Aeolia lebt: Stromboli. Als Eingang des Arbeitsjournales des Donnerstags, den 4. Juli 2019, darinnen auch von Friedrich wieder erzählt wird, also als FAE3. Dazu ein paar Sätze zur Nahrung und zur Körperlichkeit überhaupt, nämlich des poetischen Geistes, den nur die „Krähen“ stören, über die im Postskriptum mit der Stimme Marcel Inhoffs auch „Faust“ spricht

und jeder erstarrte, nur nicht das Beben ̶
Alles warf den Kopf ins Knistern Ein Glas
zerschellte hinterm Ausschank Die Vitrine

ward kräuslig, matt, momentlang Krinoline,
deren blindes Stahlband sich entspannte,
was den Kegel des Bergs, ihn anzuheben

momentlang verschmalte

Es rutschten die Häuser vom Hang
am währenden Ende der Welt Ich bezahlte
und lief hinaus in den Untergang

ANH, Aeolia Gesang, 50

 

Die erste Nachricht schickte Parallalie mit einem Link auf die >>>> Regionalseite Palermos der Repubblica sowie >>>> „der Stimme des Vulkans“ , die wieder von meinem Gedicht sang.

„Sehr tierisch“, kommentierte der Freund – sowie: „für Aeolia enorm!“

 

In mir sofort der Impuls, dortsein zu müssen. Was sich derzeit nicht durchführen läßt, am kommenden Donnerstag reise ich auf eine andere Insel. Bis dahin müssen für Band II der Erzählungen alle Ersterscheinungsmedien und ihre Daten herausgesucht sein. Dieses werde ich heute tun, nachdem ich gestern den nächsten Part des Erinnerungsbuches der alten Dame endlich habe fertigstellen können und an sie hinausschickte. Das Porto ist erhöht worden, übrigens; ich hätte es anders kaum mitbekommen und wahrscheinlich noch einige Zeit falsch frankiert. Doch bei einer Sendung von über einem Pfund Gewicht mußte ich nachsehen.

[Arbeitswohnung, 9.05 Uhr]
Sonne, das wohl. Aber es ist, fühle ich, empfindlich kühl. Ich trage am Schreibtisch morgens wieder den Hausmantel, abends die Fellweste, nachdem ich so viele Tage zuvor nur in Unterhose vorm Laptop saß. Was ich sehr genoß. Auch, zugegeben, in gelegentlicher Selbsteitelkeit beim Vorübergehen am Spiegel. Spanne ich die Bauchmuskeln an, zeigt sich bereits leicht die Struktur eines Sixpacks. Der Sport zeitigt nun auch ästhetische Wirkung. Um diese Struktur aber ganz auszubilden, bin ich zu hedonistisch, müßte unter 13 % Körperfett kommen, was eine radikale Umstellung der Ernährung verlangt, die mir dann doch zu asketisch wäre. Außerdem will ich auf der Insel und vor allem ab dem 22. in Wien, wohin ich fürs Schlußlektorat des zweiten Erzählbands reisen werde, wieder Wein trinken; momentan ist der Genuß von Alkohol noch eine deutliche Ausnahme. Nicht daß er mir fehlte, tatsächlich nicht. Aber dann, nicht mehr in Berlin, sondern unter der Sonne des Südens wieder … überdies wird bei Cristoforo Arco stets geschlemmt … – Da sitze ich gewiß nicht da, um all den Lustbarkeiten Nein zu sagen.
Auch rief meine Lektorin vor ein paar Tagen in einer Email aus: „Lust! Genuss! Übertreibung!“ Wobei sie sich mit Recht gegen die „richtige Ernährung“ als „marketinggetrieben“ stellte — wogegen wir uns stellen auch müssen, jedenfalls sollten, ich stimm ihr da mehr als nur zu. Wir brauchen eine Balance, wohl wahr, auf deren eine Wippenseite der Hedonismus g e h ö r t.

Noch blieb ich stehn – betäubt von dem Kapernfeuer
Die Frau aber, wie wenn s i e gekostet, schmatzte,
die Lider schließend vor Genuß,
und schlug sie neu auf, fragte: „Vuole? … Nicht teuer“
Aus ihren Pupillen lachte spöttisch die Dohle

Aeolia.Gesang, 64

Wobei sich schon Friedrich von seinem der Schola Medica Salernitana assoziierten Hofphilosophen Theodor von Atiochia geradezu einen Ernährungsplan aufstellen ließ:

Wenn Du ißt, vertreibe den Hunger, nicht den Appetit; wenn Du aber zu viel zu Dir genommen hast, hast Du meistens keinen Appetit mehr. Nach den Speisen greife nicht um des Wohlgeschmacks willen, sondern erfreue Dich des Wohlgeschmacks um der Speisen willen. Und beachte, daß Du den Appetit niemals verdirbst; in ihm nämlich liegt der Weg des Heils. Denn wenn man darauf achtet, daß die vier Kräfte: der Appetit, die Nahrungsaufnahme, die Verdauung und die Nahrungsabgabe, in Ordnung sind, so wird einer durch die andere gedient. (…) So wirst Du also durch die Art des Essens und durch das, was Du ißt, gesund erhalten.

Wohlgemerkt, dies wurde vor der Mitte des 13. Jahrhunderts geschrieben!

In gleicher Weise enthalte Dich auch, wenn Du erhitzt bist oder die Poren vom Schweiß geöffnet sind, kalter Getränke (…)

Es scheint mir nur eine kluge Notwendigkeit zu sein, daß nicht nur „der Herrscher“ seinem Körper Aufmerksamkeit zukommen läßt, sondern um wie viel mehr muß ein den Sinnen naher Dichter es tun, der sie besingt!

Zu Tische zwinge den Herrscher nicht das Gelüst, sondern der Wille!

So den Dichter eben auch. Wie überhaupt der Wille unterschätzt wird: etwas zu wollen. Es wird allerdings auch nicht geschätzt, weder von „der“ Gesellschaft noch auch, scheint es mir manchmal, von den Göttern, gar einem Gott, der letztlich Unterwerfung fordert. Mit den antiken Göttern konnte man immerhin noch in Wettstreit, sogar Fehde geraten, so, wie sie sich ihrerseits stritten oder doch | aneinander maßen, und da sie derart uneinig waren, fand man nicht selten den Beistand der einen gegen die andern. Sie waren keine Krähen, anders als viele derer, die derzeit ihre Macht über die Dichter derart konsolidiert haben – siehe mein P.S. –, daß sie selber zu Stars, jene aber in den Zustand von Lakaien zurückversetzt werden, die der Quote dienen sollen, an denen diese verdienen.

Was mir deshalb einige Freude bereitet, sind >>>> Emmanuel Macrons Europa-„Siege“. Europäisch gedacht, ist dies wirklich ein Grund, mein verschüttetes Französisch endlich wieder zu reaktivieren.

Doch erstmal die Suche nach den Erstveröffentlichungsdaten. So ist es ganz gut, daß ich mein Training derzeit auf die Abendstunden verlegt habe, wenn meine poetische Arbeitskraft ohnedies nachläßt, weil sich der Tag neigt und das mir derart nötige Licht der Dunkelheit schon Platz zu machen beginnt. Auch sie hat ihren poetischen Wert, aber in mir | keinen, der noch zündet.

ANH

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>>>> FA.E4
FA.E2 <<<<
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P.S. zu den Krähen:

Sehr kluger Text Marcel Inhoffs zum diesjährigen Klagenfurter Bachmannpreis:

Am letzten Vormittag in diesem Juni, wo der Bachmanntext als Gattung auf einem institutionellen Höhepunkt angekommen zu sein scheint, scheint diese Gattung, angesichts der leer ausgehenden Texte von Autorinnen wie Sarah Wipauer, Katharina Schultens und Ines Birkhan, und vor allem angesichts des Publikumspreises für Ronya Othmann eigentlich an einem Endpunkt angekommen.

Bei Faustkultur >>>> d o r t. Ganz entsprechend hat mir Elvira M. Gross gestern geschrieben:

(…) es muss halt alles leicht gehen, ‚flutschen‘, wie es so unerträglich heißt, nur nicht querlegen, gar wehtun. ein approbiertes rezept für den i-b-preis: ein bisschen sozialkritik als hors d’oeuvre gewürzt mit ein bisschen intertextualität (die erkennbar!), ein bisschen beobachtungs’kunst’ eintropfen, ein paar dialogschnitten zum nachtisch, voilà das preismenü.

So, beste Freundin, sind die Zeiten. Typen wie >>>> der da triumphieren. Wir aber, >>>> mit Kazantzakis‘ Odysseus, halten dagegen!

Das Meer, der Himmel und die Erde wichen, und ich blieb allein,
mit meinem horngeschwungnen Bogen auf den Schultern, ohne Götter,
der Hoffnung bar und frei und aufrecht mitten in Verlassenheit.
Ihre alten, tapfren Kampfgenossen, meiner Insel neue Sprossen,
den Göttern opfere ich nicht! Ich trinke auf den Geist des Menschen!

 

Winde, oh Aeolia, wehe!
Werde Sturm und Gischt!

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