[Arbeitswohnung, 8.14 Uhr]
Was ich erst ab 8 Uhr erledigen wollte, habe ich vorgeschoben; >>>> dahinter könnte ich nun schon mein Häkchen setzen. Bis halb Mitternacht gestern saß ich an der Fertigstellung des Tonfile-Protokolls, schob Thetis tatsächlich noch einmal nach hinten, einfach um endlich durchzusein. War dann durch. Letzte Formatierung heut in der Früh und weg mit dem Ding an meine Contessa. Nun mit Volldampf an Thetis.
Um sechs Uhr auf, kurz nach eins, nach nächsten Gesprächen mit dem Freund, auch etwas Literatur, ins Bett. Viereinhalb Stunden Schlafs, der Rhythmus im Grünen Bereich.
Was mich aber eigentlich beschäftigt, sehr beschäftigt, darüber darf ich nicht schreiben; es wäre intime Indiskretion, auch scharf, weil einen Bereich nicht nur berührend, sondern bedeckend, den neunundneunzig von hundert Leuten nicht verstünden: eine der heftigsten Attacken auf unsere, ich sag mal, moralische Anthropologie. Wenn ich von „beschäftigt” schreibe, meine ich „bedrückt”. Für manche Zusammenhänge funktioniert „aktive Verdrängung” nicht. Da kommen die Bilder, gerade wenn jemand gewohnt ist, in Extremen zu leben oder sie doch durchlebt zu haben, wenn man sie, die Extreme, stets bewußt hat und die Bilder wirklich kennt. Denn lange hat auch man selbst sie gemalt.
Damit verknüpft das unhintergehbare Gefühl des Abschieds, Abschied von einer ganzen enorm tragenden Lebensverfaßtheit; damit verknüpft wiederum das Altern. „Zu jung bei dir”, sagte in Facetime die Löwin, woraufhin ich antwortete: „Ich habe mein ganzes Leben lang extrem gebrannt und geleuchtet; vielleicht ist es nicht nur natürlich, sondern auch gerecht, wenn die Zeit der Schlacke früher als bei nicht so brennenden Menschen kommt.” Sie haben sich ihren Brennstoff eingeteilt, waren, um es kleinbürgerlich zu sagen, sparsam. Da schwelt‛s dann noch ruhig die Rente hindurch, und selbst die Demenz ist Verschmauchen.
Ich sagte: „Vielleicht ist‛s an mir, nun weise zu werden” – was immer bedeutet: Verzicht. Nur halt aus… ja, liebender Einsicht.
Eine schwierige Zeit. Vorgestern traf mich der Schock erneut.
Überdies, schöne Freundin, habe ich das Gefühl, meinen Nachlaß zu besorgen: die ständige Sichtung alter und nicht ganz so alter Arbeiten, ihre Neuausgaben vorzubereiten und zu betreiben – alles ein Blicken zurück. Der Flirt mit dem Friedrichroman ist da halt Flirt, man zwinkert sich zu und weiß doch zugleich, man wird zueinander nicht kommen. Dennoch, der Vorschein ist recht angenehm. Ein liebevoller, doch wissender Umgang mit Illusionen, die du dir, indem du sie eben n i c h t realisierst, bewahrst. Selbst bei >>>> der Béart bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob ich sie noch vollenden werde können. Denn das, was diesen Zyklus antreibt, ist ja eben vorüber; er wurde davon angetrieben.
Ich wollte aus dem unmittelbaren, unvermittelten Erleben schreiben, aus den Begehren; da ich sie aufgeben, zumindest dämpfen muß, geht das Feuer verloren – und so werden diese Gedichte wahrscheinlich fragmentarisch bleiben. Schriebe ich sie in meiner derzeitigen Verfassung, sie würden auf eine Weise melancholisch-resignativ, die eben nicht gemeint ist. So würden die Gedichte altmännergeil-klebrig. Vielleicht lasse ich meine Hände deshalb von ihnen, auch wenn ich sie in die >>>> Arbeitsvorhaben jeden Tag neu hineinschreibe und nächstentags wieder wegstreichen muß.
„Na ja”, sagte gestern die Löwin, „die meisten Frauen über sechzig haben ja auch keine Chance mehr, sich noch diesbezüglich etwas auszumalen, das auch würde.” „Sage ich doch: Es ist wahrscheinlich, was mir geschieht, gerecht.” So altre ich mit denen, die ich zeit meines Lebens bis zum Wahnsinn besang, und trenne mich von ihnen nicht, i n d e m ich mich von ihnen trenne… – sagen wir‛s, Freundin, milder: zu sublimieren beginne.
Klaviere und Streichorchester BWV 1064
Heilsam]
Hier wüten Wind und Wetter in meinem Innern; anders als sie muß ich nicht hinaus, da ich hier behaust bin, wenn auch geteilt zur Zeit mit dem Freund. (Für mich ist‛s schwierig, daß er nicht aufräumt; ich muß hinterherräumen, zerknautschte Kleidung falten und beiseitelegen; auf dem Mitteltisch liegen Zettel, Ticketts, Buchumschläge ungeordnet herum; sogar eine Deodose steht da, die in den Kulturbeutel gehört, und die von mir Kant an Kant gestapelten Bücher scheint ein kleines Zimmerbeben durcheinandergeworfen zu haben. – Nein, ich nehm‛s ihm nicht krumm, er hat nicht mein Bedürfnis nach auch äußerer Disziplin, ist eh in problematischster Verfassung derzeit. So schweig ich und räume, zumal auch mein eigener Arbeitsbereich seit Wochen nicht mehr meiner Ästhetik entspricht.)
Er las mir gestern nacht ein Gedicht >>>> Zuzanna Ginczankas vor, dessen ungebrochenes Pathos mich trotz einiger schöner Bilder und vor allem der erotischen Grundbewegung nicht überzeugte; so versuchte er‛s mit dem polnischen Original. Doch ist diese Sprache mir so fremd, daß ich das Melos nicht spüre. Über Zentauren heißt dieses Gedichte – die allerdings berücken s c h o n, wenn sie „aus den Wiesen der Mythologie” herangaloppieren, und wir sehen der uns gleich niedertrampelnden Herde mit dem Bewußtsein einer Endlichkeit entgegen, die, sind sie denn vorbei, hinter uns die Tür geschlossen. Das Hufgewitter der eisenen Beschläge läßt uns immerhin nicht hören, wie sie zugeschlagen ward.
Bislang betörend allerdings Ulrich Bechers >>>> Herz des Hais, ein kleiner Roman, den mir der Freund antiquarisch mitgebracht. Diese Prosa fing mich vom ersten Satz an ein. Ich werde Ihnen gewiß von ihr noch detaillierter schreiben ( „Wir erziehen Ihren Computer” sagt mir >>>> flickr grad; böser geht eine Anspielung nicht; aber diese, meine Freundin und Vertraute, verstehn alleine S i e):
Ihr heute trauriger, nämlich in beiderlei Sinn,
ANH
P.S.: An die Arbeit. Nicht stoisch, sondern abfindsam: beharrlich. Denn die Kentauren sind schon fort, und wir, wir liegen in aller Puszta so nieder- wie ausgestreckt und schauen in den Himmel, in den wir jenseits von Schmerzen nicht aufsteigen könnten.