Es kommt, liebste Freundin, immer der Moment, daß mir der freie Vers “zu wenig” ist, zu wenig unter ein Formgesetz gestellt, das ich einfach auch deshalb zu meistern habe, weil meine Lektüreerfahrungen immer dort erschauerten, wo mir aus der strengsten Form die größte Freiheit entgegenleuchtete, und zwar als – S c h ö n h e i t, einer nämlich, an der nichts Beliebiges mehr haftete. Form schützt vor der eigenen Willkür, sie objektiviert vom Nur-Persönlichen und gelingt dann, wenn das Persönliche dennoch seinen Ausdruck darin findet. Hier, in diesem Béartstück, kommt hinzu, daß ich einen weiblichen Höhepunkt erzähle, wofür sich der freie Vers schon meinem Instinkt nach verbietet. Vielmehr muß das Aufschießen der quasi – wie kurz auch immer entichenden – Lust die gewählte Form gleichsam übersprengen. In den Strophen hier habe ich die (italienische) Stanze gewählt, die zur Rückführung in den freien Rhythmus des Gedichtanfangs den Weg über den Alexandriner nimmt.
Machen Sie sich, Freundin, noch einmal die Ausgangssituation klar. Die Frau liegt halbseits dahingestreckt, das linke Ohr oben (mit dem “Schmuckstein” ist ein feiner Brillant gemeint, den sie am Ohrläppchen trägt), und der am Lager knieende Mann, liebkost es – n u r dieses
eingedenk instinktiv der Akupunkteure,
denen Dein Schmuckstein clirotal Auge,
daneben das ganze Gesicht, ja all Deine
Haut durch den feinen Damm der Spirale
in ihm zusammengezogen, die Finger
auf Darwins Tuberkel in|einander verflochten,
in der Grube des Kahnes küßbar die Ferse,
Hüfte, Fußgelenk, Zehen, ja der Nacken
an der Anti|helix erregbar, von der schon Dein Duft,
wie von ihm selbst, aufsteigt:
So liegst Du mir im leisen, hellen Zimmer,
wie schlafend, doch als wäre es für immer,
erwartend auf der schmalen Bettstatt Fellen,
geschmiegt an wandseits flache Polster, Kissen
Halb seitlich harren Brust und Becken – Schnellen
von Wasser, die | nicht weiter fließen müssen,
erspürend nichts als ihr Verdunsten – so auch
gewinkelt Deine Beine, so Dein Bauch,
als tastend, von gespitzten Männerlippen
gehaucht, Dein unbedecktes Ohr das Nippen
von Wind durchtupft, gepustet kaum, ein Wehen,
das werbend fast nichts will, nur kosen, was sich
von selber gibt und seufzt dazu, vielleicht, ein Sehen
alleine mit dem Mund und wo sie‘s häutlich,
die Zunge, spürn kann, seismographisch wandernd,
wie kosmisch da Dein Ohr wird und zu Lunge
(…)
Nun der Übergang von der Stanze zum (allerdings dem von Celan um eine unbetonte Silbe ergänzten) Alexandriner:
(…)
mir selbst, der dienend, knie‘nd am Bett, Dich leitet,
versenkt in jede Regung Dich Dir vorbereitet
geschlossner Augen, weil es nur ums Fühlen
in Dich und Deinen Körper geht, als Seelen,
organisch, Schmuck sind; Dämmchengräben spülen
am filigranen Grate, zu befehlen,
mich an, der ich, allein gemacht zu reizen,
bei Dir bin, hier, am Ohr Dich aufzuheizen,
bis Dir die Sinne schäumen | weit über Dich hinaus
und Dich Du bäumst, Béart | daß Du nur Dich noch spürst,
nicht Zimmer, nicht mehr Haus | noch aber wirklich Dich,
noch mich, der ich rein Ohr, | zu Deinem, ward, verschmolzen
mit einem Du, das war | – / – / – /
(…)
Schließlich, aber nicht abschließend, die Rückkehr in den freien Rhythmus:
(…)
Wer blößt sich vor dem Tier | bevor es uns entblößt?
Die Concha aber füllt sich | und wird, ich leck‘s, ganz salzig:
Im Zimbelbecken Meertau, | ein, überfließend, See –
Ach soll ich neu die Segel | gen Höhle und Gehörgang,
zur nächsten Wallung, setzen? –
Du atmetest schwer, dann zunehmend flach.
Ich war vergessen und wach,
glitt Dir vom Ohr küssend zur Stirn;
auf Deinem Kinn schimmert der Zwirn
des Speichelfadens, Kamm einer Welle,
die in der Erregungsschnelle
sich auszulaufen, in die Schicht
Schweißes, vergaß, die vom Gesicht
duftend nun zu verdunsten beginnt
und im verschwimmenden Träumen versinnt,
sanften, Dich wiegenden Netzen –
(…)
Interessant, nämlich besonders reizvoll finde ich es, die Übergänge von einer Form in die andere zu gestalten; hier habe ich den Reim gewählt. Musikalisch gesprochen, handelt es sich um eine Modulation; etwas von der alten Form muß in der neuen immer erst noch bleiben, bis die Gebilde sich legiert haben.
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Ich denke, einen weiteren Tag, dann wird der Entwurf der XXIV fertig sein. (Insgesamt dreiunddreißig Stücke soll das Buch insgesamt haben). Erst aber muß ich noch einen kleinen Auftrag der Contessa fertigbekommen.