„Wie ein Thriller!“ Das Arbeitsjournal des Sonntags, den 24. September 2017.


[Max-Ernst-Zypresse im Nebel, bei Königswinter nahe Bonn, 7.39 Uhr]

Zypresse im Nebel


Der beinah ausverkaufte Kammermusiksaal des Bonner Beethovenhauses, also die Menschheit darin, saß die gesamten 43 Minuten, die >>>> diese Uraufführung dauerte, konzentriert, teils versunken da; glitt eines‘ Aufmerksamkeit hinweg, oder einer, nahm Platzens Musik sie sanft, doch nicht ohne Suggestivität bei Ohr und Gehirn und sog sie wieder ein. Der Applaus war – im Wortsinn, Freundin – schlagend. Ich selbst hatte schon von den ersten Tönen an – Magie gespürt. Für mich bedeutet das Wort unterdessen „ohne Dogma“, so daß Risse spürbar werden, durch die was hinausblühen kann. Und hier blühte.
Allein die Singstimme war zu tief. Die „gemeinte“, weil auf sie hingeschrieben worden war – Platz sagte, er habe ihr die Partie nicht auf den Leib, nein, in die Kehle geschrieben -, hatte kurzfristig abgesagt, stellen Sie sich vor! eine Uraufführung absagen, für die alles schon steht! — so war nun kurzfristig jemand zu suchen, die einspringen wollte und konnte. >>>> Eva Šušková hatte sich gefunden, eine, wie Sie hinter dem Link sich anhören können, tolle Sängerin, aber nicht Sopran, wie die Partitur vorsah, sondern ein Mezzo. Obendrein im achten Monat schwanger, so daß die Belastbarkeit schon aus menschlichen Gründen eingeschränkt war. Und die Partie hatte hinuntertransponiert werden müssen. Dadurch verändert sich der fast gesamte Klangcharakter.
Ich hörte es sofort, hörte quasi mit, was Robert eigentlich komponiert hatte, hörte es, weil es ja mein Text war, der dort erklang. Ja, ja! – dachte ich immer wieder, jetzt muß sie ganz hoch über dem h der Geige schweben! und ich hörte sie schweben, auch wenn sie es nicht tat, sondern die an sich zart zu singende Stelle notgedrungenermaßen dramatisch nahm. Wie oft habe ich nachher an >>>>> Laura Aikins Sophie gedacht! und Robert in der Nacht von ihr auch erzählt.
Mehr als nur phänomenal aber dieses Quartett, >>> Quatuor Béla. Wie phänomenal merkt sich bei bekannten Stücken, besonders des Repertoirs. Da nur spüren wir, wenn etwas anders ist. Beethovens selbst im Programmheft „heiter“ genanntes spätes Opus 135 wurde zum Thriller. Es war schlichtweg atemberaubend, auch weil der klangliche Wille zum Ausdruck – geradezu eine Performance aus Klang – nicht etwa unter Verzicht auf Analytik ging, sondern ganz im Gegenteil: Ausdruck ward Analyse, Analyse Ausdruck. Ich bin gespannt, ob meine, tja, Empfindung sich nachher wiederholen wird, wenn ich zurück in Berlin den Mitschnitt abhören werde. Hier sei sie aus der Erinnerung aber schon konstatiert. (Dann werde ich Ihnen, Verehrte, auch ein paar Bilder zeigen. Ich bin hier, bei der Zypresse, zu weit von jedem komoden Netz entfernt und habe gestern nacht verabsäumt, mir ein WLan-Paßwort geben zulassen.)

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Mein Flieger hebt um 11.45 auf Kölnbonn ab; ich muß auch irgendwie dort hin. Robert will mich zur Eisenbahn fahren, schläft aber noch. Nu‘ hoff ich, ihn, den Flieger, nicht zu verpassen. Das wäre schon deshalb blöd, weil ich dann nicht wählen könnte. Allerdings müßten mir Hand und Stift dann nicht zittern.

[Arbeitswohnung, 14.17 Uhr]
Zurück.
Caffè.
Erst einmal den Mitschnitt von gestern auf den Musikcomputer überspielen, formatieren und schneiden. Es regnet hier in Berlin.


8 thoughts on “„Wie ein Thriller!“ Das Arbeitsjournal des Sonntags, den 24. September 2017.

  1. Wählen Unbedingt wählen. Man überlässt sonst die Entscheidungen den politischen Richtungen, die man auf keinen Fall will. Wie wär’s mit dem Stärken von FDP oder Grünen?

    1. Wahl@Cellofreund: Momentan, nach den ersten Hochrechnungen, sieht es gewaltig nach einer Großen Koalition aus – es sei denn, die CDU/CSU verfällt auf den grauslichen Gedanken, die AfD mit ins Regierungsboot zu holen, weil sie vielleicht annimmt – die Zahlen sprechen horrend dafür – auf diese Weise ihre verlorenen Wähler zurückzuholen. Daß AfD-Leute indes jetzt schon davon ausgehen können, in die Rundfunk(!)räte zu kommen, dreht mir den Magen um.

    2. Wahl AFD mit CDU/CSU ins Regierungsboot- niemals. SPD will nicht mehr. Jamaica sollte sich einigen. Wie man in die Rundfunkräte kommt, ist mir gerade nicht klar. Aufzupassen und kritisch mitzudenken ist sicher kein Fehler.
      Wann hören wir das Bonner Konzert?

    3. Rundfunkrat Die AfD wird in der Gruppe der Rundfunkräte der einzelnen Landesrundfunkanstalten eine unbedeutende, da sowieso isolierte, Rolle einnehmen (einfach z.B. nach MDR-Staatsvertrag § 19 googeln).
      Ich kann mir sogar vorstellen, dass die Rundfunkanstalten, durch die neue Gefahr von Rechts, von den übrigen demokratischen Kräften in Schutz genommen werden. Obwohl dies nach der Elefantenrunde am Wahlabend nicht danach aussieht. Innenminister Herrmann (Bayern, CSU) beschuldigte die ÖR am Erstarken der AfD, was natürlich völliger Blödsinn ist. Die da in den Echokammern in Sachsen sitzen schauen keine Polit-Talkshows – das würde diese Leute völlig überfordern. Solche Dumpfbacken treffen sich in den entsprechenden Filterblasen auf Facebook…
      Meine Prognose: die AfD wird nach vier Jahren aus dem Bundestag gewählt und wird ihr Dasein wie weiland die Republikaner in BW unter der 5%Hürde fristen.
      1992 gewannen die Republikaner dank einer Protestwahl der Bürger satte 10,9% der Stimmen und zogen dort für vier Jahre in den Landtag ein. Bei der vergangenen Bundestagswahl geht man von 2/3 Protestwählern aus.

    4. @Stromberg 1) Toll, daß ich, zumal hier, von Ihnen wieder einmal höre.
      2) Ihre Worte sind beruhigend, fast. Indes ist ein Landtag ist doch etwas anderes als der Bundestag. – Was die Rundfunkräte anbelangt (das Wort „Rat“ gefällt mir selbstverständlich, Mühsam München 1918), so bin ich mir über die jeweiligen Kompetenzen nicht im klaren. Sie wissen da entschieden mehr. – Mein Problem ist das Wort „Dumpfbacke“. Aus meinem persönlichen Kreis kenne ich zumindest Sympathisanten der AfD – und leider sind die alles andere als Dumpfbacken. Eben das finde ich das erschreckende daran. Bitte denken Sie auch an solche Figuren wie >>>> Lewitscharoff, der ich am liebsten ihren mythischen Vornamen aberkennen würde. Ebenso unangenehm ist >>>> Maron, bei der das Wort Dumpfbacke aber leider ebenfalls zu kurz greift. Im Gegenteil, Menschen wie diese geben den Dumpfbacken eine Form und erden ihnen die angstbestimmte Meinung. Sie machen deren Munition intellektuell scharf.

    5. Wortsuche Mit dem Wort Dumpfbacke wollte ich den Durchschnittswähler dieser Partei umschreiben. Da zwei Drittel der Wähler dieser Partei des Protestes wegen gewählt hatten, bleiben lediglich ein Drittel Unverbesserliche und Hardliner übrig. Nach Adam Riese sind das dann unter 5 %. Und unter diesen 5 % befinden sich natürlich einige ewig Gestrige, Unverbesserliche und womöglich auch geistig schwer gestörte Personen. Für diese ist natürlich das Wort Dumpfbacke ein Euphemismus. Ich wollte ihren Blog jedoch nicht mit dem passenden Terminus besudeln.
      Was Lewitscharoff und andere betrifft: hier haben sich die inneren, lange Zeit unterdrückten Dämonen ihren Weg an die Oberfläche geschlagen. Die Maske fällt.
      Das Intellektuelle hatte auch immer schon eine Seite des Bösen. Nach dem Rückzug der „Lucke-Professoren“ aus der AfD möchte ich behaupten, dass das intellektuelle Potential dieser Partei stark ausgedünnt ist. Wenn Ihr Blog in vier Jahren noch besteht, werde ich an gleicher Stelle feststellen, dass die AfD nur eine Legislaturperiode Bestand hatte und als Fußnote in die bundesdeutsche Geschichte eingegangen ist! Bis dahin werden sämtliche prominenten Befürworter dieser „Partei“ in Sack und Asche gehen.
      Ihr Blog ist nach wie vor eine angenehme Frisch(Gehirn)zellenkur 😉

    6. Ich hoffe, lieber Stromberg, daß Sie mit Ihrer Prognose recht behalten werden, hoffe es sehr. Wobei mir Wähler:innen, die ‚aus Protest‘ rassistisch gesonnene Parteien wählen, fast noch unangenehmer sind als überzeugte Rechte: ihr Egoismus geht über jedes Menschenrecht hinaus; Überzeugung ist korrupt geworden. Tatsächlichen Rechten läßt sich doch zumindest zugutehalten, daß sie glauben, auch wenn der Glaube schrecklich ist und wir uns gegen ihn stellen, ja erheben müssen. Bei ‚Protestwählern‘ ist so etwas überhaupt keine Kategorie; sie sind wie Staubmorscheln, in die man dumpf schlägt.

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