diesen Moment des Gasthausbetretens zu legen scheint)). Und es war ja auch eine Art Gasthausbetreten gestern abend, denn ich nippte während des Aufdeckens der Karten an einer Pinte schwarzen ‘smokey’ Biers, daß sogenannte ‘handwerkliche’ (birra artigianale) Brauer anboten (sie, Italienerin, er, ein Franke und auch sonst ziemlich Frankie goes to Hollywood). Um sie herum ein Andrang von diesen schon erwähnten Tänzern und Tänzerinnen (es geht schlicht um dieses: >>>>).
Da ich weder Smartphone noch sonst etwas zum Fotografieren habe, wurde ein Bekannter gebeten, die aufgedeckten Karten zu fotografieren und an meine E-Mail zu schicken, die ich selber eingab, aber nichts ist angekommen. Und so tappe ich leider ein bißchen im Dunkeln.
Ich sprach mit einer Tänzerin über diesen Umstand, kein Smartphone oder sonst etwas zum Festhalten von etwas Bildlichem zu haben. Ich sagte, es sei manchmal ein Wunsch da, etwas abbildlich festzuhalten, dann sei der Skrupel dabei, es doch anders festhalten zu wollen, meinethalben als Wortbild oder wie immer man es nennen will. Denn es gebe tatsächlich Momente, die verdorben würden, wollte man sie so zack zack im Snapshot festhalten.
Sie verstand es durchaus, zumal sie selbst sich dauernd über ihr Smartphone beuge, seit sie es – wiewohl widerstrebend – habe.
Jedenfalls läßt sich im Nachhinein lediglich feststellen, daß die Tarockkarten mich in eine Welt der Leichtigkeit und Beherrschbarkeit versetzten (die Karte, die zeigen sollte, woher ich komme, zeigte sehr plausibel eine Frau, die einen Löwen zu bändigen versucht, daneben eine Burg auf einer Anhöhe (grad so, wie ich damals das eheliche Landhaus beim Psychologen zeichnete), nur daß am Ende die letzte Karte (“the mission”, wie sich die Sibylle auf Englisch ausdrückte) den vom Blitz getroffenen Turm zeigte. Tanto da invocare >>>> Santa Rita)!
Und noch dagesessen bis spät. Neben mir die Morgenröte (die versehentlich hingetippten Morgenräte auf den nächsten Morgen verschiebend: allemal schlechte Räte!). Fuhr mir einmal durchs Haar: was für weiche Haare er doch habe! Und ich, völlig unbewußt, fand zweimal meine linke Hand auf ihrem beschuhten rechten Fuß wieder. Rechtfüßig verlinkt.

Quante lingue eloquenti legò il vino,
quante ne seppe sciogliere di mute!

Muhammad Ibn Al-Qattâ’

Wie viele Sprachen schlug nicht in Fesseln der Wein
wie viele jedoch, die stumm, vermocht’ er zu lösen!

(Lektüre: Poeti arabi di Sicilia)

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