Anangesichts als Arbeitsjournal: Selbstbild mit Vater. Am Dienstag, den 31. August 2021.

[Arbeitswohnung, 17.21 Uhr]

Während ich intensiv an der Videoinszenierung der zwölften Bamberger, der von mir so genannten und auch so gemeinten „Vater“-Elegie arbeite, die dennoch leider nicht pünktlich wird online gehen können — zuviel auf einmal platzte herein, mußte bearbeitet werden: die Fahnen sowohl der → Béarts als auch des →  New-York Romans waren zu korrigieren; insonderheit letztre preßten ihre Dringlichkeit voran, weil das Buch zur Frankfurter Buchmesse vorliegen soll; darüber hinaus waren zwei umfangreiche Anträge zu stellen, und schließlich war der in Bamberg aufgenommene Film selbst noch zeitraubend zu modifizieren, weil ich ihn, ohne es zu merken, in krassem Gegenlicht aufgenommen hatte, so daß entweder der Hintergrund kristallen scharf war, mein Gesicht indessen fast vollständig schwarz, oder aber mein Gesicht war gut zu erkennen, der Hintergrund jedoch ein fast pures Weiß … — …

… — während ich also an der Montage sitze und immer wieder nach Motiven suchen und sie zurechtschneiden, dann einpassen muß, wächst mir ein Bart. Ich habe nicht die Muße, ihn wegzurasieren, nicht die Geduld, will ans Video, ums fortzusetzen. Allerdings gebe ich ihm stutzend Form. Daß es aber die ist, die nahezu zeit seines Lebens mein Vater trug, das wurde mir erst — und da jähe — bewußt, als ich in der Pause zu meinem Tabaccaio flanierte, der Ashleys Artisan’s Blend für mich bereithält. (Alle anderen Tabake beziehe ich wieder aus Kiel. Aber auch dieses!: Sogar Pfeife rauche ich wieder, wie mein Vater es tat.)

Sag: Was, das Du mir gabst, geb ich, wie wenn es von Dir wäre, meinen Sohn weiter? Im Altern, die Söhne, sie werden den Vätern nicht gleich? Wenn einer geht, rückt nicht der jüngere nach und übernimmt es: den Blick, wolkenhinauf, und das Blicken?
Das bleibende Thier, Zwölfte Elegie

 

 

Ich mußte kurz stehenbleiben, als der Zusammenhang mir so unvermittelt bewußt ward. Nun werde ich, bis das Video fertig und online gestellt ist, an diesen Bart nicht mehr rühren. Danach kommt er ab, sò. (Doch bei der Pfeife bleibt es; ich nahm die Modelle bereits anfang des Jahres aus ihrer Verbannung wieder heraus.)

4 thoughts on “Anangesichts als Arbeitsjournal: Selbstbild mit Vater. Am Dienstag, den 31. August 2021.

  1. Mal wieder ein Arbeitsjournal. Schön die Hintergrundinformation. Bewundernswert die gelesenen Bamberger Elegien in ihrer Vielfalt. Ich hoffe, die Feuilletons werden darauf aufmerksam. Auf die Musik, die Gestaltung, den Inhalt.

  2. Wir kennen uns nicht, ich habe das ein und andere gelesen. Ich verfolge diesen Blog und habe dann doch das Gefühl, dass ich mehr als nur Buchstaben, Wörter, Sätze, Stimme kenne. Eine Nähe zum Menschen entsteht.
    Funkstille seit Wochen hier. Gern möchte man an Ferien denken. Aber da sind auch, wenn jemand nun, der sonst etwas mitteilt, alle Kraft für sich selbst benötigt, Sorgen.
    Ich hoffe, Sie sind (wieder) auf dem Weg der Besserung und können bald wieder schreiben, Gedichtvideos drehen, sich mitteilen.
    Mit besten Wünschen, Bess Dreyer

  3. Liebe Bess Dreyer,
    haben Sie Dank für diese, ich schreibe einmal, „fragende Nachricht“, die ich eher aus Zufall las, da ich selber zur Zeit nur selten in Die Dschungel schaue. Dies ist aber kein Grund zur Unruhe, sollte jedenfalls keiner sein; es haben sich allein meine Konzentrationen derzeit verschoben – in diesem „Fall“ auf die Videorealisierung der zwölften Bamberger, die mich vor nicht nur, aber vor allem technische Probleme gestellt hat und weiter stellt. Ich mache eine Art Lehre durch, was einerseits eine Folge der Komplexheit meines Filmbearbeitungsprogramms – Adobe Premiere pro -, aber eben auch ihrer Möglichkeiten ist (imgrunde muß man dieses Werkzeug regelrecht studieren), zum anderen aber auch der Fragestellungen und Versuche, Antworten zu geben, der Elegie selbst. Je komplexer, mithin auch komplizierter, das Material, desto vielfältiger die Möglichkeiten der Umsetzung sowohl als auch der Interpretationsansätze, die im Falle eines Filmes notwendigerweise viel stärker die Bilder sind als die Wörter, insofern ein Bild nahezu immer konkret ist, anders als das in Bedeutungshöfen, mithin hoher Ambivalenz schwingende Wort. Ich muß Wege finden, diese Ambivalenz im Bild zu bewahren, und in meinem Video sind es vierundzwanzig Bilder pro Sekunde, die nahezu alle einzeln bearbeitet werden müssen – in einer Strecke von über einer halben Stunde Film. In meinem Fall heißt dies aber auch, daß ich all das, was Filmunternehmen auf zum Teil Hunderte spezialisierter Mitarbeiter „auslagern“ können (und müssen), autodidaktisch darzustellen habe. Das kostet eine, wie ich es oben nannte, Konzentration von bisweilen bis zu vierzehn Stunden täglich. Und weil ich permanent Fehler mache – die kleinste Unaufmerksamkeit, irgendein dämliches unbemerkt getätigtes Klicken, kann, und hat es immer wieder, die Arbeit einiger Tage zunichte machen, so daß ich neu und neu beginnen muß -, bin ich mittlerweile mit dieser Zwölften schon über anderthalb Monate beschäftigt. Hinzu kamen die Fahnen des nun, zur Frankfurter Buchmesse, neu erscheinenden New-York-Romans sowie der – wegen interner, aber auch „coronarer“ Verzögerungen – nun möglicherweise erst im kommenden Jahr erscheinenden Béart-Gedichte. Außerdem bin ich mit der Fertigstellung zweier Auftragsarbeiten beschäftigt, eine für „meine“ Contessa, die andere für eine mir unterdessen sehr liebgewordene alte Dame, und beide Arbeiten erlauben eigentlich keinen weiteren Aufschub; zu sehr schon, wenn auch aus den erzählten künstlerischen Gründen, habe ich die Geduld beider Damen strapaziert. Kurz, für Die Dschungel blieb keine Zeit. Doch seien Sie gewiß, daß ich, sowie ich diese – ich fluche mal – vermaledeite „Vater-Elegie“ fertiggestellt haben werde, auch die Arbeit an Der Dschungel wieder aufnehmen werde.

    (Ein weiteres Hindernis der gegenwärtigen Arbeit besteht darin, daß selbst mein nun ja schon ziemlich aufgerüsteter Computer von der Komplexität der bisherigen Montage über seine Grenzen hinaus gefordert ist; ich werde nicht umhinkommen, nun n o c h einmal den Prozessor um einen signifikant leistungsfähigeren auszutauschen, was irgendwie finanziert werden muß. Ohne das nämlich muß ich manchmal halbstundenlang warten, bis eine eigentlich nur kurze Episode des Videos überhaupt gerendert ist, ohne daß das Ergebnis dann aber endgültig ist, sondern bei jeder kleinen erneuten Änderung muß eben erneut auch gerendert werden. Deshalb vergeht – tatsächlichen Filmsets gleich – ein Großteil der Arbeitszeit in Wartereien, was ich mir meist mit Lektüren fülle.)

    Dies nur zur Erklärung. Gesundheitlich geht es mir gut, von kleineren Mißhelligkeiten abgesehen, die zu ertragen aber ein im Vergleich zu dem, was hätte geschehen können, geringer, ja lächerlicher Preis sind.

    Ihr ANH

  4. Danke für diese Antwort und Zwischenstandsmeldung. Das wichtigste, dass es Ihnen gesundheitlich so gut wie möglich geht. Das Internet ist sehr ungeduldig, aber nicht alle Leser sind so 🙂 ich wünsche Ihnen eine glückliche Hand für die Arbeit – und schaue neugierig immer wieder vorbei, wie viele das tun, es wird schon gelingen, denke ich. Und dann gibt es wieder mal was lesenswertes… in diesem Internet.

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