Der Pickel zur Akne. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, den 18. November 2017, widmet sich der Schönheit einmal m e h r.


[Arbeitswohnung, 7.05 Uhr
Erster Latte macchiato, eCigarre]

Hat sich gestern schnell gelöst, mein Musikcomputer-Audioproblem. Irgendetwas – (:weshalb dieses Wort zusammengeschrieben wird, kapiere ich bis heute nicht) – hatte die Software, wohl besonders den Treiber, meiner externen Soundcard zerschossen; kurzfristig fiel auch mein wohnungsinternes Netzwerk aus. Hilfe schufen ein Update des Betriebssystems, die Deinstallation der Treiber„reste” und Installation einer zu der Soundcard gehörenden ganz neuen Firmware, na jà: eine relativ neuen, da die Card selbst keine wirklich neue ist.
Ich gebe, Freundin, zu, versucht (gewesen) zu sein, meine TASCAM durch eine professionellere von Edirol auszutauschen; die Kosten wären momentan aufzubringen, ja imgrunde müßte ich fürs Finanzamt eigens welche schaffen. Nun gut, bis Ende Dezember ist dafür noch Zeit.
Das Problem zu lösen, ging so unerwartet schnell, daß auch die weiteren Arbeitsvorhaben wie am Schnürchen flutschten. Nun ist für die Contessa nur noch knapp mehr als eine Stunde Tonprotokoll zu übertragen, und mit der Durchsicht von >>>> Thetis nähere ich mich der Hälfte: 426 der 895 Buchseiten sind geschafft – Sie erinnern sich: >>>> Elfenbein will im Dezember setzen, damit zum Frühjahr kommenden Jahres die Zweite – dannmehr (: statt „nunmehr”) neu durchgesehene – Auflage im Buchhandel vorliegen kann. Es gibt, hörte ich, bereits Vorbestellungen. Ebenfalls dann wird die Neuausgabe der – (hà!): ebenfalls ebenfalls – vergriffenen Aeolia bei >>>> Arco da sein.
Insoweit, Freundin, Kontinuität. Immerhin.
Auch für die vielen noch nicht als Buch erschienenen Gedichte gibt es ein Licht, und zwar diesseits meines Jenseitsimpulses, sie „einfach” selbst und dann unter einem Untertitel zu verlegen, der gleichermaßen ironisch wie aggressiv die Vorbehalte gegen sie bezeichnet: „Unmoderne Gedichte” oder mit Bezug auf Nietzsche „Unzeitgemäße Gedichte”, was aber gerade des Bezuges wegen zurechtgeschönt wäre. Beim Titel selbst allerdings soll es bleiben:

Derelvelieder

Auf den ersten Blick zu ungewöhnlich vielleicht, möchte ich von einer Bindestrichlösung absehen, die ich fast immer als unelegant erlebe, also „Derelve-Lieder”; möglich wäre allerdings die Andersweltlösung: „Derelve.Lieder” – eine ähnliche Bewegung, die auch für meinen kleinen New-York-Roman vollzogen wurde, dessen Untertitel, nämlich die Gattungsbezeichnung, den Spielort in sich mit hineinnahm: „Manhatten Roman”. Das wiederum kam von Aragon her: >>>> „Théatre/Roman”:

Aragon Théatre-Roman


Er freilich zog die Gattung hinauf in den Titel; „In New York” spiegelt es quasi nach unten.

„Nach unten”:
Ästhetik, letztlich, d.h. erstlich die >>>> Lehre von der Oberfläche, wird zur Reise in die Tiefen. Höhlen und Schächte (metaphorische Bilder des Unbewußten) als Spiegel und zugleich Widerparte des Schönen, das aber nicht nur, dies mit Adorno, im Ausgesparten bleibt – er nennt es das Negative –, sondern entgegen der moralischen Nachkriegsdoktrinen sich auch tatsächlich zeigt.
Nur ist Wohlklang nicht Wohlklang, der Kitsch nicht Kunst, wiewohl sie einen Anteil des Kitsches auch haben muß. Sonst zieht sie an den Herzen vorüber und wird ihrerseits pur Ratio, so daß der Kitsch nun erst recht, weil ein Vakuum entstand, in die Herzen hineinzieht. Zugleich machte dann Kunst die patriarchale Bewegung fort von der Erde in einen „reinen” Geist mit, der auf der Lebensfeindlichkeit fußt (Sexualfeindlichkeit, Feindlichkeit gegen Natur usw. – mitsamt allen ökologischen Folgen, gegen deren Unheil wir uns – oder viele von uns – seit nun schon Jahrzehnten wenden). – Kunst, nein, ist nicht notwendigerweise politisch, aber ihre Strukturen und Gestaltungsprinzipien sind es, und insofern sie‛s sind, muß sie – durchaus in auch religiösem Sinn – Erscheinung sein (womit wir, Freundin, wieder beim Wortursprung wären: αἴσθησις), doch t a k t i s c h zugleich, ja strategisch. Kunst ist Kampf genau wie Verführung.

Zweiter Latte macchiato, Cigarillo, 8.16 Uhr.

Schriftstellerdarsteller, soso, liebste Freundin, >>>> nennen sie mich, manche meiner Gegner. So daß man sie berechtigt Feinde nennen muß, wiewohl ich nichts anderes tat, als in einigem anderer Meinung zu sein, also als sie, und dies auch zu vertreten. Man kann mich nicht vereinnahmen, weder von „links” noch von „rechts”, noch von der „Mitte”; nämlich deshalb der Vorwurf. „Schriftstellerdarsteller” sagt, daß ich gar keiner sei, sondern nur „so tue”, als ob ich es wäre. Angesichts meiner Bücher ist er absurd, ja bizarr.
Dennoch, er wirkt. Alleine darum schmerzt er mich, wurmt mich, und weil dem so ist und sie, die Gegner, es spüren, stechen sie nach, wann immer sich Gelegenheit findet. Dabei werden die Bücher vom Tisch gewischt, wie auch Die Dschungel, wann immer mächtigerseits von Blogs die Rede ist, so gut wie gar nicht erwähnt wird, geschweige, daß ich eingeladen würde. Zur Ignoranz gehört die Verleugnung wie der Pickel zur Akne.
Daß jemand freies Denken fordert und nicht nur das – es sich gestattet, ist nach wie vor Skandal, schon gar, wenn er sich so auch verhält, skeptisch gegen Moden, skeptisch gegenüber dem Mainstream, skeptisch gegenüber der Entkörperung, skeptisch gegenüber „gender”-Ideologemen, skeptisch gegenüber dem verleugneten Eros – und darum, gegenüber jeder Häme auf Schönheit, ein Jünger der Schönheit.
Angesichts der Schrecken der Welt dürfe Kunst nicht mehr schön sein, so der moralisch geschwungene Hammer. Doch wie?! Die häßliche Kunst verdoppele nicht, also vermehre nur den Schrecken? O Teufelshörner der Mimesis!
Wohl wahr, daß das Schöne nicht gut und das Gute nicht wahr, diese Erkenntnis sitzt tief schon bei Goethe, und also sollte gerettet sein „das edle Glied / Der Geisterwelt vom Bösen”; besser drum weg mit dem Kleist an den Wannsee. Der Penthesilea Schönheit, Küsse, Bisse, daß sich das reimt, es war nicht zu ertragen. Ist’s meinen Gegnern immer noch nicht.
„Ist die Erkenntnis einer drohenden Gefahr”, heißt es heute >>>> im Morgenecker, „unabwendbare Gewißheit geworden, muß dem Schrecken kaltblütig entgegengetreten werden”, so daß schließlich, als Ecker und Frau seine Eltern besuchen, ihre Schwiegereltern also, der Garten hinterm Haus von lauter in der Erde befestigten Kisten bedeckt ist, auf jeder derer eine Sonnenuhr liegt. „Zu Hause angekommen, schrieb ich diese Geschichte. Ich werde sie Vater nicht zeigen. Und ich will und werde nie wieder eine Geschichte schreiben, denn Geschichten sind Kisten, weiß ich nun, die man über Stellen stülpt, die niemals ein anderer betreten darf.”
Was mich nun direkt auf meine heutige Kleine Poetik bringt, die ich im Lauf des Tages einstellen werde. Wenn‛s soweit ist, sage ich Ihnen bescheid. Bringen Sie, Freundin, für mich die Geduld auf, die ich auch für Sie habe, und die Zuversicht, die mich Ihnen zuträgt:

Ihr ANH

P.S., 10.36 Uhr
Ich habe eingeheizt, liebste Freundin:

Einheizen 2017

Nun ward‛s auch mir zu kühl. Und meine strenge stille Muse, den Wolpertinger auf dem Schoß, hat ihren Winterplatz neu eingenommen, denn auf dem Ofen weiter | wär nicht gut sitzen mehr.

Muse mit Wolpertinger

4 thoughts on “Der Pickel zur Akne. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, den 18. November 2017, widmet sich der Schönheit einmal m e h r.

  1. Na ja, ein/e jede/r stellt ja, sobald sie/er sich auf die Bühne stellt, seine Künste auch dar, für Autor*innen ist das eine Einkunftsquelle, oft die einzige, so gesehen muss es nicht allein für Verstimmung sorgen, so ein Begriff, es ist ja etwas an ihm dran. Es wäre unverschämter, wenn man dich einen Autorschauspieler nennte, denn der muss tatsächlich keine Bücher geschrieben haben, der tut nur so. In FFM gerade mit Physalis noch drüber gesprochen und selbst das Verlangen danach, eine Art Dichterband wäre oft angenehmer, dann wäre man auch etwas davon abgelenkt, dass man immer dächte, mich lehnt man ab, oder zieht man vor und das aus ganz außerliterarischen Gründen oft und böte eben auch dafür gar keine Projektionsfläche mehr, da kann sich ein Publikum dann ja vielfach identifizieren, ohne dass es die Summe seiner Teile als Ganzes ablehnen müsste. Und das Geheimnis dabei, auch bei Bands, ihre Mitglieder sollten möglichst heterogen und gleich stark sein. Duchamp z B oder Marcel Broodthaers waren auch ziemlich gute Künstlerdarsteller. Ich finde das gar nicht so anrüchig. Deutschland konnte sich mit dieser Form der Avantgarden eh nie besonders gut anfreunden, sieht man auch gerade mit dem, was an der Volksbühne passiert, da vermutet man gleich wieder den großen Bluff, nur, als ich mich begann für Kunst zu interessieren, waren es diese Blufferfahrungen, die ich absolut neu und spannend fand, die eben von so einer komischen Leistungsschau abrückten, so könnte man es ja auch mal betrachten. Man ist hier oft sehr objektbezogen. Und ich finde ja das Konstrukt eines Autors, der kein einziges Buch geschrieben haben muss, auch ungemein spannend noch dazu, denke ich an H C Artmanns Acht Punkte Proklamation.

    1. @diadorim zum “Darstellen”. Du hast schon recht. Es gibt ja auch die “Darstellenden K ü n s  te” – halt nur für die Dichtung nicht, ein Erbe des Priester(un)wesens, das in den Repräsentanten der Literatur immer noch nachweht – jedenfalls wird es von ihnen verlangt. Als ob sie mehr als andere wüßten! Ich lach mir ‘n Ast, wenn mal wieder, wer fällt mir ein?… sagen wir Daniel Kehlmann oder Jonathan Franzen zur Lage der Welt befragt wird, die dazu beide, ganz wie auch ich, nicht mehr Essentielles können als zum Beispiel mein Zahnarzt oder ein Germanistikprofesor. Dennoch wird vorausgesetzt, daß es anders sei.
      Dabei wissen wir doch imgrunde alle, wieviel Schelmentum in den Künsten auch ist, Göttinseidank. Um so trefflicher, daß Du Artmann nennst, den die Anti-Sexismus-Welle jetzt auch zu, sagen wir, dekonstruieren versucht (leider finde ich den Artikel jetzt im Netz nicht mehr; selbstverständlich verlinkte ich ihn sonst). Einem seiner, Artmanns, Gedichte hat sich eine meiner Kleinen Poetiken gewidmet, die ich jetzt >>>> nach und nach einstelle. Bis Mitte kommender Woche wird der Text drinstehn; erst einmal ist >>>> Uwe Dick dran, einer der grandiosen, doch schon seit Jahren verfemten Zeitgenossen der deutschsprachigen Literatur.

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