Die Ausboxung Lievalleens. Von Peter Wawerzinek.

 

Klaus ist früh mit dem Zug nach Schwerin unterwegs. Meine Freundin und ich empfangen ihn am Bahngleis. Ist so schön, abgeholt zu werden. Und wie er sich darüber freut. Grund für seinen Besuch ist das hier stattfindende Filmfestival, mein Streifen LIEVALLEEN hat es bis in den Wettbewerb unter die besten zehn Dokumentarfilme geschafft.
Wir haben viel darüber gesprochen, jetzt will er ihn sehen.
Elf Uhr fünfzehn am Morgen. Ungünstiger geht es wohl nicht, wo doch die Leute in Mecklenburg so brandungsfeste Essenszeiten haben.

Einige dutzende Male habe ich mir während der Postproduktion meinen Film nunmehr angesehen, im großen Kinosaal aber ist er groß und rührt nur nicht mich herzlich an. Ich entdecke kleine neue Details in ihm. Und schon sind neunzig Minuten um, der Film ist aus. Ich stehe mit Steffen Sebastian (Kamera), Andi Preisner (Schnitt), Kirsten Hartung (Schauspielerin) und meiner Schwester Beate vor der Leinwand auf der Bühne. Wir reden mit der Moderatorin zum Film, wie er wurde, der er ist. Dann soll das Publikum Fragen stellen. Es kommt nicht dazu. Eine Frau flüstert der Moderatorin etwas ins Ohr.
Abbruch der Show, „dieser Zeitdruck aber auch…“ – Klaus erhebt sich, ihm ist nach einer herzlichen Umarmung. Der Film ist Klasse, sagt er, deine Schwester unglaublich. So stark, so klug, so beglückend, ihr zuzuhören. Und verabschiedet sich sogleich zum Bahnhof zurück, den erstbesten Zug nach Berlin,. Wünscht uns Glück bei der Preisverleihung. – Oh wehe, winke ich ab, falsche Jury in unserem Fall, ist nicht einmal ein filmerfahrener Dokumacher unter den drei Bewertern. Ich rechne absolut nicht damit, dass von denen auch nur ein Mitglied mein poetisch erzähltes Filmbilderbuch zu lesen versteht.
Und so kommt es dann auch bei der Riesenshow im schicken Staatstheater Schwerin mit Ministerin Schwesig, die eine gute Rede hält. Mehr Erwähnung als durch Knut Elstermann, der den Festakt moderiert, und unseren Film ganz toll findet, meine Schwester Beate als seinen heimlichen Star des Festivals bezeichnet, springt für uns nicht heraus. Es gewinnt ein Boxerfilm.
Steffen meint wir könnten es auf Platz drei der Wertung geschafft haben. Meine kleine Schwester ist schwer enttäuscht. Ihr Bauchgefühl hat noch am Morgen eindeutig den Preis für uns bestimmt. Nun ist sie fassungslos, redet nichts mehr. Das Urteil ist ihr auf den Magen geschlagen. Sie muss den schweren Treffer erst einmal körperlich verdauen. Das geht nur mit einem Glas Milch und Kaffeelikör intus. Was so Ringrichter mitunter zum Kampfende hin für seltsame Entscheidungen treffen, tröstet sie ihr alter Freund Wolfgang, mit dem sie seit dem vierten Lebensjahr schicksalhaft verbunden ist. Beide hat man willkürlich in die DDR-Psychiatrie Stralsund-West weggesperrt. Darum geht es im Film ja.  – Vielleicht hat die Jury ihn sich gar nicht bis zum Ende angesehen, sagt sie. Sonst wüssten die doch Bescheid! Schwesterherz, sage ich, wir waren hier und haben eine Weltpremiere erlebt. Nun heißt es weiter für den Film eintreten, andere Festivals mit ihm beglücken.
So richtig stimmt das Versprechen meine saure Schwester Beate nicht um. Sie kann ihren Mund nur ansatzweise zum Lächeln verziehen. Da sitzen wir längst mit guten Freunden zusammen an der Filmfeiertafel bei Spargel und Klopfschinken. Und Heide, die Frau vom Exwaldarbeiter Uli, verspricht, den Film in ihr Kino nach Sabel holen. Denn da genau gehört er hin, prosten wir ihr zu, und bereiten die Party danach vor, mit Matjes, roter Beete, Vollkornbrot, gelbem Speck, Kartoffelsalat, Quark, Schnaps und reichlich Bier.

 

 

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