Postskriptum (Nachtrag) zu ANH an Liligeia, fünfter Brief. Krebstagebuch, Tag 29.

 

 

 

P.S.:
Was auszuführen, worauf zu antworten ich noch … oh, Lilli, ich weiß nicht, ob “vergaß” ..! Eher mußte ich mir wohl selbst erst klar werden und danken Ihnen, daß Sie nicht, wie ich’s befürchtet habe, dazwischenschießen würden – zwischen, meine ich, das Ende → meines letzten, langen Briefes und diesen nötigen Nachtrag hier.

Also:

Sie haben mich gefragt (eher wohl: mir vorgehalten), ich griffe nun selbst meinen Körper an, den zu achten ich doch stets besungen hätte. “Nur”, wie Sie schreiben, um Sie loszuwerden, schädigte ich mich selbst. Womit Sie mir zumindest indirekt Autoaggression vorhalten, zumal ich anfangs nur allzu wohllaut noch verkündet hätte, eine Chemo käme für mich nicht infrage.
Welche, Liligeia, Alternative ließen Sie mir aber? – Erinnern Sie sich, ich bin auf Sie zugekommen, trotz der Bedrohung freundlich, die Sie bedeuten. Mehr als freundlich, flirtend fast … Ich habe mich sozusagen zu Ihnen gesetzt und mochte, daß wir sprechen. Woraufhin → Ihre Antwort in solch arrogantem, abweisendem Ton formuliert wurde, getragen obendrein von maldiciones, daß ich wirklich an mich halten mußte, um nicht provoziert zu sein. Immerhin das hat meine Lebenserfahrung unterdessen mit sich gebracht. Nun kann ich’s Ihnen spiegeln und tu es hiermit auch. Doch um es deutlich zu sagen: Nein, ich tue mir die Chemo – tu sie meinem Körper – nur widerwillig an, wobei sie sich → in dieser Interpretation allerdings, der Verwandlung in ein Abenteuer also, durchaus aushalten läßt, jedenfalls bislang. Ich habe mit den gefürchteten Nebenwirkungen bislang nur wenig zu tun: etwas leichtes Übelsein mal, neulich die bizarre Hartleibigkeit, vorgestern auf gestern die Kreuzschmerzen. Das aber war’s dann schon. Wobei ich auch erst eine Woche lang unterwegs bin darin und nicht voraussehen kann, mit was noch die Nefud mich konfrontieren wird. Wie gestern schon erzählt, werden wir erst morgen die erste Ralaisstation erreichen, um unsere Kamele zu wechseln usw., was Ultraschall bedeutet und möglicherweise ‘ne nochmal schnelle Endoskopie; aus den strohgrautrocknen Kotkastanien der Tiere wird mein Blutbild dann bestimmt, inkl. Tumormarker), bevor wir uns auf den Weg zum zweiten der vier Höllenkreise machen können. Für den ich halt in Form sein muß. Das nächste Feuer auf Sie, Kartätsche um Kartätsche. Ich hab die Schießscharte im Leib, rechtsoben unterm Schlüsselbein. Und also Beschuß auch auf mich. Wir ducken uns gemeinsam. Sehen Sie die Chemo einmal so. Sie legt uns in dasselbe Bett.

Was anderes hätte ich tun können, Li? Auch Sie, indirekt, muß und will ich schützen: vor zu schnellem Tod. Er wär uns beiden noch nicht recht. Mit Verspätungen kam ich mein Leben lang klar, mit Verfrühungen niemals. Ich find, er soll noch draußen warten, bis Du, Sirene, aus mir tatsächlich herausgeholt haben wirst, was nur geht; vieles vorher, ja, das hast Du schon geborgen, hast’s aus mir gehoben. Doch da ist mehr! Spürst’s denn nicht selbst? Hörn Sie in, Lilly, sich und mich hinein! Dann bewältigen wir die Chemo gemeinsam, nicht als Freunde, nein, wir sind hier weder bei Facebook noch sentimental, aber doch als Gegner, die sich achten – etwas, das bedeutsamer, sehr viel bedeutsamer als Freundesnähe sein kann. Und wir bleiben Frau und Mann, konturiert Geschlecht: Aus solchem Kampfverhältnis stieben die Funken einer anderen, nichtmelancholischen, nichtgemainstreamten, sondern in gutem Sinn tragischen Poetik. (Es sind die Tragödien, was uns entkrustet und befreit; die unseren und anderer; wir wachsen alleine an ihnen. Und so sie auch an uns.)

Gehen Sie nun erstmal in sich, Sie doch so schöne, formphantastische Tumorin, bevor Sie erneut in Harnisch geraten – wider mich und damit auch Sie selbst. Und sparen Sie Ihre Kräfte, die nunmehr Sie fast nötiger als ich jetzt brauchen. Denn spürst Du’s, Lililein, nicht? Wie klein Du nun schon wirst?

 

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